Sonntag, 8. September 1935 Nr. 210 15. Jahrgang (IntchHe Wich 5 Hall« Portei ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xiufochova a. Telefon«77. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR . WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR. DR. EMIL STRAUSS, PRAG « Goldene Brücken für Italien ? Wirtschaftliches Protektorat/ Internationale Polizei Der nationalsozialistischeParteitag der Freiheit** Die Meistersinger von Nürnberg Paris . Der Genfer Sonderberichterstatter derA g c n c e econimiquc et fi» an- eiert" will erfahren haben, daß der Fünfer­ausschuß der italienischen Regierung höchst inter­essante Borschläge unterbreiten werde. Man werde sich nicht nnr auf wirtschaftliche Zu­geständnisse beschränken» sondern auch gewisse finanzielle und technische Erleichterungen anbieten, die es Italien ermögliche» werden, ein Aktions­zentrum zu errichten und Abessinien im Sinne der italienischen Interessen r« durchdringen. Um zu verhindern, daß Italien dieses An- grbot erneut zurückweise» werde man diesmal ein Sicherheitssystem damit verbinden, das sich auf einer internationalen Polizei auf­bauen solle. Diese Polizei, die sich vornehmlich dus Mitgliedern neutraler Staaten, insbesondere Schweden - zusammensetzen solle, könnten jedoch Unmittelbar unter italienischen Einfluß gestellt werden. Diese Fornicl sei be- reiis Gegenstand eines Meinungsaustausche-. Revanche für Adua muß seinl Rach Berichten de- römische« Korre» fvondentcn desselben Blattes strebt man in ita­lienischen Kreisen an, daß da- italienische Expe­ditionskorps für Ostafrika als P o l i z e i k o r p 9 betrachtet werden soll, das nach den Instruktionen des Völkerbundes handelt. Es würde sich nach italienischer Auffassung darum handeln, in Genf «ine Einigung auf der Fünferausschuß untersagt Kriegshandlungen Genf . Anter dem Vorsitz des spa­nischen Delegierten de Madariaga trat Samstag vormittags der mit der Prü­fung des italienisch-abessinischen Kon­fliktes betraute Fünferausschutz zu­sammen. Die Minisier Eden und Laval «erstatteten ihren Kollege« Bericht über die Mitte 3«R Baron Aloisi gemachten Angebote und über die Art, wie sie ab­gelehnt wurden, ohne datz sie einer gründlichere» Prüfung unterzogen worden waren. Der spanische Botschafter Mada­riaga hat in seiner Eigenschaft als Vor­sitzender des Fünferausschuffes dem italienischen Hauptdelegierten Baron Aloisi und dem abeffinischen Haupt­delegierten mitgeteilt, datz der Aus­schutz den Wunsch ausgesprochen hat, datz keine der beide« intereffierten Re­gierungen vor Abschlutz der Arbetten des Ausschuffes eine Handlung unter­nehme, welche die wettere Tätigkeit des Ausschuffes veretteln könnte. Dr. Benes Ratsprßsident? Genf.(Tsch. P. D.) Minister Dr. Benes wurde von einer grösseren Anzahl der Delegierten der Völkerbundversammlung ersucht, seine Kan­didatur auf den Vorsitz-der heurigen Völkerbund» dersammlung einzubringen. Minister Dr. Benes bat vorläufig die Kandidatur nicht angenommen. Besprechungen mit Berger>Waldenegg Samstag nachmittags konferierte Dr. Ne­ves'mit dem österreichischen Aussenminister B e r- li er-W ald ene gg; wobei er einige mittel­europäische Fragen, insbesondere diejenigen, die Oesterreich und die Tschechoslowakei direkt betref­fen, mit ihm besprach. Technik statt InhaltDas schönste Massenbiwak Deutschlands Passive Resistenz der Nürnberger Bevölkerung und Attentatsfurcht des Regimes Eine grandiose Geldschneiderei Der Knoblauch bringt es an den Tag... Von unserem Sonderberichterstatter Nürnberg , 8. September 1938. Grundlage sehr weitgehender wirt­schaftlicher Zugeständnisse an Italien und vielleicht sogar eines italie­nischen Protektorates über einen Teil Abessiniens herzustellen. Der ReguS, so erklär« man itasienischerseit-, würde einen solchen Vorschlag annehmen könne«. Dagegen würden einige Fürsten in der Provinz dies wahrscheinlich ablehnen und ihre Haltung würde den italienischen Truppen Gelegenheit geben, vor allem in der Gegend von Adua einige Strafexpeditionen durchzuführen und so die Nie­derlage von 1896 aüSzuwetzen. Man erklärte in Rom weiter, daß weder Italien noch England bis an die Höchstgrenze der Zugeständnisse gegangen seien und daß die gegen­seitige Auffassung unter dem Einfluß des fran­ zösischen Ministerpräsidenten noch eine wesentliche Annäherung erfahren könnte. Rom . Die italienische Presse, die nach dem vorjährigen nationalsozialistischen Putsch in Oesterreich mit der reichsdeutschen Presse in eine scharfe Polemik geriet, hat bereits vor einigen Monaten alle Angriffe auf Deutschland eingestellt. Diese Periode des bezeichnenden Schwei­gens der italienischen Presse wurde durch einen im TagblattI l T e v e r e " erschienenen Artikel unterbrochen. In diesem Artikel wird auf die Manifestationen in England, Paris und Grie­ chenland für Abessinien aufmerksam gemacht und betont, daß nicht ganz Europa für Abessinien stimme, denn noch sei hier Deutschland , das einzige Volk, das von dem Verfall der Zivilisation nicht er­griffen wurde. Deutschjand diene tatsächlich der Zivilisation und der weißen Rasse. Die deutsche Neutralität sei ehrlich und dir Italiener wer­de« sich immer an dieses deutsche Verhalten in der Zeit der afrikanischen Spannung freudig erinnern. Wenn auch diese Schreibweise noch keinen Beweis füt eine neue politische Orientierung Italiens zu Deutschland darstellt, so ist sie doch sehr symptomatisch und beweist, daß .Italien nach allen Seiten hin vollkommene freie Vom 10. bis 16. September wird in Nürnberg wieder der nationalsozialistische Partei­tag statifinden derP a r t e i t a g der F r e i- h e i t, wie ihn bombastisch schon im noch embryo­nalen Zustand die Goebbelspropaganda offiziell getauft hat..Parteitag der Freiheit" das soll wohl darauf Hinweisen, daß allerdings die Reichs­ wehr im vergangenen Jahr seit dem letzten Nürn­ berger Partei-Meistersingen ihre Rüstungsfreiheit erlangt hat. Niemand kann das abstreiten I Sonst freilich und für alle anderen deutschen Mitbetei­ligten kann jenes hohle und falsche Pathos der Nomenklatur höchstens einige Bitterkeit auf der Hand zwecks Verteidigung seiner Interessen haben will. Kries unausweichlich? P a r.i s.O e u v r e" sagt, daß sämtliche Hauptdelrgierten den Eindruck haben, daß der Krieg u n au swcichlich sei, was dem Blatte zufolge, die englische Besetzung ent­sprechender Teile Abessiniens bedeuten werde. Noch keine allgemeine Mobilisierung Abessiniens Addis Abeba . Die Nachricht, daß der Kaiser von Abessinien die allgemeine Mobilisie­rung ungeordnet hat, wird demen tiert. Einer der muselmanischen Nomadcn-Ehefs hat dem Negüs 26.000 Reiter als Freiwilligen­korps zur Verfügung gestellt. Er erklärte, daß er gemeinsam mit den koptischen Christen für den Negus und die Freiheit kämpfen werde. 500 Deserteure aus Südtirol AP. München. Die Zahl der aus Südtirol desertierten deutschsprachigen Soldaten, die nach Oesterreich oder Deutschland ' flohen, wird bereits mit 800 beziffert. Zunge und starke Beklemmungen in der Herzgrube Hervorrufen I Wer ist denn sonst noch»frei" geworden in Deutschland ? Etwa die SA, von der es gerade heißt, datz dieser Parteitag a-ch endgültig ihr Sterbestündlrin einläuten werde, wie es die Reichswehr aus militärpolitischen und kriegstechnischen Gründen und Herr Schacht es im Interesse seines Anleihesorgen wünschen und täg­lich eindringlicher fordern? Die deutsche Jugend, die nur noch in Zwangsorganisationen der ver­schiedensten Art gedrillt wird? Die deutsche Wirt­schaft, die etwa jetzt wieder freien Raum auf dem Weltmarkt gewonnen hätte? Das deutsche Vater­land, das immer noch darauf vergeblich wartet, daß, wie ihm versprochen, der Versailler-Vertrag mit seiner Schuldklausel endlich und endgültig »zerrissen" wird? Je hohkbrüstiger und verlogener, das Pathos zum großen nationalsozialistischen Thing-Tag ist, um so lauter und schriller tönt die T r o m p e t« d e r R e g i e l Noch mehr als im vorigen Jahr soll die absolute geistig« Leere der Monstre-Ber- anstaltung durch den gewaltigen Eiirdruck des technischen Betriebs verwischt werde». Das schönste Massenbiwak Deutschlands " nämlich eine Lagerstadt mit 480 Zelten ist er­richtet. Drei Postzelte allein werden hier ge­braucht. Das Rednerpult, sonst das unentbehr­lichste Requisit eines jeden wirklichen Parteitages, auf dem sich Menschen politische Ileberzeugungen bilden und Bürger politische Willensäußerungen bekunden sollen, erseht hier in grotesk-monumen­taler Symbolik, dem Wesen des Nationalsozialis­mus genau entsprechend, derKommandoturm" von 12 Meter Höhe; deren gibt es gleich fünf. Und von ihnen aus werden die Massen dirigiert und befehligt, die in 466 Sonderzügen aus ganz Hitlerdeutschland anrollen werden. 38.000 extra angefertigte Etagenbetten aus Aluminium sind bereits in den als Massenquartieren einfach be­schlagnahmten Nürnberger Schulen aufgeschlagen. Wer freilich nicht geradeAmtswalter" ist, hat nur das Recht, im Zelt auf Stroh zu schlafen; die umwohnenden Bauern haben es karawanen­weise heranführen müssen. Nord- und süddeutsche Pioniere schlugen Holzbrücken gleich ein halbes Dutzend über das am Terrain vorüberfließendc Landwasser . Eine zehn Meter breite, drei Kilo­meter lange, schwer unterbaute Asphaltstraße ver­bindet die Zeltstadt mit der berühmten alten Luitpold-Arena direkt, damit die SA einen kür­zeren Anmarsch hat. Mehr als 500 Straßenbah­ner sind aus Berlin eigens nach Nürnberg beor­dert worden, um den Tramverkehr in der Partei­tagswoche mit bewältigen zu helfen; sie mußten erst durch mehrtägigen Kursus auf die Nürnber­ger Lokalverhältnisse umgeschult werden. Ebensoviel« Nürnberger Erwerbslose, die in früheren Zeiten schon als Hilfsschaffner eingestellt waren, sind freilich so übergangen worden; und ihre Kritik auch daran, welche Geldausgaben das verarmte und ausgesogene Dritte Reich, das seine Auslandsschulden nicht bezahlt, sich leistet, wenn es gilt, das Renommierbediirfriis seiner Sklaven­halter zu befriedigen, erhöht nicht gerade die an sich schon sehr negative Begeisterung der Nürnberger Einwohnerschäft für die Sache, die ihr eine Woche Aufregung, Un­ruhe und Unordnung, ihr sonst aber vielleicht einige Hoteliers und Gastwirte ausgenommen. gar nichts einbringt. Ihr imponiert auch keines­wegs mehr das Monströse der Regie; sie hat auf die Nürnberger vielleichtdas erste Mal gewirkt, aber nicht mehr das dritte und das vierte Mal, weil es ja im Grunde immer derselbe ideenlose Marschier- und Lärm­zauber ist. Als Symptom der wirklichen Gefühle der Einheimischen mag es gelten, daß derOrgani­sationsleitung des Reichsparteitages", die feit Wochen jn einem beschlagnahmten Schulhaus Die Dekangenen bekommen heute anstatt 25 Hiebe nur 20. Sie sollen auch merken, daß Feiertag ist. Annäherung Italiens an Deutschland ? Eine bezeichnende Italienische Pressestimme