Donnerstag, 22. August 1935
15. Jahrgang
1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHQSIOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii..fochova«. Telefon 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUS. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
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Darf der Suezkanal gesperrt werden? Parisi Der„E xcelsior" bringt interessante Darlegungen zu der Ansicht, daß eine der sä'Wersten wirtschaftlichen Sanktionen gegen Italien für den Fall, daß es auch nach der Intervention des Völkerbundes von einer bewaffneten Intervention in Abessinien nicht ablassen würde, die Sperrung des Suezkanals für den kriegerischen Nachschubdienst Italiens wäre, wie dies auch donderSozialistischenJnternatio- nale in Brüssel vorgeschlagen wird. Das Blatt zitiert den Internationalen Vertrag, der am 29. Oktober 1888 in Istanbul abgeschloffen wurde uAd in welchem eS im Artikel l heißt, daß der Verkehr auf dem Suezkanal im Frieden und im Kriege für alle ohne Unterschied der Flagge gestattet sein werde. AuS diesem Grunde wird ausdrücklich erklärt:„Die hohen Vertragsparteien haben nicht das Recht, weder im Kriege noch im Frieden in die freie Benützung des Suezkanals einzugreifen. Für den Suezkanal wird niemals das Blockaderecht gelten." Im Artikel IV desselben Vertrages wird direkt vom Kriege gesprochen.„Die drei BertragS- drrteien haben nicht das Recht, weder den Kanal- derkehr den kriegführenden Parteien, noch auch den Aufenthalt ihrer Schiffe in den betreffenden Häfen 1 d in der Drei-Kilometerzone dieser Häfen, zu verwehren, nicht einmal in einem Falle, wie er im Jahre 1888 vorkam, als die kriegführende Partei das türkische Kaiserreich war. Die Schiffe der kriegführenden Mächte werden bei ihrer Fahrt durch den Kanal ihre Rotvcrsorgung vornehmen können. Für ihren Aufenthalt in den Kanalhäfen, u. zw. sowohl in Suez und jn Port Said gelten die herkömmlichen Regeln, daß sie nicht länger als 24 Stunden ankern dürfen. Zwischen der Ausfahrt eines Schiffes einer der kriegführenden Parteien und der Ankunft eines Schiffes der anderen kriegfiihrenden Partei muffen gleichfalls 24 Stunden verstreichen. Die Anwendung dieser sehr wirksamen Sanktion gegen Italien sei daher heute nicht völlig klar. Italien werde auch der eben erwähnte Vertrag nicht unbekannt sein, denn Aloisi antwortete auf eine Anfrage der Journalisten, daß an amtlicher italienischer Stelle alle Umstände erwogen und alle diplomatischen Dokumente studiert wurden. Eben toeil Baron Aloisi die Elastizität der Auslegung diplomatischer Dokumente erwähnte, ist in Rom offenbar bekannt, daß es keine leichte Sache sein werde. Italien das Durch- fahrcn des Suezkanals unmöglich zu machen. Möge der Vertrag vom Jahre 1888 wie immer interpretiert werden. Lucienne Romier sagt im„Figaro" geradezu, daß dies offenbar Nur um den Preis einer Seeschlacht möglich wäre. Der„Jntransigeant" behauptet, diese Maßnahme hänge nicht nur von Grobritan- Nien ab, vor allem darum, da bis zum Jahre 1966 Aegypten auf Suez Anrecht habe. Wenn man auch zulassen tvüvde, daß Aegypten gegenüber Groß britannien zurücktrete, dann komme auch Frank reich in Frage, das ein großes Aktienpaket der Suezkanalgesellschaft in seinem Besitze habe. Von der Gesamtzahl von 800.000 Aktien befänden sich Nur 353.000 Aktien im Besitze Großbritanniens . Die Gesellschaft habe zehn englische, 21 französische und einen holländischen Direktor. Groß britannien könne also keine Entscheidung über die Schließung des Suezkanals fällen, und zwar auch nicht in dem äußersten Falle, daß der Völkerbund Italien als Angreifer erklären würde. „Paris Soir" veröffentlicht die Information, daß Großbritannien , ehe es zu einer extremen Maßnahme, wie es die Schließung des Suezkanals sei, greifen würde, eher an eine Revision der Verteilung des Kolonialbesitzes denke. fc Die Sperrung des Suezkanals ist natürlich im Grunde keine Rechts-, sondern eine Machtfrage. Wenn England ihn sperrt, kann Italien höchstens protestieren. Die Fernblockade 1914/19 ge g e n Deutschlau d war ja völkerrechtlich auch Unzulässig und wurde trotzdem durchgeführt, ohne daß nach dem Siege der Entente dort jemand das Bedürfnis gehabt hätte, die völkerrechtlichen Grundlagen des Sieges zu überprüfen. Wenn Italien durch den Krieg den Kelloggpakt und das Völkerbundstatut bricht, haben die andern' das selbstverständliche Recht, ein Protokoll aus dem Jahre 1888 umzustoßen.
Kabinettsrat über Krieg und Frieden
Im Laufe des Mittwoch find neben Mr. Stanley Baldwin fast alle Mitglieder des Kabinetts in London eingetroffe«. Wie ernst die Lage ist, beweist aber vor allem die Tatsache, daß man auch mit den O p p 0 s iti 0« s f« h-
Baldwin
rern und den Gouverneure» der Dominions verhandelt, bezw. sic im Außenamt offiziell informiert hat. Der Ministerrat wird sich, wie verlautet, vor allem mit drei Fragen beschäftige«: welche Anträge der britische Delegierte in Genf stelle» soll, ob die S p e r r e des Suezkanals verhängt und ob das W a f- fenausfuhrverbot nach Abessinien aufgehoben werden soll.
Die frauzäsische Presse fährt fort, die schlechte Sache Italiens zu verteidigen, als wäre es ihre eigene. Die Blätter klagen England an und bezichtigen es der Heuchelei. Der Unterton der Polemiken ist bereits die Phrase vom„perfiden Albion", die seit Jahrhunderten abwechselnd von Frankreich und Deutschland den Brite» cntgcgengehalten wird. Die englischen Preffestimmen, die Frankreich zum Einleukc« und znr Preisgabe seiner geradezu tollen und selbstmörderischen Politik mahne», werden als „Erpressungsversuche" abgetan. Es ist d i e Tonart, in der die alldeutsche Presse in den Jahren vor dem Weltkrieg gegen England schrieb. Im selbe« Zuge werden die Engländer an ihre Pflichte« gegenüber Frankreich und dessen Sicherheit erinnert, und wegen ihrer italienfeindlichcn Haltung gerüffelt. Jn auffallendem Gegensatz hiezu bringt der„G i 0 r n a l e d'J t a l i a" einen Artikel, in dem vorsichtig ein Einlcnken versucht und eine englandfeindliche Stimmung Italiens bestritte« wird. London. (AR.)' Dem Führer der Parla- mentsoppofition L a n s b u r y, der Mittwoch früh im Außenministerium versprach, wurde ein detaillierter Bericht über die Arbeiten des Ministers Eden auf der Konferenz der drei Großmächte in Paris überreicht und mit ihm die gesamte Lage durchbesprochen, wie sie nunmehr nach der Unterbrechung der Pariser Verhandlungen in Erscheinung tritt. In den Vormittagsstunden stattete auch Lloyd George dem Ministerium des Aeußern einen Besuch ab. Weiters stellten sich im Außenministerium auch Oberst R a n i e r, der Hohe- Kommissär für Kanada , Stanley Bruce , der Hohe Kommissär für Australien und SirJamesParr, der Hohe Kommissär von Neuseeland ein.
Eigenhändig und erbarmungslos will der SdP-Abgeordnete Wollner die Parteikritiker hinauswerfen
In den Reihen der Sudetendeutschen Partei geht es unentwegt vorwärts, nämlich mit der Kahenjammerstimmung, die ihre Tagungen beherrscht. Einer der ersten Paladine um den Thron Henleins, Abgeordneter Wollner, hat bei einer Amtswaltertägung in Kaaden eine Rede gehalten, die sich von den Siegesfanfaren nach dem 19. Mai bemerkenswert unterscheidet. Man glaubt eine Strafpredigt Goebbels.an die Kritikaster vor sich zu haben, wenn man Wollners Worte nachliest: „Nach der hellen Begeisterung kommt der graue Alltag mit seinen alten Sorgen. Und da und dort wird ein Kamerad wankelmütig..." denn: „seine Hoffnungen sind nicht so rasch in Erfüllung gegangen." Eben dieser enttäuschte Kamerad wird nachdrücklich belehrt, daß die Wahlversprechungen der Henleinpartei doch nicht ernst zu nehmen lvaren. „Er hat vielleicht törichterweise geglaubt, dieNotwird nun plötz- lichihrEndehaben, wir von der SdP werden das in einem oder zwei Monaten alles wiedergewinnen und retten können, was die anderen Parteien siebzehn Jahre lang leichtfertig vergeudet und vertan haben." So gehts dem braven Hitler.auch. Ter muß ebenfalls in Ermangelung eigener Leistungen seine Reden mit der Aufzählung der Schandtaten der „Systemparteien" in der zurückliegenden Zett ausschmücken. Mit den selbsternannten Führern ist aber weder in der Hitler - noch in der Henleinpartei gut Kirschen essen. Ganz nach brauner Art wendet
sich Wollner an die Mies- und Flaumacher in der Partei mit diesen saftigen Drohungen: „Ich sage diesen Kameraden, die unser Wollen heute noch so beurteilen, die das glau ben, die gehören nicht zu uns, die sollen lieber freiwillig gleich von uns Weggehen, bevor i ch ihnen als Kreisleiter darauf komme und sie eigenhändig und erbarmungslos hinauswerf e!" Gäbe es in der Tschechoslowakei keine demokratische Oordnungsgewalt, dann könnte man sich auf einen 30. Juni im Hause Henlein gefaßt machen. Jedenfalls wird Herr Wollner um die Sauarbeit, alle destruktiven Elemente eigenhändig und erbarmungslos aus der Bewegung hinauszuwerfen, kein Hausknecht im ganzen Lande beneiden. * Henlein Im Kelch der Mitternachtssonne Er studiert die„nordischen Menschen“ Aus der bürgerlichen Presse entnehmen wir die neueste sudetendeutsche Hofnachricht, daß Kon rad Henlein England verlassen und als nächstes Ziel feiner Studienreise die skandinavischen Länder gewählt hat. Von dort wird er geruhen, wieder in seine Ascher Residenz zurückzukehren. Hoffentlich lüftet Henlein bei diesem Besuch das Geheimnis, warum gerade die„nordischen Menschen" keine Nazi sein wollen. Oder will er vielleicht Beweismaterial darüber-sammeln, wie die sozialdemokratischen Regierungen Schwedens , Norwegens und Dänemarks die Völker im Dienste Alljudas zugrunderichten?
Der Raubkrieg gegen Abessinien Eine Entschließung der Sozialistischen Arbeiter- Internationale Die Exekutive der Sozialistischen Arbeiter- Internationale hat in ihrer Sitzung vom 16. bis 18. August 1935 in Brüssel folgende Resolution beschlossen: Im Augenblick, da Mussolini die Trupven- konzentration für den unmittelbar bevorstehenden Angriff aus Abessinien beendet, da der Krieg, noch bevor er erklärt ist, die Spitäler mit Kranken erfüllt und so viel Familien in Trauer versetzt, macht die Internationale ihre Sektionen auf die Notwendigkeit aufmerksam, immer wieder im Lichte der gegenwärtigen Ereignisse den Massen klar zu machen, daß der Faseismus seinem Wesen nach und aus unentrinnbaren Folgen seiner Gewaltpolitik heraus, den Krieg bedeutet. Die drei Mächte der Despotie— Deutschland, Japan und Italien — bedrohen den Frieden der Welt. Während die deutschen Kriegsrüstungen den Frieden Europas erschüttern, während Japan seinen schamlosen Raubzug in China fortsetzt, droht Italien , nachdem es sein eigenes Volk versklavt hat, unter dem Vorwand, in Abessinien die Sklaverei abzüschaffen, ein halbes Dutzend feierlich geschlossener Verträgt mit Füßen zu trete» und einen.zynischen Eroberungskrieg zu beginnen. Selbst in dieser tragischen Stunde erklärt die Sozialistische Arbeiter-Internationale, daß man am Frieden nicht verzweifeln darf. Es gilt vielmehr mit verdoppelten Kräften dafür zu wirken, ihn zu retten. Die Sozialistische Arbeiter-Internationale kann sich in keinem Fall mit dem Krieg abfinden, selbst nicht als Mittel, das italienische Volks zu befreien. 1. Die Sozialistische Arbeiter-Internationale fordert alle ihre Sektionen auf, alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen Mittel atuwenden, um die Regierungen zu veranlassen, ihre Pflichten als Mitglieder des Völkerbundes zu er- füllen, dem kläglichen Versagen der Genfer Organisation ein Ende zu setzen und sie zu nötigen: a) aus dem Angriff Mussolinis die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen und, wie der Artttel 11 es gebieterisch vorschreibt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Frieden zu sichern, eventuell durch die Schließung des Suezkanals für italienische Kriegstransporte. b) Ein Schiedsgericht zu schaffen, das keine Komödie darstellt, wie das für das Schiedsgericht der Fall ist, dem es nicht einmal erlaubt ist, zu untersuchen, auf wessen Gebiet sich der Grenzzwischenfall von Wal-Wal ereignete. e) Unter allen Umständen Abessiniens Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit zu s ich e r n, wozu sich alle Mitglieder des Völkerbundes nach Artikel 10 des Paktes verpflichtet haben, und demgemäß jede Teilung Abessiniens, eines vollberechtigten Mitgliedstaates des Völkerbundes, in Interessensphären der Großmächte und jedes Protektorat einer Großmacht übeu Abessinien, auch wenn es unter dem Anschein wirtschaftllcher und administrativer Konzessionen begründet würde, unbedingt abzulehnen. 2. Jede Sektion der Internationale soll mit allen ihr zur Verfügung stehenden politischen Mitteln dafür sorgen, dem Skandal ein Ende zu setzen, daß der Angreifer frei ist, sich Waffen und Munition aller Art zu verschaffen, während man dem angegriffenen Land die notwendigsten Verteidigungsmittel verweigert. Die Sektionen haben insbesondere darauf zu achten, daß dem faseistischen Verbrechen k e i n e r- lei finanzielle Hilfe zu Teil werde. Das demokratische und sozialistische Italien , das Italien von morgen, hat überdies proklamiert, daß es keine Schuld anerkennen werde, die Musso lini für die Durchführung seines verbrecherischen Krieges eingehe. 3. Die Sektionen der Sozialistischen Arbeiter-Internationale werden aufgefordert, vor dem 4. S e pt e mb e r in der den Bedingungen ihres Landes entsprechenden Form große Kund-