Teile 2

Samstag, 7. September 1838

Nr. 208

Boykottiert die Berliner Olympiade! Ein Aufruf der beiden sozialistischen Sport-Internationalen

In der gemeinsamen Sitzung der So­zialistischen Arbeiter- Sportinternationale und der Roten Sportinternationale wurde folgender Aufruf beschlossen: Die Olympiade, die im Jahre 1836 in Berlin stattfinden soll, ist über den Rahmen einer rein sportlichen Veranstaltung hinausgowachsen. Die Machthaber Deutschlands benutzen die Olym­piade zu einem Propagandawerk für den Fascis- mus. Es ist nicht das deutsche Volk, sondern es sind di« Unterjocher des deutschen Volkes, die der Olympiade das Gepräge geben. Es sind die Macht­haber Deutschlands , die die Arbeiter ihres Lan­des brutal unterjocht, die die Freiheit des deut­ schen Volkes zertrümmert und die zugleich di« Kriegsgefahr in Europa auf das höchste gesteigert haben, die nun die Sportler der ganzen Welt einladen, in die Hauptstadt des Dritten Reiches zu kommen, das ein Reich des blutigen'Terrors, der brutalen Gewalt und der schmachvollen Recht­losigkeit geworden ist. Nicht dem friedlichen Wettbewerb ertüch­tigter Jugend, sondern der Kriegsvorbereitung dient der Sport der fasciftischen Staaten. Nicht dem kulturellen Aufstieg der Masten, sondern ihrer Einlullung und Beherrschung ist der Sport in den fascistischen Ländern gewidmet.

Deshalb lehnen die beiden internationalen Verbände der Arbeitersportler, deren Ziel eS ist, für einen freien Sport. eines freien Volkes zu wirken, den Zwangscharakter der fasciftischen Sportveranstaltungen mit aller Entschiedenheit ab. Sie protestieren gegen das Unterfangen, eine internationale sportliche Veranstaltung, wie di« Olympiade es ist, für die Zwecke fascistischer Ge­waltpolitik zu benutzen. Sie rufen die Sportler und Turner der ganzen Welt auf, die Berliner Olympiade zu boykottieren! Die beiden Arbeiter-Sportinternationalen wenden sich an die sozialistischen und freiheitlichen Parteien aller Länder mit dem Verlangen, keine Staatsmittel für die Ber­ liner Olympia de zu bewilligen. Sie wen­den sich an alle, die Gegner der fasciftischen Ge­waltpolitik sind, mit dem Rufe: die Ber­ lin e r O l y m p i a d e in keinerWeise zu unterstützen. Die beiden Arbeiter-Sportinternationalen fordern die Arbeiterorganisationen der ganzen Welt auf, in den entschiedensten Kampf gegen die Berliner Olympiade einzutreten, die nichts ande­res ist, als«ine Heerschau des HitlerfasciSmus.

1300 Arbeiter streiken In der Oderberger Röhrenfabrik Hahn Mährisch-Ostrau, 6. September..In der Röhrenfabrik Hahn in Oderberg brach Freitag früh ein allgemeiner Arbeiterstreik aus, der sich gegen die beabsichtigte lOprozentige Herabsetzung der Akkordlöhne der Röhrenfabrik wendet. Es streiken gegen 1300 Arbeiter. Der BetcitbsauS- schuß hat einen bestimmten Teil der Arbeiterschaft für die Not» und Erhaltungsarbeiten bestimmt. Samstag nachmittags wird eine Betriebsver­sammlung der streikenden Arbeiter stattfinden, die über das weitere Vorgehen entscheiden wird.

Innerhalb der Bauernschaft haben die Jnngbauern bereits so viel Geivicht, daß sie in den kantonalen Bauernparteien den Be­schluß auf Stimmenthaltung, in einzelnen sogar auf Ablehnung durchsetzen konnten. Die A n ge­stellten, die vor'allein in der Demokratischen Partei Zürichs und her Freisinnigen Partei Ba­sels ausschlaggebend sind, haben- sich- dort und selbstverständlich auch in ihren gewerkschaftlichen Organisationen mit aller Entschiedenheit gegen die Initiative gewandt. Auf diese Verbündete muß abgestellt werden nicht aber auf die for­male Ablehnung durch die Freisinnige Partei (de­ren Jugend dieJungliberalen" zu den Initianten der Totalrevision gehört) die heute weit mehr aus Konkurrenzneid gegen di« Katho­lisch-Konservativen als aus demokratischer Ueber- zeugung die Initiative fürnoch nicht opportun" erklärt. Man wird am 8. September sehen, wie weit die ohnehin niemals besonders hervorragend gewesene Parteidisziplin bei den Freisinnigen reicht. Die Haltung des Bürgertums bei der kom­menden Abstimmung braucht für die Sozialdemo­kratie kein Problem zu sein. Piel wichtiger aber ist es, daß bei dieser Gelegenheit einzelne Teile der unzufriedenen, aufgewühlten Massen unter fascistische Führung kommen können.Totälrevi- sion" als Ausdruck dafür, daßes anders werden muß" kann zum fasciftischen Beutezug in das Lager jener werden, die als Opfer der kapitali­stischen Kris« zur Arbeiterbewegung gehören. Ge­rade die Unklarheit und Verschwommenheit, die für den politisch nicht hinreichend Aufgeklärten mit der Totalrevision verbunden ist, kann diesen dazu bewegen, durch seine Zustimmung seinen Protest gegen dasSystem" zum Ausdruck bringen zu wollen, ohne zu merken, daß er damit jenen Ten­denzen hilft, die die schärfste Ausprägung eben jenes«Systems" sind. Die Arbeiterbewegung und ihre Verbünde­ten werden sich daher davor hüten, in diesem Kampfe nur alskonservativ" zu erscheinen. Der P l a n d e r A r bei t, dem ja der Hauptangriff gilt, wird von der Sozialdemokratie als Leitge­danke einer wirklichen, nicht nur die geschriebene, sondern auch die tatsächliche Verfassung der Schweiz erneuernden Totalrevision in die Masten getragen werden müssen. Am 22. September wird ein außeror­dentlicher Parteitag zusammcntreten, besten Aufgabe es sein wird, die Erfahrungen des 8. September für die nächsten Kämpfe, und namentlich für di« Nationalratswahlen, zu ver­werten. In einer Zeit, wo die Dinge so auf des Messers Schneide gestellt sind, werden die Be­schlüsse dieses Parteitages vielleicht geschichtliche Bedeutung erhalten.

Der Bauernaufstand In Litauen Die litauische Regierung gibt in einem amt­lichen Kommunique bekannt, daß die Bauern­unruhen im Kreise Suwalki ihr Ende erreicht hätten, daß die Belieferung der landwirtschaft­lichen Genossenschaften Kaunas war 14 Tage lang ohne Milch wieder ausgenommen worden sei, und daß eine Untersuchung ergeben hätte, daß Agenten eines fremden Staates die Bauern auf­gehetzt hätten. Offiziell gibt die Negierung die Tötung von drei Polizeisoldaten und vier Auf­ständischen zu. Die Zahl der Verwundeten wird nicht bekanntgegeben, obwohl sich Hunderte von Verletzten in den Krankenhäusern Kaunas und Suwalkis befinden. Der Kaunaser Presse wurde verboten, über die Vorfälle zu berichten und für die oppositionelle Presse wurde ein Kommissar ein­gesetzt, der die Berichte aus dem Auslandsgebiet zensuriert. Dagegen verspricht das fascistische Kabinett Tubelis im offiziellenLietuvas- Aidas", alles zu tun, um die wirtschaftliche Lage der Bauern'zu erleichtern, droht aber mit den schwersten Strafen, mit der standrechtlichen Er­schießung für den Fall, daß die lluruhen sich fortseben, dabei wird wieder von den auslän­dischen Propagandisten gesprochen. Soweit die amtlichen Meldungen. Auffallend ist, daß der Name der fremden Macht,' die die Agenten in den Kreis Suwalki geschickt hat, nicht genannt wird. Sind es Bol- schewiken? Sind es Nationalsozialisten? Sind es etwa sogar Polen , denn der Kreis Suwalki liegt an der polnischen Grenze, und in ihm lebt eine größere polnische Minderheit. Nicht ein ein­einzigerHetzer" ist von der litauischen Polizei gestellt worden, obwohl alle Dörfer Haus für Haus durchsucht worden sind. Nein, hier bekam

der litauische Fascismus zum erstenmal seine Rechnung präsentiert. Und zwar von seiner eige­nen Bauernschaft, die es vor zwölf Jahren dazu benutzt hatte, um die demokratische Verfastung außer Kraft zu setzen. Diese Bewegung ist keine nationale, sondern eine soziale, erzeugt aus dem Elend, das der litauische Fascismus über seine eigenen Bauern gebracht hat. Die litauische Landwirtschaft ist eine exten­sive, fünf bis sechs Meterzentner pro Hektar ist der armselige Ertrag, den der Boden hergibt. Die Ernte muß der Bauer an die staatlichen Koopera­tiven verkaufen. Wohl bezeichnen sich diese Koope­rativen als Genossenschaften, aber die Bauern haben in ihnen nichts zu sagen, sondern nur die fascistische Partei der Tauteninkai, die ihre Schützlinge dort unterbringt. Der Ministerpräsi­dent Tubelis ist gleichzeitig Präsident der Pienö« zentras, der Milchkooperative. Zu allem kommt aber, daß diese Genoffenschaften infolge der litauischen Exportschwierigkeiten nur einen ge­ringen Teil der litauischen Produktion auskaufen köimen, so daß die Bauern, die stundenlang vor den Ankaufsstellcn gewartet haben, mit einem großen Teil ihrer Produkte wieder heimkehren müssen.* Der litauische Bauer lebt heute im größten Elend. Er ist nicht einmal imstande, das Petro­leum für eine Lampe zu kaufen. Die Holzhäuser und Ställe zerfallen, Mobilar ist nicht vorhanden, did Viehherden gehen zurück, Kleidungsstücke kann sich der Bauer nicht kaufen und selbst die Säug­linge werden in Zeitungspapier gewickelt. Verschiedene Journalisten und Schriftsteller, die einen guten Namen haben, haben in letzter Zeit Kaunas besucht und behaupten, eine Stadt entdeckt zu haben, in der Kultur und Sitte herr­schen. Sie staunen über die Neubauten, über die europäischen Hotels, über die Entwicklung einer Stadt, die noch vor wenigen Jahren ein rustischer Provinzflecken war. Daß aber diese Entwicklung

erkauft worden war, mit dem Elend und dem Hunger der Bauernschaft, darüber schwiegen diese Herren. Sie verschwiegen auch, daß in Litauen die Arbeiterpartei und ihre Organisationen verboten sind und daß ihre aktiven Anhänger in den Ge- fängnisten schmachten. Die aufständischen Bauern verkünden in Flugblättern klar und deutlich ihre Forderungen: Verringerung der Schuldenlast, Erhöhung der Getreidepreise» kostenlose Holzverteilung, Mitbe- stimmungsrecht in den Genostenschaften. Der litauischen Arbeiterschaft wurde vor zwölf Jahren durch den fasciftischen Waldrmaras- Umfturz das Rückgrat gebrochen. Ter litauische Fascismus stützte sich soziologisch immer aus die Bauern, die er gegen die Arbeiterschaft auSspielje. Jetzt findet die Arbeiterschaft in der litauischen Bauernschaft ihren Verbündeten, und die fasti- stische Oberschicht steht als«in Offizierskorps ohne Bataillone da, das sich nur noch durch Terror und Gewalt am Ruder hallen kann. Umbildung des Kabinetts als Folge der Unruhen Kswno. Das Köchinett ist am Freitag zu­rückgetreten. Der frühere Ministerpräsident Tu- bttis hat die neue- Regierung gebildet. Dem neuen Kabinett gehören alle bisherigen Minister mit Ausnahme desJnnenmi- nisters und L a n d Wirtschafts­ministers an. Das Innenministerium hat General Caplikas und das Landwirtschaftsmini­sterium Putvinskis übernommen. Der Anstoß zu der ltmbildung des Kabi­netts ist auf die Bauernunruhen im Suwalki - Gebiet zurückzuführen. Die Untersuchung ist immer noch nicht endgültig abgeschloflen. Wik die litauische Telegraphenagentur meldet, sind bis jetzt insgesamt 120 Personen verhaftet worden.> r

Abessiniens Rüstungen Addis Abeba . Einer der höheren Offiziere der abessinischen Armee erklärte dem Vertreter des Reuterbüros gegenüber, daß Munition und Vorräte aus der Hauptstadt in westlicher Richttzng transportiert werden, um nicht künftigen Flieger­angriffen ausgesetzt zu sein. Der bekannte Negerflieger Oberst Julian wurde zum Kommandanten, der Garnison von Ambo ernannt. Julian ist aus dem Fliegerkorps ausgetreten, weil die ihm zur Verfügung gestan­denen Flugzeuge für Kriegsbedürfniffe zu all seien. Aus einigen LandeZteilen.wird gemeldet, daß. während der letzten Tage die'Mobilisierung und die Vorbereitungen zum Kriege'beschleunigt wurden. Der Obersthostämmerer wird in Harara die Führung eines Korps von 10.000 Soldaten übernehmen, die mit der Eisenbahn dorthin trans- pornerl werden. Es wurden Bestellungen von Kriegsmaterialin Europa und Ame­ rika gemacht. Der Chef der abessinischen Kanzlei für, Lieferungen, welcher sich gerade in Deutsch­ land aufhält, bestellte bei einer schweizerischen Firma für 30.000 Pfund Sterling Kanonen. In Amerika wurde Kriegsmaterial für 50.000 Dol­lars bestellt. Amerika liefert Hotchkih-Gewehre. Gasmasken und Zelte. Feldstecher und Fernrohre wurden in Holland bestellt.

18 I VILLA OASE oder: DIE FALSCHEN BORGER Roman von Eugene Dablt Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot-L' Sie legte ihren Kopf aufs Kiffen. Ein Son­nenstrahl drang in den Raum, und an der Decke tanzten Reflexe. Sie folgte ihnen mit den Augen, als wollte sie sich an ihnen- wärmen. Gott sei Dank, daß sie das Schlagen mit den Türen nicht mehr zu hören brauchte und das Keuchen der Kranken. Und nicht mehr die Vorwürfe der stren­gen Schwestern. Sie dachte an ihre Nachbarin­nen, die ihr Abschied traurig gestimmt hatte. Sie, ja sie würde jetzt gesund. Die anderen aber... Auf den Fußspitzen-schlich Onkel hinaus. Sie sah Irma in ihrem Morgenkleid. Nach einer Weile kam sie an ihr Bett. Es war mittags. Sie erinnerte sich ihrer ersten Plauderstündchen. I" der Küche wurde mit Töpfen hantiert. Onkel brummte etwas. Es klang wie das Knurren eines Hundes. Und ein verführerischer Duft stieg ihr in die Nase. Vom Bett aus konnte sie die Eltern beim Tisch sitzen sehen. Julien brachte ihr das Esten. Sie brauchte sich nicht zu zwingen, denn sie hatte großen Hunger. Die Eltern sprachen vom Ge­schäft. Bon Zeit zu Zeit unterbrachen sie sich und fragten:Na, schmeckt's?" Sie sagte ja-und zeigte den beinahe leeren Teller. Es klingelte. Deine Pflegerin", meinte Julien.Char­lier schickt sie uns." Sie setzte sich an Helenes Bett. Also doch eine Schwester. Sie war schwarz/ dürr und steif, wie eine Holzlatte. War sie, nötig? Doch, ja.

Ihre Mutter und Julien konnten nicht bei ihr bleiben, sie auch nicht allein laffen. Wieder klin­gelte cs. Der Arzt, Papa Adams Freund, be­grüßte sie heiter und untersuchte sie. Man wollte also durchaus nach Hause? Hier ist es besser, was?" Tas will ich meinen", rief Julien aus. Südlage I Das ist so gut wie Sanatorium. Einen Kognak, Doktor?" Ich sage nicht nein, Herr Monge. Dann sehe ich mir auch Ihre Frau gleich mal an. Helene erschrak. War ihre Mutter etwa krank? Der Gedanke trübte ihre Freude. Die Sonne sank. Ein letzter Strahl haftete noch auf dem Fenster. Sie fühlte sich allein und zog die Decke hoch. An ihrer Seite saß die Pfle­gerin, ganz in Schwarz, wie eine Kühle aus­strömender Schatten. Sie drehte sich lieber zur Wand und schloß die Äugend Als sie erwachte, war es finster. Sie rief. Niemand antwortete. Ein heftiger Hustenänfall zwang sie, sich aufzurichten. Sie streckte den Arm aus und. warf dabei etwas vom Tisch. Sie um­spannte die" Kehle mit der Hand, stand stöhnend auf, suchte tastend den Lichtschaller und stieß an einen Stuhl. Plötzlich hörte sie, daß die Tür « geöffnet wurde. Jemand machte hell. Was, Sie sind auf?" schrie die Pflegerin. Sie- packte Helene, drückte sie ins Bett zu­rück, zwängte ihr die Decke unter den Körper und fuhr sie mit schneidender Stimme an: Sie sind wahnsinnig! Kann man Sie nicht einmal ein paar Minuten allein laffen?" Ich habe Durst." Helene nahm die Tasse, die ihr die Pflege­rin reichte, versuchte, sie in ihren zitternden Händen feftzuhalten, aber er gelang-ihr nicht. Sie ließ sie fallen. Dann sank sie selbst zurück. Ihr Gesicht war verzerrt. Ihre Brust arbettete mit pfeifendem Geräusch. Gegen neun kamen Irma und Julien. Helene schlummert«.

Sie hatte eine Krise", erklärte die Pfle­gerin.Nicht überraschend in diesem Stadium." Ein Zeichen, daß es aufwärts geht", meinte Julien.Verstehst Tu, Dicke? Wir essen, und du gehst zu Bett. Ich wache mit der Pfle­gerin. Er kehrte bald zurück und setzte sich hin. Es war also nicht gut vorhin?" flüsterte er.Ich habe große Angst. Verraten Sie sich nur nicht vor meiner Frau. Sie ist abergläubisch und sehr nervös. Er öffnete denJntransigeant". Seine Hauptlektüre tvarcn die Rennberichte, die Bör­sennotizen und Poincares Reden. Htzute stand nichts Interessantes darin. Er reichte das Blatt der Pflegerin und sagte gähnend: Ich kann mir doch ein« ins Gesicht stecken?" Jetzt macht das nichts mehr aus." Er schnüffelte. Schon roch das Zimmer wie eine Apotheke. Er wollte aufltehen und die Türe schließen. Doch die Kleine bewegt« sich. Er sah sie an. Nein,) dieses Gesicht mit der scharfkantigen Stirn, der schmalrückigen Rase, den harten Kinn­backen hatte keine Aehnlichkeit mit Irma. Es war schon sehr entstellt, und das fahlblonde Haar, das wirr auf den Kiffen lag, wirkte fast wie eine Dornenkrone. Die rechte Hand lag, zusammen­gekrampft, auf der Decke, die linke auf- dem ent» blösten Hals. Es waren weiße, abgemagerte Kin­derhändchen. Unter der dünnen Decke zeichneten sich die spitzen Knie ab. Er dachte:Biel ist nicht mehr übrig. Arme- Ding. Es wäre.für beide, für die Mutter und auch für sie, bester gewesen,.sie wäre in Ka­ nada gestorben, wenn sie schon nicht mehr zu ret­ten ist." Er brannte ein« neue Zigarette an. Zehn Uhr", sagte er. Und, zu der Pflege­rin gewandt:Ihren Beruf möchte ich nicht haben." Man gewöhnt sich an alles." Nicht an den Umgang mit Krankheiten. Ich weiß, wir kommen alle eines Tages an die

Reihe, aber bis dahin... Na, ich habe jedenfalls mein Leben genossen." Wie Ihr Freund, Herr Charlier, aückj- Tas war«in spaßiger Lungenkrankerl Wenn i<6 bei ihm wachte, spielten wir regelmäßig ein: Partie." Wie lvärs? Wollen wir auch eine machen? Sonst penne ich. Bin abends nicht mehr viel wert." Sie gingen ins Eßzimmer. Julien mischt* die Karten, und sie spielten. Von Zeit zu Zeit stand die Pflegerin auf, um nach der Patientin zu sehen. Sie kam aber schnell zurück und be­merkte nur:Sie schläft." Julien warf eine» Blick ins Schlafzimmer. Irma schnarchte, So konnte er beruhigt weiterspielen. Helene hustete. Er raffte die Karten zusam­men und folgte der Pflegerin. Vor-. dem Best faßte er Posto und sah, wie es Helene abwürgte- Er fühlte sich nutzlos, ohnmächtig und von Ang" beherrscht. Würde der Lärm die ganze Nackt dauern? Er nahm Helenes. Hand und hieÜ sie- ohne ein Wort zu sagen, fest in der seinen. Ich huste nicht mehr, Onkel. Gehen& f nur schlafen." Er ging hinaus, zog Jacke und Schuhe äuS und atmete erleichtert auf. Plötzlich entfuhr ihm ein Fluch. Es fing von neuem an. Irma haste einen leichten Schlaf. Er schloß dit Türe. Dann legte er sich hin, stieß ötrs Kiffen mit dem Ell­bogen zurecht und drückte sein Gesicht hinein- Tas war ein Tagl Wenn es so weiterginge,.- Die nächsten Tage verliefen etwas ruhiger- Bekannte, die kein Krankenhaus betreten wollten- erkundigtert sich nach der Kleinen. Sie blieben ei" paar Minuten bei ihr, verzogen sich ins Eßzim­mer und rauchten ihre Zigarette. Julien waren diese Besuche nicht unlieb. <Fortsetzung folgt.)