Sette 2 Freitag, 23. August 1935 Nr. 196 Und in welche Lage die Tschechoslowakei gerät, wenn Oesterreich gleichgeschaltet ist, das zu erken­nen, wird selbst einem Volksschüler leicht fallen, wenn er einen Blick auf die Landkarte wirft. Es gibt eine Möglichkeit, die furchtbaren Gefahren, die für den Frieden, die Freiheit und die Demokratie bestehen, abzuwenden und dieses Mittel gibt Lwn Blum in einem Artikel des Populaire" vom 20. August an:In einem sol­chen Zustand kann Europa nicht anders geschützt werden als durch eine engliich-fränzüsisch-sowse- tistische Politik". An diesen Block könnte sich die Kleint Entente und die Balkanentente anschließen und so würde eine gewaltige Kräftekongentration erfolgen, der gegenüber Mussolini und Hitler nichts vermögen. Die Allianz gegen den Fascis- mus und für den Frieden allein kann Europa ret­ten. Der Fascismus bedeutet Krieg, tausende Tote, Verwundete, Verkrüppelte, namenloses Elend, Bedrohung der Kultur, die Demokratie ist der Frieden und Fortschritt. Die Politik Frankreichs , Englands und Rußlands braucht nur, wie Blum schreibtgenug Kühnheit und Größe" um Europa zu retten. Wirstehenan eineMWende- punkt der Geschichte, und die Demokratie mußnur kühn sein, dann wird sie das Spiel ge- w i n n e nl Finnische Reaktion Der Verteidiger Antikainens verhaftet Vor einiger Zeit ist der Finne Toivo Antikainen zu lebenslänglichem Kerker verurteilt worden. Erst 17 Jahre alt, war er zur Zeit der Oktoberrevolution nach Rußland gegan­gen und in die Rote Armee eingetreten, in der er es bis zum General gebracht hat. Später kehrte er nach Finnland zurück und organisierte die kommunistische Propaganda. Antikainen ist Sowjetbürger. Auf unbewiesene Anklagen hin machte man ihm den Prozeß: tr soll 1922 die Verbrennung eines finnischen Gefangenen befoh­len haben. Antikainen hat gegen das Urteil berufen. Sein Verteidiger R u d l i n g fuhr nach Nord­rußland, um Beweismaterial für die Unschuld Antikainens herbeizuschaffen. Bei dec Rückkehr nach Finnland wurde der Verteidiger an der Grenze von finnischer Polizei verhaftet. Offenbar will man das Material zur Unterstützung der Be­rufung verschwinden lassen. Die finni­sch« sozialdemokratische Partei befürchtet, daß dit Berufung Antikainens zur Wiedereinführung der Todesstrafe mißbraucht werden soll. Einheitspartei der Opposition In Jugoslawien Belgrad . DiePravda" hebt hervor, daß die Schaffung der neuen Partei der jugoslawi­schen radikalen Union mit allgemeiner Sym­pathie ausgenommen wurde. Das Blatt beschäf­tigt sich weiters mit dem Standpunkt der oppositionellen Presse zur S ch a f- fung der neuen Partei und sagt, daß die Bildung dieser Partei eine engere Gruppierung derOpposition er­mögliche und daß es möglich ist, daß es zu einer Koalition gewisser oppositioneller Parteien, ja vielleicht zur Schaffung einer großen Union der oppositionellen Parteien kommt. OleBohemia weiß nichts von der Teuerung In der Sonntag-Nummer bringt die Bohemia" eine Abhandlung mit der Ueberschrift Lebenshaltungskosten mäßig gestiegen starke Fleisch- und Kart.offelteuerung durchPreis- fall bei Gemüse fast voll st än- dig ausgegliche n." Wer diesen Artikel liest und die Teuerung dank eines gefüllten Geld­beutels nicht fühlt, kann also vollauf beruhigt sein. Die arme Hausfrau aber, die mit jedem Heller zu rechnen hat, fühlt mit aller Schwere die Verteuerung der Lebenshaltung, die da entsteht teils durch die künstlichen Eingriffe in die Markt­entwicklung und teils auch durch die katastrophale Dürre der letzten zwei Jahre. DieBohemia" vergleicht die Indices der Lebenshaltungskosten des Juli gegenüber dem Vormonat und konsta­tiertein geringes S t e ig e n" bei der Arbeiterfamilie um 0.4% und bei der Beamten­familie um 0.2%.- Dieser Vergleich sagt gar nichts, und diegeringe Steigung" im Juli ist nur ein Glied in der Kette der seit lang« andau­ernden Verteuerung der Lebenshaltung. Man muß da fchon für längere Zeit Vergleiche anstel­le», wo man dann zu anderen Ergebnissen ge­langt. Vergleichen wir einmal die Juni-JndieeS des Großhandelsder Lebens-, Genuß- und Futtermittel" in den Fahren 1933, 1934 und 1Ö35. Es ergibt sich folgendes Bild: Im Fahre 1933 Indexziffer(Basis Juni 1914 100) 719 iM Fahre 1934 und heuer 754. Die Indices für Jnduftriestoffe und Fabrikate" sind von 676 im Vorjahr auf 687 heuer gestiegen. Der Gesamt­index der letzten drei Fahre beträgt 672, 698 und 722. DaS Verhältnis ist also doch wesentlich anders, als von derBohemia" dargestellt. Dabei berichtet aber dieBohemia" selbst über die Preiserhöhungen für Kartoffeln, Eier, Fleisch und Fett. Sie schreibt dann weiter, daßder er­wähnte Preisanstieg fast vollständig ausgeglichen wurde durch die Verbilligung von Butter um 5% und das bedeutende Sinken der Preise vbn GeMüse und Obst um 2025%. Richtig ist, daß die Butter gegenüber dem Vorjahr um etiva 5% billiger ist, doch fragen wir den Redakteur derBohemia", welche Bedeutung es für den Haushalt der breiten Verbraucher- Maffen hat, ob die Butter in Brünn im August 1934 KL 19.50 notiert oder wie im heurigen Jahr KL 18.50. Auch im heurigen Jahr ist der Artikel bei dem Preise für den Arbeiterhaushalt unerschwinglich. Vielleicht sind die Aepfel gegenüber dem Vormonat etwas billiger gewor­den, bestimmt aber werden die Obstpreise heuer wesentlich teurer sein wie im vergangenen Jahre. Es ist gewiß keine Uebertreibung, wenn wir fest­stellen, daß Obst infolge' der Mißernte heuer wahrschejylich.zu einem, Luxusartikel für die breiten Konsumcntenmassen wird. Ob irgend­welche Gemüsesorten billiger geworden sind, ist der Untersuchung nicht wert, weil dies für die Beurteilung dieser Frage ganz belanglos ist. Sehen wir also hier keine wesentliche Verbilligung, die für den Haushalt der breiten Verbraucher­masten irgendwelche Bedeutung hat, so sehen wir eineganz bedeutende Ver­teuerung derGemüse" der Arbeiterhaus­halte, nämlich bei Kartoffeln und Kraut. Das sind d i e Lebens- urtb Nahrungsmittel der Masten und deren Preise sind enorm gestiegen. Kartoffeln kosten heuer um 40% mehr als zur selben Zeit des Vor­jahres und Kraut um 200 bis 300% Mehr. Da­zu die Verteuerung von Fleisch und allen Fleisch­waren, wobei immer wieder festgestellt werden muß, daß gerade die billig st en Konsumsorten ver l t n i s« mäßig am alle r m eisten ver­teuert werden. So beträgt die Ver­teuerung der billigen Konsumwurst 100% gegen­über den Preisen des Vorjahres, während Schin- kensälami nur um 20% teurer wurde. Sicherlich behelfen sich hier die Erzeuger zum Teile mit Her- abfetzung der Qualität, während bei der Konsum­wurst eine QuakitätSverschlechterung einfach nicht mehr vorgenommen werden kann. Die Teuerung wirkt sich aber noch viel ärger aus, als dies die Indices und Preistafeln in den Berkaufsläden zeigen, denn in der gleichen Zeit sind die Einkom- menSverhältniste noch wesentlich schlechter gewor­den. Bon einem PreiSauSgleich der starken Preis­erhöhungen bei Fleisch und Kartoffeln durch andere Artikel kann nicht gesprochen werden. Wem zuliebe dieBohemia" diesen Artikel geschrieben hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß dessen Inhalt den traurigen Tatsachen nicht entspricht. Tür die Vieheinfuhr Mittwoch fand eine Sitzung des Viehsyndika­tes statt, in welchem für August ein Ergänzungs­kontigent von 8000 Fettschweinen und für den September ein Kontingent von 12.000 Fettschwei­nen bewilligt wurde, welche zur Einfuhr gelan­gen. Für industrielle Verarbeitung wurden, und zwar für die Zeit von September bis März 15.000 Fettschweine bewilligt, außerdem wurde für September noch ein Einsuhrkontingent von Schmalz in der Höhe von 160 Waggons bewil­ligt. Die Konsumentengruppe verlangte, eS solle an die Regierung die Forderung nach der Ein­fuhr l e i ch t e r S ch w ei n e und von Rindvieh gerichtet werden. Dafür trat auch die Handels- und Fndustriegruppe ein, während sich die landwirtschaftliche Gruppe gegen den An­trag, und zwar unter dem Hinweis auf die ge­nügende Jnlandsproduktion stellte. Die Konsu­mentenvertreter nahmen gegen dieses Anbot Stel­lung und betonten ihrerseits, daß der Auftrieb von heimischem Vieh stark zurückgegangen ist und daß die Erhöhung der Preise zu einer fühlbaren Sen­kung des Fleischkonsums geführt hat. Es ist zu verlangen, daß die Regierung den Forderungen der Konsumentenvertreter nach Einfuhr von Fleischschweinen und Rindvieh Rech­nung trägt, damit die Preise wenigstens einger- maßen heruntergehen. Fleisch- und Fettkonsum sinkt Als ein« Begleiterscheinung der Krisenwirt- kungen auf di« breiten Bevölkerungsschichtcn war in den vergangenen Jahren eine bedeutende Ver­minderung des Fleisch- und Fetwerbrauchs fest- zustellen. Das Jahr 1934 brachte infolge stark sinkender Fleisch- und Fettpreise den Konsum­rückgang zum Stillstand und wies, da der Ver­brauch besonders in der zweiten Hälfte zunahm, im Durchschnitt sogar eine Steigerung auf. In den ersten Monaten des laufenden Jahres hat dies« Entwicklung zunächst noch angehalten. Jetzt hat die neuerliche Verteuerung der Fleisch­und Fettpreise wieder zu einer erheblichen Ein­schränkung des Konsums geführt. Im Monat Juni ist der Fleischverbrauch gegenüber dem vor ­hergehenden Monat um 3 Millionen Kilogramnt auf 33 Millionen Kilogramm zurückgegangen. Der Fettverbrauch verminderte sich in der gleichen Zeit um saft 2 Millionen Kilogramm von 7 auf 5,1 Millionen Kilogramm. Wenn nicht sofort Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung gegen die Teuerung getroffen werden, muß mit einem weiteren Anhalten des Konsumrückganges ge« rechnet werden, so daß der Fleisch- und Fettver­brauch weit unter den des Vorjahres sinken würde. Internationaler T ransportarbeiter-KonsreB Sonntag, den 18. August, wurde in Kopen­ hagen der 9. Kongreß der Internationalen Trans­portarbeiter-Föderation(JTF) eröffnet. 144 Delegierte von 51 Organisationen aus 22 Län­dern sind erschienen, den Vorsitz führt L i n d l r>> (Schweden ). Begrüßungsansprachen hielten der Vertreter des dänischen Verbandes Olsen, namens des Internationalen Gewerkschastsbunde? Schevenels und andere. Der Geschäftsbericht wurde am 19. August, dem zweiten Verhandln» gstag, erstattet. TS Delegierte der illegalen österreichischen Organi­sation König übergab dem Kongreß die Fahne der JTF, die tapfere Mitglieder in Sicherheit ge­bracht haben. Fimmen dankt für die Rettung der Flagge, die JTF wird sie als kostbare Reliquie folange aufbcwahren, bis sie den österreichische« Kameraden für immer zurückgegeben werden kann. Der Geschäftsbericht und Kassenbericht wurde gutgeheißen. Dänemarks kämpf um die Währung Kopenhagen . Als Grundsatz der geplante« Valutaaktion wird bervorgehoben, daß der Natio­nalbank der Zugang ausländischer Valuta'« größtmöglichem Umfange entzogen werde, die Landwirtschaft sich sewst zum Herr« ihrer eigenen Valuta mache und auf diese Weise in Zukunft nur darüber bestimmen könne, unter welchen Bedingungen diese Valuta veräußert werden soll. vlmltrokk Generalsekretär des Ekkl Moskau. Gestern wählte das erste Plenum des neugewählten Exekutivkomitees der Komintern einstimmig Dimitroff zum Generalsekretär des Exekutivkomitees. DaS Plenum wählte auch dal Präsidium und das Sekretariat des Exekutiv­komitees. Jn Htürre D Konstantinopel. Im September wird in de« türkischen Häfen eine griechische ESkadre zu einem Freundschaftsbesuche einlaufen. Die rumänische Lufteskadre wird zur gleichen Zeit mit der griechischen Marineeskadre eintrefstn, so daß dieses Zusammentreffen zugleich eine Kundgebung der Signatare des Balkanpak­te S bilden wird. Athen . Der frühere griechische Staatspräsi­dent Admiral Konduriotis ist Mittwoch ge­storben. Admiral Konduriotis hat in der Geschichte Griechenlands eine bedeutende Rolle gespielt. I VILLA OASE oder: DIE FALSCHEN BORGER Roman von Eugene Dablt Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot ,r ,i. Helene folgte ihm. Jn der Mitte des großen Bettes, in Decken eingewickelt, sah sie einen massi­gen Körper, und ein verquollene- Gesicht mit ge­spitztem Mündchen wandte sich ihr zu. Gut geschlafen, Liebling?" Irma legte Juliens Kopfkissen auf ihr eige­nes, richtete sich auf und lehnte sich behaglich an. Dann streckte sie die Hand aus und nahm ein Päckchen englischer Zigaretten vom Nachtttsch. Natürlich, schon am frühen Morgen", brummte Julien, ein Tablett aufs Bett absetzend. Die Aufwartefrau scheint nicht zu kommen. Ich gehe selbst einkaufen. Brauchst dich nicht zu beeilen. Ticke, es ist noch nicht elf." Während sie den Rauch der Zigarette einzog, fragte Irma ihre Tochter aus. Ob es ihr in Pa­ ris gefiele, was sie von Julien halte. Helene ant­wortete schüchtern, mit leiser Stimme. DaS Durcheinander von Wunderbarem und Wirklichkeit ließ sie fast an ihrer Existenz zweifeln. Seltsame Eindrücke hielten sie in ihrem Bann. Sie schüt­telte sich, als wollte sie sich von ihnen befreien. Dann ließ sie ihren verzückten Blick schweifen: von zu der mit Kristall und Elfenbein überladenen Fri- zu der mitKristall und Elfenbein überladenen Fri­siertoilette und zu dem Garderobenschrank, dessen Spiegel ihr das eigene traurige und beschämende Bild zeigte. Sie sah aus wie ein Bettelweib von der Gass«. Wie gern wäre sie ihrer Mutter um den Hals gefallen I Doch sie hatte Angst, etwas Amzuwerfen und das Bett zu beschmutzen. Sie war ja so ungeschickt in ihren Bewegungen, und wenn sie ihre Liebe äußern wollte, stotterte sie. Zuweilen war e» ihr Bedürfnis, sich ihr Glück zum Vorwurf zu machen. Wem sollte sie dafür danken, daß sie nicht mehr Hunger und Kälte zu leiden hatte, nicht mehr einsam war? Dem lieben Gott? An ihn glaubte sie nicht recht. Nein, sie mußte sich ihr Glück verdienen. Das war ihre neue Aufgabe, da sie nicht mehr zu arbeiten brauchte. Ihr Herz war so voll, daß ihr der Mund überlief. Sie stammelte Worte, die Irma nicht verstand. Aber sie waren auch so lange getrennt gewesen. Weshalb nur? Ihre Mutter hatte ihr versprochen, es ihr zu sagen. Sie trug das Kaffeegeschirr in die Küche. Als sie zurückkam, saß Irma im Morgenrock vor dem .Spiegel und polierte mit schnellen Strichen ihre Nägel. Ohne das Instrument aus der Hand zu legen und ohne sich nach Helene umzusehen, sagte sie: Bleib ruhig da, Liebling. Du störst mich nicht." Sie knetete ihre Hände, schob den Kopf vor und musterte sich kritisch. Dann goß sie eine mil­chige Flüssigkeit auf ein Tuch und rieb sich damit das Gesicht ein. Nachdem sie sich gepudert hatte, befeuchtete sie eine Fingerspitze mit Speichel und strich die Augenbrauen glatt. Zwischen Bürsten, Flaschen und Nadeln suchte sie ihren Lippenstift. Helene betrachtete sie. Sie gab ihr die Erklärung:Jn Paris muß man sich hübsch machen, zumal in unserem Beruf. Man muß, weißt Du, etwas vorstellen. Dann haben die Gäste gleich mehr Vertrauen." Ihr habt wohl nur reiche Kundschaft?" Das will ich glauben. Arbeiter wohnen nicht im Montbert. Die müssen sich schon eine an­dere Bleibe suchen. Ich darf doch mtt euch hingehen?" Irma biß sich auf die Lippe und schwieg. Nach einer Weile lenkte sie ab: Komm her. Du frisierst dich miserabel. Soll­test dein Haar einmal auflockern lassen. Das ist immer kleidsam für eine Blondine. Jetzt, wo du in andere Kreise kommst, muß ich dich erst mal in die Mache nehmen. Wir gehen bald zusammen einkaufen." Plötzlich bemerkte sie, wie blaß Helene war. Sie wurde ängstlich. Sie war doch ihr Kind. Jn Helenes Gesicht fand sie einige ihrer eigenen Züge wieder: die niedrige Stirn mit den leicht ge­schwungenen Brauen, die gerade Nase, die aller­dings bei ihrer Tochter weniger fleischig war. Die untere Gesichtshälfte, zumal der dünnlippige Mund, erinnerte, fand sie, mehr an Lagorio. Die Augen hatte sie bestimmt vom Vater und auch den Blick, der sie einmal betört hatte, diesen Blick, der zugleich neugierig war und träumerisch, und der auch zuweilen Funken sprühen konnte. Alles in allem war sie, wie ja auch Julien meinte, mehr nach dem Vater geraten. Sie hätte gern etwas Näheres über Lagorios Tod gehört, doch das schlechte Aussehen ihrer Kleinen ging ihr zunächst nicht aus dem Kopf. Das andere hatte Zeit. Irma dachte: Sie hat ein Armeleutedasein geführt, wie auch mir beschieden wäre, wenn ich nicht die Schlauheit besessen hätte, ihrem Vater davonzulau­fen. Na, jetzt kann sie sich erholen." Sie zog sie an ihre Brust und hätschelte sie. Diesen Augenblick hatte Helene herbeigesehnt. Sie lieh sich von ihrer Liebe hinreißen, und wäh­rend sie die Arme um Irmas Schultern schlang, stammeüe, weinte, lachte sie vor Glück und war völlig fassungslos. Mama, meine richtige Keine Rama..." Irma war solchen Ausbrüchen nicht gewach­sen. Sie wollte sich befreien, doch Helene klammerte sich an sie. Sie mußte also die kindlichen Geschich­ten ihrer Tochter über sich ergehen lassen, die Schilderung ihrer Reiseerlebnisse, ihre von Schluch­zen und Ausrufen unterbrochenen Geständnisse. Allmählich begann di« Leidenschaft auch sie zu ent­flammen. Sie spürte die Frische der Jugend eine reinere Lust, und die Schrankenlose Bewunde­rung, die ihr entgcgengebracht wurde, erfüllte sie mit jubelndem Stolz. Wieder mal beim Schnäbeln?" Julien war unbemertt ins Zimmer gekoM' men und lachte nun, daß er sie überrascht hatte, i Wenn ihr noch auSgehcn wollt, müßt stc euch bald anziehen. Um vier ist es finster. S* koche indessen etwas Extrafeines." Nach einer Weile klatschte er in die Hände und schrie: Suppe.... faßtl" Helene öffnete die Türe. Er rief ihr lustig ö«' Du wirst mir beim Tischdecken helfen." Als sie damit fertig waren, wies er ihr de« Stuhl vor dem Ofen an. Er selbst setzte sich Inn « gegenüber, teilte das Brot aus, füllte di« Glästr- Schnitt das Fleisch, tat jedem auf und unterbrach sich nur, um Helene zu sagen:Ganz still, bedie­nen tue ichl" Sie fah ihre Mutter an, die ihr bestätigte: Ja, das macht ihm Spaß." Julien trank ost sein Glas leer, doch er«8 langsam und nicht sehr viel. Für einen Mann von zwei Zentnern hat er wenig Appetit", dachte Helene. Sie bat um Ver­zeihung, daß sie so trödle. Als Julien ihr noch eine Scheibe Fleisch auflegen wollte, lehnte sie ab. Ec goß ihr ein Gläschen Bordeaux ein. Eine Art Ve- täubung bestel sie, eine Wärmewelle stieg in idr auf, da- Wunder nahm kein Ende. Einen Kassie mit Kognak schlug sie nicht aus. Doch Irma protestierte. Ich tauche dir ein Sttick Zucker ein", erklärte Julien.Mein Kognak ist echt. Der tut nicht wch- Er trank die Schale in einem Zuge leer­schnalzte mir der Zunge, knöpfte die Hose auf und murmelte: ,Du siehst, Helene, bei uns gibt's keine Not." (Fortsetzuno folat.)