Nr. 176 Mittwoch, 31. Juli 1335 Sekte 3 fudctendeuiscficr Zeitspiegel Arbeitslosen ­versicherungsanstalt? Unter diesem Titel bringt das»Prager Mon­tagsblatt" vom 29. Juli einen Artikel, aus deut wir nur nachstehende interessante Feststellung ent­nehmen wollen: AuS den Kreisen der Sudetendeutschen Par­tei wird eine Anpassung an die produktive Arbeits­losenunterstützung derart gefordert, daß jeder Ar­beitslose wöchentlich ungefähr den Betrag von 20 bi- 25 Kc erhalten würde, ohne Rücksicht darauf, ob er organisiert sei oder nicht allerdings wär« er dafür verpflichtet, Ar­beit im öffentlichen Interesse zu leisten." Dies scheint sogar demPrager Mon- tägSblatt", das sicherlich nicht der Arbeiterfreund­lichkeit geziehen werden kann, zu ungeheuerlich, so daß es nachstehenden Passus unter Klammern bei­setzt:(Gegen diesen Vorschlag wäre nichts einzu­wenden, wenn der Arbeitslose für seine Arbeiten auf ortsübliche Weise honoriert würde es scheint abet nicht tragbar zu sein, d e n A r b e it S l os e n für«inAlmostn sch were Arbeit, verrichten zulas­sen und dabei möglicherweise weitere qualifizierte Arbeiter aus dem Arbeitsprozeß auSzuschalten.") Was also dem»Prager Montagsblatt" für untragbar erscheint, das scheint den HerrenFüh­rern" der Henleinpartei als Jdealzustand. Nach dem Verrat an den Landarbeitern, die doch auch zum Großteil die Henleinpartei gewählt haben und den Verkauf der Jugend an die Großbauern, wol­len sie nun die übrigen Arbeitslosen zwingen, um ein Bettel ihre Arbeitskraft zu verlaufen. Was sagen die Henleinarbeiter zu diesem neuerlichen Verrat ihrer Interessen? Jetzt erhalten die Ar­beitslosen 20 ohne zum Frondienst gezwungen zu sein, nach der»fabelhaften Arbeitsbeschaffungs­idee" der Henleinführer sollen sie um 25 XL zum Frondienst gezwungen werden. So sieht die Att>«i- trrfreundlichkeit der Volksgemeinschaft nach den Wahlen aus. Kommentar überflüssig. Das Echo einer LUgenmeldung Ein Geschäftsreisender, der für eine deutsche  Firma in unserer Republik   Vertretungen hat, sen­det uns folgenden Zeitungsausschnitt aus der Bayerischen Ostmark" vom 11. Juli 1935, auf den ihn Kunden mit dem Bemerken aufmerksam machten, daß wenn in derartig erbärmlicher Weise gegen die Tschechoslowake« gehetzt werde, die Ge- schästsverbin-üngen gelöst werden wüßten. Umge­kehrt Legen natürlich die Dinge auch so, daß die sudetendeutsche Geschäftswelt durch die Aufnahme derartiger Schauernotizen in reichsdeutschen Zei­tungen geschädigt werden muß. Unter der Ucbcrschrist:Eine unerhört« deutschfeindliche Provokati»» Wie lenze n»ch duldet die tschechostvwakische Regierung die Hetz« der Viarzisten" läßt sich die ,bayerische Ost­mark" aus Berlin   melde«:" Berlin  . Das Treiben dir Emigranten«ad sonstigen deutschfeindlichen Elemente nimmt nach­gerade Folgen an, die allmählich iedes Motz des Erträgliche» übersteige«. Wie die»Karlsbader deutsche Zeitung" meldet, fand am Sonntag aus dem Bundesfrst der sozialdemokratischen Radfah­rer.«nd Kraftfahrcrvcreinigung Aruk auch ein Scheibenschießen statt. Dabei wurde, wie das Karlsbader Blatt schreibt, unter anderem auch auf eine Scheibe geschossen, die als Ziel den Kopf Adolf . Hitlers   trug. Diese««erhörte Beleidigung des Führers»nd des ganzen Deutschland   geschah unter Aufsicht der tschechoslowakische« Staatspolizei. Wie bekannt wird, befand sich»ater den Trilnrhmeni des Festes». a. auch der sozialdemokratische Mini­ster Dr. Czech. Damit gewinnt di« ganze Ange legonhcit einen Charakter, der über de« Rahme» der sonst in der Tschechoslowakei   übliche» Verleum­dungen deS neatn Deutschland   irt Kreisen der Emigranten hi«a»Sgeht. In Gegenwart eines Mit­gliedes deS tschechische» Kabinetts konnte eS ge­schehe», daß das Oberhaupt des Deutsche  » Reiches auf das unerhörteste beleidigt wurde. Wir fragen; Welche Stellung gedenkt die Regierung in Prag   zu diesem skandalösen Fall einMnrhmrn?" Diesen anmaßenden Sätzen, für die aber in erster Linie das Karlsbader Blatt verantwortlich Au machen ist, das die erlogene Notiz in die Welt iandte, kommt in dem zitierten Artikel noch ein massiver Angriff gegen die Regierung unserer Republik wegen ihrer toloranten Haltung zu der Frage der Emigration und hie Schauernachricht, daß unter Führung des Hoch- und Landesver­räters Strasser, der bekanntlich mit der Sozial­demokratie nichts zu tun hat, und des ehemaligen Reichsbannerhelden Großmann s?) eine Emi­grantenlegion aufgestellt werden soll. Wir wiesen schon öfters nach, daß Henleinsche und Hitlerzeitungen im Kombinieren und Verfer­tigen von Schauernachrichten und Lügenmeldun­gen ohne Konkurrenz sind und sich gegenseitig er­gänzen..'. Hier ist erneut für diese Behauptung ein Beweis erbracht. Es ist deshalb allen Ernstes die Frage zu stellen, toas die Regierung unseres Staates zu tun gedenkt, um solche Auswüchse, wie sie die Notiz des Karlsbader Blattes gezeitigt hat, ein für allemal zu unterbinden. Sie wird ja über die notwendigen Machtmittel verfügen, derartige Meldungen, die glatt aus den Fingern gesogen find, unmöglich zu machen. Es ist einwandfrei festgestellt, daß auf dem Fest desAruk" überhaupt nicht geschossen wurde, daß also ganz selbstverständlich nicht nach einer Scheibe mit dem Kopf Hitlers   geschossen wurde. Henlelnleute organisieren eine Strafexpedition gegen Sozialdemokraten In Kaplitz   haben einige Arbeitslose über Veranlassung der SHF gegen den sozialdemo­kratischen Stadtrat Ziehensack, wegen angeblich parteilicher Arbeitereinstellungen Beschwerde ge­führt und eine Untersuchung der Angelegenheit herbeigeführt. Das Ergebnis derselben wurde dem Genossen Ziehensack durch den Stadtrat mtt folgendem Schreiben bekanntgegeben: Beim hiesigen Amte langte mit 26. VI. 1935 eine Beschwerde ein, daß der Bräuhaus­obmann Herr Stadtrat Ziehensack   bei Aufnahme der Arbeiter für die Heuernte vom parteipoliti- schen Standpunkte aus vorgeh«. Der Stadtrat hat sich mit dieser Beschwerde in seiner Sitzung vom 1. Juli 1935 befaßt und konstatiert» daß ei» parteipolitisches Vorgehen nicht in Bertacht kommt, da auch Arbeiter ande­rer politischer Gesinnung in der Lohnliste für die Heuarbeiten vorkommen." Aber man irrt, wenn man glaubt, daß die bürgerliche Gemeindemehrheit mit diesen Fest­stellungen zufrieden war, im Gegenteil, man wollte offenbar den Leuten von der SHF zei­gen, daß man Verständnis für ihre Wünsche habe und wenn auch bei dieser Gelegenheit kein Vorwand für die Ausschaltung von Sozialdemo­kraten bei Aufnahme von Arbeitern gegeben war, so mußte sie eben im Interesse der Sude- teydeutschen Partei gesucht werden. Man fand sie auf sehr originelle Weise. Man teilte nämlich dem oben genannten Genossen mit, daß auf Grund des 8 5 des Gesetzes Nr. 76 vom Jahre 1919 Mitglieder des Stadtrates, der Gemein­devertretung oder dtr Kommissionen zu Ar­beiten der Gemeinde nicht her- angezogen werden dürfen. Das heißt also, daß man die arbeitslosen Mitglieder dieser Körperschaften, das sind nur Sozialdemo­kraten, zugunsten der Heyleinleute von den Ar­beitsstellen der Gemeinde fern halten wolle. Da der oben zitierte Paragraph nur von Lieferun­gen und von der Beschlußfassung über Fragen spricht, von denen einet der Mitglieder an Sit­zungen persönlichen Vorteil ziehen könnte, so ist für den einfältigsten Menschen ohne-werteres- klar, daß hier eine eklatante Gesetzesverletzung vorliegt, die sich unsere Genossen nicht gefallen lassen werden und deshalb schon die notwendi­gen Schritte zur Abwehr dieser Hungermaßnah­me gegen Sozialdemokraten bereits eingeleitet haben. Denn hier muß man den Anfängen Widerstand entgegensetzen, sonst macht das Bei­spiel Schule, das die SHF dem Dritten Reiche nachmachen möchte; keine Arbeit für Sozialde­mokraten, so schafft man Arbeitsplätze für die eigenen Leute, so verwirklicht man die Wahl­versprechen. Ausslger Advokat wegen Verdachtes der Veruntreuung verhaftet Am 27. Juli wurde der Aussig  « Advokat Franz Zink aus Aussig  » Teplitzer Straße, wegen des Verdachtes.der Beruntreumrg größerer Geldbeträge, die ihm als Rechtsvertreter anver­traut waren, verhaftet und in dir Haft des Kreis- gerichtS Leitnwritz eingelieferl... Die Verhaftung hat in Aussig   großes Auf­sehen erregt, besonders in den Kreisen, die der ehemaligen, inzwischen aufgelösten Partei, in der der jetzt Verhaftete in früheren Jahren«ine große Rolle spielte, nahestanden. Schon im vergan­genen Winter ereignete sich ein Vorfall, der im letzten Moment noch günstig für Dr. Zink ge­staltet werden konnte. Damals ist der Advokat, ohne seine Gläubiger und seine Klienten zu ver­ständigen, in ein Sanatorium gegangen. Im letzten Moment, als schon mit Strafanzeigen ge­droht wurde, konnte die Sache vertuscht werden. Henleins Auslandsreisen. DieLidove No- viny" vermerken die Nachricht, daß Konrad Hen­ lein   dieser Tage die Reise nach England an­getreten habe, und bemerken dazu, diese Reise werde, ähnlich wie die Schweizer   Reise Henleins, als Erholungsreise ausgegeben. Das Blatt erin­nert nun daran, daß Abg. M a y in einer Kund­gebung der Sudetendeutschen Partei in Steinschö­ nau   erklärt hat, daß Henlein   in der Schweiz   war, wo es ihm gelang, Interesse für unsere Verhält­nisse zu erwecken, und daß er nun auf Einladung englischer Journalisten nach England fährt. Die »Lidovk Noviny" sagt hiezu folgendes:»Ueber Henleins Reisen ins Ausland entstehen deshalb verschiedene Vermutungen, weil die Sudeten­ deutsche Partei   darüber nicht richtig informiert, warum Henlein   eigentlich ins Ausland reist. Wenn Henleins Schweizreise als Erholungsreise bezeichnet wurde und wenn dieser Tage ein Ab­geordneter der Sudetendeutschcn Partei sagt, daß Henlein   in der Schweiz   Interesse für unsere Ver­hältnisse erweckte, so ist daraus zu ersehen, daß die Auslegung der Reisen als Erholungsreisen nicht vollständig ist. Henlein   reiste Wer Deutsch­land. Aber seine Presse teilte bisher darüber nichts mit, welche Eindrücke er von Deutschland   mit­brachte, obgleich dies viele Leute sehr interessieren würde. Konrad Henlein   tritt alseinfacher Mann aus demBolke" auf. Da ein­fache Männer aus. dem Volke nicht nach der Schweiz   und nach England auf Urlaub und Erho­lung fahren können, muß man annehmen, daß er mit diesen Reisen auch andere Aufgaben verbindet". Kinderrepnilik in Ostböhme«. In Wiesen bei Halbstadt, das ist eine ansehnliche Gemeinde nahe der Grenze des Dritten Reiches   im Bezirk Brau­ nau  , in der die Sozialdemokraten über eine Mehr­heit in der Gemeindestube und auch den Gemeinde­vorsteher stellen, ist am 23. Juli an einem der schönsten Plätze des Ortes eine Kinderrepublik, die aus 25 Zelten besteht und 120 junge Menschen in sich schließt, feierlich eröffnet worden. Sie wägt den Namen»Kinderrepublik Roter Aufbruch 1935", und ist das Werk der Kinderfreunde des Gaues Trautenau  . 11.000 Kronen mußten auf­gebracht werden, um den Staat der Kinder drei Wochen zu erhalten und darin schon liegt die Kraft und die Opferwilligkeit der Menschen, die trotz der Not der Zeit, die doch in Ostböhmen geradezu grauenhaft« Formen angenommen hat, diese Summe aufbrachten, um den werdenden. Menschen unserer Klasse einen anschaulichen Begriff von dem Die neugebauten Städte Palästinas   sind Spiegelbilder des Europa   der Gegentoart. Die .Häuser in modernster Architektur, glatt, schmuck­los, aber gefällig, breite Fenster, viel Ballone, flache Dächer, in keiner Wohnung fehlt das Bade­zimmer. Fremd muten nur die hebräischen und arabischen   Schriftzeichen auf den Firmenschildern und den Plakatwänden an. Es wird hebräisch ge­sprochen, aber der Tourist kann sich mit europäi­ schen   Sprachen leicht zurechtfinden. Im Wrigen gibt es Kinos und Kaffeehäuser, Banken und Bars, Buchhandlungen und Luxusgeschäfte, aus­gezeichnete Theater und gute Musil   es ist der kapitalistische Betrieb und der kapitalistische Geist der europässchen Städte. Man merkt freilich bei schärferem Zusehen, daß da noch ein anderes wirk­sam ist, ein Geist und'Wille, da etwas-Neues zu Mckffttt."-r.'»'s., Ganz änd'krs dass jüdische Dorf Palästinas  . Das arabische Dorf lebt noch religiös im Geiste und technisch in den Zeiten Mohammeds nur die kriegerische Kraft ist erloschen. Der Fellache fühlt sich noch durchaus in Lvhensabhängigkeit zu seinem Effendi, in Sippenabhängigkeit zu seinem Clan, die Gebote des Muftis  , seines religiösen Oberhauptes, sind ihm Gesetz. Er benützt natürlich den Autobus, der ihn auf breiten, asphaltierten Straßen in die Stadt bringt. Er findet sich dort zurecht, besiicht zuweilen das Kino, hört im Kaffeehaus^ie Vorlesung der Zeitung. Mer diese Eindrücke aus der modernen Welt lockern kaum merklich seine Lebensgewohnheiten, verändern sein Weltbild nicht.-Der Holzpflug, von Kuh und Dro­medar gezogen, mit dem er den Acker bestellt, ist noch genau von derselben Primitivität, wie jener seiner Urahnen, als sie im Lande seßhaft wurden. Er ist blutarm, ungebildet, kann weder lesen noch schreiben, noch ist die Frau ihm nicht Gefährtin sondern Sklavin, nirgends im Dorf zeigt sich irgend aus dem Inneren eine Kraft, um diese alte Tradition zu überwinden. Da- arabische Dorf ist erstarrt. Das jüdische Dorf wurzelt nicht in den Jahr­hunderten; es ist eine Schöpfung der letzten Jahr­zehnte, nicht allmählich, organisch gewachsen aus dem sozialen Boden einer Sippe, sondern kon­struktive, echt koloniale Schöpfung wurzelloser Idealisten; also nicht das Werk von Bauern oder Bauernsöhnen, sondern von hochgezüchteten Städ­tern. Die Juden sind bekanntlich das älteste Stadwolk in der Welt, seit zwei Jahrtausenden vom Ackerboden getrennt; mehr iwch: auch der ge­werblichen Handarbeit entwöhnt. In den mittel­alterlichen Zünften war für sie kein Raum. Ihrer ökonomischen Pyramide fehlte der massive Unter­bau einer mit dem Boden verwurzelten Bauern­schaft und der breiten Masse industrieller Arbei­ter; erst in den letzten Jahrzehnten haben sich ihnen manche Industrien erschlossen. Stadtmen­schen also waren eS, in der erstickenden Enge der verdüsterten Ghettos Rußlands   und Polens   aus­gewachsen, die das Palästinadorf geschaffen haben. Sie hatten sich in früher Jugend vom Ghetto be­freit, hatten hungernd in den Gymnasien und Uni« versitäten studiert, hatten den Geist der sozialisti­ schen   und nationalen Revolution eingesogen: die­sen Geist verpflanzten sie auf das Dorf. Die Begründer des jWischen Dorfes in Palä- sttna waren also vornehmlich Intellektuelle; sie gaben dem Judendorf   eine merkwürdige geistige Physiognomie, di« sie von allen Dörfern der Welt unterscheidet. Dieser intellektuelle Zustrom ins Dorf hat nie gestockt. Nach der russischen und pol­nischen Einwanderungswelle kam die deutsche, und immer trug sie auch akademische Jugend oder doch Jugend aus dem gebildeten Mittelstand ins Land. In erstaunlich kurzer Zett verwandeln sich Philo» Wesen eines demokratischen Staates, von dec Selbstverwaltung, von einer Republik zu geben. Aber die Kinderrepublik hat auch eine große agi­tatorische und organisatorische Aufgabe zu erfül­len, sie ist der Auftakt zu demTag des Noten Aufbruches" am 10. und 11. August in Braunau  , bei dem zehntausend deutscher und tschechischer Ar­beitet zu einer gewaltigen und festlichen Kundge­bung aufmarschieren werden und zu dem die in der Kinderrepublik untergebrachten Falken für den Aufmarsch der Kinder und der Falken aus dem KreiSgebiet Trautenau   die propagandistischen Vor- bedingung'-n und die technischen Vorbereitungen zu treffen haben. Barbarei der Spießbürger. Bei der Be­erdigung eines pensionierten, in völliger Armut verstokbelien Bergmannes«; D. kam es zu empörenden Skandalszenen. Der Bergmann   war verheiratet gewesen, hatte jedoch seine letzten Lebensjahre in gemeinsamem Haus­halt mit einer anderen Frau verbracht. Bon der rechtmäßigen" Gattin aufgeputscht, versammel­ten sich zahlreiche Frauen vor dem Sterbehause und beschimpften den Toten und seine Lebensgefährtin in der rohe­sten Weise. Während die Beerdigung selbst noch halbwegs in Ordnung stattfinden konnte, warf sich später vor dem Friedhof eine Menge von mehr als 50 Personen auf die Freun­din des Bergarbeiters, verprügelten sie, r i ß ihr die Kleider zum Teil vom Leibe und versuchte, sie in einen in der Nähe gelegener; Teich zu werfen. Ein Arbeiter, der der Insultierten zu Hilfe eilen wollte, wurde er­heblich verletzt. sophen in Biehbüchter, Mathematiker in Getreide­bauern, StaatSrechtlcr in Gärtner. Frau Dr. Phil  . Ruth, der ich beim Rundgang durch den Stall vor­gestellt wurde, eben als sie eine Kuh ganz sachge­mäß molk, hatte vor wenigen Jahren noch in Ber­ lin   Kunstgeschichte studiert und eine bemerkens­werte Mhandlung über gotische Plastik publiziert. An den gelbgetünchten Wänden ihres kleinen Zim­mers, in das sie mich nach der Arbeit eingeladen hatte, hingen in schmalen Rahmen Photos von der Werirdisch schönen Kathedrale in Reims  , auf dem Arbeitstisch lagen kunsthistorische Werke. Ihr Sinn für das Schöne ist keineswegs erloschen; angeregt plaudert die anmutige vergeistigte Frau bis tief in die Nacht Wer die weltanschaulichen Offenbarun­gen der Kunst. Um sechs Uhr morgens läutet aber der Gong sie wieder in den Kuhstall. Für Frau Dr. Ruth bedeutet der Weg von der reinen Kunst zum Dünger des KrchftalleS keineswegs einen Ab­stieg in soziale und geistige Tiefen, sondern im Gegenteil die Erfüllung eines sinnvollen Daseins im Dienste einer erleuchteten Idee. Soll ihr ge­peinigtes, geächtetes Volk nach zwei Jahrtausen­den ruhelosen Wanderns endlich eine Heimstätte finden, so müssen Kühe sorgsam gewartet werden. SoU aber diese Heimstätte anders werden als sonst die kapitalistischen   Gemeinwesen der Welt, eine Heimstätte, gegründet auf den Ideen des So- zialismus, daun muß eben der Sozialist inS Dorf: jeder, auch Frau Dr. phil  . Ruth keiner dürfe sich auSschlicßeni Kunstgeschichte für die Feier­stunde, der Arbeitstag dem sozialistischen   und na­tionalen Aufbau des Landes I Das ist natürlich nicht so zu verstehen, als wären die jüdischen Dörfer Palästinas   Siedlun­gen von Akademikern; sie finden sich dort einge­sprengt inmitten einer Jugend, die vorwiegend aus dem jüdischen Kleinbürgertum stammt oder von Luftmenschen", deren Väter nichts alsdir Schriften" gelernt und«von der Luft gelebt" haben. Aber aus welcher sozialen und kulturellen Schicht sie auch kommen, sie haben irgend etwas ausgeprägt Intellektuelles; allen gemeinsam ist die Verzehrung und Liebe für das Buch, der Sinn für das Geistige. Als sie sich abends, nach schwe­rer Arbeit, zum Vortrag versammelt hatten keinen ihrer Gäste entlassen sie, bevor er ihnen nicht aus seinem Wissensgebiet vorgetragen, da hatte ich den Eindruck, vor einem akademischen Publikum zu stehen. Aufmerksam folgten sie der Erörterung kompliziertester Probleme und disku­tierten nachher bis Mitternacht die großen Fragen der Welt mit Scharfsinn und gebildetem Verstand. Es gibt nirgends Bauern von dieser Welt­weite des Horizonts. Denn jedes Dorf ist ein klei­nes Völkerbabel. Da sind Russen und Spanier  , Polen   und Thrazier, Deutsche   und Amerikaner, Jemenit«« und Holländer, Franzosen   und Un­ garn  , Balten und Italiener  , Belgier und Bucharcr Juden sind sie natürlich alle, aber sie bringen irgend ein Element der Kultur ihrer Wirtsvölker mit, sind mit ihren Stammländern durch Erleb­nisse und menschliche Beziehungen verbunden, das Interesse für deren Schicksale bleibt wach. In der Dorfbibliothek I kein Kibuh ohne große Biblio­thek! findet man darum das Beste der Welt­literatur; nirgeirds fehlt Shakespeare   und Goethe, Dostojewskij   und Dickens  , nirgends aber auch Marx und Lenin   und die Reihe der sozialistischen  Klassiker. Nun mögen ja Zweifel wach werden, ob das auch ganz richtige Bauern seien, von Schrot und Korn, die den Pflug fest anzupacken versieben, Strapazen ertragen und die schweißtreibende Ar­beit in sengender Sonne. Sie haben in ttopischer Glut Sümpfe entwässert, Steppenboden in Gärten verwandelt, Brunnen und Kanäle gegraben, Stra- krau Dr. phil. Ruth melkt Kühe Buch und Pflug im PalUstlnadorf Von unserem Spezialkorregpondenten Julius Brauntal