Donnerstag, 5. September 1835 15. Jahrgang XENTRAIOEGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH, Redaktion UM» WMAUUK MAO ML. tochova«. TUPON«W. HElAUSGBEti SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORHICHfil REDAKTEUR, DR. EMIL STRAUSS. MAS. Genf sucht Zeit zu gewinnen Nach der Eröffnungssitzung mehrtägige Pause für private Verhandlungen Genf . Nach einer kurzen geheimen Beratung trat her Völkerbunbrat Mittwach nachmittags Z-äS Uhr zur««gekündigte« öffentliche« Sitzung znsammen. Der Ratspräfident, der argentinische Gesandte in Bern Ruiz Gninazn, teilte zunächst mit, daß der Spruch des abessinisch- italienischen Schiedsgerichtes über de« Zwischenfall van Ual-Hal alS einstimmige Entscheidung der fünf Schiedsrichter nunmehr Varliege. Der Rat haße in seiner letzte« Tagung beschlossen, die italie- nisch-abesstnischen Beziehungen i« ihrer Gesamtheit-« Prüfen. Minister Eden erstattete dem Böllerbundrate ausführlichen Bericht Über di« Ergebnisse der Pariser Konferenz der Ver­treter der drei Großmacht« Italien , England und Frankreich . Die englische Regierung werd« alles tun, um den Konflikt zwischen Abessinien und Italien einer friedlichen Lösung zuzuführen. Ed«n ver­wies auf die Beipflichtungen des Briand -Kellogg- Paktes sowie des BölkerbundpakteS und betonte die Berantwortlicheit der Ratsmitglieder. Wam die Autorität deS BölkrrbundeS gebra­ch«« und fei« Einfluss verringert würde, wenn etwa sogar der ganze Völkerbund und mit ihm di« m«c Konzeption der internationale« Ordnung zu- fauemeubueche« würde, so würde dies, sagte Ede«, oim Weltkalamität bedeuten. Ministerpräsident Laval sthrre aus. er sei vo» der Möglichkeit überzeugt, den Friede« im Rahmen detLolkerliund- paltes aufrecht zu«chalte«. ES sei möglich, em « gerecht« Löf ««« deS idelienisch-abrsfinis chm Konfliktes zu erziel««, welch« Italien Genugtuung»erschaff« würde» ohne daß di« Grundrechte der Unabhäugigkeit Abessinien« mißachtet würden. Der Bölkerbundpalt verpflichte all« Staaten. Die französische Regierung habe stets diesen Grund- satzt verteidigt, auf ihm seien auch alle ihre interna­tionalen Verpflichtungen aufgebaut. Laval drückte sodann sein Vertrauen in die Festigkeit des Böller­bundes aus. Die Mitglieder des Rater würden sicher­lich chre Pflicht erfüllen und nichts unterlasst«, um ein« friedlich« Beilegung deS Konflikte« zu erzielen. .Mein« Sorge", schloß Laval,.gilt der R e s p e k» tieruug der im Bölkerbundpakt ent­halt« n e n B e r p f l i ch t«« g e u; wir alle sind enrschlosien, dem Frieden zu dienen." Sodann ßprach Baron Alolsl der erklärte, daß die italienische Delegation dem Bällerbund bereits eine umfangreiche Denkschrift darüber unterbreitet habe, daß die abessinische Regie­rung systematisch und offen die Verpflichtungen ver­letz«. die sie Italien und dem Böllerbund gegenüber hebe. Italien könne nicht weiter eine passive Politik gegenüber einem barbarischen Staate betreiben, der sich nicht seDst kontrollieren könne. Abessinien sei u n f ä h i g, die Prinzipien der internationalen Moral, die im Böllerbundpakt enthalten find, zu er­soffen. DNS italienische Memorandum weife«ach, dah Abessinien feine Völkerbnnbverpflichtmrge« praktisch nicht erfüllt hab«. Daher sei die italie­nische Regierung der Ansicht, daß Abessinien über­haupt keine Gleichberechtigung mit dm zivilisierten Staat« gebühr«. Italien würde sich beleidigt fühle«, wann e« mit Abessinien ans da« gleiche Rivean gestellt würde. Var Vertreter Abessiniens der Advokat Jeze, erklärte, mit den Ausführungen de« britischen und der französischen Delegierten über­einzustimmen, di« Rede des italienischen Delegierten «der, gegen die er energisch protestierte, mit Ueber» raschung vernommen zu haben. Jeze erinnerte an da« Ergebnis der Beratungen der Schiedskommiffion, di« auf Seite Abessiniens keine Schuld gefunden habe. Der Zwischmfall von Val-Val, der al« Ver­wand z« dm Krieg«vor barritunOM gedient habe, fei«unmehr beigelegt; Etl bleibe also ütitt Die abessinische Delegation behalt« sich die Be­antwortung der Memorandums der italienischen Re­gierung vor, doch müffe«um wiffen, ob der Vernich« tungskrieg in Abessinien tatsächlich eingestellt werden würde, darüber solle eben der Völlerbundrat ent­scheiden. * Der Böllerbnndsrat hat das Datum seiner nächsten Sitzung noch nicht festgesetzt, so daß die direkt interessiertm Staatsmänner in de« nächsten Tagm die Möglichkeit haben werden, in p ri­tz a t e« Unterredungen die Erreichung der not- wendigm Annäherung z« versuche«. Die Gesamt­stimmung in Genf hat sich etwasgebefsert, da nunmehr einige Tage zur diplomatischen Vor­bereitung der endgültigen Entscheidung des Rates gewonnen wurden. Außenminister Hüll gab über die Aufhebung der Rickett-Konzession in Abes­sinien folgende, Erklärung ab: Der Borsitzende der Standard Oil Company G. Walden und der Bizevorfitzende der Bacuum Oil Co. H. Hundas statteten Dienstag im Außen­ministerium einen Besuch ab, wobei sie mitteiltm, daß ihre Gesellschaften Eigentümer einer umfang- reich« Erdöl-Konzession geworden sind, die am 29. August vom abessinischen Kaiser der Gesell­schaft»Afriean Exploration and Development Corporation" erteilt wurde, welche Gesellschaft ein Zweigunternehme« der oben angeführten Gesell­schaften sei. Sie ersuchten dos Ministerium nm ein Gutachten über die durch dir Konzessionsertei-| lang entstandene Situation. Es wurde ihnen mitgeteilt, daß die Konzes- fionserteilung große Schwierigkeiten ausgelöst hat, nicht allein für dir amerikanische Regierung, sondern auch für die Regierungen der I Rom. Die Nachmittagspresse veröffentlicht die umfangreiche Denkschrift, die die italienische Regierung in Genf vorlegen wird. Die Denkschrift enthält eine außerordentlich lange Liste von Eingriffen Abessinier auf Leben und Gut italienischer Staatsangehöriger. Der zweite Teil besaßt sich mit der Stellung Abes­siniens zum Völkerbünde und sucht den Nachweis zu führen, daß Abessinien die als Bölkerbundmacht übernommenen Berpflichtungen in keiner Weise eingehalten habe. Einen breiten Raum nimmt die Behandlung der in Abessinien heute noch herr­schenden Sklaverei ein. Hiezu werden als Kronzeugen zahlreiche englische Politiker und Schriftsteller angeführt. Die italienische Regierung kommt zu folgen­den Schlußfolgerungen: Es würde jedem Grundsatz der Gerechtigkeit zuwiderlaufen, zu verlangen» daß Völkerbunds« Mitglieder gezwungen sind» Pakwerpflichtungen gegenüber einem Mitglied einzuhalten, das sich mit seiner eigenen Verletzung der übernommenen Ber - .ES dürfte ei« Referr«te«auSschuß gewählt werden» dem«S obliegen wird, eine For­mel für die Lösung des Konflikte- z« finden. Italien behält sich volle Handlungsfreiheit vor Der italienische Delegierte Daeon Aloisi erklärte a« Abend den Presse­vertretern: Wenn ich heute im Völkerbund­rat gesagt habe, dah wir uns voll­kommene Handlungsfrei­heit bei unseren Eutschlietzungen Vor­behalten, welche Mittel wir im Be­darfsfall zum Schutze unserer Inter­essen anwenden werden, so bedeutet daS volle Freiheit in jeder Beziehung, entweder den Völker­bund zu verlassen oder den Krieg zu er­klären. Um Völkerbund und Friede In Genf trat gestern der Völlerbundrat zu seiner 88. Sitzung zusammen. Und kein Mensch kann heute mit Gewißheit Vorhersagen» ob es eine neunundachtzigste überhaupt noch geben wird. Noch nie ging es in dem Konferenzsaal des gro­ßen Völkerbundpalais» der kritische Tage weiß Gott schon gewohnt ist, so buchstäblich u m S e i n oder Ni chtsein des Völkerbun­des, um Sein oderNichtsein des Friedens und damit des heuti- ge n Europa . Die Hoffnung mancher Diplo­maten, man werde die Zeit bis zum 4. Septem­ber nützen können, um inzwischen auf dem Ver­handlungswege die italienisch-abessinischen Gegen­sätze zu mildern, ist enttäuscht worden. In der ganzen Atmosphäre von Ungewißheiten, in der diese entscheidende Tagung begann, gibt es zu­mindest eine Gewißheit: daß diedilatorische" Behandlung des Konfliktes, das ständige Verschie­ben der Entscheidung auf morgen, sich nicht be­währt hat, daß die Probleme von Tag zu Tag komplizierter anstatt einfacher werden. Nichts be­weist dies klarer als der groteske jüngste Vorfall mit der anglo-amerikanischen Petroleumkonzes­sion in Abessinien, die durch den angeblichen Rück­tritt des geheimnisvollen Mr. Ricket wohl aus den Akten des Völkerbundes, aber noch lange nicht aus der Well geschaffen ist. Worum es bei dieser entscheidenden Tagung sachlich geht, ist ja allgemein bekannt: Mussolini wünscht zwecks Uebsrlvindung immer steigender innerpolitjscher und wirtschaftlicher Schwierigkei­ten einen kolonialen Eroberungskrieg gegen Aethiopien . England, daS in kolonialen Dingen keinen Spatz versteht, besonders dann nicht, wenn es sich um ein Gebiet handelt, das die Schlüssel­stellung für die Bewässerung des britischen Su­ dans und damit der britischen Vaumwollproduk- tion enthält, fiel Herrn Mussolini energischer als er erwartet hatte in den Arm. Mussolini aber, der nach all dem, was er bisher unternommen hat, nicht mehr zurückkann ohne seinFührer"prestige auf das Schwerste zu gefährden, will dem briti­schen Widerstand nicht weichen, erklärt sehr un­zweideutig, datz er esnötigerweise auf das Aeutzerste ankommen lassen", also selbst einen europäischen Krieg riskieren werde und hofft, datz er bei der Umstimmung Englands Lavals Hilfe finden werde, der sichtlich bisher bemüht ist, sich weder auf den britischen noch auf den italienischen Standpunkt eindeutig zu verpflichten. Alle Bemühungen, aus diesem kriegs­schwangeren politischen Wirrwarr einen Ausweg zu finden, sind bis heute vollkommen ergebnislos geblieben. Kaum achtzehn Jahre nach dem Ende dergroßen Zeit" droht der italienische FasciS- mus die Welt in eine Zeit hineinzuhetzen, mit der verglichen jene des Weltkrieges den entsetzten Zeitgenossen noch winzig klein erscheinen wird. Und der Völkerbund , dessen vornehmste Pflicht eS auf Grund seiner Statuten ist,bewaffnete Kon­flikte zwischen seinen Mitgliedern zu vermeiden", was tut der Völkerbund angesichts eines drohen­den Weltkrieges? Die einzig selbstverständliche Haltung einer Völkerorgnnisation, die ja mit der Einhaltung ihrer selbstgcgebenen Gesetze steht und fällt, wäre eben die Einhaltung ihres Gesetzes: die Sanktion gegen den Frie­densbrecher Mussolini. Freilich hat sich der Völ­ kerbund dieses Vorgehen selbst dadurch erschwert, datz eines seiner Mitglieder und zwar gerade jenes, welches jetzt am dringendsten nach Sanktio­nen verlangt selbst diese Satzung durchbrochen hat, selbst den offenen Bruch des Versailler Ver­trages durch Deutschland anerkannt und sogar auf Grund dieses Vertragsbruches mit Deutsch­ land ein Flottenabkommen geschlossen hat. Aber die Dinge liegen zu ernst, als daß man in diesem Augenblick die europäische Politik noch weiter mit moralischen Phrasen und heuchlerischem Phari­säertum bestreiten könnte. Seit in halb Europa der Fascismus brutale Gewalt an Stelle von Recht gesetzt hat, handelt es sich für Europa nicht mehr um irgendwelche internationaleMoral" sondern einfach um Leben oder St er­ben. Und nur darauf, ob der Völlerbund dieses grauenvolle Sterben eines Kontinentes verhin­dern kann, kommt es im Augenblick an. Mag er auch selbst die Schuld dafür tragen, daß von der Institution internationaler Moral" als die er gegründet wurde, so gut wie nichts übrig geblie- Standard Oil tritt vom Vertrag zurück Unter dem Druck des amerikanischen Staatsdepartements Washington . Auf dringende Vorstellung des StaatsdevartenrenteS hin hat die Standard Oll Companh beschlossen, von dem abessinischen Pacht­vertrag zursichzutreten. Außenminister Hüll tellt« telephonisch de« auf seinem Landsitz in Hhde» park weilenden Präsidenten Roosevelt die Rückgängigmachung des Vertra­ges mit. Der Präsident gab darüber seiner Befriedigung Ausdruck, da er den Pachtvertrag als den Weltfrieden gefährdend betrachte. Die italienische Denkschrift Abessinienunwürdig, dem Völkerbund anzugehören übrige« Staaten, welche energisch«nd aufrichtig «m die Erhaltung deS Frieden« bemüht sind. Unter diese« Umständen wurden die Vertreter der Gesellschaften aufmerksam gemacht, daß nach Auf­fassung der amerikanischen Regierung die baldigste Liguidierung der Konzession höchst wünschenswert wäre. Minister Hüll wurde später mitgeteilt, daß die Gesellschaft sich entschlossen hat, die Konzession zu widerrufen. Abessinien verzichtet nicht Addi« Abeba. Die abessinische Regie­rung hat Mittwoch abends beschlossen, daß die Pctroleumkonzeffionen nicht aufgehoben werden. Wie eS scheint, hofft die abessinische Regierung, daß eS Rickett gelingen wihd, sich anderes Kapital zu beschaffen und dadurch das Kapital der Gesellschaften zu ersetzen, welche auf die Konzession verzichtet haben. pflichtungen außerhalb dieses Paktes gestellt habe. Abessinien habe mehr als einmal bezeugt, datz es nicht die erforderlichen Eigenschaf­ten besitze, dem Völkerbund anzugehören. Abes­sinien bilde für Italien eine ständige Ge­fahr. da es seine ostafrikanischen Kolonien be­drohe. Diese Gefahr sei dadurch erhöht worden, daß die abessinische Regierung sich des Freund­schaftsvertrages mit Italien vom Jahre 1926 gegen Italien bedient hcche, um sich weiter zu bewaffnen. Unter den Waffen befänden sich auch diejenigen, die Italien als Beweis des Nichtvor­handenseins irgendwelcher Angriffsabsichten dem Negus gegeben hatte» um ihn instandzusetzen, die innere Ruhe in seinem Lande zu. gewährleisten. Abessinien habe sich daher des ihm bei seiner Auf­nahme in den Völkerbund gezeigten Vertrauens unwürdig erwiesen. Wenn sich daher Italien gegen einen derartigen unerträglichen Tatbestand auflehnt, verteidige es dadurch seine eigene Würde. Es verteidige aber auch gleichzeitig das Prestige und den güten Namen des Völkerbundes.