nwnTprBl« 70 HiHtr (hudiltetUch S H«fl«r Forte) ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xiu fochova a. Telefon 53077. HERAUSGEBER. SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  . WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS, FRAG. IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHCSIOWAKISCHEN REPUBLIK  15. Jahrgang Sonntag, 4. August 1935 Nr. 189 Völkerbund ohnmächtig gegen Kriegsgefahr Italien   stimmt nicht für die entscheidende Entschließung Friedrich Engels  Zu seinem vierzigsten Todestage Von Hermann Wendel Genf   rüstet zur Septembertagung der Duce zum Krieg Die gestrige Sitzung des Völkerbundrats hat die erschreckende Ohnmacht Genfs gegen­über Italien   in erschreckender Weise klargestellt. Die fadenscheinigeLösung" in Form einer Zweiteilung der Entschließung offenbarte schon au sich, daß sich der Völkerbund gegenüber Ita­ lien   vorweg machtlos erklärte, das denn auch durch seinen Vertreter Aloifi sich der Abstim­mung über die zweite, entscheidende Entschlie­ßung enthielt. Es ist eine blutige Farce, znr der der Völkerbund durch die Intransigenz Italiens   sich erniedrigt sieht. Noch ist der Völ­kerbund nicht gesprengt, aber der u e u c P r e- siigeverlust ist fast tödlich für ihn. Die völlige Bloßstellung des Völkerbunds wird i« Augenblick der Genfer   Tagung unterstrichen durch die Meldung aus Rom  , die keinen Zwei­fel darüber läßt, daß Muffolini ohne Rücksicht auf die geplante Genfer   Tagung im September nach wie vor entschloffcu ist, die Waffen in Ak­tion trete« zu lasten. Der Mechanismus des Völkerbundes er­weist sich als schwächer als die völkerrechtlichen Modalitäten, die seit dem Wiener Kongreß   von 1815 in Europa   üblich wäre«. Seit damals wurde keine wichtige.Frage von einem Mächte­duo oder Michteterzett erledigt, sondern immer vomKonzert" der Großmächte. Das war in den orientalischen Fragen beim Pariser   Frieden 1856 und beim Berliner   Kon­greß 1878, das war dann wiederholt bis zum Kriege«blich. Als Oesterreich sich 1908 dem Zwang entziehen wollte, wäre cs fast znm Kriege gekommen und, als 1914 Oesterreich tatsächlich den britischen Konfcreuzvorschlag ab­lehnte, war dies der letzte Tropfen, der das Faß znm Ueberlaufen brachte. Wenn heute nur drei Mächte verhandeln, so zeigt das der Vertrag von 1906 ist ja nnr der Vorwand daß Europa   trotz dem Völkerbund und gerade wegen der schweren Mängel und Fehler des Bundes als Ganzes aktionsfähig geworden ist. Die gestrige Sitzung Genf  . Der Völkerbundsrat ist um 19 Uhr fu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammen- getreten, an die sich die öffentliche Schlußsitzung betreffend den abessinisch-italienischen Konflikt anschloß. Es wurden zwei Entschließungen vorgelegt. Die zweite lautet: Der Rat beschließt, in jedem Fall am 4. September zusammrnzutreten, um dir allgemeine Prüfung der Beziehungen zwischen Italien  «nd Abessinien nach ihren verschiede­nen Seiten aufznnehmen. Ratspräsident Litwinow teilte mit, daß es notwendig gewesen sei» den Ver­tretern Abessiniens und Italiens   sowie der direkt interessierten Staaten die Möglichkeit der Behandlung des ganzenKonflikts zu überlasten. Hierauf verlas Litwinow   den ersten längeren Entschließung s-Entwurf, der sich mit der Fortsetzung? der Schlichtungs- und Schiodsverhandlungen befaßt. Die Entschlie­ßung besagt: Der Rat bezieht sich auf sei« Entschließungen vom 25, Mai 1935 über die Regelung deS Strei­tes, der zwischen der italienischen  «nd der abessi­nischen Regierung infolge deS Zwischenfalles von U a l N a l entstanden ist. Diese Regelung sollte nach der in Artikel V des italienisch-abessinischen Vertrages vom 2. August 1928 bestimmten Methode herbeigeführt werden. Der Rat stellt fest, daß die Arbeiten d«S Schlichtungs-«nd Schied SausschuffeS unterbrochen worden sind und daß zur Ermöglichung ihrer Wieder­aufnahme di« beiden beteiligten Regierungen sich an den Rat mit dem Ersuchen gewandt haben, dir Vereinbarungen der beiden Regierun­gen hinsichtlich der genauen Tragweite des Auf­trages des Ausschnffes zu interpretieren. Der Rat ist der Auffaffung, daß die Zuständigkeit d«S AuSschuffcS auf den Vereinbarungen zwischen den Streitparteien beruht. Am Schluß der Resolution heißt eS: 1) Der Rat nimmt zur KmmtniS, daß die Vertreter der beiden Parteien ihrem Willen Ausdruck gegeben haben, ein Schlichtungs-«nd Schieds­verfahren unter den im Artikel V des Ver-\ träges vom 2. August 1928 festgesetzten Bedin­gungen wieder avfzunchmen. 2) Der Rat nimmt die Erklärung der beiden Parteien zur Kenntnis, nach der die vier Mitglieder des Schlichtungs» und SchiedSanSschuffeS ohne weitere Frist einen fünften Schiedsrichter ernennen werden, dessen Enrennnng für di« Durchführung ihrer Arbeiten nötig werden könnte. 3) Der Rat rrch- nrt damit, daß dieses Verfahre« vor dem 1. September 1935'mit der Regelung des Streites abgeschlossen fein wird«nd fordert die beiden Regierungen auf, ihn von dem Ergebnis spätestens am 4 Sepemb« 1935 in Kenntnis zu fetzen. Außerdem wurde unter Absenz der italienischen  Delegierten Baron Aiolsi die obgenannte kurze Entschließung betreffend den Wiederzusammentritt des Völkerbundrates ange­nommen. Advokat I i j e erklärte im Namen der abessinischen Negierung, daß er sich dem wei­teren Schiedsverfahren unter­werfe und daß Abessinien mit Vertrauen der weiteren Erledigung des italienisch-abessinischen Konfliktes entgegensche. Hierauf brachte er den Ratsmitgliedern und namentlich dem Minister­präsidenten Laval seinen Dank zum Ausdruck. BaronAloisi enthielt sich für Italien   der Abstimmung über die zweite Resolution betreffend das Datum der Einberufung des Rates zur Erledigung der allgemei- nen Prüfung des Konfliktes und berief sich auf seine in der geheimen Ratssitzung vom 31. Juli abgegebene Erklärung. (In dieser Sitzung erklärte Aloisi, daß Italien   an den Verhandlungen des Rates nicht werde teilnehmen können, so- bald dieser zur Lösung des Wesens des italienisch-abesiinischen Konfliktes schrei­ten würde.) Minister Laval besprach den Fortgang der Verhandlungen der Vertreter der drei Groß­mächte und Abessiniens und gab der Hoffnung Ausdruck, daß der Völkerbundrat schließlich seine große Aufgabe erfüllen werde. Er sei sich bewußt, daß die Lage ernst bleibe, halte aber seineAufgabe für nicht beendet. Er werde jede Gelegenheit zur Sicherung des Friedens er­greifen. Der britische Völkerbundminister'Eden gab eine kurze Erklärung ab, in der er u. a. an­führte, daß die angenommenen Entschließungen die besten Aussichten auf friedliche Erledigung des italienisch-abessinischen Konfliktes geben. Er er­klärte dann, laß man in zwei Aktionen an die Erledigung des Konfliktes herangehe, einerseits durch das Schiedsverfahren, anderer­seits durch Verhandlungen der drei Großmächte. Eden versprach dann, über die Ergebnisse der Verhandlungen der drei Großmächte dem Rate selbst Bericht zu erstatten. Auch die englische   Re­gierung sei sich, wie Eden hervorhob, des Ernstes des Augenblickes bewußt. Hierauf ergriff der dänische Ver­treter das Wort, der Eden für seine Kundgebung dankte und der Befriedigung darüber Ausdruck verlieh, daß der Rat von den Verhandlungen der drei Großmächte in Kenntnis gesetzt werden wird. Genf.(Reuter.) Es verlautet, daß die Dreier-Konferenz über Abessinien i n zehn Tagen in Paris   stattfinden werde. In der Abendsitzung des Völkerbundrates, die nur drei Viertelstunden dauert, ergriff als erster der abessinische Vertreter das Wort und erklärte, daß Abessinien, indem cs die Ent­schließung des Völkerbundratcs bedingungslos annehme, im Interesse des Weltfriedens ein großes Opfer bringe. Jeze sprach den Mächten, die sich um die Erzielung der Einigung in friedlicher Lösung bemüht haben, den Dank aus. Zwei Tatsachen sind in der Abendsihung des Völkerbundrates zu verzeichnen gewesen: 1. die Zustimmung Italiens zu derDreier-Konferenz. Es ver­lautet aus autoritativer Quelle, daß, obwohl Abessinien an dieser Konferenz nicht teilnrhmen wird, in keinem Zeitpunkt der Versuch gemacht werden wird, ihm aufzuzwingen, was die drei Mächte beschließen werden. 2. ist eine erhebliche Besserung der französisch  -englischen Be­ziehungen zutage getreten, die wieder so gut geworden sind, wie sic vor der Annahme der eng­ lisch  -deutschen Marineabkomme» waren. Am 5. August 1895 starb, fünfundsiebzig­jährig, Friedrich Engels   im britischen Exil, in dem er bald ein halbes Jahrhundert ver­bracht hatte; seine Asche wurde seinem letzten Wil­len gemäß ins Meer gestreut, und lange trauerte die sozialistische Internationale um den, der nach dem Tode von Karl Marx   in guten und bösen Tagen ihr bester uitb bewährtester Berater gewesen war. Heute aber, zur vierzigsten Wiederkehr dieses TrauertagS, gibt die russische Sowjet­ union   Briefmarken mit dem Porträt von En­ge l s in vier Werten aus. .Ich habe", bekannte Engels   gelegentlich, mein Leben lang das getan, wozu ich gemacht war, nämlich zweite Violine spielen... und ich war froh, so eine famose erste Violine zu haben wie Marx  ". Diese allzu weit getriebene Bescheidenheit verführte durch Jahr und Tag zu falscher Einschätzung des Teils von weltgeschicht­lichem Verdienst, der auf jeden der beiden Partner des seltenen Freundschaftsbundes entfiel: Marx  galt als der große, geniale Schöpfer, Engels  als sein hochbegabter, aber auf den andern ange­wiesener Helfer. In Wirklichkeit war Marx   so gut auf Engels   angewiesen wie Engels   auf Marx. Jeder war der Gebende, jeder der Empfangende; vielfältig ereignete eS sich, anfangs selbst auf dem Felde der Nationalökonomie, daß Engels mehr als Gebender denn als Empfan­gender dastand. Vieles und Wichtiges gerade der wirtschaftlichen Grundlagen ihrer Lehre stammt aus seiner nie rastenden Gedankenwerkstatt, und es wird immer eine jener Ungerechtigkeiten sein, um die eine auf Kürze bedachte Terminologie nicht herumkommt, wenn man den wissenschaftlichen So­zialismus als Marxismus etikettiert; der blonde und blauäugige Rheinländer, in Aussehn, Haltung und Gebärde der echteste Germane, wie er in dem bei N. V. Martinas Nijhoff(Haag) erschienenen zweiten Band von Gustav MayerS klassischer Engels  -Biographie besonders plastisch vor uns steht, hatte den gleichen Anteil an ihrer Heraus­arbeitung und Formung wie der schwarzhaarige, dunkle Sproß eines alten Rabbinergeschlechts. Eine Flamme, die von früh an in seiner Brust unverlöschbar brannte, erleuchtete E n g e ls den Weg aus den dumpfen Niederungen des Wup­pertaler Muckertums zum Gipfel der Geistesfrei­heit und von dem Kontorschemel des väterlichen Tuchschachers auf das Feld, auf dem es der Ueberwindung jeden Schachers galt. Welche sprü­hende Fülle von Begabung brachte der junge Barmer Kaufmannssohn zu dem gewaltigen Werk mit, das er nicht erst mit seinem klassischen Buch überD ieLage der arbeitenden Klassen in England" begann! Fiebern­der Erkenntnisdrang paarte sich ihm mit der Fä­higkeit, die Welt und ihre Entwicklung in großen Zusammenhängen zu sehen, und was er selbst durchdrungen hatte, verstand er in einem klaren, glänzenden Deutsch:Lieber straff als schlaff!" für andere durchsichtig zu machen. Welch« stau­nenswerte Summe von Einzelkenntnissen ist, um von Schriften wieD ie Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" undL u d w i g F e u e r« buch und der Ausgang der klas­sischen Philosophie" und von der Fer­tigstellung des zweiten und drittenKapi­tal s"-Bandes gar nicht zu reden, in Werken wie demUrsprung der Familie" und dem Antidühring" mühelos verarbeitet: Ge­schichte, Nationalökonomie, Philosophie, Politik, Kriegswesen, Gesetzgebung, Literatur, Mathematik und Naturwissenschaften um mathematisch und naturwissenschaftlich ganz sattelfest zu werden, setzte Engels   nach dem Austritt aus der ererb­ten Baumwollspinnerei in Manchester   den besten Teil von acht Lebensjahren in dieses Studium. Auch sein verblüffendes Sprachtalent ließ er nicht brachliegen, das ihn allein zum geborenen. Mentor und Mittler einer in vielen Zungen redenden internationalen Bewegung machte. Die großen europäischen   Sprachen beherrschte er so ziemlich alle und manche kleine überdies;.eine Weile dachte er daran, eine vergleichende Grammatik der sla­wischen Sprachen zu schreiben, und lernte bei Ge­legenheit so nebenbei Persisch, voll Freude jetzt den liederlichen alten HafiS" im Urtext lesen zu können. Mussolinis Antwort: Krieg London  . Reuter meldet aus Rom  , Italien   werde zu nichts weiter bereit sein, als seinen Fall auf der geplanten Dreimächte- Konferenz zu vertreten. Jeden Versuch einer Beeinflussung oder der Ausübung eines Druckes werde es ablehnen. Zn Italien   erkläre man immer noch, dah der Konflikt nurdurch militärische Aktivität" gere­gelt werde« könne. Diese Ansicht werde durch den neuen Nnf Mussolinis zu den Waffe» unterstrichen. Man glaube, dah 100.009 Mann aufgerufe» werde«, so datz Italien   eine Million Truppen unter den Waffen haben werde. Gutinformierte italienische Kreise erklären, dah es zu keiner befrie­digenden Regelung der abessinischen Frage ohne mUUärische Operatio­nen kommen könne und dah Abessinien die Stärke Italiens  kennenlernen müsse.Trotzdem wird aber wahrscheinlich die Einbe­rufung weiterer 160.000 italienischer Soldaten hinausgeschoben werden.