Nr. 201

Donnerstag, 29. August 1935

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Zwei Rehe Von Richard Rax. Der Miger brachte aus dem Walde zwei ver­waiste Rehe. Sie mochten drei Wochen alt sein und waren von rührender Hilföbedürstigkeit. Die Krau des Landhauses wollte sich bemühen, sie mit der Milchflasche aufzuziehen, der Mann aber, der den Garten zu betreuen hatte, schüttelte den Kopf: Hab'n S' a Ahnung, gnä Frau, was so Viecher für an Schaden machen?" Sie hatte keine:Die Rehe bleiben doch nur so lang, bis sie der Milch entwöhnt sind. WaS kön­nen zwei so hergige kleine Tierchen schon für Schaden machen in dem grasten Garten." Anfangs ging alles gut. Die Rehlein ge­wohnten sich bald, die Milch aus der Flasche zu saufen, die die Frau ihnen darbot, Sie gewöhnten sich so sehr an die Frau, dast sie die Begriffe Milchspenderin und Mutter offenbar vereinend ihr nachliefen auf Schritt und Tritt. Gegen andere Menschen aber blieben sie scheu. AIS der Gärtner, anläßlich eine» für eine Woche gedachten Aufent­haltes der Frau in der Stadt, den Tieren, die Milch reichen sollte, nahmen diese keinen Tropfen, schnupperten nur und wandten sich von dem belei­digten Gärtner beleidigt ab. Sie wären verhun­gert, hätte man nicht die Abwesende telegraphisch zurückberufen. Dem vielen, vielen Grünfutter im Barten schenkten sie vorerst keinen Blick. Nur Fan­gen spielten sie bei Sonnenuntergang durch und über alle Beete. Erst nach drei Wochen versuchten die Rehlein hie und da und dann und wann ein garte» Blatt abzubeißen. Da die» mistlang, begannen sie shste- matischx Frestversuche im Stiefmütterchenbeet un­weit ihrer Hütte. Awei Tage hatten ihre Be­mühungen kaum merkbaren Erfolg. Am dritten gab» kein« Stiefmütterchen mehr, nicht Blatt, nicht Blüte. Da» war Mitte Juli. Danach fanden auch eine Rispe Gras, ein, wenig feinsten Klee» sind Blätter von niedrigen Obstbäumen Beachtung. Trumpf jedoch wurden die Nelken. Binnen einer Woche waren alle, auch die verstecktesten, ausgerottet bi» auf die Wurzelstöcke. Der Gärtner schnitt ein schief Gesicht. Di« Frau, die sonst heikel war auf ihre Blumen wie der Teufel, wenn dies von einer Frau zu sagen erlaubt ist blieb gefaßt:Wegen der paar Nelken! Mitte August kann man die Rehe in den Wald laffen, sagt der Läger." Ende Juli waren alle Buschrosen und die ktibiselsträucher kahl, Dohnen und Erbsen vernich­tet.I meinst, jetzt'n war'» höchste Aeit, dast ma F in Wald lastet, die Ludern." Doch die Rehe lächelten nur über den Gärtner. Sie wustten, dast Linder obsiegen, denen die Mutter heimlich Nel- lrnknospen aus fremden Gärten bringt, da es im eigenen Garten keine mehr gibt. Zum Dank frästen sie in eines unbewachten Stünde die Fächerpalme., nür den Gärtner aber, der oftvergast", die Gartentür zu schließen, damitdie Ludern" sich in den Wald verlaufen sollten, hatten sie nur mit­leidig triumphierende Blicke und fuhren, die schön­sten Phloxblüten im Maul, ihm zwischen die Leine. Vom Walde war nicht mehr die Rede. Bis zum Herbst war alles abgefresten, wa» tst Rehe erreichen konnten und nicht gewöhnliche» «ald« und Wiesengewächs war. Solche» verach­teten sie. Aepfel, Pflaumen und Birnen jedoch Kasten sie mit Leidenschaft, dast der Saft spritzte. Vom Walde war zwar nicht mehr die Rede, °och wurde ein großer Platz unter den Linden, wo

kein Schaden anzurichten war, nach vielem Wmn und Aber von dem Obst-, Zier- und Gemüsegar­ten durch ein Gitter ahgetxennt, obwohl der Gärtner schwur, dast diese Rehe imstande wären, auch die Linden zu fressen. Er hatte tagelang zu tun, bis auch die kleinste Lücke zwischen Boden und Gitter vermacht war. Immer wieder fanden die Rehe den Schlupf zurück in» Paradies. Sie waren sehr ungehalten, als sie endgültig merkten, dast e» sich nicht mehr um ein Spiel, sondern um eine ernsthafte Freiheitsbeschränkung handle, und gin­gen läng» de» Gitter» auf und ab wie die gefan­genen Bären, um der Mutter Herz zu brechen, bi» diese verreiste. Nun haben sich die Rehe an den Napf mit Kukuruz gewöhnt und stampfen zornig mit den zarten Beinen, wenn sie den Napf unerhörter Weise leer finden. Da die» nur selten vorkommt und ihr Winterpelz ihnen zu sagen scheint, dast auch außerhalb de» Gitter» feine» Grünfuttcr nicht mehr gedeiht, sind sie zufrieden, zumal sie fest glauben: sobald wieder Stiefmütterchen und

Nelken knospen, werde ein sehnsüchtiger Blick auS ihren dunklen Augen genügen, das Herz der Mut­ter und damit des Gitters Tür weit zu öffnen.

Die Städte Abessiniens. Abessinien besitzt nur ganz wenige Städte. Außer der Hauptstadt Addis Abeba kommt im Grunde nur noch H a r r a r, die Hauptstadt der Provinz Ogaden, in Frage. Denn G o n d a r, die alte Kaiserstadt, besteht nur aui Kaiserpalästen, die in der Portugiesenzeit zerstört wurden, und einigen Hütten. A n k o b e r, da» in Kaiser MenelikS Jugendjahren eine Rolle spielte, ist ein Ort mit zahlreichen Hütten, aber ohne Bedeu­tung, und das vielgenannte Ual Ual besteht nur au» ein paar ärmlichen Hütten. Harrar, 600 Kilometer von der Grenze entfernt, ist eine uralte Handels­stadt. ES war schon im 12. Jahrhundert die Haupt­stadt de» großen Adal-Reiche», da» bi» zum Indi­schen Ozean reichte. Im Mittelalter floß viel Blut um den Besitz dieser Stadt. 1875 besetzten die Aegypter Harrar, ' doch mußte der Khedive Ismael Pascha ei wieder aufgeben.

Friedenrorgauisatto« 1935 Friedenstaube: Ich könnte mir auch ein stabileres Fundament vorstellen,,

Jn Kürze

Rom.(AP.) Alle Inseln des Dodekanesos wurden unter Kriegsrecht gestellt. In vielen Orte» dürfen die Einwohner ihre Häuser nach acht Uhr abends nicht mehr verlaffen. Jn Lero» ist jede Lan­dung verboten. Diese Insel ist zu einer Festung um­gestaltet, und alle Anhöhen sind mit Geschützen ge­spickt. Sämtliche Garnisonen des Dodekaneso» haben Verstärkung erhalten. Es heißt, daß es sich meist um Soldaten slawischer Nationalität au» Venezia Giulia handele, die man nicht in Ostafrika verwenden wolle. Hamburg . Das dritte deutsche Flugzeug« 'sicherungsschiff wurde Samstag von Stapel ge­lassen. Das Flugzeugsicherung»- und Bergungs­schiff, das den NamenKrischan" erhalten hat. hat eine Länge von 70 Metern und eine Breite von 11 Metern. Berlin . Mit Bezug auf di« Meldung deSPa­ri» Soir", wonach der Chef de» Protokolls im Aus­wärtigen Amt Graf Bastewttz plötzlich au» Berlin verschwunden sei, schreibt der.Lokalanzeiger", daß Graf Bassewitz seinen ordnungsmäßigen Urlaub angetreten habe und vor drei Tagen Nach Süddeutschland abgereist sei. Wim. Unweit vom Grandhotel in Reumarkt ist Dienstag«in österreichisches Militärflugzeug der Fliegerschule in Graz in den See abgestürzt. Der Pilot und sein Beobachter wurden tot aufgefunden. Tirana . Riza G e r o v a, einer der Führer der jüngsten Revolte in Fieri, wurde am Sonntag bei einem Zusammenstoß, zu welchem es zwischen seinen Anhängern und der Polizei in Südalbanien kam, erschossen. Moskau . In der türkischen Stadt Neistli ist, wie die Blätter aus Moskau melden, die Grund­steinlegung zum zweiten großen Textilwerk erfolgt, da» von der Sowjetunion erbaut und mit Sowjekmaschinen ausgestattet werden soll.

China » Luftverkehrsnetz (AP) China baut fieberhaft sein Luftver« kehrsneh au». Dabei spielen politische Momente ein« große Rolle, werden doch auf diese Gebiete, di« infolge ihver Welten Entfernung fast autonom geworden waren, der Regierung nähergerückt. Fluglinien existieren z. B. jetzt nach der Provinz Szetschwan, die sich ziemlich selbständig ge­macht hatte und lokalen Beherrschern Steuern zahlte, sowie nach Uünnan, dessen Bevölkerung bereits einen birmanischen Einschlag hat und .französischen EinWffeu. unterliegt. Projektiert ist schließlich sogar ein« Fluglinie nach T üb e t, wo seit dem Tiwe des Dalai Lama ein politische» Chaos herrscht, zumal der al» prochinesisch gel­tende Panchen Lama infolge de» englischen Wider­standes nicht die Nachfolge antreten konnte. Die Schaffung einer ständigen Verbindung zwischen Nanking und Lhasa würde die Einsetzung eine» eigenen Gouverneurs in Tibet ermöglichen, der die chinesische Autorität wiederherzustellen hätte. Bekanntlich geht Tschiang Kai Schek davon au», nach dem Verlust Rordchinas das verbleibende Ge­biet straff zu organisieren und fest an die Jen« tralregierung zu ketten.

Der Faulpelz Alwine," sagte der Posthalter Feodor Vlukrnpohl in Dobroschin,Mwine, reiche mir E>"e Zigarre." Er kehrte sich ächzend auf dem äianzledernen Kanapee um und schlug ärgerlich M einer Fliege:Vieh!" Alwine, die behende Frau des Poschalter», sistierte auf einen Stuhl und holte eine Zigarren- siste vom Schrank. Sie nahm eine Zigarre heraus, Mitt sorgfältig die Spitze ab, steckte ihrem Gat- M den Glimmstengel in den Mund und strich ein vindholz an:Die siebente heute, Feodor!" Warum sagst du mir da»?" Feodor pafft« "nd sprach llagend.Verbitterst mir meinen ein­zigen Genuß. UebrigenS ist es nur wegen der «siegen. Ach, dies Ungeziefer, die» infame! Man Möchte eine Stunde ruhen. Da setzt sich einem ein Biest auf die Nase, auf die Stirn, auf ">e Augenlider, piekt hier, piekt da, gönnt einem x«ht eine Minute Schlaf. Bestie!" Seine Faust 'Uhr in di« Luft. Ach, wenn ich euch doch alle Massakrieren könnte! Warum, lieber Herrgott, du diese Brut geschaffen? Sind zu nichts W, geben weder Honig noch Butter, schmutzen u«r überall herum und bringen Aerger über ^krger." Das Kanapee krachte. Herr Glukenpohl mit einer besonderen Kraftanstrengung seine ^age verändert und kehrte nun dem Zimmer seine Ucksest« zu. Jn dicken blauen Schwaden stieg "fauch an der Wand empor. k Frau Glukenpohl setzte sich gleichmütig ans «safter und blickte auf die Dorfstraße hinaus, fahrend in ihren Händen die Stricknadeln klap« perlen. Ist bald Kaffeezeit, Alwine?" -Noch eine halbe Stunde. Du denkst wirklich "Ur an Essen, Trinken und Rauchen." Oho!" Feodor warf sich herum.Glaube Mr nicht, daß ich müßig bin, während ich hier sisile. Alle» überdenke ich. alle». Eben zum Bei« 'viel kam e» mir in den Sinn: arbeiten die Leute »uf dem Felde? Was machen Vera und Joschka?" Sie sind beim Raupenabsuchen auf dem »shlackcr, dar weißt du."

Ja, aber sind sie fleißig?" Sieh nach Feodor!" Sieh nach, steh nach!" äffte er.Was macht Josef?" Gr schneidet das Grummet auf der Bach­wiese." Siehst du. Kann ich überall sein? Was nützt es, auf den Kohlacker zu gehen, wenn ich nicht auch auf der Bachwiese sein kann?" Zehn Minuten Weg, Feodor!" Ohne Baum und Strauch in dieser Hitze!" Die Glocke der Haustür schlug an. Dann llopfte es an dem kleinen Schalterfenster, dar nach dem Flur ging. Post, Alwine!" Frau Glukenpohl stand gemächlich auf und öffnete da» Schalterfenster. Ein Bauer stand dort und forderte eine Briefmarke. Gib sie ihm, Alwine!" Sie tat es, schloß das Fenster, während ihr Gatte sagte:Gibt es ein geplagteres Geschöpf als einen Posthalter? Um jeden^Pfifferling möchte man aufstehenl Jeden Knecht, jede Rotz­nase mußt du bedienen!" Du stehst ja nicht auf, Feodor." Weil ich andere Dinge im Kopfe habe, die viel wichtiger sind. Eben fällt mir ein: was macht Fritz, der Schlingel? Hab' ihn wahrhaftig den ganzen Tag noch nicht zu Gesicht bekommen." Weil du dich seit dem Frühstück auf dem Kanapee herumwälzt statt nach dem Rechten zu sehen." Mutest mir allerlei zu wo einem bald daS Gehirn schmilzt." Er blieS einen dicken Rauchstrahl in di« Luft. Ist die halbe Stunde noch nicht herum?... Du haft mir noch nichts vom Fritz gesagt." Frau Glukenpohl wickelt« ihr Strickzeug zu­sammen:Erinnere dich doch. Gestern abend schicktest du ihn mit der Extrapost nach Klinzow; um drei in der Früh war er zurück. Um sieben kroch er aus den Federn, um die Pferde zu füttern. Danach muhte er mit der Stute zum Hufschmied. Tann holte er Grummet von der Erlenwiese

herein. Bis Mittag war keine Minute zum Ver­schnaufen," «Verschnaufen! Sind da» Arbeiten: Pferde füttern, Stute zum Hufschmied. Das mach ich im Schlaf." «Tust du, Feodor im Schlaf machst du alles." Und nach dem Esten?... Reiche mir einen Aschenbecher, Alwine." Frau Glukenpohl hielt ihrem Gatten den Aschenbecher hin:Er hat seine übliche Arbeit." Uebliche Arbeit!" Feodor lachte gekränkt, paffte und paffte.Was heißt das? Ich zerbreche mir hier den Kopf, und du sagst: übliche Arbeit! Man muß den Leuten auf die Finger sehen, Alwine. Ordnung, unermüdlich für Ordnung sorgen! Nur so kann eine Wirtschaft gedeihen." Frau Glukenpohl räumte den Tisch ab, legte ein neues Leinen auf:«Sorg« nur, Feodor." «Alles lastet auf mir, dem Herm... Gib mir ein Streichholz, Alwine. Di« Zigarre brennt schief... Ich sage: die Arbeit muß so eingeteilt werden, daß niemand müßig geht. Daß man in jeder Minute weiß: was macht das Gesindel Ver­dient es auch seinen Lohn, sein Esten, sein Logis?" Frau Glukenpohl strich da» Leinen glatt: Teile eS ein, Feodor." «Teile es ein! Das sagst du so, als ob es nichts wäre. Den ganzen Tag denk« ich darüber nach schon für morgen und übermorgen. Pei­nige meinen armen Schädel bis zum Zerplatzen. Und da verfluchte Wanze!" Er schlug sich auf die Nase.«Zur Höll« machen dies« Bestien einem das Leben. Du kannst keinen ruhigen Gedanken fasten." «Gleich gibt eS Kaffee." Ruf mir den Fritz, Alwine." Was soll er?" Er soll kurz: hereinkommen soll er!" Frau Glukenpohl begab sich langsam auf den Hof und rief:Fritz!" Si« trat in die Remisei Fritzi... Fritzi" Steckte den Kopf in den Stall und rief, wandt« sich zum Heuboden hinauf: Fritz, zum Herrn kommen!" Vergeblich. Sie kehrte ins Zimmer zurück:Er meldet sich nicht."

Aha! Meldet sich nicht! Ist gewiß bei der Wlichen Arbeit", wie?" Feodor lachte schaden­froh. Jndeffen war in der Luke des Heubodens ein breites, rotes, verschlafenes Gesicht, erschienen, das vorsichtig herablugte. Dann kletterte Fritz her­unter, wusch sich am Brunnen, benutzte fünf Fin­ger als Kamm und trat ohne Uebereilung ins Haus:«Haben Sie gerufen, Frau?" Frau Glukenpohl, die in der Küche mit dem Kaffee beschäftigt war, nickte und wies mit einer Bewegung des Kopfes nach der Stube. Hahaha!" Feodor lachte.Bist du da, mein Sohn Fritz? Tritt nur ganz herein. Wo haben euer Gnaden gesteckt, wenn man fragen darf?" Herr..." Fritz kratzte sich den Schädel. .Ich..." ... war bei der üblichen Arbeit, he? Komm näher, Fritzing, komm näher. Was sind da» für Halme hier?" Er griff einige Heufasern von Fritzens Kittel. Rief zur Küche hin:«Frau Alwine Glukenpohl, sehen Sie sich mal diesen Rücken an. Er zeugt von der üblichen Arbeit im Heu, was, mein Sohn Fritzing?" Herr Posthalter," stammelte Fritz,«ich war so müd von der Nacht.'" «Müd vom Schlafen, was?" Herr Gluken­pohl richtete sich mit einem Ruck halb auf. Schämst du dich nicht vor Gott und den Men­schen? Müßiggang ist aller Laster Anfang, da» merke dir!" Fritz grinste über das ganze Gesicht und schwieg. Er lacht! Alwine, er lacht!" Frau Alwine, die mit dem Kaffeegeschirr hereintrat, lächelte auch. «Aus meinen Augen, du Tagedieb, du Faul« pelz! Nie wird etwa» Gescheites aus dir, nie!" Herr Glukenpohl ächzte, während Fritz verschwand: Ach, was für ein Leben! Aerger über Aerger.'.." Und Frau Glukenpohl fragte, den Kaffee in die Taffen füllend:Trinkst du im Liegen oder stehst du auf?",« Ernst Preczang .