i Donnerstag, 29. August 1935 Nr. 201 15. Jahrgang BflztHmls 70 Henn (fancMMlich 5 Heiter Porte) DER H JeUT§HEN5OZIALDEMOICRAT»CHEN ARBEITERPARTEI IH PER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xil.pochova a. teleeon non. HERAUSGEBER SIEGFRIED TAUS. CHEFREDAKTEUR ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS. PRAG . Arbeit und Brot, Einheit und Geschlossenheit! Eine Kundgebung der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der CSR. Parteivorstand stellt fest, da st diese Wen­dung, die eine glänzende Rechtfer­tigung des s ozialdemokrati- schen Standpunktes bedeutet, ernst­liche Beachtung verdient. Der Parteivorstand kann aber nicht an der Tatsache vorubergehen, das; die Kommunisten noch immer nicht bereit sind, in ihrem Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie die notwendigen Konsequen­zen zu ziehen. Das Bekenntnis der Kommunisten, ganz be­sonders der KP§, zur Republik und zur Demo­kratie ist keineswegs frei von Vorbehalte«, welche für dir Parteien des demokratischen So­zialismus unannehmbar sind. Die Kommunisten haben sich zu einer offenen Unterstützung der sozialdemokratischen Politik noch immer nicht bereit erklärt. Sie beharren darauf, die folgen der Wirtschaftskrise für die Arbeiter­klasse und die Folgen des von ihnen selbst verschul­deten machtpolitischen Uebergcwichtes der bürger­lichen Parteien der Sozialdemokratie als Ver­schulden anzulasten und so weiteres Miß­trauen gegen die demokrati­sche P o l i t i I z u schüren, M deren Ver­teidigung sie angeblich entschlossen sind. Sie setzen ihre Aufforderungen zu Einzelaktionen, die an lokale Stellen der Arbeiterbewegung gerichtet sind, fort, sie verzichten also keineswegs darauf, die von ihnen angerichtete Verwirrung in der Arbei­terbewegung weiterzutreiben. Dieser Haltung der Kommunisten gegen­über, die nach wie vor die Arbeiterbewegung als Manövrierfeld für ihre agitatorischen Bedürfnisse behandeln, ruft der Parteivorstand alle Organisationen der Par­tei zur strengsten Disziplin und zur entschiedensten Ablehnung aller Sonderaktionen auf. Der Parteivorstand seinerseits wird, im engsten Einvernehmen mit der tschechischen Bru- drrpartei, alles daransetzen, um die ideologische Einheitlichkeit und politische Geschlossenheit der Arbeiterklasse zn fördern und die grosse Sache der proletarischen Einheit dem Ziele nährrzubringen. Der Partrivorstand der Deuts chcn sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tsche­choslowakischen Republik hat in seiner gestrigen Sitzung die nachfolgende Entschließung gefaßt, in der z« alle« aktuelle» und bedeutsame« Probleme« de« Innenpolitik Stellung genommen wird: Kampf der Teuerung Die andauernde Lähmung der Produktion «nd die Senkung der Einkommen aus Löhnen und Behältern verschärfen das Missverhältnis zwi­schen der Kaufkraft der Massen und ihren tatsäch­lichen Bedürfnissen. Rn dieser Situation ist die zum Teil bereits eingetretene, zum Teil noch drohende Verteuerung wichtiger Lebensmittel un­erträglich und macht ein rasches Eingreifen der Regierung unbedingt notwendig... Diese Erscheinungen werden besonders schmerzlich in den sudetendeutschen Krisengebieten fühlbar, wo jahrelange Arbeitslosigkeit eines -rossen Teiles der Bevölkerung einen Grad der Verelendung erzeugt hat, der im Hinblick auf den bevorstehenden neuen Krisenwinter zu grössten Besorgnissen Anlass gibt. Alle verantwortlichen Faktoren mögen sich dessen in vollem Umfangt bewusst sein, dass die TeuerungSwirkungen mit unerbittlicher Härte gerade jene bedauernswerten Krifenopfer treffe«, die alS Arbeitslose oder Kurzarbeiter schon bisher den schlimmsten Entbehrungen aus­gesetzt waren. Die gespannten sozialen und politischen Verhält­nisse in den Grenzgebieten erfordern in der näch­sten Zeit die ernsteste Aufmerksamkeit der Gesamt­regierung nicht nur hinsichtlich einer erträglichen Lebensmittelversorgung der konsumierenden Bc- dölkerung, sondern auch mit Rücksicht auf die drrzweiflunqsvolle Lage der Arbeitslosen. Der Parteivorstand fordert daher eheste Vorkehrungen zum Schutze der arbeitenden Massen und der Arbeitslosen, insbesondere wirksame Vor­kehrungen gegen alle Massnahmen, die zu einer Verteuerung von Brot und Mehl führen müssen: Einfuhr von Vieh und Fett: Erhöhung des KunstfettkontingentSr Sicherstellung ausreichender Mengen do« Kartoffeln für den Konsum; Ermöglichung der Einfuhr billiger Fut- tormittel; strengste Anwendung der Regierungsver­ordnung«egen unbegründete Verteuerung. für Arbeitsbeschaffung I Ei- Diese Massnahmen können jedoch nur der »lohenden weiteren Verelendung entgegenwirken, nicht die grossen wirtschaftlichen und sozialen Auf­gaben lösen, vor welche die demokratische Zusam- Utenarbeit in der Tschechoslowakei gestellt ist und von deren erfolgreichen Bewältigung der Fort­bestand der Demokratie abhängig ist. E Die Sozialdemokratie anerkennt die Notwendig- k«it der durchgeführten planwirtschastlichen Maß- üahmen in der Landwirtschaft, zu.deren Berwirk- uchung sie selbst vielfach die Initiative ergriffen bat. Sie fordert aber ihre unerlässliche Ergänzung burch gleich wirksam« Massnahmen zur Belebung der industriellen : Produktion, zur Vermehrung der Ar­beitsgelegenheit« n und zur He­bung der M a s s e n k a u f k r a f t. , Der Parteivorstand urgiert daher die Er- wllung des sozialpolitischen Programmes der Regierung, vor allen die Verkürzung der Arbeits­zeit und die Verwirklichung der obligatorischen »cheitsvermittlung, damit die Zahl der ArbeitS- blcch« vermehrt, ihre Vergebung an die Bedürf- Men sichergestellt und die Arbeiter gegen den «esinnungSzwana in den Betrieben geschützt Werden. Die planmässige Durchführung öffentlicher Arbeiten muss fortgesetzt und gesteigert werden, wobei die Gebiete des außerordentlichen Notstand«- i« erster Linie berücksichtigt werden müssen. Die von der Regierung angekün­digt« Hilfsaktion für die Notstandsgebiete ist ehestens durchzuführen. Die Belebung der Industrie ist nicht möglich ohne Förderung des Exportes. Der Partcivorstand fordert daher den Abbau der Ein« und Ausfuhrhemmnisse, insbesondere des Bewil­ligungsverfahrens. Im Verein damit müssen auch die von der Partei wiederholt geforderten Massnahmen zur Beschaffung und Verbilligung langfristiger Kredite verwirklicht werden. Für Ideologische Einheit, politische Geschlossenheit der Arbeiterklasse! Der Weltkongress der Kommunistischen An- ternationale hat sich zur Verteidigung der bürger­lichen Demokratie und zur Anpassung der prole­tarischen Taktik an die konkreten Verhältnisse jedes einzelnen Landes bekannt. Die Kommunisten haben damit die Richtigkeit der von ihnen jahre­lang in der gehässigsten Weise bekämpften sozial­demokratischen Taktik anerkannt, sie haben ihre eigene Spaltungspolitik, ihre Tattik des Kampfes gegen den»Sozialfascismus" verurteilt. Der Parteivorstand bedauert, dass diese Erkenntnis, die in einem früheren Zeitpunkte unermessliches Unglück von der Arbeiterbewegung abgewendet hätte, erst gekommen ist, als aussenpolitische Interessen der Sowjetunion sie erzwangen. Der Frankreich will den Völkerbund Auffällige Wendung der Politik Lavals verteidigen Warnung an Mussolini Freundliche Geste gegen England Paris.(Tsch. P.-B.) Nach dem amtlichen Bericht haben sich an dem Mittwoch im Palais Elysee unter dem Vorsitz des Präsidenten der Re­publik, Lebrun, abgehaltenen Ministerrat sämt­liche Minister mit Ausnahme des Ministers Flandin beteiligt, der sich auf einem Erholungs­urlaub befindet. Ministerpräsident Laval erstattete in seiner Eigenschaft als Aussenminister ein Expose über die internationale Lage, namentlich aber über den Verlauf der französisch-italienisch-britischen Kon­ferenz in Paris . Der Ministerpräsident legte die Liste der Delegationsmitglieder für die Genfer Verhandlungen zur Genehmigung vor, welche äusser den bereits mitgeteilten Namen, wr« Laval , Herriot , Paul Boncour und der Ersatzmitglieder Beranger und Bastid auch den Namen deS Handelsministers Bonnet enthält. Der Mini st errat befasste sich vor allem mit aussenpolitischen Fragen. Nach dem ExposS des Ministerpräsidenten Laval wurden seitens der Regierungsmitglieder die allgemeinen Umrisse der Instruktionen festgesetzt, nach denen sich die französische Delegation in Genf zu richten haben wird und eS ist erklärlich, dass ««ter allgemeiner Zustimmung emp­fehle« wurde, alle Bemühungen zur Aufrechterhaltung des Friedens an­zuwenden. Sowohl England wie Frankreich find für die Einhal- tungderDSlkerbundsver- Pflicht»«gen, die nach französi­scher Ansicht den Krieg verhindern können. Ebenso wichtig ist eS, den Völkerbnndpakt zu respek­tieren, namentlich im Hin­blick auf die letzte Erklä­rung Mufsolinis, daß nämlich die Anwendung von Sanktionen gegen Italien als eine feindliche Maßnahme angesehen und eine« Konflikt bedeuten würde. Di« der französichcn Delegation für Genf gegebenen Instruktionen sind Nicht ftprr festge­legt, sondern belassen ihr ziemliche Freiheit. Gleichzeitig wurd betont, dass Frankreich alles tun werde, um das Prestige des Völkerbundes aufrechtzuerhalten, ebenso wie auch das freund­schaftliche Verhältnis mit England und Italien im Mallen Dollfuß In Wien findet seit gestern wieder einer jener im autoritären Regime bereits üblich gewordenen Prozesse statt, in denen dievor­dringlichste" Aufgabe des Berichtes darin besteht, die Wahrheit nicht zu finden. Der ehemalige Chef des Wiener Sicherheftsbüros, Hofrat Otto S t e i n h ä u s l steht nun, da alle Bemühun­gen der Ankläger, den Prozess niederzuschlagen, vergeblich gewesen sind, vor dem Militärgericht, um sich gegen die Anklage des Hochverrates, be­gangen durch Teilnahme am Juliputsch des vori­gen Jahres, zu verantworten. Man erinnert sich viel besser als man­chen Mitgliedern der österreichischen Regierung lieb ist der ebenso dramatischen wie mysteriö­sen Vorgänge dieses Tages: Ein Nazitrupp hatte am Vormiftag das Sendegebäude des Rundfunks gestürmt, wenige Stunden später die Wachen des Bundeskanzleramtes verhaftet und das Gebäude auf dem Ballhausplatz besetzt, in dem sich Doll­ fuss und Fey befanden. Bei all diesen Aktionen beriefen sich die Nazi auf Befehle, die sie vom Kanzler der Revolutionsregierung" R i n t e» len und vomPolizeipräsidenten der Revolu­tionsregierung" Hofrat Steinhäusl erhal­ten hätten. Der Ueberfall auf das Bundeskanz­leramt ging ohne alle Schwierigkeiten vor sich, obgleich(oder weil) eines der beiden dort anwe­senden Regierungsmftglieder, nämlich Herr Fey, schon eine Stunde vorher von dem geplanten Putsch verständigt worden war. Doll­ fuss wurde von den Putschisten erschossen- während er im Sterbe« lag, forderte Fey vom Balkon herab das Bundesheer auf, die Putschisten zu schonen, als er bereits tot war, verhandelte Fey mit den Mördern und sicherte ihnen ehren­wörtlich freies Geleite zu» als er begraben(und Fey in Sicherheit) war, brach Fey sein Ehren­wort und ließ seine Verhandlungspartner hängen. Dies sind die wenigen sicheren Einzelhei­ten eines Kriminaldramas, dessen Held seither die gewiß schwierige Rolle zu spielen versucht, darin keine Rolle gespielt zu haben. Aus dem Prozeß gegen die Dollfußmörder und dem Rinte- lenprozeß ging er dank einer halbwegs erfolgreich bemühten Justizregie mit ramponierter Ehre, aber sonst unverhältnismässig heil hervor. Man kann verstehen, dass die neuerliche Belastungs­probe seiner Nerven durch diesen jetzigen Prozeß ihm stark zusetzt und könnte sich für den Nerven­schock, der ihn soeben befallen und wohl verneh­mungsunfähig gemacht hat, auch andere Gründe als den angeblichen Autounfall vorstellen. Herr Fey hat mit Zeugenaussagen schlechte Erfahrun­gen gemacht und es ist unter gewissen Umständen für Zeugen nicht angenehm, wenn Angeklagte, so wie es Steinhäufl tut, ihre lakonische Verant­wortung dahin zusammenfassen: man solle doch Herrn Fey fragen; er wisse über all das weit besser und genauer Bescheid. Vielleicht wird es vermiüels des zu rechter Zeit gefundenen Autounfalls oder irgend eines zu rechter Zeit verlorenen Gedächtnisses gelin­gen, auch in diesem Prozeß den Zeugen vor dem Allerärgsten zu bewahren. Aber nicht darum handelt es sich in allererster Linie. Die drama­tische Geschichte des Herrn Fey tritt so inter­essant und Aufschlußreich sie auch sein mag hin­ter der noch dramatischeren Geschichte deS heu­tigen Europa zurück. Und mag die erstere auch zum Teil noch im Dunkel liegen, die zweite liegt mit einer erschütternden Klarheit vor uns, die keinen Zweifel übrig läßt. Es sind nackte Tat­sachen dieser Geschichte, daß gerade in dem Land, das vielleicht für die Welt die Entscheidung Krieg oder Frieden bringt, eine Regierung am Ruder ist, die sich autoritär nennt, obgleich sie alle paar Monate wieder einmal von der wohlwollenden Diskretion angeklagter Putschisten in ihrem Be­stand bedroht ist. Unter der Parole, er müsse end­lichRuhe und Ordnung" im Herzen Europas herstellen, hat Dollfuß im Feber des vorigen Jahres den Befehl zum Feuern auf wehrlose Ar­beiterhäuser gegeben. Das Ergebnis? Eine auto­ritäre Regierung, deren Chef wenige Monate später von Naziputschisten abgeknallt wird» eine autoritäre Regierung, deren italienischer Gesand- ter als politischer Führer dieser Putschisten zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wird, eine autoritäre Regierung, deren Polizeichef als Ver­bündeter der Putschisten angeklagt wird, eine autoritäre Regierung, deren Vizekanzler von Pro­zess zu Prozess um seine eigene Entlarvung zit-