Seite 2 Donnerstag, 5. September 1935 Nr. 207 Der Kampf Internationale Revue» Prag  Das Septemberheft(Nr. 9) ist soeben erschie­nen. Es enthält folgende Beiträge: Emil F r a n z e l: Nil   und Dona«. Ernst Brenner  : Deutschlands   Kriegsstärke. Ferdinand H e e g e r: Am Grab« Ott» Glöckels. Gustav Richter  : Organisation und Politik der Revolutionären Sozialisten". Weltwirtschaft. Internationaler Sozialismus. Au- dem geistigen Leben. Bächerscha«. Preis des Heftes KL 5., JahreSbezngS« preis KL 50.. Redaktion und Verwaltung: Prag   II, Liitzowova 37. ben ist; als simples Büro diplomatischer Verhand­lungen besteht er einstweilen noch und als dieses Büro hat er noch einmal vielleicht das letzte­mal eine Chance sich zu bewähren. Selbst die bewährtesten Optimisten der inter­nationalen Diplomatie wagen es nicht zu be­haupten, daß diese Chance groß ist. Mussolini   hat wiederholt, zum letztenmal erst während der Ma­növer an der Brennergrenze deutlich erllärt, daß es für ihn kein Zurück gebe, daß die Eroberung Abessiniens beschloffene Sache sei. Wohl tauchen hie und da Stimmen auf, die meinen, daß es der Duce auch billiger geben werde, daß er sich mit irgend einer pompös gewonnenen Schlacht begnü­gen und dann dem Widerstand England- weichen werde, um so gleichzeitig sein Prestige zu retten und den für ihn sehr riskanten Konflikt mit Groß­ britannien   zu vermeiden; aber da Kanonen viel leichter zum Losgehen als zum Jnnehalten zu bringen sind, ist auch dieseLösung" kaum besser als gar keine. Die einzig mögliche Lösung wäre der einmütige Beschluß des Völkerbundes, gegen jeden Friedensbruch Mussolinis alle vorge­sehenen Sanktionen anzuwen» d e n. Wenn irgend etwas, dann kann nur die un­zweideutige Drohung einer geschlossenen Friedens­front gegen den Friedensbrechcr Mussolini im letz­ten Augenblick von dem beschlossenen Raubzug ab­halten. Gewiß, ein solcher Beschluß hätte wahr­scheinlich den Austritt Italiens   aus dem Völker­bund und damit praktisch dessen Ende zur Folge. Aber seine, ohnehin bloß noch formale Existenz der Erhaltung des Friedens zu opfern, ist viel­leicht die letzte konkrete Tat, die dieser Völker­bund noch im Dienste Europas   zu setzen vermag. Besser der entschlossene Völker­bund wird ein Opfer des Friedens, als der Friede ein Opfer des un­entschlossenen Völkerbundes. ES sieht ganz so auS, als ob diese Entschei­dungen nicht-hxpte-oder morgen-fallen würden. Alle Regiebemühungen in Genf   sind darauf ge­richtet, die Verhandlungen wenn möglich noch ein wenig in die Länge zu ziehen, um irgendwie Zeit zu neuen internen Verhandlungen zu finden. Mussolini   hat wohl für die nächsten vierzehn Tage gegen diese Taktik nichts einzuwenden, da die un­erwartet lange Regenzeit in Abessinien den Be­ginn seiner militärischen Aktionen in Afrika   ohne­hin etwas verzögert. Was könnte man bezeichnen­deres über den europäischen Frieden auSsagen» als daß er seine letzte Gnadenfrist vom afrikanischen Wetter erhoffen nmß. Wenige Tage noch nicht länger als bi» die Sonne Afrikas   die Sümpfe der Regenzeit getrocknet hat hat der Völker­ bund   Zeit zu handeln. WirderdieseTage nützen? Rüstungsfreiheit für Oesterreich und Ungarn  ? Gegen befriedigende Erklärungen zur Habsburger  >Frage Wien.  (Tsch. P.-B.) Der österreichische Außenminister Berger-Waldeneggistin Gesellschaft des ungarischen Außenministers K a n y a Mittwoch Abend mit dem fahrplanmäßi­gen Zuge nach Genf   abgereist. In diplomatischen Kreisen verlautet, daß das Ergebnis der Bera­tungen Berger-Waldeneggs und KanyaS eine Bekräftigung des Entschlusses eines parallelen Borgehens für die Erreichung der Rüstnngsfreihrit in Genf   fei. Oesterreich und Ungarn  werden in dieser Frage gleichlautende, aber nicht gemeinsame Memoranden vorlegen. In diplomatischen Kreisen wird hiez« erklärt, daß dieser Schritt derzeit wrnigAuSsicht auf Erfolg habe, im Gegenteil, die Donaupakt- Berhandlungen verzögern könne, es wäre denn, daß sich Oesterreich entschließen könnte, eine bindende Erklärung bezüg­lich der Habsburgerfrage abzugeben, die über das Zugeständnis der Nichtaktualität der Frage hinausgehen würde. Ras Budget der Völkerbundsorganisationen (R. F.) DasJournal des Nations", das offiziöse Organ des Völkerbundes, veröffentlicht die Budgetansätze der dem Völkerbund angeschlos­senen Organisationen für 1986. Die wichtigsten Daten(alle in Goldfranken) sind folgende: Die gesamte Budgetsumme macht 33,869.000 Goldfranken auS, wobei die Ausga­ben neben den auf 29,091.000 Goldfranken ver­anschlagten Beiträgen der Mitgliedstaaten zum weiteren, wichtigsten Teil, durch die 3,208.000 Goldfranken gedeckt werden, welche die dem Völ­kerbund nicht angeschlofsenen Mitgliedsstaaten des Internationalen Arbeitsamtes an dieses entrichten. In der Uebersicht über die Einnahmen sind auch dieBeitragsrück- st ä n d e angegeben, welche bis 81. Dezember 1934 28,5 Millionen(l), für das Jahr 1934 allein 8,6 Millionen(!) ausmachen. Der Löwen­anteil an die letztgenannte Zahl entfällt dabei auf Deutschland  (2,4 Millionen), Japan   1,8 Millionen, Polen  (730.000), China  (700.000), Ungarn  (243.000). Der Rest verteilt sich auf eine große Anzahl südamerikanischer Republiken. Die Tsöbechoslowakei darf sich rühmen, in dieser Aufstellung nicht genannt zu sein. Bon den Ausgaben entfallen auf das Sekretariat 15,000.000, auf das Interna« tionaleArbeitsamt 10,851.000(eine Steigerung um 1,919.000), auf den Internatio­nalen Gerichtshof 2,503.000, auf das Chinakomi­tee 450.000, auf die Subvention für das Nan­sen-Institut(Emigrantenhilfe) 250.000, auf das Komitee für geistige Zusammenarbeit 255.000, aus den Minderheitenschutz 239.000, auf das Opiumkomitee 118.000 Goldfranken. Für die A b r ü st u n g sind 1,990.000 Gold- franken ausgesetzt, wovon 500.000(immer noch!) für die Abrüstungskonferenz be­stimmt sind. Der Rest entfällt auf Amortisatio­nen am Völkerbundspalast, am Bölkerbundsender «sw. Für Gehälter sollen insgesamt 9,021.000 Goldfranken auZgegcben werden. Wild gewordene Spießer Berlin  . Der Gauleiter von Schlesien  , Jcscs Wagner, wendete sich SamStag in einer Bekannt­machung gegen Einzelaktionen wild gewordener Spießer. In seiner Kundgebung heißt es:Ich verbiete mir mit aller Entschiedenheit diese Kampfmethoden. Ich bin nicht gewillt, die jedem wahren Deutschen   heiligen Grundsätze des Füh­rers durch törichte Kindereien und Ausschrei­tungen disziplinloser Radaubrüder verzerren zu lassen." Aufstieg der Trade Unlons Dm britische Gewerkschaftskongreß In Margate   ist am Dienstag der Jah­reskongreß der britischen   Gewerkschaften zusam­mengetreten. Am Vorabend marschierten die Berg­arbeiter der Umgebung und von der Insel Tha- neth durch die Stadt, woran sich eine Massenver­sammlung unter freiem Himmel schloß. Die Red­ner sprachen vor allem von der Kriegsgefahr, for­derten zur unzerbrechlichen Einigkeit der Arbei­terschaft auf und betonten, daß abessinische Boden­schätze nicht einer einzelnen fremden Macht Vor­behalten bleiben dürften, sondern allen Bedarfs­ländern gleichmäßig offenstehen müßten. Von den inländischen Forderungen der Gewerkschaften wurde in erster Linie die allgemeine Ein­führung des bezahlten Arbeiter­urlaubs und die längst fällige Erhöhung der Bergarbeiterlöhne betont. Während die Tonne Kohle für zwei Pfund verkauft wird, beträgt der Lohn des sie fördernden Heuers nur 8 bis 15 Pence. Oder in unsere Währung umgerechnet: Tonnenpreis 240 KL, Heuerlohn bis 7.50 KL! Der Kongrehvorsitzende William Keen konnte bei der Eröffnung 575 Vertreter von 211 Verbänden mit einer Gesamtmitgliedschaft von 3,388.810 begrüßen. Das ist gegenüber dem vorjährigen Kongreß in Weymouth   ein Z u- w a ch s v o n 94.229 bis zum Jahresschluß 1934. Die Zahlen über das erste Halbjahr 1985 liegen iwch nicht vor, aber ein weiteres Amvachsen der Mitgliederzahl ist außer Zweifel, so daß heute die Trade Union   über 3.5 Millionen Mit­glieder haben. Am Freitag wird George Lansburh im Na­men der Labour Party   zu dem Kongreß sprechen. « Wie Reuter meldet, lehnte der Kongreß eine Resolution ab, die eine Einheitsfront gegen Krieg und FasciSmus betraf und die forderte, daß der Internationale Verband der Gewerkschaftsorgani« salionen dem Ersuchen der Roten Gewerkschafts- Internationale nachkomme, eine Tagung abzuhal­ten, um über eine gemeinsame Aktion zu beraten. Tanasee  -Projekt aktuell Aegypten   und der Sudan  vorgeschoben Kairo  . Der Ministerrat nahm am Mitt­woch iy vertraulicher Sitzung nach Empfang eines Telegramms der Londoner   Gesandtschaft das Projekt eines Vertrages mit dem Sudan   über den Tana-See an. Dieses Projekt geht auf eine Einladung zurück, die im April Abessinien an Aegypten   und den Sudan   zwecks einer gemein­samen Konferenz richtete. Damals antwortete Aegypten  , daß eS zuerst mit dem Sudan   einen Vertrag abschließen wolle, da Aegypten   die größeren Rechte an der Nilquelle habe. Vorbereitungen für den Ernstfall London  . Reuter meldet, daß vier britische  Bombenflugzeuge demnächst aus Aegypten   in Nairobi   eintreffen werden. Sie werden mit Rück­sicht auf die abessinische Lage zusammen mit 200 Offizieren und Mannschaften vorläufig dort blei-' ben. In Malta   hat die Besatzung des britischen VermessungsschiffesOrmonde", das am Montag dort eingetroffe» ist, sofort ihr« Löhnung erhalten und ist an Bord von Minensuchschiffen gegangen. Am Dienstag sind polizeiliche Bestim­mungen über die- Anmeldung aller Kraftwagen veröffentlicht worden. Ferner wird berichtet, daß binnen einer Woche an 6000 Dockarbeiter in Dlalta Gasmasken verteilt werden sollen. Noch nichts bekannt... Paris  . In der italienische» Gesandtschaft in Addis Abeba   weiß man amtlich noch nichts von einem Eindamgrn italienischer Truppen auf abeffinisches Gebiet. Oer deutsche Kunsthandel wird ruiniert Alle Nichtarier ausgeschlossen Berlin  . Auf Veranlassung des Reichspropa­gandaministeriums sollen nichtarischc Kunst- und Antiquitätenhändler aus der Liste der ReichSkul« turkammcr ausgeschlossen werden. In Berlin   wer­den durch diese Verfügung 80 Prozent der Kunst­händler betroffen werden. Ueberhaupt soll den Nichtariern prinzipiell der Handel mit Kultur­gütern verboten werden. Diese Maßnahme würde sich auch auf den Buchhandel erstrecken. Als Grenzlinie für den Handel mit Kulturgütern uud gewöhnlichen Gütern ist die Formel gefunden worden, daß'Gebrauchsgegenstände, die v o r dem Jahre 1850 hergestellt wurden, von Nichtariern nicht gehandell werden dürfen. An und für sich würde diese Verfügung"gegen daß Prinzip ver­stoßen, daß Nichtarier wirtschaftlich nicht behin­dert werden sollen, aber das Propagandamini­sterium vertritt den Standpunkt, daß bei dem Handel mit Kulturgütern nicht die wirtschaft­liche Betätigung im Vordergründe stehe, sondern in erster Linie dasKulturintcrcsse" Berücksich­tigung finden müsse. Abschluß des Zionistenkongresses Luzern. Der Zionistische Kongreß in Luzern   be­endigte Dienstag abends feine Kongreßarbeiten und nahm dann die Wahl der neuen Exekutivkomitee» vor. Der frühere Vorsitzende Nahm» Sokolow wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt, während zum Vorsitzenden der Zionistischen   Organisation Pro­fessor Chaim Weizmann   gewählt worden ist. 16 VILLA OASE oder: DIE FALSCHEN BORGER Roman von Eugene Dabit Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot Künftighin empfing sie regelmäßig den Besuch ihrer Freunde. Zwischen eins und drei folgte einer dem anderen, und jeder hatte eine Überraschung für sie. Auf ihrem Nachttisch häuf­ten sich die Süßigkeiten. Man brachte ihr Blu­men, deren erquickenden Dust sie eiyatmete, Zei­tungen und illustrierte Romane, die sie nicht ein» Ural   aufschlug, weil sie keine Lust mehr zum Lesen hatte. Jeden Sonntag brachte Julien Champagner, und Berthe stellte ihr einen Teller mit Bratäpfeln auf den Tisch. Wozu nur alle diese Leckereien? Sie gab sie ihren Nachbarinnen, um die niemand sonst sich kümmert«. Sie selbst fast nichts mehr. Sie rührte die Krankenkost kaum an, knabberte höchstens noch ein Biskuit. Sie wußte selbst, daß es verkehrt war. Aber wie sollte sie hier ihren Appetst wiederfindcn? Anfangs ging sie noch umher und badete, Aber schon beim zweitenmal war sie ohnmächtig geworden. Jetzt stand sie nicht mehr auf. Rur  wenn man ihr Bett machte, ging sie die zwei Schritte bis zum Diwan und streckte sich darauf aus. Man legte sie ins Bett zurück, und sie fühlte sich Wohl in seiner Wärme. Sie fuhr sich mit einem Lappen übers Gesicht, frisierte sich und sah zuweilen in einen Spiegel. Dann ließ sie ihre durchsichtigen Hände auf der Decke ruhen. Ihre Gedanken schweiften im Saal umher und machten bei jeder Kranken halt. Alle kannten sich. Sie tauschten ein Lächeln aus, das»ine Frage oder eine Ermutigung war. Hoffnungen, das Elend vergangener Tage, Angst vor dem Kommenden bildeten eine Brücke von einer zur anderen. Die Morgenvisite versetzte sie in einen Zu­stand neugieriger Erregung. Sie hatten das Gefühl, daß man sich mit ihnen beschäftigte, und daß sie ihr Gefängnis vielleicht schon bald ver­lassen können. Sie aßen frühzeitig. Der Nach­mittag war von grauenvoller Länge, und er mündete in eine noch längere Nacht, in der sie keuchten und keuchen hörten und sich in ihren Betten wälzten, ohne Schlaf zu finden und ohne dem' bläulichen Lichtschimmer zu entgehen» der sie einhüllte wie ein Leichentuch. Die Tage folgten einander und brachten keine Veränderung. Helene belog sich selbst, und da sie gelogen hatte, wußte sie die Lüge bei den anderen zu erkennen. Wenn ihre Besucher sie sahen, riefen sie aus:In dieser Woche hast du bestimmt zuge­nommen." Sie gab darauf keine Antwort. Sic hustete nur und spuckte in eine Flasche, die sie mit einem kreisrunden Pappdeckel verschloß. Dann entschuldigte sie sich mit einer noch röchelnden Stimme. Man ermunterte sie:Spuck aus, das er­leichtert.". Julien prüfte die Fieberkurve.Immer noch ein wenig Temperatur." Sie seufzte, be­klagte sich über die Aerzte und die Schwestern, wollte keine Medizin mehr nehmen oder wenig­stens eine andere, die sie noch nicht probiert hatte, und schließlich platzte sie mit der Frage heraus, wann sie denn nun das Krankenhaus verlasien könne. Man hatte ihr versprochen, daß sie im Frühling auf» Land kommen werde. Der Früh­ling war da. Die Bäume im Hof hatten schon Blätter. Ueber dem Dach schwebten leichte Wölk­chen, und die ersten Schwalben kreuzten am Himmel. Die Geräusche der Straße wurden klarer. Eine elektrische Bahn fuhr am Kranken­haus vorüber. Sie sah das Rad des Stromab ­nehmer» funkensprühend am Draht hingleiten und hatte das Gefühl, als sei das ein Ruf der Freiheit. Im vergangenen Jahr« um diese Zeit war sie in Angrogna mit Laura in den Wald gelaufen. Und in den früheren Jahren hatte sie mit Mamina schwer gearbeitet. Ob sie wohl jemals wieder gesund würde? Jetzt hieß es, im Sommer werde sie ausgeheilt sein. In jedem Auge, im leisesten Zucken eines Gesichts suchte' sie die Wahrheit. Sie durchlebte Stunden, in denen sie nur noch die Verzweiflung kannte. So müde war sie des Kampfes und der Leiden. Jede Wendung kostete sie Mühe, bei jeder Bewegung fühlte sie das Brennen einer Flamme in ihrem Rücken. Stöhnend richtete sie sich auf, um freier zu atmen. Wenn sie sich, schnell erschöpft, wieder ausstreckte, war ihr, als entströme ihr Leben aus einer unheilbaren Wunde. Wenn es nach ihr ginget würde sie das Bett verlasien. Man duldete es nicht. Wenn man sich schon um sie kümmerte, so nur, um ihre Wünsche zu durchkreuzen. Im Geiste übersah sie die Reihe ihrer Enttäuschungen. Einmal hatte man ihr einen Pneumothorax angelegt, seitdem Ivar nichts mehr mtt ihr geschehen. Jeden Morgen kam der Arzt, lächelte ihr zu und ging weiter. Bor Wut biß sie die Zähne zusammen, ein Schwächeanfall übermannte sie, sie muhte den Schwestern gehorchen» fade Milch trinken, regungslos liegenbleiüen und warten. Immer wieder warten. Sie alle warteten. Manche schon sechs Monate. Alle ließen ihre Gedan­ken um ein unfaßbares Glück kreisen, das sie nie erlebten. Nur der Tod konnte sie noch erlösen. Vielleicht gab er ihnen neues Leben? Oder wenigstens quallüsen Schlaf? Julien, Alfred, der große Felix, Papa Adam kamen angestapst. Sie erschienen ihr wie wan­delnde Türme, zum Bersten voll mit Blut und Kraft. Sie setzten sich, nahmen ihr Licht und Luft, unerschütterlich in ihrer Sicherheit, allen Angrif­fen Trotz bietend. Mit einem Gefühl, in dem i Eifersucht, Ekel und Haß um die Oberhand strtt« ten, betrachtete sie ihre weinroten Gesichter, ihre gewaltigen Brusttästen und wuchtigen Fäuste, di« fähig waren, das Leben zu greifen und auch fest­zuhalten. Und vor ihrem unüberwindlichen Opti­mismus befiel sie wieder jenes bettemmende Emp­finden ohnmächtiger Empörung, das ihr früher vor jedem Bürger, vor jedem Brotherrn die Fas­sung geraubt hatte. Sie genierten sich nicht, an ihrem Bett die unterwegs begonnene Unterhaltung fortzusetzen. Es handelte sich umbusineß", umgroße Scheine", immer wieder also um Geld, da» sie noch einzusacken hofften. Oder um ehrgeizige Pläne, mit denen sie Freunde und Kollegen über­raschen wollten. Jetzt verstand sie ihren Jargon. Jetzt nahm sie auch ihren Beruf und dieGe­schäfte", über die sie angeblich im Cafi des Cour- se» verhandelten, nicht mehr ernst. Das Gewerbe eine» Hotelbesitzer» erschien ihr ebenso fragwür­dig, wie es einträglich war. Zuweilen entschlüpf­ten ihnen auch Andeutungen über ihre Vergnü­gungen. Aber was sie auch sagten, sie waren ihr fern und lebten in einer ihr fremden Welt. Sie suchte nach Worten, um endlich von ihnen verstan­den zu werden. Sie fand sie nie, beklagte sich und hörte nur immer wieder den Rat, sie solle Mut haben. Wenn sie sich erhoben, machte sie eine Be­wegung, als wolle sie ihnen ein winziges Teil des Lebens stehlen, von dem sie strotzten, aber sie nah­men es mit, wie es war; sie brauchten es für sich und hatten für sie nur tröstliche Worte oder Lecker­bissen. Heute wurde sie verwöhnt. Aber das gab ihr nicht die Gesundhett wieder, und vor allem war es zu spät, um ihr Elendsleben fortzuwi­schen. Sollte sie sich abfinden Mit ihrem Schicksal? Das hatte sie doch immer getan. Auch Lagorio und Mamina hatten«S widerspruchslos hingenommen, und zum Lohn lagen sie in der Erde. Dorthin würde sie ihnen ba'5d folgen. (Fortsetzung folgt.)