Nr. 196 Freitag, 23. August 1935 Leite 5 Predigt für Taube. Siebenhundert taube Menschen nahmen an einem Sondergottesdienst teil, der in London in der St. Pauls Kathedrale abgehalten wurde; in der Hauptsache waren di« .Hörer" Sportler, die an den internationalen Wettkämpfen, die in White City, London , stattfinden, teilnehmen. Eine internationale Zeichensprache— gleichsam ein Esperanto für Taube— wurde«»gewendet. Kaplane und Missionare bestiegen die Kanzel und absolvierten Gebete und Psalmen. Dann kam die Predigt, die von dem Obmann der Spiel-Exekutive, Roel Curtis Bennett»gelesen" wurde. Plötzlich erhob sich alles von den Plätzen. Eine Hymne wurde„gesungen", bei der kein Laut vernommen wurde. Fische„ersticken" vor Hitz«. Tausende von Fischen find an der Oberfläche der Seine erschienen und konnten von den Parisern mühelos gefangen werden. Die armen Tiere kamen vor Atemnot an die Oberfläche, da infolge der entsetzlichen Hitze das Wafier zu wenig Sauerstoff enthielt; sie kommen halb erstickt nahe an das llfcr, um Luft zu holen und werden so eine leichte Beute für jeden. Man fürchtet, daß der Fischbestand der Seine erschöpft werden könnte. Deshalb haben die Behörden eingegriffen. Verurteilter Nazi. Der 21jährige Tagarbeiter Erwin Dörfler aus Schwaderbach wurde vom Egerer Kreisgericht zu vier zehn Ta- genArrest mit einer Faste unbedingt verurteilt, weil er in einem selbstgeschriebenen Gedicht, daß er vertrieben hatte, die Republik in rober Weise geschmäht und herabgesetzt hatte. Dörfler, der eifriger Nazi ist, hatte sein Pamphlet auch in den angrenzenden sächsischen Gemeinden in Umlauf gebracht. Die Schlafkrankheit ist plötzlich im Bezirk Kobe und in W e st j a p a n aufgetreten. Bei etwa 200 Fällen hatten bisher 83 Fälle«inen tödlichen Ausgang. Postkarte, nach 28 Jahren zugrstrllt. Eine Postkcwte, die 1907 aufgegeben worden ist, hat jetzt erst die Adreffatin Frau Hopgood in Bromley, Kent, erreicht. Sie ist von ihrem Sohn geschrieben worden, der bereits zehn Jahre tot ist. Jugend-Elend in der Türkei . Das türkisch« Justizministerium hat beschloffen, sofort besonder« Jugendgerichte einzuführen. In Betracht kommen zunächst Konstantinopel , Ankara , Smyrna und Diarbekir. In den übrigen Städten werden sie nur im Bedarfsfälle errichtet werden. Auf Grund der Statistik werden jährlich in Konstantinopel an 8000 Kinder verhaftet. Um das Vagabundieren von Kindern einzuschränken, wurde eine Sonderkommission zur Feststellung vagabundierender Kinder beiderlei Geschlechte» eingesetzt, welche die Nächte in Opiumhöhlen verbringen, H a s a r d4 vielen huldigen, unter den Brücken, an menschenleeren Orten sowie in den Gaffen schlafen. Die meisten von ihnen werden Berufsdiebe und verursachen der Polizei viele Sorgen. Volkswirtschaft and Sozialpolitik Die Glasfabrik in Winterberg Unerhörte» Verlangen der FairikSleitmr- Da»„Prävo Lidu" wendet sich in einem ausführlichen Artikel gegen die Leitung der Win terberger Glasfabrik. Diese Fabrik gehörte früher der Firma Moser, ging aber dann in den Besitz einer tschechischen Gruppe über, die sich auf die Zivnostenskä banka stützte. Die neue Leitung, der die Freien Gewerkschaften unbequem waren, versuchte dort gelbe Organisationen zu züchten und die Löhne zu drücken. Die Fabriksleitung bezw. der BerwaltungSrat, an deffen Der Kopfschutz Bon Bruno Bogel. Dies ist ein Stück auS einem Feldpostbrief, den ein Gymnasiast an einen Schulfreund schrieb. x,... Seit vorgestern sind wir, oder besser: was von uns übriggeblieben ist, wieder in Ruhe. Die drei Wochen gehören zum Schlimmsten, was ich bis jetzt erlebt habe. Mit etwa 120 Mann war unsere Kompanie in Stellung gegangen— 31 sind zurückgekommen. Doch kann man das gar nicht schildern, wie das war, der Krieg wird von Monat zu Monat gräßlicher. Und ich Narr habe mich freiwillig gemeldet! Freiwillig gemeldet in diese Hölle! Was wußten wir armen, mißbrauchten Kinder vom Leben, was wußten wir vom Krieg! Was wußten wir von den dreckigen Zoten und Gemeinheiten, mit denen wir hier übergossen werden, von den MaffenbordellS, von der grenzenlosen Sehnsucht nach daheim, von Hunger, Läusen und Haß. Dävon, daß auf dem„Felde der Ehre" Menschen in ihren zerrissenen Eingeweide« herumwühlen, daß Menschen an ihren Wunden allmählich zu Tode eitern, nächtelang brüllend im Stacheldraht— wie es ist, wenn man jemandem das Bajonett in den Bauch rennt und der sieht einen dabei so an(wie einen ein Mensch dann ansieht! Daß man darnach über- l'aupt noch weiterleben will). So schön einfach hatte man sich das vorgestellt: An einem Sommertag stürmt man über ein Feld, das Gewehr in der Rechten, durch den Kugelregen, die Feinde fliehen nach dem Walde Spitze der Winterberger Tschechenführer Dr. Bu- dinsky steht, hat es abgelehnt, den im Jahre 1932 abgeschlossenen Kollektivvertrag anzuerkennen, trotzdem dessen Verbindlichkeit gerichtsordnungsmäßig bestätigt wurde. Nach dem Vertrag sollte ein qualifizierter Glasarbeiter wöchentlich 280 bis 340 Xc erhalten, in Wirklichkeit be- -trug der Maximallohn 239 XL, der Durchschnittslohn aber nur 200 XL, der der weniger qualifizierten Arbeiter 140 XL. Dazu kommt noch, daß der Betrieb einen Teil des Lohnes den Arbeitern einfach schuldig bleibt und einzelnen Arbeitern mehrere tausend Kronen schuldet. Die Firma hat nun angesucht, den Betrieb einzustel« len und bei den Verhandlungen hat der Bertre« Vergesst es Bericht über Dachau Von gutinformierter Seite wird uns der folgende Bericht über das berüchtigte Konzentrationslager Dachau zur Verfügung gestellt. Es befinden sich in Dachau nach wie vor etwa 1600 Schuhhaftgefangene, frühere Kommunisten, Sozialdemokraten, oppositionelle SA- Leute, Juden, seit einiger Zeit auch Landstreicher und Kriminelle, die vielfach zu Spitzeldiensten unter den politischen Gefangenen herangezogen werden. Einige hundert von diesen Schutzhäftlingen befinden sich schon seit April bis Mai 1933 in Dachau , also schon über zwei Jahre, ohne Aussicht auf Entlassung, solange das Dritte Reich besteht. Die Bewachung üben SS -Mannschaften auS, u. a. von der Leibstandarte München. Di« ohnedies eingeschüchterten Gefangenen— das Lager ist von elektrisch geladenem Stacheldraht umgeben und steht unter den Mündungen mehrerer Maschinengewehre— leiden unter einem wahren Schreckensregiment. Nach allen Aussagen gibt es nur vereinzelt SS -Leute, die die Gefangenen menschlich zu behandeln versuchen. Dagegen sind gerade unter den vorgefetzten SS -Führern Elemente, die ihre Herrsch- fucht und ihren Sadismus an den schutzlosen Gefangenen austoben— mit Wissen und oft unter Anstiftung deS Lagerkommandanten und der vorgesetzten politischen Behörden. Al» die schlimmsten Peiniger gelten die SS -Führer Spoh- rer, Erspenmüller, Dalarmi. Es ist llar, daß die Haltung der untergeordneten SS - Mannschaften von derjenigen ihrer Führer bestimmt wird, mit denen sie denn auch an Grau« famkeit wetteifern. Man kann sich den Druck vorstellen, unter dem ein Lager steht, in dem willkürliche Anlässe schlimmste Exzess« auslösen kön»< nen. Und dieses Regime wird gedeckt von den politischen Behörden, die die abschreckende Wirkung der Konzentrationslager brauchen, um di« aufkeimende Unzufriedenheft in der Bevölkerung zu ersticken. Die Gefangenen sind in den Baracken einer ehemaligen Munitionsfabrik untergebracht. Di« Baracken(und die Fußböden) find au» Beton mit einfachen Bretterdächern, durch die der Wind dringt. Infolgedessen sind die Baracken während de» Winters außerordentlich kalt, umsomehr, als Oefen nur in ganz ungenügender Zahl vorhanden find. Al» Brennmaterial steht nur schlecht getrockneter Torf in lleinen Mengen zur Verfügung. Die hygienischen Verhältnisse sind sehr mangelhaft. Die Wasch- und Aborteinrichtung ist völlig unzureichend. Da die fürS Waschen bestimmte Zeit sehr beschränkt ist, drängen sich immer zehn bi» zwanzig Häftlinge gleichzeitig um die Waschgelegenheit. Die ärzt«| zu— die Kameraden schreien Hurra!— und dann ein Reißen in der Brust, man stürzt, Blut, ein letzter Gedanke, die Lippen formen noch einmal den Namen eines lieben Menschen— und vorbei ist alle Sehnsucht und Qual... So glatt geht das aber nicht immer: man kann zum Beispiel auch blind gefchoffen werden. Oder es zerfetzt einem das Gesicht zu einer Fratze, daß man nicht mehr wagt» sich in den Spiegel zu schauen. Mein Dienst am Vaterland besteht heute und die folgenden Tage darin, den Angehörigen der Gefallenen unserer Kompanie Briefe zu schreiben— sie also nach Kräften zu beschwindeln. Alle Kameraden müssen natürlich durch Kopfoder Brustschuß gefallen und sofort tot gewesen sein. Ach, wenn die zu Haufe wüßten, wie ihre Söhn« und Männer und Väter oft verreckt sind! Wenn man statt der Briefe, in denen von Kopf« und Brustschüffen gelogen wird, den Hinterbliebenen ein paar Hundert Meter Film und eine Grammophonplatte schicken könnte, in denen die letzten Bewegungen und Schreie ihrer.Helden an der Front" festgehalten sind— der Krieg wäre schon längst zu Ende. Bon einem Kopfschuß will ich dir etwas ausführlicher berichten: , Eines Abends mußten wir angreifen. Ein paar Dutzend Meter sind wir aus dem Graben, da packt un» das Sperrfeuer. Wir kommen nicht durch, eine halbe Stunde später hat e» uns in unsere Stellungen zurückgepeitscht. Das feindliche Feuer rast weiter, vor unseren Gräben, zwischen un». Höchste Alarmbereitschaft ist befohlen. Zitternd vor Erschöpfung ter der Fabrik Dr. Budinsky erklärt, man könne den Betrieb nur aufnehmen, wenn die Löhne um 18 Prozent herabgesetzt werden, wenn die Fabrik alle Kohlenlieferungen an die Arbeiter einstellt, wenn die Arbeiter auf den Urlaub verzichten und wenn sie sich damit begnügen, nur 50 bis 60 Prozent ihre» Luhnes in barem zu erhalten. Der Vertreter der Arbeiterschaft, Genosse Jungbauer, hat diese Anträge" zurückgewiesen, weil es sich hier direkt um eine Provokatton der Arbeiter handelt. Die Entscheidung liegt nun in den Händen des Handelsministeriums sowie des Ministeriums für soziale Fürsorge— wie das Fürsorgeministerium entscheiden wird, kann man sich denken.' E» wird das Interesse der Arbeiter energisch vertreten. niel liche Behandlung läßt auch sehr zu wünschen übrig. Im Lazarett befinden sich nur die Schwerstkranken und Schwerstverletzten, so daß viele Gefangene e» vorziehen, sich in den Barak- ken auszukurieren, um die Leiden dieser Unglücklichen nicht mitansehen zu müssen. Die Verpflegung wird als kraftlos und auch quantitativ nicht ausreichend geschildert. Die Kost der SS-Mann- schäft ist bedeutend bester. Besuchern des Lager» wird meist dieses Essen vorgeführt, von dem aber die Gefangenen nichts bekommen. Dabei ist die Arbeit, die die Gefangenen— natürlich ohne die geringste Bezahlung— leisten müssen, meist außerordentlich anstrengend. Besonders gefürchtet sind die Wald-, Straßen- und Moorarbeiten. Bei der Sttaflompagnie, bei der sich die meisten Juden besinden, erfolgt die Arbeit unter M i tz- handlungen und Beschimpfungen mit nacktem Oberkörper in größter Kälte, bis an die Knie im Master ufw. Ein Kapitel für sich sind die Arrestzellen, Bunker genannt, in die die Häftling« offiziell bei Vergehen gegen die Lagerordnunq (übrigens steht auf jeden Versuch von Meuterei die Todesstrafe) bis zu 3 Monaten gebracht werden dürfen. In Wirflichkeit aber werden die Gefangenen völlig willkürlich hinringesteckt, und es sind Fälle vorgekommen, wo sie bi» zu sieben Monaten darin verblieben. In de« meiste« Fällen aber dauert es nicht so lange, denn nach kürzerer»der längerer Zeit erliegt ein großer Teil de« fürchterlichen Mißhandlungen, die dort in völliger Abgeschlossenheit von der Außenwelt nnd den übrigen Gefangenen vor sich gehen. Besonder» gefürchtet sind in dieser Bezjr- hnng dir außerhalb des Lager» gelegenen Bunker. Manche dieser Unglücklichen— menschliche Wracks, denen zum Teil infolge der M i ß h a n d l» n g e« Gliedmaße« bei lebendigem Leib ab- faulen— wurden von Mitgefangenen gesehen, wenn st« zur Vernehmung geschleppt wnrden. Häufig wurden insbesondere oppositionelle oder sonstwie mißliebige Nationalsozialisten und SA -Männer bei ihrer Einlieferung ins Lager in diese„T o d e S z e l l e n" geführt, um z» verhindern, daß sie mit den übrigen Lagerinsassen in Verbindung kommen. Dort fanden sie dann den Tod. Einzelne Namen wurden trotzdem im Lager bekannt, so Freiherr von Hahn, der im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand genannt wurde, Hauptmann Röhrbein, der so unvorfichttg war, im Polizeige- gefängniS in München Mitgefangenen wie dem IJournalisten Waller Tschuppik von seiner stehen wir am Maschinengewehr und stieren in die Nacht. ES ist Mondschein. Manchmal flattert ein« weiße Leuchtkugel hoch. Wir sprechen kein Wort. Nur der kleine Lyschen sagt einmal ganz leise:„Der Werner ist auch tot..." Ich sehe ihn an: er weint. Hin und wieder hören wir trotz des tobenden Artilleriefeuer» von vorn den Schrei eine» Verwundeten. Da— aufpassen! Da ist was lo»l,.. Nein, da» ist kein Angriff. Mn einzelner Mann kommt auf uns zu. Langsam kommt er durch das wütende Feuer auf u«S zu. „Das wird ein Verwundeter von uns sein." „Wahrscheinlich einer mit Beinschuß, weil er so langsam gebt. Den erwischt'» noch, ehe er rankommt." ES vergehen vielleicht zehn Minuten, bi» er an unserem Graben steht. Wir helfen ihm herein. ES ist Peuticke aus unserer Parallelklasse, jetzt ist er bei der 5. Kompanie. Er trug oft in der Kantine witzige Couplets vor, er wußte unzählige. Ich habe einmal ein« Stund « zusammen mit ihm nachsitzen müssen. Er hatte damals zum dritten Male sein lateinisches Vokabelheft vergessen. Jetzt hat ihm ein Granatsplitter den Unterkiefer und die Zunge weggeriffen. Blutiger Schaum atmet vor der fürchterlichen Wunde. Er will un» etwa» sagen, doch es wird nur ein hilfloses„Arachachach..." Er tippt mit dem rechten Zeigefinger an ein« Gewehrmündung und dann an seine Schläfe. Und sieht un» der Reihe nach an. Kester kann das ttm. Beteiligung an der Ermordung des deutschnatio- nalen Führers Oberföhrrn- zu berichten. Die engen Arrestzellen, die wenig oder gar kein Tageslicht hineinlasten, sind außerdem noch großenteils ungeheizt. ES ist daher mehrfach vorgekommen, daß sich Häftlinge einzelne Glieder erfroren haben, ja, Anfang 1934 sind zwei oppositionelle TA-Leute in diesen Zellen erfro ren. Di« Kost für diese Häftlinge ist besonders schlecht. Am meisten drangsaliert werden in der Regel die jüdischen Gefangenen. Hier tobt sich der von Hitler und der Partei seit Jahren geschürte, stark sexuell gefärbte Antisemitismus der SS -Leute hemmungslos aus. Juden werden, nicht nur in der erniödrigsten Weise behandelt, zu den mühseligsten Arbeiten herangezogen unv dabei besonders gequält(bekannt ist die von menschlichen Zugtieren gezogene Straßenwalze),' sondem sie sind auch bei der Entlassung besonders benachteiligt, und hier wiederum vor allem di« Juden aus Nürnberg und Franken, wo Julius Streicher herrscht. So sind von den 17 Nürn berg -Fürther Juden, die nach Dachau kamen, bisher nur drei entlassen worden. Fünf befinden sich noch in Dachau und alle Uebrigen— in zeitlicher Reihenfolge: Benario, Goldmann, Lehrburger, Schloß, Schmitz, Dr. Katz, Stiebel, Dr. Rosenfelder, Gans und Kohn wurden er-' mordet, oft in der bestialischsten Weise. Den Angehörigen wurde in der Regel verwehrt, den Sarg zu öffnen. Der vorletzte bekannt gewordene Mord in dieser Reihe, der an dem Angestellten Erich GanS, hat sich folgendermaßen zugetragen:' Gans befand sich seit April 1934 im Arrest. Am 1. Juli kam eine Abteilung der SS -Lagerwache von ihrer Mordarbeit in München , Sta delheim und Wiessee zurück und tobte ihre noch unbefriedigte Wut an den wehrlosen Insassen der Arrestzellen aus, wobei sie u. a. einen ehemaligen kommunistischen Funktionär Walter Hänisch und den genannten Erich Gans ermordeten. Des«, sen Angehörige, seit April ohne Nachricht von ihrem Sohn, erhielten erst im Oktober auf vielfaches Drängen die Todesnachricht mit der Asche zugesandt! Um die allgemeine Lage z« illustriere«, nur noch einige Beispiele. An einem Märzabrnd 1934 schoß ohne jede«Anruf ein SS-Mann in eine debattierende Gruppe hinein» wobei zwei Häftlinge getötet wurden.—- SS -Mann Spohrer, unerschöpflich im Erfinden neuer Grausamkeiten, hat u. a. einen oppositionellen SA-Mann in der Weise umgr- tracht» daß er au» einem Hydranten durch einen Schlauch solange rinm starken Waffer- strahl in dessen Aster spritzen ließ, bis die i n gew^ide^ z r r riM t n. Seit dem Frühjahr 1935 wird" ein Teil der' Bewachung durch Landespolizei ausgeübt. Daß die Berhältniffe dadurch nicht bester wurden, zeigen schon die seüdem geschehenen weiteren Morde. Im Juni 1935 wurden plötzlich sämtliche Gefangene in eine Reihe kommandiert. Ein Uniformierter eröffnete ihnen dann, daß jetzt zwei das Leben verlieren sollten, aber wer das sein sollte, würden die Schüsse zeigen! 15 Meter vor den Gefangenen standen eine Anzahl SA-Leute mft geladenen Gewehren. Plötzlich wurde, Zehrt!" kommandiert, und die Gefangenen standen mit dem Rücken zu den Schützen. Dann fielen zwei Schüsse— aber niemand fällt um, und dir SA-Leute gröhlen vor Lachen, daß sie mit eia paar Schüssen die Gefangenen erschreckt haben. So machen sie es noch mehrere Male, bi» dann wirflich zwei Opfer ausgewählt und erschossen werden! Die Gefangenen mußten danach die beiden Erschossenen Wegtragen. Juni 1935! F. Er tritt einen Schritt auf mich zu und sagt wieder:„Arachachach!" Er legt die rechte Hand auf meine Schulter und sieht mich an. Unendlich traurig betteln seine Augen um Mitleid. , Er greift nach meiner Pistolentasche, nimmt di« Pistole heraus. Und wendet sich ab. Kauert nieder im Graben. Den lin ken Arm hält er vor die Augen. Wie er die Pistole ansetzt, wimmert er unterdrückt. Ein Schuß— auS. Und wofür, wozu, warum das alles?! Was geht das mich an, daß in Sarajevo irgendjemand irgendjemanden erschossen hat? WaS geht mich die angeblich von England angetastete Freiheit der Meere an? WaS habe ich davon, ob Triest dem Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn , Elsaß «Lothringen zu Deuffch-' land gehört? Meinetwegen mögen sie zu Siam gehören. „Der Kaiser rief und alle, alle kamen", hat man uns neulich auf einem Unterhaltungsabend von einem Clown rezftieren lassen— wenn ich gerufen hätte, kein einziger Kaiser wäre gekommen! Ich hätte noch viel über alle diese Fragen zu schreiben, aber in zehn Minuten sollen wir' entlausen gehen. So mache ich für heute Schluß... Es ist erst neunzehn Jahre her, seit dieser Bries geschrieben wurde. Der Junge, der ihn schrieb, fiel wenige Tage später. Durch Kopfschuß, wie es in der Mitteilung an die Angehörigen hieß. E» ist erst neunzehn Jahre her.
Ausgabe
15 (23.8.1935) 196
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