Nr. 204 Sanntsge 1. Geptember 1935 Sette 3 fudetcndeutsdier Zeitspieget Sudetendeutsche Metallkrise Uener 40 Prozent der Mitglieder des Komotauer Metallarbeiterverbandes arbeitslos swie das vierte H gelautet hat, weif; jeder) poli- tische Geschäfte zu machen versucht haben. Nachdem es aber allein drei Kompagnons schlecht geht, scheinen die Christlichsozialen auf Geschäfte dieser Art in Zukunft verzichten zu wollen. Der„Internationale Metallarbeiter"'(Ko- motau) enthält in seiner letzten Folge einen Bericht über die Tätigkeit des Internationalen Metallarbeiterverbandes, in dessen Einleitung eine Darstellung der Berhällnisse in der sudetendeut schen Metallindustrie gegeben wird. Danach ist in der Blecherzeugung eine wesentliche Aenderung gegenüber dem Vorjahre nicht eingetreten und auch die Draht» und Schraubenindustrie war schlecht beschäftigt. Eine Besserung war in der Rohrerzeugung zu verzeichnen, in den Manne»- mannwerken war die Beschäftigung der Arbeiter besser als 1933. Desgleichen war auch in der Poldi-Hütte der Geschäftsgang bester als im Vorjahre, eS wurden dort Arbeiteraufnahmen vorgenommen. Die Stahlwaren» und Messing» Industrie liegt jedoch noch immer darnieder. In der Emailindustrie ist eine wesentliche Befferung in der zweiten Jahreshälfte eingetreten, in dem Emailwerk in Neschwitz stieg die Zahl der Beschäftigten von 780 auf 1390. Das Kupferwerk in Pömmerle war Wohl etwas bester beschäftigt, doch ist es dort nur zur Einstellung von jugendlichen Hilfskräften bis zu 16 Jahren gekommen. In der Fahrradinduftrie ist im Sommer eine starke Belebung zu verzeichnen gewesen, in den Premierwerken zum Beispiel wurden um 80 Prozent mehr Fahrräder erzeugt und verkauft »Volksaktivismus“ versagt Einkehr bei den Christlich sozialen f Unser Vruderblatt, die Troppauer„Volks- Presse", befasst sich in ihrer Freitagausgabe nochmals mit dem Anschlag aus das deutsche Schulwesen in Troppau. worüber wir bereits berichtet haben. Die„VolkSpresse" wiederholt ihren Standpunkt,.wonach sich unsere Troppauer Genosten mit aller Entschiedenheit gegen die Bestrebungen der Entnationalisierung deutscher Kinder wenden, aber auch zeigen, das; dieser Angriff auf das deutsche Schulwesen Troppaus eine unmittelbare Auswirkung des HnÜeinsiegeS ist. Dies« letztere Auffassung vertritt auch das Blatt der schlesischen Christlichsozialen, das„Volk", in welchem über die Angelegenheit u. a. folgendes geschrieben wird; „Vielfach kann man sich drS Eindrucks nicht ■ erwehren, daß zur Verschärfung der Situation wesentlich die Wahlergebnisse vom 19., tezw. 26. Mai d. I. ieigetragen habe». Tatsächlich ist die palttische Situation d«S SudrtekldeutfchtumS durch di« Wahlen kaum vorwärts getragen wor- den.,. Die Sudetendcutsche Partei Henlein« aber ist, soweit ssr nicht selbst durch ihre Agtta- tionSmethoden dir Situation verschärfte, erst recht nicht in der Lage, irgend etwas zn erreichen. Dir Zahl der 44 Abgeordneten, die unter anderen Umständen rin ganz besonderes politisches Gewicht auSweffen mähten, ist derzett wohl dauernd i« politischen Zahlen« und Kräfteverhältnis eine Zahl, über deren Existenz wohl allerhand Kopf« zerbrechen herrschen mag, die aber link« liegen bleibt, wir«an sagt."... Der sogenannte„Volk». akttviSmus" hat bis nun nicht« Gleichwertige« an, die Stelle de« Aftivi«mu« der anderen politischen Gruppen setzen können, er hat bi» jetzt weder positive politische Erfolge bringen können, noch drohende Verluste aus den verschiedensten Gebieten des nationalen Befitzstonde« hindern können." Es ist schön, dass das die Christlichsozialen .insehen und wir hoffen, dass diese Erkenntnis, die als im besten Geschäftsjahr 1929. Dagegen ist die Knopfindustrie fast völlig lahmgelegt unb auch in der Musikinstrumentenindustrie sind die Verhältnisse noch schlechter geworden. Hier wirft sich die japanische Konkurrenz besonder» aus. Betriebe, die früher mit einigen hundert Arbeitern gearbeitet haben, beschäftigen heute 20 bi» 80 Leute. Schwer leidet auch die Maschinenindustrie, im Jahre 1934 wurde eine Reihe von Betrieben ganz eingestellt, der andere Teil arbeitet nur kurz. Immer macht sich die Verdrängung der kleineren Betriebe bemerkbar, die von den größeren Betrieben aufgesaugt werden, da sie deren Konkurrenz nicht aushalten. Die Folgen dieser Verhältnisse sind, daß zwar die Arbeitslosigkeit unter den Mitgliedern des MetallarbeiterverbandeSe ein wenig zurück- gegangen, aber noch immer sehr hoch ist. Zu Beginn des Jahres 1934 gab es unter den Mitgliedern des Verbände» 14.297, am Ende de» Jahres 12.746 Mterstützte Arbeitslose. Insgesamt wurden an Arbeitslosenunterstützung 27,894.110 XL zur Auszahlung gebracht. Welch furchtbare Verhältnisse in der Metallindustrie noch immer herrschen, wird am besten dadurch charakterisiert, daß im Jahresdurchschnitt 40.7 Prozent der Mitglieder des Verbandes arbeitslos waren und 27.6 Prozent in Kurzarbeit standen. unter den Christlichsozialen in der Provinz verbreitet ist, ihren Weg auch in die Spatten der „Deutschen Presse" finden wird. Es ist noch gar nicht lange her, wo die Herren Christlichsozialen in der Kompaniefirma Henlein-Hacker-Hilgenreine». Vir helfen Luch Innerhalb 44 Minuten... Da» ist nur di« SdP imstande. Morgen kommen nämlich, nach allerhöchster Verlautbarung, einige Mandatare der SdP, welche sich auf einer„Informationsreise" befinden, nach Graupen. Die Herrschaften treffen um 8 Uhr 82 Minuten in Graupen ein und fahren um 9 Uhr 36 Minuten wieder weg. In der Zwischenzeit können alle Arbeitslosen ihre Wünsche und Beschwerden vortragen, die Herren werden st.' gnädigst zur Kenntnis nehmen und selbstverständlich fü Abhilfe sorgen. So wird da» Volk betrogen! 44 Minuten hat man für den„Volksgenossen" Zeit! Alle 10 Sekunden ein Arbeitsloser! Dar ist eine Partei; sie hat nie etwa» versprochen, aber was sie versprach, das hielt sie auch... Starke Opposition in der BrUxer SHF? . Von Freitag auf Samstag wurden die Plakate der Henleinpartei in Brüx zu ihrem Karne- radschaftStrcffen mit Streifen überklebt, die folgenden Text führten: „SHF- Kameraden ohne Brot, Henlein auf Reisen kennt keine Rot, es lebe die Oppofitton". Samstag vormittag gingen SHF-Leute herum und schnitten diesen Text wieder von den Plakaten. In der Bevölkerung von Brüx herrscht über diese sinnvolle Ergänzung große Heiterkeit. Otto und Zita Otto ChI Mutti» dieser Fleck ruiniert meinen ganzen Hermelin Der PQhrerkampf seht weiter Schacht wirbt schriftlich— Streicher mündlich— Goebbels wartet ab Die Vorgänge im Dritten Reich , wo zum Kampf gegen Juden und Katholiken jetzt der Kampf um die Weiterfinanzierung der Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung getreten ist, werden von der englischen und französischen Presse mit großer Spannung verfolgt. Besonderes Interesse verdient der Bericht des Londoner „Daily Tele graph " aus Berlin . Danach habe der Reichsbankpräsident Dr. Schacht seine Königsberger Rede an alle Banken und großen Geschäfte in Deutsch - land geschickt, und ztvar unter Beibehaltung aller Stellen, deren Nachdruck der deutschen Presse vom Propagandaministerium untersagt worden war. Die Empfänger der Schacht'schen Sendung haben so zum ersten Male den vollständigen Wortlaut der Rede kennen gelernt. Während so Schacht die einflußreichen Finanz- und Wirtschaftskreise auf seine Seite zu bringen sucht, zieht Streicher weiter agitierend m Lande umher. Wie der„Daily Telegraph " berichtet, hat der„Frankensührer" eine ähnliche Rede, wie er sie in Berlin hielt, ein paar Tage darauf auch in Dkagdcburg gehalten. Aber während über Streichers Auftreten in Berlin von allen deutschen Zeitungen ausführlich berichtet wurde, ist die Magdeburger Rede in der deutschen Presse mit Stillschweigen übergangen worden. Vie Bankbeamten zur Teuerung Gemeinsame Erklärung aller Verbände Dir Bereinigung der GeldinstitutSbeamtcn (Sdrujenk peniZntho ükednictva, Verband der Bank» und Sparkassenbeamten, Zentralverband der Vor» sicherungsangestellten und Verband der Skontistenj. haben über die Entivicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in unseren! Staate Beratungen abgehalten und einmütig die tieferstehende gemeinsam« Erklärung beschlössest: „Durch die Wirtschaftskrise wurde das sozial« und wirtschaftliche Niveau der Angestellten im Geld- und Versicherungswesen auf ein sehr tiefes Maß hcrabgedrückt. Während der ganzen Dauer der Krise waren die Gewerkschaften dieser Ange- stelltengmppen zur unausgesetzten Abwehr von Angriffen auf die Existenzen und Gehalte der Angesteltenschaft genötigt, Biele Hunderte Angestellte fielen den Abbau- und Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer und überdies erfuhren die Dienstbezüge der Angestelltenschaft in den Geldinstituten! und Versicherungsanstalten einen weitgehenden Abbau, der trotz der ständigen Bemühungen der Gewerkschaften nicht wieder gutgemacht wurde. In dieser kritischen Situation steigen wider alles Erwarten die Preise der wichtigsten Bedarfsartikel, sodaß die Existenzbedingungen der Angestelltenschaft noch weiter verschlechtert werden, während viele dringliche Angestelltenforderungen unerfüllt geblieben sind. Die Gelverkschasten lehnen die Verantwortung für diese Entwicklung ab und fördern die Regierung sowie die gesetzgebenden Körperschaften eindringlich auf, im Bewußffein des Ernste» der entstehenden Sachlage energisch einzugreifen und auf diese Weise neue soziale Kämpfe hintanzuhalten, zu denen e» sonst unweigerlich kommen müßte." Zum Andenken an Genossen Dr. Winter Wirch der Zentralverband der Krankenkassen, dessen Mitbegründer und langjähriger Obmannstellvertreter der Verstorbene bis zuletzt war, einen Dr. Lev Winter-Fonds in der Höhe von 100.000 flö stiften, welcher der Unterstützung der Behandlung von Stoffwechselkrankheiten dienen soll. Ein entsprechender Antrag wird einer außerordentlichen Sitzung des Vorstandes vorgelegt welchen. Cacali Von M. Djavachischvili. „Chatuta, erzähle dem Gast ein Märchen..." Chatuta schien darauf gewartet zu haben. Sie setzte sich zu meinen Füßen, stützte die Ellbogen auf die Knie, vergrub das Kinn in die Hände, starrte mit ihren kohlschwarzen Augen in die meinen und begann, sich hin und her wiegend, mich einzuschläfern. Chatuta- reglos haftender Blick, ihr Lächeln und ihre Sttmme, gleichmäßig und tönend wie das Plätschern eines Bächleins, verschlossen meine Lider mit Schlummer und hüllten alles in eine undurchsichtige Wolke. Die Augen fielen mir zu und ich wiegte mich wie Chatuta hin und her. Plötzlich unterbrach sie die Erzählung und änderte den Rhythmus. Ich öffnete mühsam da» «ine Auge. Djurcha lächelte Chatuta zu und bat sie flüsternd:„Es ist doch mein Bruder... Schäme dich nicht..." Aber Chatuta war verlegen. Sie verdeckte das Gesicht mit den Händen und wehrte sich leise:„Ich kann nicht... Nein ... ich schäme mich, Djurcha... Ich schäme mich..." „Mädchen", rief Djurcha,„welche Ikon zürnt dir heute?" Da sprang Chatuta auf und griff nach dem Saiteninstrument. Dann setzte sie sich wieder zu Mein«» Füßen und begann zu singen: Seit der Kindhett künden mir die Sterne Ueber den heimatlichen Bergen deine Ankunft, Für dich hab ich mein Zicklein geweidet. Damit ich„Cacali" erfüllen kann. Ich unterbrach das Lied:„Chatuta, was bedeutet»Cacali'?" Im dunkeln Winkel brach Mzekale in Lachen aus. Nach ihm Jamze. Aus Djurcha gurgelte da» Lachen wie eine Fontane. Das Mädchen sprang völlig verwirrt auf und lief davon. „Djurcha, was ist da».Cacali'?" Abermals Gekicher und Verlegenheit. „Ich sag dir» dann, Vadjiko. Wenn du schlafen geben willst, so..." „Ach, lieber Djurcha, freilich will ich schlafen gehen." „Nun, dann komm, ich bette dir auG dem Dach auf. Fürchtest du nicht die Kälte?" „Nein, ich habe doch di« Burka. " Djurcha geleitete mich die innere Treppe auf da» flache Dach hinauf, lachte noch eine Weile und stieg wieder hinunter. Noch einmal steckte er den Kopf durch die Dachöffnung und rief mir zu: „Nur keine Angst, Vadjiko!" Was soll das heißen? Wovor soll ich Angst haben? Worauf bereüet er mich da vor? dacht« ich, während ich die Kleider ablegte, die ich drei Tage nicht vom Leib bekommen hatte. Das Lager erwartete mich: zuunterst ein Bärenfell, statt der Decke ein Schafpelz und al» Kissen drei zusammengerollte Häute. Ich legte mich hin und schloß gleich die 1 Augen. Da schien e» mir, al» stiege jemand behut sam wie ein Schleichender zum Dach herauf. Ich öffnete die Augen... Dunkle, stilleNacht. Unweit von hier ragten unbeweglich die Berge wie schwarze Riesen empor. Und in der Ferne die kaukasischen Gipfel in weißen Burkas, als stünden sie Wache. Am tiefblauen Himmel glänzten unzählige Sterne. Plötzlich fällt ein Schatten auf mein Lager. Ich hebe den.Kopf und sehe: Jemand beugt sich über mich.„Chatuta!"„Pst... still!" Das Mädchen ist nackt unter der Burla. Trübe blitzt die Klinge de» Kindschal auf. Ein Augenblick— und Chatuta schlüpft zu mir unter den Pelz. „Chatuta! Meine Chatuta!" „Still, sag ich! Schweig!" Sie krümmt sich und zittert und ihre Zähne schlagen wie im Fieber aufeinander. „Bist du e», Chatuta? Warum hast du den Kindschal mit?" „Rühr mich nicht an! Ich bin gekommen, um das-Cacali' zu erfüllen. Ich komme zu dir, du mit Djurche aus einem Silberbecher getrunken und einen brüderlichen Schwur geschworen hast." Ich nähert« mich ihr und spürte den— blanken Kindschal. Er lag zwischen uns und in seinem harten Schweigen war etwa» Furchtbare». Jetzt begriff ich alle». Ich erinnerte mich Chatuta» Geflüster und ihre» verschämten LiedcS, Djurcha» Warnung und jener merkwürdigen Chewsuren-Sitte, von der ich einmal erzählen gehört habe— jener grausamen.Cacali': ein| zartes, aber tödlich strenges, nationales Gebot — der höchste Ausdruck brüderlicher Liebe für den willkommenen Gast. Bis heute weiß ich nicht, ob es nur ein barbarischer Brauch oder etwa» UebermenschlicheS ist? Etwa» Göttliches oder Satanisches' Der Chewsure schickt dem Gast seines Stammes oder dem, mit dem er sich verbrüdert hat, nachts ein ihm nahverwandtes Mädchen aufs Lager. Aber beim Morgengrauen muß sich dieses Mädchen unschuldig, unberührt erheben. Der Kindschal ist die schreckliche Mahnung, die Grenze, die nicht überschritten werden darf. Ich erkannte jetzt auch ohne Erklärung den qualvollen Brauch und wagte cs nicht, Chatuta zu berühren. Beim Morgengrauen erhob sie sich unberührt, doch... vermochte sie kaum aufzustehen. Wir hatten das große Kreuz quälender Lust auf uns genommen und einander völlig entkräftet. Als sie sich anschickte fortzugehen, streckte ich die Hand nach ihr aus:„Bleib, Chatutel Warte... Zeig dich..." Die Burka fiel wieder auf mich. Der Mond stand schon tiefer am Himmel. Neugierig blickten uns die Sterne an und ich flüsterte auf den Knien wie im Gebet:„Geh nicht fort» Chatuta!" „ES ist kalt, Vadjiko, kalt..." Und sich i» die Burka hüllend, versengte sie mich noch einmal mit ihren müden Lippen und eilte fort. Deutsch vpn Julius Mader .
Ausgabe
15 (1.9.1935) 204
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