-k. 18L Samstag, 10. August 1935 Sette 5 Eine lehrreiche Statistik LonVou.(AR.) Da» britische BerkehrSmini- sterium veröffentlicht eine Statistik der Verkehrsun- iälle, in der alle 1500 tödlichen Unglücksfälle, die sich in der ersten Hälfte des heurigen Jahres in Großbritannien ereignet haben, einer Analyse un­terzogen werden. Diese Analyse baut sich, ebenso wie ein vor zwei Jahren erschienener Bericht, auf die ausführlichen Polizeirapporte auf, jedoch wurden diesmal die Fälle über ausdrücklichen Wunsch des Ministeriums viel eingehender und sörgfältiger er­mittelt.- Die einzigen oder Hauptschuldigen bei tödlichen Verkehrsunsällen waren in 26.1 Prozent der Fälle Lenker von Kraftfahrzeugen; Rad f,ah r« r verschuldeten 15.9 Prozent, Fußgänger 49.1 Prozent, Pferdefuhrwerke und Kutscher 3.7 Prozent, der schlechte Zustand- der Straßen oder deren Unübersichtlichkeit 0.5 Pro­zent und verschiedene Tiere 1 Prozent der Unfälle. 4.7 Prozent sind auf andere Ursache zurückzuführen. Von tödlich verunglückten Fußgängern kamen 85.1 Prozent entweder ausschließlich oder zum überwiegenden Teil durch eigene Schuld ums Leben. Die Opfer der Unglücksfälli waren zu 65.9 Pro­zent F u ß g ä.n g e r, zu 20.2 Prozent Radfahrer, zu 12.9 Prozent M o t o r r a d f a h r e r, zu 6.2 Insassen von Kraftfahrzeugen und zu 4.8 Prozent Kmftwagenführer. Bon den getöteten Fußgängern standen 30.2 Prozent im Alter unter 15 Jahren und 49,4 Prozent im Alter über 55 I a h r e«. Die Ueberschreitungen der zulässigen Fahrtge­schwindigkeit hatte mehr als die Hälfte aller durch Aagenlenker verursachten Unglücksfälle zur Folge. Mehr als 66 von 100 Unfällen der Fußgänger wurden- durch unvorsichtigesUeber- schreiten der Straßen verursacht. Von den. er- mittelten Unglücksfällen ereigneten sich 30.4 Pro­zent an Straßenkreuzungen oder abzweigenden Straßen und 61.2 Prozent auf geraden Straßen oder in ziemlich übersichtlichen Kurven. Die meisten Unfälle ereigneten sich am A b e n d zwischen 17 und lS Uhr. Saure-Gurken-Zeit Heiß brütet die Sonne über der armen Erde. Die Telegraphendrähte werden zu warm und be­fördern die Nachrichten schlechter. Was die Men­schen das ganze Jahr interessiert hat, interessiert sie nun durchaus nicht mehr. Mit einem Wort» es ist Saure-Gurken-Zeit. Dumpf brüten Gehirne in Redaktionen um die schlafenden Leser aus dem Sommernachts­traum zu reißen. Seriöse Zeitungen werden un­seriös. Die Wissenschaft drückt die Augen zu und aus den Spalten der Zeitung Hüpfen fröhliche Kinder, die aber im Wiesenbächlein ihren Durst gelöscht und nun ernstlich Heranwachsende, laut quäkende Frösche im Bauche haben. Oder die schon etwas altmodischeren Zeitungen lassen aus Pie­tät noch einmal die liebe alte Seeschlange aus dem Sack. Nicht alle Zeitungen brüten natürlich solche sensationellen Meldungen in ihren eigenen Redak­tionsräumen aus. Manche, die über einen ausge­zeichneten Nachrichtendienst verfügen, lassen sich solche Dinge aus den fernen Ländern melden. Ta es dann Nachrichten und nicht etwa Märchen für Erwachsene sind, darf man sie kostenlos nach­drucken. So meldet derBrünner Tages­bote" aus Bordeaux : Ja Bordeaux und Umgebung kann man jetzt farbige Hühnereier kaufen, bei denen die Färbung nicht von Menschenhand besorgt worden ist. Ein Geflügelzüchter hat nach langwierigen Versuchen die Chemikalien gefunden, die, dem Hühnerfutter beigemengt, die Kaltschale der Eier in jeder ge­wünschten Farbe färben. Schon jetzt hat in Paris eine starke Nachfrage nach den farbigen Eiern von Bordeaux eingesetzt. Besonders beliebt sind die goldenen und silbernen Hühnereier. Am nächsten Tage meldet derBrünner Tagesbote" aus Philadelphia : Ein Ingenieur aus Philadelphia hat ein Verfahren erfunden, Metallplatten derart dünn zu schleifen, daß sie vollkommen durchsichtig wie Glas werden. Gegenüber Glas weisen die Me­tallplatten aber den Vorzug auf, daß sie elastffch sind und nicht splittern können. Wider Erwarten können sie auch einen starken Druck aushalten, ohne zu zerbrechen, so daß es sich lohnen würde, Fenster aus Metall zu haben. Der Nachteil liegt darin, daß die Metallscheiben»och unverhältnis­mäßig teuer sind. Pianist als Züchter. Der Pianist Hermann Schuppler in Hochstein bei Hohenstadt, der eine Arzneikräuterfarm betreibt, hat nach mühevollen Versuchen eine besondere Art von Pfefferminze mit einem großen Gehalt an ätheri­schen Oelen gezüchtet, die sich vorzüglich zur Erzeu­gung von Mental eignet. Schuppler gelang auch die Anpflanzung mehrerer Heilpflanzen, die bisher nur im Auslande wuchsen. Praktischer Sozialismus für England Dr. Hugh Dalton , Mitglied der National-Exekutive der Labour Party und Unter­staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten in der zweiten Arbeiterregierung ist der Verfasser eines BuchesPraktischer Sozialismus für Bri­tannien"*, das, obwohl nicht parteioffiziell und besonders in seinem finanzpolitischen Teil von den persönlichen Ansichten des Autors gefärbt, eine gute Darstellung der ideologischen Plattform ist, auf der sich die Labour Party nach einer zwei­jährigen Programm-Diskussion befindet. Es ist auch für den kontinentalen Sozialisten sehr inter­essant, zu sehen, welchen Gebrauch die englischen Sozialisten von der Macht, wenn sie ihnen wieder zufallen wird, zu machen gedenken. Die Hauptaufgabe der nächsten Labour- regierung muß es sein, eine bedeutende und schnelle Verringerung der Arbeitslosigkeit herbei­zuführen. Die Verringerung muß auf fünf Wegen zugleich bewirkt werden:. Verlangsamung des Eintrittes der Jungen, Beschleunigung des Austritts der Alten aus der Beschäftigung; Ar- beitszeitverkürzung; Planung und Beschleunigung des nationalen Aufbaus: Planung und Belebung des internationalen Handels". Tempo und Planung sind die zwei Punkte, um die sich heute in England die sozialistische Diskussion be­wegt. Auch. Dalton will auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens schnelle Vorstöße machen und noch zu Lebenszeit des ersten Parlaments, das eine sozialistische Mehrheit hat, die Grundlagen zur Sozialisierung und Planwirtschaft legen, die nicht mehr beseitigt werden können. Dr. Dalton macht detaillierte Sozialisie­rungsvorschläge für die Elektriztäts- und Koh- lenwirtschast, das Transportwesen, die Landwirt­schaft und andere wichtige Wirtschaftszweige. Allerdings würde sich die englische Organisations­form von der der Sowjetunion oder der deutscher Sozialffierungsvorschläge nicht unwesentlich unterscheiden. Die Abhängigkeit von Regierung und Parlament wäre weniger eng und direkt. *) Huab Dalton: Practica! Socialis« kor Britain . Landon. Routledge 4 Sons IX» 401 S. Man hält in England diePublic Corporation", eine Art gemeinwirtschaftliches Unternehmen, die bereits auf einigen Gebieten eingeführt wurde, für wirtschaftlicher und elastischer. Die Leitung eines sozialisierten Industriezweiges hätte.ein Direktorum von fest Angestellten an Hand des Industrie- und nationalen Planes zu. besorgen. Privatbeteiligung ist im sozialisierten Sektor ausgeschlossen. Es ist selbstverständlich,, daß im sozialisier­ten, wie im privaten Wirtschaftssektor, die Arbei­ter ein Mitbestimmungsrecht erhalten, das für die Leitung der Industrie und der einzelnen Werke gilt. Dalton beschäftigt sich dann mit den Bedin­gungen, unter denen die Uebergabe der bisher privatkapitalistisch-geleiteten Industriezweige er­folgen soll. Die Labour Party hat sich wiederholt, zuletzt auf der Konferenz in Southport , gegen eine entschädigungslose Enteignung, eine Kon­fiskation gewendet, weil das nach ihrer Meinung den reibungslosen und schnellen Uebergang zum Sozialismus erschweren müßte. Es ist unnötig, zu sagen, daß die kontinentalen Sozialisten in diesem Punkte anderer Meinung sind. Die Kom­pensation, die die früheren Eigentümer erhalten, soll sich nach den Erträgnissen der letzten Jahre richten und in Form von Annuitäten oder einer runden' Summe erfolgen. Die Annuitäten müssen zeitlich begrenzt sein, um nicht eine Rentierklaffe zu schaffen. Es ist selbstverständlich, daß die der­artig Abgefundencn keinen weiteren Einfluß aus die Leitung der sozialisierten Unternehmungen hätten. Erst die Sozialisierung der Schlüsselindu­strien wird eine Planwirtschaft ermöglichen. So­zialistische Planwirtschaft ist etwas ganz anderes als die sogenannte kapitalistische Planwirtschaft, die nur in der von Kartellen bewirkten Produk­tionsbeschränkung und Preiserhöhung besteht. Die sozialistische Planwirtschaft wird von Ver­tretern der Gemeinschaft im sozialen, nicht im privaten Interesse getrieben. Dalton zeichnet dann die Umrisse einer Planungsmaschinerie^ lehnt es aber ab, sich in Einzelheiten einzulassen, weil sie vom Zeitpunkt und den Erfahrungen der Sozialisierung abhängen. Schwarze " Gewerkschaften Löhne, Arbkitsverhültniffe und gewerkschaftliche Arbeit in Südafrika . Südaftika hat, wie die meisten Bestandteile des britischen Empire, nach der Pfund-Abwertung 1932 eine beachtliche Belebung der Wirtschaft erfahren, so insbesondere im Goldbe^bau, im Baugewerbe, in der Textil- und Ledenndustrie. Allerdings verharrt die sehr bedeutungsvolle Landwirtschaft noch ünmer in der Depression^ Trotz der Belebung auf industriellem Gebiet, die bereits dazu geführt hat, daß Facharbeiter­mangel eingetreten ist und insbesondere die Bergwerke eingeborene Arbeitskräfte aus den Nachbarländern heranziehen, zeigen Berichte, daß die Lohnftage und das Farbigenproblem Zustände aufweisen, die man in Europa nur schwer ver­stehen kann. So wurden kürzlich schwarz« Arbei­ter in der Eisen- und Stahlindustrie gerichtlich zu einer Strafe von 5 Schilling, bzw. 4 Tagen har­ter Arbeit verurteilt, weil sie eine Zulage von 6 Pence zu ihrem Lohn von nur 2% Schilling für die 8-Stunden-Schicht gefordert hatten. Esl wurde.ihnen bedeutet, daß sie gehen könnten, wenn sie nicht zum alten Lohn weiterarbeiten wollen. Wegen des Verlassens der Arbeitsstelle was einem Aufruhr gleichgesetzt wurde erfolgte ihre Verurteilung und der Richter sagte: Wenn Ihr denkt, Ihr könnt den Weißen in der Stahlindustrie diktieren, so irrt Ihr Euch!" Die­ses Urteil hat naturgemäß unter den Gegnern dercolour line" Entrüstung hervorgerufen, be­sonders deshalb, weil in unzähligen Fällen die Schwarzen trotz gleichwertiger Arbeit wesentlich niedriger bezahlt werden als weiße Arbeiter, und der Lohn der schwarzen Arbeiter kaum noch als .Lohn" angesprochen werden kann. Aehnlich liegen die Verhältnisse jn Trans­ vaal und Nafal. Tie Folge ist, daß unter den ge­werkschaftlichen Organisationen der Schwarzen eine immer stärkere Aktivität einsetzt und in letz­ter Zeit insbesondere von Johannisburg und Prä- toria aus Agitationsreisen vorgenommen wurden. Obwohl die Gewerkschaftsarbeit offiziell gestattet ist, wird sie jedoch mit allen Kräften zu unter­binden versucht. Versammlungen und Agitations­reisen werden alsAuftuhr" angesehen, die Funktionäre und Agitatoren der schwarzen Ge­werkschaften verhaftet und bestraft. Trotzdem mehren sich die aktiven Kräfte, die Mitglieder der Interessante Feststellungen I von Autoritäten über die Qualität der seiden­feinen, höchst verläßlichen Weltmarke SEXUAL ARZT: Vollkommen hygienisch, nicht spürbar, kein Versager, idealer Schutz. Empfiehlt und verwendet selbst seit JahrenPrimei os. B SACHVERSTÄNDIGE: Weit mehr als 5 Jahre I lager- und gebrauchsfähig, künstliche Alterung er- B gibt 22 Jahre Lagerfähigkeit,erstklassig. Fabrikat B KONSUMENT: Wunderv. Feinheit, nicht spür- M bar, absolut verläßlich, Unterschied bei Verwen- i düng anderer Marken sofort festgestellt, nimmt niemals etwas anderes RESULTAT: Der Umsatz derPrimeros"- Fabrik ist größer als aller inserierenden Marken zusammengenommen. In Apotheken, Drogerien und Fachgeschäften ausdrücklich fordern! 2822 B Verbände nehmen zu und die Gewerkschaftsbewe­gung unter den Farbigen macht zusehends Fort­schritte. Ihr Kampf gilt nicht nur besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen, sondern gleichzeitig der Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung von Schwarzen und Weihen, an der das Unternehmer­tum aus verständlichen Gründen und wie das Beispiel zeigt mit nicht gerade fairen Mttteln festzuhalten wünscht. Gilt Erfolg für die Hatdaer Glasindustrie? Durch die Verschärfung der Kontingents­bestimmungen für die Einfuhr von Erzeugnissen der Glasindustrie durch Frankreich wurde vor einiger Zeit die Haidaer Glasindustrie ernstlich ge­schädigt. Nach eingehenden Verhandlungen von Vertretern der Glasindustrie in Paris ist es ge­lungen, von Frankreich beachtenswerte Zugeständ­nisse zu erhalten, durch die die drohenden weitest­gehenden Betriebseinschränkungen abgewend:! werden sollen. "inT"" Wachsende Verschuldung Italiens Eine Milliarde Lire bisherige Kriegs­kosten in Abessinien Der italienische Haushalt schließt am 30. Juni mit einem Defizit von 2428 Millionen Lire ab, das ohne die.-.besonderen Erfordernisse für die afrikanischen Kolonien" rund 1.5 Milliarden Lire betragen hätte. Daß es sich bei diesenbeson­deren Erfordernissen" um die Kriegsvorbereitun­gen gegen Abessinien handelt, ist unschwer zu er­kennen: zweifelhaft ist lediglich, ob sich die Kosten dieser Kriegsvorbereitung auf die etatmäßig aus­gewiesene eine Milliarde Lire beschränken. Gleichzettig wird die öffentliche Schuld des fascistifchen Italien mit der beachtlichen Summe von 105.244 Millionen Lire ausgewiesen, die je^ doch nur scheinbar die Gesamtschulden des Staa­tes darstellt. Es sei daran erinnert, daß die eng­lische WirtschaftszeiffchriftEconomist " im Früh­jahr dieses Jahres auf Grund von Berechnungen aus offiziellen italienischen Quellen die Staats­schulden bereits für Anfang 1935 auf 152154 Milliarden Lire geschätzt und eine 50prozentige Vermehrung der Staatsschuld seit der Machter­greifung Mussolinis festgestellt hat! Die Aufhe­bung der bisher gesetzlich vorgeschriebenen Gold­deckung von 40 Prozent für die umlaufenden Banknoten ist ein'deutlicher Beweis für die fi­nanziellen Schwierigkeiten des Regimes, das einer machtpolitischen Prestigeftage halber den Ruin der Wirtschaft des Landes mit erhöhtem Tempo herbeiführt. Der Weg - zum Verbreche« - Der Bürger fragt nicht leicht danach, wie der Mensch zum Verbrecher wird. Ihm genügt das Faktum, daß einer so weit gesunken ist, und er verläßt sich dann darauf, daß die staatliche Polizei und die private charitative Fürsorge eini- 8er weniger Vereine das übrige übernehmen. Ge­rade in dieser Denkungsart scheint ein Teil des Geheimnisses verborgen zu liegen, daß wir eine große Besserung in der Häufigkeit der Verbrechen nicht erwarten können. Die, die mithelfen könn- ien, daß es besser werde, wenden sich ab. Die gute Hälfte aller Strafgefangenen sind Menschen, die in ihrem bisherigen Leben immer Schatten gestanden haben,"immer von der Meinung beseelt, sie könnten zu nichts mehr ver- ivendct werden, sie hätten im normalen Fort- 8ang des Lebens nichts mehr zu erwarten. Schon alr^Kind haben sie mit Reid und Eifersucht unv schon sehr bald darauf mit Haß und Feindselig­keit auf andere geblickt, die es besser hatten. Eines Tages wurden sie straffällig. Das drückte sie endgültig in den Schatten. Sie werden immer tvieder rückfällig, verbleiben in monotoner Weise immer wieder bei der einmal gewählten Verbre­chensart. Sie haben ein inneres Bewegungs ­gesetz in sich ausgestaltet, das denen, die ihnen Wärme und Zugehörigkeit vorenthalten haben, den Kampf ansagt. Die Tatsache, daß sich unter den Verbrechern sehr viel auffallend häßliche Menschen, auch ver­krüppelte, mit Degenerationszeichen behaftete be­finden, hat Lombroso zu seiner Theorie vom »geborenen Verbrecher" verleitet. Der Zusam- menhang ist aber sicher ein anderer. Diese Men­schen haben eben ein schwierigeres Leben vor sich als dieschönen" Kinder. Die von der Natur schlechtbedachten stehen im Hintergrund. Das be­sagt sehr viel in der kindlichen Entwicklung. Wer im Hintergrund steht, will in den Vordergrund und schreckt nicht vor krassen Mitteln zurück, um zu Beachtung zu kommen. Aber auchschöne" Kinder sind bedroht, wenn sie zu stark verwöhnt werden. Sie bekommen dadurch ein überspann­tes Gefühl ihres großen Eigenwertes. Die reale Welt anerkennt ihn nicht. Wenn die Wärme- spenderin, die Mutter, beim Heranwachsen der Kindes in den Hintergrund treten muß, so stehen diese Kinder dann allein da. Ueberempfindlichkeit, Ungeduld zeichnet sie aus. Wenn ihnen das Leben nicht gibt, was sie erwarten, so neigen sie zu Affekten.. Affektverbrecher sind oft verzärtelte Kinder gewesen. Wie gestaltet sich das Bewegungsgesetz des Verbrechers? Er findet meist bis zu seinem dritten oder vierten Lebensjahr noch Minen An­schluß an seine Familie. Die Seinen behandeln ihn nicht gut. In der Schule ist er unter den Letzten. Seine Suche, hervorzutreten, verleitet ihn zu ersten Jugendsünden. Bald gilt er als der gestempelte Missetäter. Alles drückt ihn. Jn dieser Situation ist er reif geworden, ein Opfer der halbwüchsigen und jugendlichen Brr- brecherbanden zu werden, die ihren Nachwuchs aus den zu kurz gekommenen Kleinsten rekrutie­ren. Dort in der Bande findet er, der sonst Ge­scholtene, Geschlagen«, Verachtete plötzlich wieder Anerkennung, er spielt.wieder eine Rolle. Der Kampf gegen die Gesellschaft wird ihm zum Be­standteil eines ungeschriebenen Ehrenkodex. Jn diesem Kampf will er siegen. Gerade seine Vorfreude und sein Triumphgefühl im Hin­blick auf den zu erwartenden Sieg verraten sei­nen großen Ehrgeiz, den er in der Sach« in­vestiert. Bleibt ihm der Erfolg aus, so kommt seine versteckte Eitelkeit zum Vorschein. Er war dannnur diesmal noch nicht schlau genug". Wenn er sein Taschenmesser nicht vergessen hätte, so hätte diePolente" ihn nicht erwischen können. Dieseswenn" korrigiert sein Mißgeschick-. Er bleibt noch immer der Held, der er sein wollte. Nur der, der ihm in seinem Denken seinen Ehr­geiz aufdecken könnte, könnte sein Bewegungs­gesetz und ihn ändern. Zu seiner Tatausführung bedarf der Ver­brecher eines künstlichen Antriebs. Er putscht sich selbst auf, damit er den Rest seines Gemein­schaftsgefühls überwinden kann. Dostojewski schildert imRoskolnikow" mit' künstlerischer Kraft, wie Raskolnikow , lange bevor er die alte Wucherin erschlägt, zu Hause im Bett über seine Absicht grübelt. Da legt er sich die Frage vor: Bin ich Napoleon oder bin ich eine Laus?" Und so gelingt es ihm, sich soweit aufzuputschen, daß er, der Napoleon , schließlich die grausige Tat vollführt. Wir hätten eine kleine Chance, die Berufs­wahl des Verbrechertums zu erschweren. Könn­ten wir vorerst einmal nur dafür sorgen, daß kein Kind die Volksschule mtt Mißerfolg verläßt (indem die Erfolgsbewertung erst im weiteren Schulfortgang einsetzen würde) könnten wir es erreichen, daß nicht e i n Kind die Schule ver­läßt, ohne daß es dort Mut, Selbstverttauen und Scgialgefühl erworben hätte, so würde die Werbekräst der halbwüchsigen Verführer, die für die Fortpflanzung der Verbrechen die nächtigst: Rolle spielen, um Wesentliches herabgemindert werden. Mindestens die Hälfte aller E r muti- gung wird aber schon dadurch erzielt,. daß man jede Art von Ent mutigung unterläßt. Paul Fischl.