Dienstag, 13. August 1935
Nr. 187
15. Jahrgang
ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xikfochova«2. telefon 0077. HERAUSGEBERS SIEGFRIED TAUB, CHEFREDAKTEURS WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICH« REDAKTEURS DR. EMIL STRAUSS, FRAG«
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Stolz weht die Fahne purpurrot Die eisernen Kaders der deutschen   Sozialdemokratie in neuem Angriff Herrliche sozialistische Manifestationen in Bodenbach  , Reichenberg   und Braunau  
Der Internationale Arbeitertag In Reichenberg  Die srö&te sozialdemokratische Kundgebung seit der Spaltung Tausende marschieren. Jubelnde Begeisterung der Massen
Machtvolle Grenzlandkund­gebung der Eisenbahner Tas der internationalen Solidarität In Bodenbach
Es war ein großer Tag der sozialdemokra­tischen Arbeiterschaft des Kreises Reichenberg Die rührige Agitation der Funktionäre zeitigte einen prächtigen Erfolg, auf den alle Zweige un­serer Bewegung mit berechtigtem Stolz zurück­blicken können. Die große Tragödie der nord­böhmischen Arbeiterbewegung, ihr namenloses Unglück, das mit der Spaltung über sie herein­brach, erzeugte jenen lähmenden Druck, den nur hingebungsvolle Arbeit zu überwinden vermag Und er wurde überwunden! Der Aufmarsch am Sonntag, dem 11. August 1935, hat es jedem bestätigt. Freund und Feind er­staunten vor Bewunderung über diesen wirklich gelungenen FreihcitStag, dessen interna­tionales Gepräge und geschlos­sener Appell mahnend und werbend wir­ken wird für die nächsten, großen Aufgaben. Arbeitslose, abgehärmte Textil- a r b e i r, schwer um ihre Existenz kämp- sende Proleten der Glasindustrie, Metallarbeiter, Angestellte, Menschen die unter dem Betriebster­ror seufzen. Jugendliche, die noch niemals das Erlebnis der Arbeit empfinden bürsten, Tschechen   und Deutsche  , ver­eint in brüderlicher Solidarität so marschier­ten fi«, so bekundeten sie ihren Willen, jetzt erst recht dix Fahnen der So­zialdemokratie Hochzureißen und weiter zu tragen, in bessere Zeiten... Mit der Bahn, zu Fuß in mitgenommenen Schuhen, auf dem verbreitetsten Berkehrsmittel der Arbeiter, demAuto" der Proleten, in Auto­bussen» ein Stückchen Brot in der Tasche, so ka­men sie von fern und nah bereits am Samstag nachmittag und am Sonntag früh, angewalzt. Eine imposant« Borfeier im»Lidovh düm" leitete am Samstag den Arbeitertag ein. Bis auf das letzte Plätzchen war der geräumige Saal gefüllt. Das Programm war ausge­zeichnet» seine Abwicklung flott, seine Ten­denz klar, die Wirkung hinreißend. Mu­sst und Gesang, Sprache und Sport, Bild«nd Bewegung, Gesang und Tanz; in bunter Folge wechselten di« herrlich«», exalten Darbietungen und gestalteten d-n Abend zu einem g r a n d i o- sen Erlebnis. Die Sonne lachte, als 150 Wettkämp- s e r und Wettkämpf er innen auf dem Festplatz in stöhlichem Sport tätig waren. Schon in den ersten Vormittagsstunden kamen Hunderte von Menschen, die So n d e rzü ge aus Gro t- tau, Kratzau   und Friedland fuhren ein, die stattlichen Hundertschasten aus Ga b l o n z wurden sichtbar, die R e i ch e n b er- il e r sammelten sich und gegen halb 11 Uhr for­mierte sich der F e st   z u g. Wer diese anmarschierenden Massen sah, hundert rote S t u r m f a h n e n, sechzehn Transparente mit unseren Forderungen, Fugendliche in blauen Blusen, Metall­arbeiter in der Arbeitstracht, Männer der Republikanischen Wehr in ihrer bekannten Uniform, unsere Turnermädel ustd Frauen, die Männer und Bur­schen im grauen Hemd, die tschechischen Fr e u n d e im Dreifarb, viele Hundert­schaften Genossinnen und G e n o s- sen aus den Bezirken, rote Radler, Mu­sikkapellen und di« schweren Banner der B e w e g u n g, dem lachte das Herz vor Ju­bel«nd Freude. In Sechserreihen marschierten die Tausenden auf den M a s a r y k p l a t z
Kopf an Kopf standen sie und grüßten ihr« Fahnen, grüßten die Flagge desStaa- tes, grüßten seinen verehrten Präsidenten und die Hymne, mit deren Klängen die Mas- senversapimlung eingeleitet wurde. Minister Jng. N e c a s sprach tschechisch und deutsch   für unsere Bruderpartei und Senator Gen. M ü l- l e r für die deutsche   sozialdemokratische Bewe­gung. Stürmische Begeistenrng folgte ihren markanten Sähen, tausendstimmige Freiheits­rufe bezeugten den stahlharten Willen eines kämpfenden Geschlechts. Minister Genosse Necas verwies auf die im Reichenberger Gebiet zum Zwecke der Belebung der Wirtschaft in Gang befindlichen Aktionen«nd wei­ter- auf die Unterstützungen, die unter dir ArbeitS- loffcn aufgeteilt werden. Die böswillige» Nachrichten über die angebliche wirtschaftliche Unterdrückung«nd Vernachlässigung NordböhmenS feie» schon durch die Tatsache hinsällig, daß überall im Norden starke tschechische Minderheiten leben, die unter der heutigen Lage eionso leide« wie di« Bevölkerung deutscher  Rationalität. Genoss« Necas betonte in seiner Red« weiter-: Wir leben in einem Staat« der Demokratie, die vom Geiste Masaryks beherrscht wird. Tie Tschechoslo­wakische Republik fleht da- System der Demokratie als ein« bei weitem höhere Form an, al- andere Regierung-susteme. Di« Diktatur ist nicht- Reue-, wie die- einige Propheten der Menschheit einreden wollen. Bom Altertum bi- zur Neuzeit kennt die Geschichte bereit- ein« Reihe von Diktaturen, den« dir Diktaturen tauche« immer nach Revolutionen und nach Kriegen auf. Alle find zusammengetrochcn, wurden beseitigt»der haben stch allmählich z» einem höhere« Regierungssystem umgcbildet. Der Aufmarsch durch die Stadt erregte gro­ßes Aufsehen. Tausende standen Spalier, grüßten mit Freiheit, Freundschaft und Rot-Front und auch der verbissenste Gegner mußte neidvoll erkennen, daß dieSter­bende Sozialdemokratie" sehr frisch, jung und kampffroh ist. Mehr als 10.000 Personen mar­schierten im Festzug mit. Auf dem Fe st platz wurde ab 1 Uhr ein reichhaltiges Programm abgewickelt: die M u- s i k konzertierte, die Jugendlichen ver­mittelten einen Sprechchor, Gesang er­klang, Sportler liefen um die Kampfbahn, Radler fuhren einen Reigen, Turnerin­nen zeigten gefällige Gymnastik, die allge­meinen Freiübungen lösten jubelnde Zustimmung aus, der flatternde Rhythmus von 100 großen Sturmfahnen schuf tiefe Symbolik und lebendigste Maffenfreude und als gar zum Schluß alle uniformierte Abteilungen zu einem Appell antraten, als sie unserer Sache unverbrüchliche Treue schwuren, als ein Tel e- gramm der roten Falken aus Pa­ ris   ihre Grüße brachte und die Tausenden in den Gesang der Internationale ein­stimmten, da gab es Tränen der Freude, laute, Helle, wahre Begeisterungsstürme, die in den Her­zen der Arbeiter nachklingen werden.. Die Fußballer beschlossen den programmati­schen Teil dieses prächtigen Arbeitertages, der für die sozialdemokratische Arbeiterschaft ein großes Erlebnis war und auf den auch die Gesamtpartei mit Recht Stolz sein kann. Wir marschieren! Wir kämpfen! Mit«ns find die Beste« und Treuesten der Arbeiterklasse!
Als Auftakt zu der wuchtigen und eindrucks­vollen Manifestation der Eisenbahner, die Sonn­tag in Bodenbach stattfand, traten die Eisenbah­nervertrauensmänner Samstag abends in der Bolkshalle zur Beratung ihrer wirtschaftlichen und politischen Probleme zusammen. Der Bodenbachr Bürgermeister Genosse K e ß l e/r, der die Tagung begrüßte, wies auf die ausgezeichnete Zusammen­arbeit der Vertreter der Arbeiterklasse beider Nationen im Grenzgebiet hin. Das Ergebnis der Beratungen, in welchen die Genossen Senator Grünzner und Senator Bro de cky refe­rierten, wurde in einer eingehenden Resolution zusammengefaßt. Den Höhepunkt der Tagung bildete die Manifestation am Sonntag vormittag, an der gegen 20.000 Menschen teilnahmrn. Von Samstag abends an liefen ununterbrochen Sonderzüge in Bodenbach ein, welche di« Massen der Eisenbahner und ihrer Angehörigen an den Ort der Kundgebung brachten. Der Festzug, in dessen Reihen an 15.000 Teilnehmer marschier­ten, nahm seinen Weg durch Bodenbach über die Elbebrücke zum Tetschener Marktplatz. Ueber 35 Minuten dauerte dieser prachtvolle Aufmarsch, der »on sechs Eisrnbahnerkapellrn«nd drei anderen Kapellen begleitet war und an dem sich die RW in Uniform, die Sozialistisch  « Jugend und Mitglieder des Atus und des Aruk beteiligten, von allen Seiten wur-
Samstag«nd Sonntag stand Braunau  vollkommen im Zeichen des roten Aufbruchs, der internationalen Solidarität. Dor Erfolg der Veranstaltung übertraf selbst die hochgespannten Erwartungen. Schon am Samstag füllte stch die alte ostböhmische Stadt mit Proletariern, die aus dem ganzen ostböhmischen Gebiete zusam­menkamen. Samstag.rachmittogs begannen be­reits die turnerischen und sportlichen Darbietun­gen«nd Wettkämpfe, Samstag abends setzte sich vom Färberplan bis zum Festplatz ein kollos- saler Fackelzug in Bewegung, an dem gegen 5000 Menschen teilnahmen. Auf dem Festplatz fand sodann eine eindrucksvolle T r a« e r f e i e r für die gefallene« und ge­mordeten Freiheitskämpfer statt. Die Teilneh­mer, insbesondere die tschechischen Ge» n o f s e n, die im Fackelzug stark vertrete« wa­ren, wurden namens der Festleitung vom Ge­nossen Rambauske begrüßt, dann sprach namens des Parteivorstandes Genosse Abgeord­neter I a k s ch, der auch einige Worte in tschechi­scher Sprache an die tschechischen Genossen richtete und mit feiner Aufforderung zum Gelöbnis für die sozialisttsche Idee stürmischen Beifall erntete. Die Frier wurde dann auf überaus schöne Art künstlerisch abgeschlossen. Den Sonntag-Morgen füllten die Leistungs- prüfungen der Arbeitrrradfahrer» ein 15.000 ! Meter-Straßenrennen, ei« Kculenzielworfcu,,
den die Manifestantin aus dem Spalier mit be­geisterten»Freiheit"- und»Nazdar"-Rufen be­grüßt. Die große Versammlung auf dem Markt­platz wurde mit der Staatshymne und der Inter­nationale, hierauf durch Chorvorträge der Pilsner Eisenbahner und des Bodenbacher Volkschores er­öffnet. Im Namen des Verbandes der Eisenbah­ner begrüßte Genosse Schöder, im Namen der Unie" Genosse Stanök, im Namen des Partei­vorstandes Genosse R e y z l die Versammlung. Genosse N e m e c versicherte in seiner mit großen: Beifall aufgenommenen Rede, die deutschen So­zialdemokraten in ihrem Kampfe für die Erhal­tung der Demokratie der unbedingten Solidarität der tschechischen Arbeiterklasse. Auch die Worte des Genossen Senator Grünzper, der-darauf hinwies, daß das deutsche   Proletariat der Grenzgebiete schon einigemal bewiesen habe, daß es für seine Freiheit zu kämpfen versteht und diesen Beweis, wenn es sein müsse, noch einmal liefern werde, wurde ebenso wie die Rede des Ge­nossen Senator Brodecky mit jubelnder Zustim­mung ausgenommen. Den Nachmittag verbrachten die Teilnehmer der Riesenkundgebung auf dem Festplatz und in den VoUshäusern. Auch Fürsorgeminister Genosse Jng. Necas traf nachmittags in Bodenbach ein und besuchte den Festplah, wo er von den Massen, die zu der prachwollen Kundgebung gekommen waren, stürmisch begrüßt wurde.
Wettkämpfe der RW«nd andere sportliche Ber- anstaltungen aus, während auf dem Ringplah die tschechische Arveiterturnerkapelle aus Rachod ein Platzkonzert abhielt. Gegen 11 Uhr begann der F e st z u g seinen Aufmarsch: Kinder, Rad­fahrer, Jugendliche mit Fanfarenbläsern, RW mit der Brannauer Schützenkapelle, tschechische Skauts, tschechische Arbeiterturnrr, unsere Atus- männer«nd-Frauen, Bergknappen, Natur­freunde«nd die große Zahl der übrigen Genos­sen«nd Genossinnen. Bor etwa 8000 Men­schen sprach nach den auch an die anwesenden tschechischen Genossen und Kom­munisten gerichteten Bcgrüßungsworten des Genossen Rambauske wiederum Genosse I a k s ch, der die großartige Kundgebung als eine neue Kampfansage an die Sieger vom 19. Mai bezeichnete. Es sprachen dann noch für die tschechische Sozial- demokratte Genosse Temltk-Rachod«nd Ry- t t k-Königgrätz  . Nach dem Abspielm der Staats­hymne«nd der Internationale marschierte der geschlossene Zug auf den Festplatz zum Mittag­essen. Am Nachmittag gab es wieder sportliche und künstlerische Darbietungen, um 6 Uhr abends fand der Tag des Roten Aufbruches seinen Ab­schluß, nachdem in herrlicher Weise bewiesen worden war, daß der Sozialismus in den Her­zen der ostböhmische« Arbeitsmenschen tief ver- alttcrt ist.
vcr rote Tau Ostböhmcns!