Freitag, 23. August 1935 Nr. 196 15. Jahrgang IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xiu fochova«. Telefon»77. HERAUSGEBER. SIEGFRIED TAUB , CHEFREDAKTEUR. WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS, FRAG. Einzelpreis 70 Hellei (ImcNießlidi 5 Haller Feit«) Die Sozialdemokratie in Aktion Für den Schutz der arbeitenden klonCPhon Zusammentritt der sozialpolitischen Ivlvlldwllvll Ausschüsse gefordert Prag . Donnerstag nachmittags tagte im Volkshause eine gemeinsam« Sitzung her Partei- und Klubpräsidien der tschechoslowakischen Sozial« demokratie. an der sich vier Vertreter des deut­ schen sozialdemokratischen Parteivorstandes beteiligten. Es referierten die Genossen Hampl und Dr. Meißner, welche sich eingehend mit der politischen und wirtschaftlichen Situation, namentlich aber mit dem andauernd kritischen Arbeitslosenproblem und mit den besorgnis­erregenden Preisbewegungen auf dem Lebens­mittelmarkte befaßten. An der Debatte beteilig­ten sich Vertreter der Genossenschaften, der Ge­werkschaften, sowie der Brünner, Ostrauer und Kladnoer Industriegebiete und von unserer Seite die Genossen Dr. Heller und I a k s ch. Das Ergebnis der Aussprache wurde in einer Entschließung zusammcngefaßt, welche vor allem die Anträge auf eine systemati­sche Krisenbekämpfung urgiert, die von den sozialdemokratischen Vertretern in der Regierung und in der Nationalversammlung schon vor längerer Zeit betrieben worden sind. Mit Rücksicht auf das weitere Anwachsen der Arbeits­losigkeit in einzelnen Gebieten wird verlangt, daß dort großzügige Jnvestitions- aktionen des Staates und der Selbstverwal­tung eingreifen sollen. Wir tragen es schwer, so heißt es in der Entschließung weiter, daß die Vorlagen über die Verkürzung der Arbeitszeit und die Arbeitsvermittlung nicht in die Tat umgesetzt wurden, wodurch die Einreihung Zehntauscnder in das Arbeitsverhältnis ermöglicht worden wäre." Bezugnehmend auf die Teuerungserschei­nungen der letzten Zeit wird auf den engen Zu­sammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und allge- Ensland trifft Maßnahmen Segen deutsches Dumping Eine Milliarde Mark Exportprämien London . In der Londoner City hört man aus Schachts Hinweisen auf die großen Finanzschwie- rigkeiten des Dritten Reiches die Ankündigung eines weiteren und verstärktendeutschen Dumpings heraus. Die britische Regierung ist von den Industriellen aufgefordert worden, dem deutschen Dumping entgegenzutreten. Es wird angekündigt, daß das Parlament in sei­ner Herbsttagung sich damit zu befassen haben Wird. Die Handelskammern haben sich dafür be­reits die Unterstützung verschiedener Abgeordneter gesichert. Der Subsidienfonds, den die deutsche Industrie zur Gewährung von Export­prämien aufbringen muß, dürfte zur Zeit weit über eine Milliarde RM enthalten. Es Wird von Woche zu Woche mehr mit Export- meiner Kaufkrastschrumpfung hingewiesen und verlangt, daß dieses Mißverhältnis beseitigt und nicht noch Vergrößert werde. Die Entschließung fährt dann fort: Die gemeinsame Beratung haft es für not­wendig, daß diese Probleme«nd eine Reihe anderer wichtiger Frage» mit größter Beschleu­nigung von den parlamentarischen Stellen be­handelt werden. Wir verlange» daher vorläu­fig, daß die sozialpolitischen Ausschüsse beider Kammer» ehestens einberufcn werden. Als Maßnahmen, welche sofortige Hilfe bringen können, werden dann angeführt: Zollerleichterungen bei der Einfuhr von Rindvieh, Schweine»«nd Fett. Erhöhung des Margarinekon» tingents; Sicherung der Kartoffelverso r- «««g; Einfuhr billiger Futtermittel; Rigoroses Einschreiten gegen unbegründete Preiserhöhungen? Ernähr ungs-»nd Hilfs­aktionen im kommenden Winter. Angesichts der anßenpolitische« Spannun­gen verlangt die Resolution eine entschie­dene Friedenspolitik. Die Außen­ausschüsse der Nationalversammlung mögen im geeigneten Augenblick zur Entgegennahme eines Berichtes über die außenpolitische Lage einberufen werden. Abschließend fordert die Resolution, eine weitere Festigung des bisherigen Vorgehens der demokratischen und sozialistischen Parteien. Prämien gearbeitet. Verschiedene Artikel deutscher Herkunft werden in England trotz dem hohen Ein­fuhrzoll h a I b s steuer verkauft als inländische Erzeugnisse. Ende September halten die britischen Handelskammern in Angelegenheit des deutschen Dumpings eine Tagung in Derby ab. So bekürnpft Schuschnigg die Nazi Wien . Kürzlich wurden vier National­sozialisten, die am Jahrestag der Kriegs­erklärung Italiens an Oesterreich antiitalienische Flugblätter verteilt und aufgeklebt hatten, in Linz f r e i g e s p r o ch e n. Gestern hat sich in Steyr in Oberösterre.ich ein ähnlicher Fall ab­gespielt. Vor dem dortigen Schöffensenat waren der Nationalsozialist Friedrich F r o e ch und drei seiner Kameraden wegen Verbreitung' derselben Flugschriften angeklagt. Der Steyrer Schöffen­senat gelangte zu demselben Urteil wie der Lin­zer. Die Angeklagten wurden freigespro- ch e n. ßen die Geltendmachung sogenannter mineralischer Santtionen, d. i. im Wesen ein Einfuhrver­bot für Minerale(Kohle) und zwei­tens di« Schließung des Suez- Kanals. * ÖL. Dem Reuterbüro zufolge verlautet, ?B in der Kabinettssitzung Minister Eden über W Beratungen der drei Großmächte in Paris ^gehenden Bericht erstattet habe. Es ist noch in Wer Erinnerung, daß nach der Pariser Vera­rg erklärt wurde, die britische Regierung beab- Wige, in ständiger und engster Verbindung und Mammenarbeit mit der französischen Regierung tu verharren und beide Regierungen wollen bis W Sitzung des Bölkerbundrates am 4. Septem­bk zusammen mit der italienischen Regierung ^Möglichkeit prüfen, auf welchem Wege eine Mliche Regelung der italienisch-abessinischen W« erreicht werden könnte. Es verlautet, daß Beschlüsse im Kabinett eine starke Unter- Wung erfahren haben. Im Hinblick auf diese ?Weinsame Prüfung der Lage auf diplomati - Wm Wege mit der italienischen Regierung ^urd« beschlossen, daß für den Augenblick ?v dem Beschluß vom Monat Juli, die Waffenausfuhr aus Großbritannien nach ^vlien und Abessinien zu verbieten, ch t s g e ä n d e r t werde. Reuter erklärt ??zu, daß dies noch nicht unbedingt bedeute, daß M«r Beschluß bis zum 4. September aufrecht ^halten bleibe. Weiter will Reuter erfahren haben, daß Mlestellt wurde, daß nicht der geringste Grund Erliege, an der Politik, soweit es sich um den Standpunkt Großbritanniens gegenüber dem ?alkerbund und dem Völkerbundpakte handelt und Df bei mehreren Gelegenheiten angekündigt ^rde, etwas zu ändern. M.Die Agence Havas erfährt, daß die Mische Regierung entschlossen ist, bis zum 4. ^Eptember sämtliche Mittel zur friedlichen Bei- Wng des italienisch-abessinischen Konfliktes zu sslchöpfen und erst wenn diese versagen, in Genf 2 e strenge Anwendung des Bölkerbundpaktes zu Erlangen . Das britische Kabinett habe darauf Bedacht Kommen, daß die Bemühungen um eine fried- 'he Beilegung insbesondere was Italien betrifft, ?kch nichts beeinträchtigt werden, und hat des­sen auch lieber keine Verstärkung der britischen Mitärstreitkräfte in den an Abessinien grenzen- Kolonien beschlossen. Die britische Regierung !"t sich alleüdings, wie der Korrespondent der ?idaz-Agentur berichtet, eine Aenderung ,^lner Beschlüsse vor dem 4. September Ms es dies für angezeigt halten werde, vorbe- ??k ten. Durch ihre fetzigen Beschlüsse fühlt sich britische Regierung in keiner Weise für den M des Scheiterns sämtlicher diplomatischer Be- ^hnngen gebunden. Das britische Kabinett hat den weiteren Informationen der Agence Ha- M auf die Möglichkeit des Ausbruches eines N-assenkrieges in Afrika Bedacht Kyommcn. Desgleichen hat es den Inhalt der Roosevelt fordert freie Hand Washin,t»«.(Tsch. P.-B.) Im Wei- Hanse fanden zwischen Roosevelt , H» l l und dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses Besprechun­gen über die Neutralitätspolitik der Bereinigten Staaten statt. Das Staatsdepartement macht groß« Anstrengungen, um das Gesetz über die Neutralitätspolitik so zu ändern, dass dem Weißen Hause die Befugnis zusteht, den Zeitpunkt und de« Staat zu bestimmen, gegen den die Ber­einigten Sperrmaßregeln zu ergreifen die Ab- Eine letzte Chance für den Abwartende Haltung des englischen Kabinetts Frieden? Sanktionen erwogen, aber noch nicht beschlossen Zu Verhandlungen bereit London.(Reuter.) Die Sitzung "es Ministerrates wurde am Donuers- um 16.30 Ahr nach fast fünfstün ­diger Dauer beendet. Weitere Sitzun­gen vor der Genfer Ratstagung am ^»September sind nicht vorgesehen. Premierminister Baldwin kehrt noch ay» Abend nach Aix-les-Bains zurück. P«ch die anderen Minister begeben sich Ferien. Erklärung des südafrikanischen Ministerpräsiden­ten S m u t s berücksichtigt. Weiters wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse Südafrttas und schließlich laut Havas die Gefahr, die durch einen Konflikt zwischen zwei Völkerbimdmitglie­dern entstehen würde, in Erwägung gezogen. Auch die Möglichkeit der Anwendung von Sanktionen bildete den Gegenstand, sehr gründlicher Erwägungen. Hiezu meldet die Agentur Havas , daß ttotz aller Mäßigung auch, folgende zwei Mittel erwogen wurden: zunächst I sicht haben. banzlg hat die Freundschaft nicht getrübt Warschau . Gestern traf in Gdingen der l'u tsche KreuzerKönigsberg" ein, um den Auch der polnischen Kriegsschiffe in Kiel zu er­lern. Die polnischen Blätter betonen bei dieser Wegenheit, daß der Besuch des deutschen Kreu- in Polen eine neue Kundgebung der nahen /achbarbeziehungen zwischen Deutsch - Md und Polen ist. Schicktaltwende für Europa Die Ereignisse der letzten Tage insbeson­dere das Scheitern der Pariser Konferenz haben auch denjenigen, der ein« friedliche Rege­lung des italienisch-abessinischen Streitfalles er­hoffte, darüber belehrt, daß der Krieg in Afrikavor der Türeste h,t. Es, scheint, daß Mussolini , selbst wenn er wollte, die Geister nicht mehr bannen kann, die er rief. Drei­zehn Jahre hat er die nationalen Leidenschaften seines Landes aufgepeitscht, gerüstet, den Krieg als Mittel der Politik verherrlicht er braucht den kriegerischen Erfolg, um seine Herrschaft aufrecht zu erhalten. Fascismus und Diktatur haben, wenn die inner» Schwierigkeiten wachsen, keinen andern Ausweg als den Krieg. Das gift vom deutschen Fascismus wie vom ftalienischen, von Hitler ebenso wie von Mussolini . Von den Gesetzen seiner innern Entwicklung getrieben treibt Italien in den Krieg und vielleicht in die Katastrophe. I n diesem Krieg wird es um Sein oder Nichtsein des italienischen Fascismus gehen. Für Italien ist das Spiel bedenflich, wie auch fein Feldzug in Abessinien endet. Verliert Italien den Krieg, so wird Mussolini die Nieder­lage nicht überleben. Endet der Kampf für Italien nicht mit einer Niederlage, dann wird der Feld­zug opferreich sein und lange dauern. Was in­zwischen politisch und wirtschaftlich in Italien ge­schieht, ist die Frage. Eine wirtschaftliche Kata­strophe wird keinesfalls ohne politische Nückjvir- kungen für Italien und den Fascismus sein. Für alle Fälle erwächst hier eine Chance für die italienische Demokratie. Von unmittelbarer Bedeutung ist der kom­mende Krieg in Afrika für England. Begnügt sich Mussolini mit dem italienischen Einfluß im Osten Abessiniens, dann brauchte er keinen Krieg zu führen. Will er aber das ganze Reich des Negus zur italienischen Kolonie machen, dann bedroht er Englands Stellung in Aegypten , denn das britische Weltreich kann es keinesfalls zulasten, daß Mufso- lini seine Hand auf das Quellgebiet des Nils legt» von dessen Bewässerung Aegyptens Baumwollkul­tur abhängt. Aegypten ist aber eine Station auf dem Wege von London nach Indien , d. h. ein Stück der Lebensader des englischen Imperiums. England sieht sich also in die Lage versetzt, feine Lebens­interessen gegen den italieni­schen Diktator zu verteidigen. Man kann nicht sagen, daß die Minister seiner britischen Majestät ihr Land schuldlos in diese Lage gebracht haben. Sie haben das fasci - stische Italien jahrelang gehätschelt und durch das Liebäugeln mit Italien oft verhindern wollen, daß Frankreichs Macht allzu sehr steigt. Die Herren Baldwin und Eden jammern darüber, daß Italien den Völkerbundpakt gegenüber einem Mitglied der Genfer Institution(eben Abessinien) verletzt, ob­wohl s i e es waren, welche durch den Abschluß des Seerüstungsabkommens mit Deutschland sich ebenso leichtfertig über die Verträge hinweggesetzt haben wie Mussolini . Daß England nur klagt, wenn Verträge zu seinen Ungunsten verletzt, wer­den, wird die Achtung vor der Vertragstreue der Briten nicht erhöhen. Die Engländer haben wie auch andere Staaten bald dem einen, bald dem anderen Fascismus freundliche Worte gesagt, den deutschen durch den italienischen, also denTeu- fel durch B c e l z e b u b a u s t r e i b e n w o l l e n und sehen nun, wie weit sie damit ge­kommen sind. Mer nicht nur England, sondern ganz E u r o p a ist durch den Krieg im schwarzen Erd­teil in Mitleidenschaft gezogen. Daß Italien in Abessinien beschäftigt ist, wird Hitlers Aktivität in Mitteleuropa steigern und rückt damit wieder das Schicksal Oesterreichs in den Vordergrund. Wenn die österreichische Regierung nicht mehr auf den Spitzen der italienischen Bajonette sitzen kann, so bricht das Kartenhaus: von welchem Herr Schuschnigg Europa einreden will, es sei aus Beton gebaut, rasch zusammen und wenn Hitler es selbst nicht wagen follte, den An­schluß zu vollziehen, so w i r d e r ausOester- reich ein zweites Danzig machen. Die Franzosen können jetzt sehen, was sie ange­stellt haben, als sie Dollfuß auf die Sozialdemo­kratie schießen ließen und es zugelassen haben, daß aus Oesterreich eine italienische Kolonie wurde.