Nr. 206 Mittwoch, 4. September 1935 Seite 5 Spanische Ritterlichkeit Betätigt an wehrlosen Gefangenen llefier die unmenschlichen Methoden der spanischen Reaktion ihren unterlegenen Gegnern gegenüber, macht im«Daily Herald" Ramos Olivera, Verfasser eines Standardwerkes über die Oktoberrevolution, folgende Mittei­lungen: Nach dem Aufstand füllten sich die Gefäng« niffe in einem Matze, daß der Justizminister, der die Zahl-er Häftlinge mit 40 bi- 50.000 bezifferte, um einen Scnderkredit dazu ansuchen mutzte. Roch heute schmachten in den Verließen dieser Republik 80.000 Menschen, die zum Teil seit vielen Monaten auf ihren Prozetz oder wenigstens auf die Angabe des Grundes ihrer Haft warten. Jeden Tag werden neue Gefan­gene eingeliefert, da schon der leiseste Verdacht von sozialistischer Gesinnung zum Einsperren ge­nügt. Nach dem Gesetz genietzen politische Gefangene Vorzugsbehand­lung, in Wirklichkeit geht man mit ihnen rück­sichtsloser um, als mit Verbrechern. Nur wenige bekannte Persönlichkeiten werden wirklich etwas besser" behandelt. Zum Beispiel der ehemalige Sozialminister Largo Caballero , dessen Zelle kein Fenster besitzt, dafür aber einen Vor­raum in Form eines dunklen, engen Ganges hat; öffnet der Unglückliche einen Augenblick die Tür zu diesem Gang, etwa umfrische" Luft zu schnappen, so füllt sich die Zelle mit hunder­ten Ratten! Er hat kein« Aussicht» dies« Hölle zu verlassen, wenn es auch den Richtern bisher nicht gelungen ist, seine Beteiligung an der Revolufton des letzten Jahres zu beweisen. In Oviedo sitzt seit dem Vortag« der Kämpfe in dieser asturischen Bergarbeiterstadt der scziali« stische Redakteur B u e n o. Die Behandlung in den Gefängnissen, di« unheimlich überfüllt sind, ist empörend. Man ftndet fünf Häftlinge in einer engen Zelle, von deren Decke und Wänden Wasser rie­selt. Sie müssen hier ohne Unterlage schlafen. Zu den ersten Matzncchmen der sozialistisch-repu­blikanischen Regierung gehörte die Schließung einiger baufälliger Gefängnisse. Seit dem letzten Oktober dienen sie alle w i e d er ihrem allen Zweck. So sind in Chinchilla , einer mittel­alterlichen Wasserburg, viele Sozialisten, u. a. Don Gabriel M o r o n, ein führender Abgeord­neter, eingesperrt. Da Mangel an Gebäuden, sind auch Schiffe als Gefängnisse einge­richtet worden. In ihren dunklen Bäuchen schmachten tausend« Arbeiter. Sie liegen vor Santander, Gijon und Bilbao . Selbstmordver­suche sind häufig. So gelang es dem Bruder eines Arbeiterführers aus Asturien , bei der Ueberführung von Oviedo nach Gijon auf einer Brücke auS dem- Zuge zu springen/ und sich in einen Fluh zu stürzen, wcbei er um kam. In San Sebastian brachte sich Don Guillermo TorrijoS, ein aller Sozialist, mit einem Taschenmesser viele Wunden bei. Bon den häu­figen Ueberführungen wird besonders Gonza- l e z P e n a betroffen, ein zum Tode verurteiüeS, aber dann begnadigtes Mitglied der Cortes. Er war erst in Cartagena , dann in Chinchilla und ist nun in Burgos . Seine Familie begleitet ihn von einem Ort zum anderen. 30.000 Gefangen« bedeuten 80.000 hun­gernde Anverwandte, denen nun nicht mehr durch irgendwelche Unterstützung geholfen werden kann. Es sind schon Hungertode zu verzeichnen. Die Justiz entspricht der Behandlung der Gefangenen. So erhielt der ehemalige Sekretär deS Exministers Prieto 12 Jahre für die Her­stellung und Verteilung eines Flugblattes gegen Wenn man sich heute nochmals alle Etap­pen des Sozialistengesetzes und vergleichend den Ablauf dernationalen Erhebung" in.Erinne­rung ruft, so stützt man auf geradezu verblüffende Uebereinsftmmungen zwischen gestern und heute, zwischen 1878 und 1933. Doch das Leben ist nicht denkbar als einfache Wiederholung seiner selbst, bedeutende Unterschiede sind auch hier vor­handen; aber sie berühren nicht das Wesen der zu vergleichenden Ereignisse, viellnehr nur die Form und die Schärfe, in der sich die sozialen Kämpfe, die gestern zum Sozialistengesetz führten, heute wiederholen. Die Gegensätze sind eben in jeder Hinsicht weitaus zugespitzter als sie 1878 bis 1890 waren, dementsprechend sind die Kämpfe heute gewaltiger, sind die Mittel ungeheuerlich und es ist das Tempo der Dinge der Zeit ange­patzt. Aber entscheidend ist, dass heute dieselben sozialen Kräfte am Werke sind wie 1878. Liest man die Geschichte des Kartells Bis­marcks, verfolgt man das Werden des Bündnisses zwischen Eisen und Korn, zwischen einem.Teil der Industrie und den Agrariern, ein Bündnis, das in gegenseitiger Zollsicherung seine Grundlagen hatte und über das der Konservative von Wedel - Malchow , patriotisch wie später sein Nachfolger Hugenüerg» sagte:Der Schutz von Eisen und Roggen ist gleich unentbehrlich für das Wohl des Vaterlandes", so glaubt man die Geschichte der Harzbuvger Front vor sich zu haben. Wie diese, so kam auch Bismarcks Front von Eisen und Korn zunächst"nur etappenweise vorwärts, zeitweilig schwer bedroht, weil hart um die Quote gerungen wurde. BiSmarckS Verhandlungen mit dem natio­nalliberalen Führer von Bennigsen und Hitlers Verhandlungen mit den Männern des oppositio­nellen Reichslandbundes, sowie die entscheidende Aussprache zwischen Papen, Hitler und Baron von Schröder in Köln am 4. Jänner 1933, sind bemerkenswerte Parallelerscheinungen. Das Re­sultat des Bündnisses im Jahre 1878 war das Sozialistengesetz, 1933 die völlige Vernichtung der Arbeiterbewegung, auf dessen Kosten diese» reaktionäre Bündnis allein gehen konnte. Aber auch ein Flügel des deutschen Bürgertums wurde davon betroffen und stand dagegen.. WaS war der äussere Anlass dieses Bünd­nisses^ Beidünal die im^.Gefolge? eines'Kriege» auftreiende Krise in drr->Jndastrre> einerseits, die? Konkurrenzunfähigkeit der deutschen Junker ande­rerseits. War der Krieg von 1871 auch siegreich ausgegangen, so bewirkten die hereinströmenden fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung und der Gewinn Elsah-Lothringens einen rapiden in­dustriellen Aufstieg. ES war die Gründerzeit, di« viel böse- Blut machte und die agrarischen wie mittelständlerischen Schichten erheblich bedrohte. Prompt erleben wir damals auch die erste anti­semitische Stimmung, die zu Beginn der achtziger Jahre zur Bewegung anschvillt und sowohl von Bismarck wohlwollend behandelt als auch von den die Regierung. Erschießungen finden prinzipiell vor den Augen und Ohren der In­sassen des Gefängnisses statt. Dieseyl^ode sehen vier asturische Arbeiter entgegen, wenn es der öffentlichen Meinung der Welt nicht gelingt, auf die spanische Regierung einzuwirken. Konservativen sehr begrüßt wurde. Wer denkt da nicht an die nach dem Weltkrieg«"in Deutschland einströmenden amerikanischen Milliarden, mit decken die deutsche Industrie,.abgesehen von der völligen Ausraubung. des Mittelstandes durch die Inflation, ihren Neuaufbau vollzog? Und wie ! eigenartig fügt sich in dieses Bild der Antisemi­tismus des aufkommenden Nationalsozialismus ein, der bereits 1923 seinen ersten Putsch begeht, um auch hier- wieder die Verschärfung aller Ge­gensätze anzudeutenl Der Jubel der Industrie währte nicht lange. Nach der Gründerzeit kam trotz des siegreichen Krfegsausganges det Katzenjammer wie 1918, die Enttäuschung der Massen über Kapitalismus und Schiebertum. Ueberproduktion verursachte Absatzkrise, man schrie nach Zöllen.. Die.Junker, bisher freihändlerisch orientiert, sind der Konkur­renz der Ueberseestaaten und Russlands in keiner Weise mehr gewachsen, so werden auch sie zu An­hängern des Zollsystems. Allmählich entsteht dqs Bündnis von Eisen und Korn, Schwerindustrie und Grossgrundbesitz, beide durch Bodenrente, konservative Herkunft und andere Umstände eng miteinander verfilzt. Die Auswirkungen sind be­kannt. Muss man hier erst auf die Parallelität zu 1933 verweisen? Es war ja zunächst nicht die ganze Bourgeoisie, die den Nationalsozialismus für bündnisfähig hielt, es war nur eine Fraktion im Bunde mit den Agrariern, und auch hier wie­derholte sich nur ein älterer Vorgang, der näm­lich, dass sich konservatwe Mittelschichten mit den übrigen konservativen, um nicht zu sagen reaktive nären Schichten und sozialen Gruppen verschmel­zen, um Marxismus und Liberalismus, Welt­politik und Industrialismus zurückzudrangen. Selbst die Einleitung des Sozialistengesetzes - ist nur ein Vorläufer zum Reichstagsbrand von 1933 gewesen- Wie gerufen kam auch damals, ganz wie 55 Jahre später, ein Narr, der am 11. Mai 1878 einen Vorwand zum Losschlagen gegen die Arbeiterschaft gab. Der van der Lubbe von damals hiess Hödel. Er war Klempner­geselle. Bismarck erreichte sein Ziel damit noch nicht ganz: konnte man damals auch noch keinen Reichstagsbrand erwarten, so war das doch Pfuscherei. Selbst der bürgerliche Bennigsen sprach^-Dummenjungenstc^ich^, eines Nichtsnutzigen jugendlichen Tubjelts". Es ist nicht uckwiKtig, darauf hinzckweisen,-ätz-di« Krise da­mals ebenso wie 1933 ein solches für die Herr­schenden notwendiges Subjekt hervorbrachte. Intellektuelles, moralisches und physisches Elend" schreibt Mehring ihm zu; wie hat er doch da zugleich van der Lubbe gemalt! Mehring kenn­zeichnet auch die Torheit der Liberalen, die viel­fach heuchlerisch entrüstet taten, obwohl Bismarck dieEntrüstung des Volkes" gerade nötig hatte, um die Liberalen an die Wand zu. drücken. Wie­der eine Parallele! Bismarck brauchte zwar noch keinen Reichs­tagsbrand, aber immerhin, Hödels unqualifi- Bo« Bismarck bis Hitler Da» So-ialifteagefetz«ad dienationale Erhebung" Ist es gleich Wähnst««... Bon Werner Jlberg. Nach meiner Einlieferung in die SA -Ka­serne hatte ich zunächst die üblichen LeidenSsta« tionen zu durchlaufen. AIS ich schließlich in den Bunker entlassen wurde, sank ich auf die dünne Strohdecke und schlief etwa eine Stunde. Dann weckten mich die Schmerzen. Ich sah mich um. Tie Kameraden saßen um den einzigen Tisch herum. Kein lautes Wort war zu hören. Einige lagen, gleich mir, auf dem Stroh. Wenn sich einer von ihnen bewegte, stöhnte er laut. In dies« dumpfe Halbstille brachte einer Leben. Er ging mit schweren, eisenbenagellen Schuhen hallend auf dem Steinfussboden im Kreise. Er sang dabei vor sich hin. Di« wulstigen Lippen öffneten sich dabei. Gelbe, verrottete Zähne wurden sichtbar. Den Riesenkopf wiegte er im Takte. Plötzlich drehte er sich zu den Ka­meraden, knallte die Hacken zusammen und stand in strammer Haltung vor uns. Der Keine, breite und gedrungene Körper stand unbeweglich. Die wäßrigen Augen blickten stumpf geradeaus. Ich fragte unter Schmerzen flüsternd den Kame­raden:Wer ist das?" Der Kamerad war einen Tag vor mir ver­haftet worden und wußte schön Bescheid. Er blickte mich aus seb-cn dick verschwollenen Augen an und sagte mit verzerrtem Lächeln:Gustav Nagel , unser Naturbursche." In den fragenden Tagen konnte ich Gustav Nagel beobachten. Er hiess eigentlich Heinrich Mittag. Der Spitzname traf aber das Wesen dieses Manner. Es war ein triebhafte- Natur- bürschentum. Der etwa 50jährige Mann war Artist gewesen. Er war mit zirkusartigen Unter­nehmungen gewandert. Zuletzt war er arbeits­los auf Tippelei gewesen. Er wollte ein Unter­kommen haben. Früher hatte er zu diesem Zwecke einen Polizisten beleidigt. Jetzt hatte er eS ein­facher. Er hatte sich einem Nazizug in den Weg gestellt u«Ä> die Fahne nicht gegrüßt. DeAvegen war er bei uns. Er hatte schon sechsmalKnast gehoben". Das gab ihm in unserer Situation eine gewisse Ueberlegenheit. Hatte er Hunger, sprang er auf, kramte mit affenartigen Bewe­gungen im Stroh und holte sich irgendetwas zum Essen dort vor. So knapp das Essen war, er hatte immer Reserve. Mit der Wache stand er güt. ES gab selbswerständlich bei unS einen Stubenältesten. Aber so sehr der sich auch beeilte, die vorgeschrie­bene Meldung zu machen, Gustav Nagel war vor ihm da, knallte die Hacken zusammen, ritz den Mund wie ein Nußknacker auf und brüllte die Meldung. Das war kein Strebertum, sondern pfiffige Schläue. War der Wachhabende auch noch so drohend hereingekommen, der schnurrige Bursche ließ sie ihre eingebildete Würde ver­gessen und machte sie lächeln. Schließlich machten sie ihn zum Stubenältesten. Der bisherige Stubenälteste war ein früherer SA-Mann ge­wesen. Er sprach häufig flüsternd und eindring­lich mit den Wachen. Seine grctze Stunde war immer die Mittagszeit gewesen. Dann bestimmte er die Leute, die die 6 Eßgeschirre, die es für uns 40 Mann gab, sauber zu machen. Dazu nahm er die im schwersten Verletzten. So hatte er Teil an der quälerischen Gewalt seiner braunen Kameraden. Gustav Nagel war anders. Er reinigte das Geschirr im Handumdrehen selbst. Er fühlte sich auch sonst verantwortlich. Er unterhielt uns. Er erzählte Geschichten, die leider nie ganz zu ver­suchen waren. Sie gingen immer in einem hei­seren, rostigen Lachen unter. Dies Lachen wirkte unheimlich. Scheinbar unmotiviert, sah er mit seinen wäßrigen Augen dabei starr geradeaus. ES war, als sähe er etwas aus seinem früheren Leben. So plötzlich das Lachen auch einsetzte, so plötzlich verstummte es wieder. Dann stand er in sich versunken, marschierte darauf wieder im Kreis, ging schneller und schneller, machte unver­sehens Halt, stand stramm, und, ohne daß einer von uns vorher irgendetwas geahnt hätte, schlug der schwere Mann plötzlich aus feiner Habtachtstellung heraus einen Salw. Die Schuh­nägel knallten auf den Boden. Gustav Nagel stand einen Augenblick still, lief dann tänzelnd vor und verbeugte sich, die Hände spreizend, als sei er wieder im Zirkus. Sein Benehmen wurde überhaupt immer merkwürdiger. Ich glaubte zunächst an den Aus­bruch einer Haftpsychose. Häufig lief er in ge­duckter Haltung an die Tür, legte lauschend sein Ohr daran. Dann sprang er affenartig zurück, lief zur gegenüberliegenden Wand, schwang sich auf einen kleinen SimS und äugte scharf zum Fenster hinaus. Man wußte nicht recht, ob er glaubte, Schmiere stehen zu müssen, oder ob es Erinnerungen ans Zuchthaus waren. Nachts phantasierte er jetzt viel. Er stört« unsere so not­wendige Rachruhe. Wachten wir auf, so wußten wir ja nicht nur wieder um unsere eigenen Schmerzen, scndern mußten auch noch die Quä­lereien der Wache und di« Schreie der Opfer mit anhören. Wir sagten dem Sanitäter Bescheid. Aber der kannte nur eine Krankheit, die hieß Simulation, Dabei wurde es immer offensicht­licher, daß irgendetwas mit Gustav Nagel nicht stimmte. Häufig geschah es jetzt, daß er zu einer Meldung ansetzte, stramm brüllte, um mitten drin dann zu stocken. Wenn die Wache dann schrie und tobte, bellte er ihr mit seinem rostigen Lachen ins Gesicht. Keiner von ihnen wagte ihn noch zu schlagen. Sie merkten wohl doch die Krankheit, die in ihm saß. Geisteskranke sind gefeit. In den letzten Tagen hockte er meist still auf dem Stroh. Die Knie hatte er unter das Kinn gezogen. Dann krempette er seinen Aermel hoch und betrachtete liebevoll die Tätowierungen auf seinem Arm. Die Augen füllten sich mit Tränen. ES war wie ein Gefäß, daS überlaufen wollte. Einmal sah ich, daß er das Bild einer nackten Frau auf seinen Arm tätowiert hatte. Er ließ die Muskeln spielen. Dann hatte er wohl die Illusion, die Figur lebe. Plötzlich schoß sein Kcpf vor. Er küßte seinen eigenen Arm. Die wulstigen Lippen schmatzten mit einem widerwär« tigen Geräusch vier« bis fünfmal nacheinander. Die Träi'?n flössen über das unrasierte Gesicht. Dann versank er in Brüten. UbleHWundgeruch wirkt abstoßend; mißfarbige Zähn* entstellen das schönste Antlitz.- Beide Schönheitsfehler wer­den oft schon durch einmaliges Putzen mit der herrlich erfrischend schmeckenden Chlorodont- Zahnpaste beseitigt. Chlorodont gibt den Zähnen schimmernden Elfenbeinglanz, ohne den Zahn­schmelz zu beschddigen.Tu be Kc 4 zierte Klempnerarbeit reichte doch noch nicht auS; einen Monat später musste Dr. Karl Nobiling erst die richtige Stimmung gegen die Oppositton durch ein Attentat auf den Kaiser schaffen. Und jetzt folgte die Neuwahl, wie dem 27. Feber 1933 die Wahl am 5. März! Alles, alles schon dage­wesen!Durch einen Wahlkampf, der mit allen Mitteln deS weissen Schreckens geführt wurde... erreichte Hitler - Pardon, wir zitieren ja Meh­ring, und da heisst eS Bismarck!, seinen Zweck." Dennoch schlug sich die Sozialdemokratie tapfer. 1878 wie 1933! Die Parallele ist noch längst nicht zu Ende. Jetzt folgte die Zertrümmerung der sozialistischen Arbeiterorganisationen. Arbeiterpresse, Gewerk­schaften, Abeitervereine, alles verschwand. Nach einem Jahr waren schon 224 Vereine geschlossen, an 500 periodische und nichtperiodische Druck­schriften verboten, die Illegalität begann, in die sich die Arbeiter damals nicht weniger unvorberei­tet hinüberretteten als 1933. Immerhin, die da­malige Situation gestattete doch noch, eine sozial­demokratische Reichstagsfraktiön bestehen zu lassen. Es entstehen Differenzen zwischen den ein­zelnen Patteiströmungen, wieweit man gehen darf, um legal zu bleiben und was zu tun ist. Da- wiederholte sich 1933 in tragischer Weise, aber der Unterschied zwischen.1878 und 1933 wurde schon in den ersten Wochen offenbar; das Hitler-Regime selbst musste diesen Streit beenden, eS war kein Raum mehr fiir das Proletattat vor­handen. Dennoch, auf eine kurze Zeit konzen­triert, wiederholten sich alle Phasen deS Soziali­stengesetzes. Wie 1878, so entstehen 1933 Rei­bungen zwischen dttnnen und draussen. Es wuchs die illegale Arbeit, deren erste An­fänge so merkwürdig an die von 1933 erinnern. Die üblichen Tarnungen, die Wanderungen, der Gesangverein und vieles andere. Draussen aber wurde auf dem ersten illegalen Kongress der Par­tei in der Schweizer Burgruine Wehden im Jahre 1880 das Gothaer Parteiprogramm dahingehend revidiert» dass in-en Ausführungen über die Verwirklichung der sozialistischen Ziele das Wott gesetzlich" gestrichen wurde. 1890 fiel das Sozialistengesetz. Heute sehen wir dieselbe Spyltung im Bürgertum, wobei er Bon Mchkigkeit isti.dgraüf hjvzuwessen, hass sich, -seitdem die deutsche Wittschaft schicksalhaft mit Weltwirtschaft und Export verkettet hat und die oppositionellen Kräfte darum heute weniger denn je auf den Kampf um eine Wendung verzichten können. Die Parallel« könnte noch weitaus detail­lierter zu Ende geführt werden, doch sei hier nur ganz allgemein bemerkt, dass sich alle Kämpfe im heuttgen Deutschland prinzipiell um ähnliche Ziele abspielen, wie die während des Sozialisten­gesetzes, das 1890 fiel. F. War. Eines Tages mußten wir alle antreten. Der Wachhabende teilte uns'mit, ein SA-Mann sei ermordet. Die Täter seien entkommen. Dar­um müssen wir büßen. Drei Tage werde mit uns exerziert,«ine halbe Stunde Sport, ein« halbe Stunde Ruhe. Ich brauche nicht zu schil­dern, was das für uns bedeutete. Die Quä­lerei war unbeschreiblich/ Aber auch den SA- Leuten war es schließlich zu dumm. Quälen machte ja Spaß, aber mal wollten sie doch auch ausruhen. Da kam einer auf die Idee, man könne unS auch allein exerzieren lassen. Er rief nach dem Stubenältesten. Gustav Nagel sprang vor. Du übernimmst das Kommando. Laß Freiübungen machen. Wer sich drückt, kriegt einen Tritt, verstanden?" Jawohl, Herr Wachtmeister." Gustav Nagel baute sich vor uns auf. Er blickte stter in die Luft. Der Nußknacker öffnete die dicken Lippen. Er brüllte. Es brach aus ihm heraus, stossweise: Die KompaGustav Nagel , Heinrich Mittag," Die Tränen drohten schon wieder zu fließen. Der Mund schnappte zu. Na, war wird daS?" schnauzte der Schar­führer.Ein bißchen lustig, sonst exerzieren wir beiden mal alleine." Jawohl, Herr Wachtmeister." Gustav Nagel ttß sich noch mal zusammen. Die Kompanie hört auf mein Kommando. Weggetreten." Dann lachte er laut und rostig, aber mit untermischtem Schluchzen. Wir wagten nicht, dem Befehl Folge zu leisten. Wir blickten ängst­lich und fragend geradeaus. Der Scharführer raste los: Habt ihr nicht gehört, ihr Sauhunde? Weggetreten ist kommaitdiert. Befehl ist Befehl. Oder möchtet ihr zwei Stunden in eins durch­machen?" Nun wußten wir er. Befehl ist Befehl, selbst wenn ein Irrer kommandiett. Das Dritte Reich hatte sich uns demaskiert.