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Sonntag, 8. September 1938

Nr. 210

^uslsndssnlelhe geruckt... Paris . DerI o u r" bringt einen Be» richt seines Berliner Korrespondenten, daß di» deutsche Reichsregierung»ine Anleihe von zwei Miliarden Marl in Holland suche, die durch ein(erst zu schaffendes Tabak- Monopol garantiert werden soll.

residiert. Privatquartieren so gut wie nicht ange­boten worden sind! Die Wohnungsinhaber be­kommen nichts für die Beherbergung von Partei­tagsgästen; der«deutsche Idealismus" der Mit­bürger des braven HanS Sachs ist aber schon zu oft und zu naiv-frech in Anspruch genommen wor­den. Denn das ist der weitere und wohl haupt­sächliche Grund, daß sich in der Stadt niemand mehr darum reißt, eine Nazi-Gröhe aus Pom­ mern oder dem Kohlenpott mit Bett und Morgen­kaffee versorgen zu dürfen: Manwillnichts m eh rmitso ungeschliffenen und schlecht erzogenen«Befreiern Deutschlands " in seinem eignen Heimzutunhabenl Die schlimmen alkoholischen Exzesse solcher Amtswalter", die schon im Borjahr überall Krawall stifteten, sind noch in aller Erinnerung. Der AlkoholI Er scheint überhaupt die Achil­lesferse des ganzen Nürnberger Großbetriebes zu sein! So bestimmt denn eine sehr lange Gewerbe­polizeiordnung für den Warenverkauf anläßlich deg Reichsparteitages, unterzeichnet von der«Or­ganisationsleitung", dem Oberbürgermeister und der Polizeidirektion, daß es«strengstens verbo­ten" sei, beim Bierverkauf die Maschen an die Käufer abzugeben; das Getränk muß im pa­zifistischen Papierbecher abgenommen werden. Sehr viel Zutrauen zur sittlichen Reife seiner «Mässe Mensch" scheint also der Abstinenzler Hit­ ler , gewitzigt durch alle früheren bösen Erfahrun­gen, nicht zu haben. In der Tat erinnert man sich in der Nürnberger Bevölkerung, die schon beim vorigen Parteitag' in der durch die Zeitungs­zensur verschleierten Form darüber unterrichtet! wurde, daß sich alkoholische Exzesse mit tödlichem Ausgang unter den Parteitagsteilnehmern abge­spielt hatten, auch daran, daß bei den vorjähri­gen Aufräumungsarbeiten nach dem Parteitag zwei unbekannte Tote von den Arbeitern erst nach Wochen geborgen wurden; aber darüber durfte dann nachträglich nichts in den Zeitungen berichtet werden... Groß ist die Attentats-«nd Sabotage-Furcht der Regis- saure... Jeder Quartiergober, ob Hotelier, ob Privater, der während des Parteitages Gäste beherbergt, hat diese innerhalb sechs Stunden bereits nach ihrem "^Eintreffen Vet'zuständigen Polizeiwache zu Mel­den; Zuwiderhandlungen werden sogar mit Haft bestraft. An Reise-Gesellschaften werden so teilt die Organisationsleitung selbst öffentlich mit *- Quartiere überhaupt nicht abgegeben; man weiß ja nicht, wer sich unter solcher harmloser Touristentarnung alles nach Nürnberg an die Großmächtigen heranschmuggeln könnte! Im übrigen wird nach all den bereits gemachten phantastischen Ausgaben auch wie­der bei den Beteiligten Geld zu machen versucht, wo sich nur gerade Ge­legenheit bietet! Das Massen-Meettng ist natürlich die gegebene Betätigungsmöglichkeit für Budenbesitzer und Hausierer ein sicherlich ehrenwerter Stand, der auf Grund seiner mise-

' rablen wirtschaftlichen Lage in der Zeit der Welt­krise einen abnorm hohen Prozentsatz«alter Kämpfer" bei der Hitlerei stellte. Nun, dieser Ehrengardist der Partei, der»fliegende Händler" zahlt jetzt für den Erlaubnisschein allein, der ihn zum Handel während des Parteitages in der Stadt ermächtigt, nicht mehr und nicht weniger als bare zehn Mark. Wer einen Berkaufsstand errichtet, hat für jeden Meter Frontlänge noch einmal je zehn Mark vorher zu blechen. Auch da­steht in jener Gewerbepolizeivorschrift ganz kalt­schnäuzig. Wir glauben, grade diese ein wenig unkritischen Leutchen vom billigen Jakob haben sich die Verwirklichung deS Dritten Reiches ein wenig anders, nicht ganz so kapitalistisch unvoreingenom­men vorgestellt I Das Programm des Parteita­ges setzt mit Glockengeläut von sämtlichen Kirch­türmen Nürnbergs und mit der wohl bei so etwas (siehe auch HitlerS persönlichen Geschmack!) schlechterdings unvermeidbaren Opern-Festvor- stellung der«Meistersinger von Nürnberg " ein. Dann ist daS alles, wie schon einmal dagewesen: der Arbeitsdienst zieht amFührer" vorbei, es gibt einen Fackelzug der Amtswalter, die Reichs­ wehr wird ihmvorgeführt", wie es so sinnig im Programmheft heißt. Nur: dieses Mal ist der «Führer" keineswegs mehr der Monopolist der Rede wie daS letzte Mal. Im Programm steht, daß ernur" zweimal, vor der Hitler-Jugend und vor der Armee reden wird; mit beiden hat er freilich seine besonderen Sorgen. Sonst löst sich daS Ganze in eine schier««über­sehbare Kette vonFach",«nd Sonder­tagungen,

Trapl gegen eine Budgetgleichgewlcht unter allen Prag . Finanzminister Dr. Trapl hielt Samstag anläßlich des Besuches der Prager Mu­stermesse eine Rede über aktuelle Wirtschafts­fragen, in der er sich mit dem Export« Problem befaßte und auf die günstigen Folgen der vorjährigen Devalvation zu sprechen kam, durch die wir uns bei Beihehal- tung des inländischen Preisniveaus mit den Preisen unserer Erzeugnisse den Weltmarkt­indizes genähert hätten. Durch ein weiteres Herabsetzen des Wer­tes der Krone, erklärte Dr. Trapl jedoch, würde eine allgemeine Preis­steigerung mit allen ihren Folgen nicht mehr z« vermeiden sein. Das wär» ein teuerer und höchst zweifelhafter Einsatz für eine Verbesserung der Ausfuhr- anssichten in einigen wenige« Export­ausschnitten und Warengattungen. Die größten Exportschwierigkeiten bestehen im Verkehr mit den Ländern, die früher unsere besten Kunden waren und für die der Bezug un­serer Waren kein Preisproblem, sondern eine Frage der Ausgeglichenheit ihrer Handels- undZahlungSbilänz ist. Immer mehr gewinnt die Aeberzeugung an Boden, datz die Einfuhrprohibi- t i o n am«reisten di» Entwicklung des eigenen Geschäfte- schädigt. Die Schwierigkeiten wurden weiters noch da­durch verschärft, daß sich di« a g r a r i s ch e Er­zeugung beinüht, eine Erhöhung der Getreide- und tierischen Produktion zu erreichen, um da­

angefangen mtt der Geldverwaltung des Bundes Deutscher Mädels bis zu den Parteigerichtsvor­sitzenden im Opernhaus auf. Die Veranstaltungen der Wehrmacht setzen unter das Monstrum den Schlußstrich auch symbolisch für daS, was allein neben aller sonstigen Großtuerei wichttg ist.-Um so dürftiger ist die neue Erfindung deS Herrn Ley, der 3000 sogenannterWerkscharen" als Vertreter derArbeitsfront " zum Parteitag befohlen hat; sie sollen, wie eS parteiamtlich heißt, rein äußerlich das gesamte arbettende deutsche Volk verkörpern"... Folgendermaßen begrüßt ein parteiamtlicher Aufruf denParteitag der Freihett":«Nürnberg ist daS Symbol der Kraft des neuen Reiches, der Stärke der Bewegung und der unbezwingbaren Sieghaftigkeit jener Idee, für die die Männer des Totensturmes einst abtraten von ihren Plätzen zur ewigen Wanderung"... Gewiß, niemand steht es an, einen Toten zu schmähen! Wie aber sah dieSieghaftigkeit ihrer Idee" und dieKraft des neuen Reiches" bisher praktisch aus? Authentisch gibt darüber Auskunft wieder jene schon zitierte Gewerbepolizeiverord­nung zum Reichsparteitag. Da heißt es in Artikel 28:Zugelaffen sind sämtliche Fleisch« und Wurstwaren, wenn sie ausreichend durchräuchert und nicht mit Knoblauch versetzt worden sind. Die Vorschrift gilt ausdrücklich auch für sogenannte Nürnberger Bratwürste". Und so ist denn klar: Im Zeichen deö verpönten Knoblauches wird derNeichsparteitag der Frei­heit" in den kommenden Tagen im schönen deut­ schen Nürnberg marschieren und siegen! F. E. R.

neue Devalvation Umständen unerläßlich durch den Absatzverlust bei Erzeugnissen aus anderen heimischen Bodenprodukten(Zuckerrübe) wettzumachen. Dabei bezieht sich die Produktions­erhöhung gerade auf Erzeugnisse, deren Ein­fuhr früher den Absatz von Indu­strie-Erzeugnissen erleichterte. ES gibt daher auch für«nS keine andere Möglichkeit, als mit allen Mitteln«nd Wegen einen möglichst breiten Zugang auf die Aus­landsmärkte z« schaffen. Ein eigenes Außenhandelsamt würde di« «ost beachtenswerte Reihe von Kompetenzen" nur noch vermehren. Man müsse sich um die rasche Er­ledigung auch in jenen Fällen kümmern, wo zwar die Entscheidung in den Händen von Beamten liegt» der Amtsschimmel aber ost mehr als die Sache selbst bedeut«. AlS dringend erforderlich für die Wirt­schaft erklärte der Minister di« Senkung derZinSsätz«, die nun ohne Berzöge- r«Ng erfolgen müsse und auch schon planmäßig vorbereitct sei. AlS unerläßlich bezeichnete Trapl ferner das Gleichgewicht imStaatshauS- h a I t, das im Interesse dex gesamten Volkswirt­schaft lieg«. Im Hinblick auf dieses Gleichgewicht müßten die Ausgaben des Staates in der Heu« ttgen kritischen Zeit so eingerichtet werden, daß nur der notwendigste Staats­bedarf gesichert wird. Für den Staat müsse unter allen Umständen und zu jeder Zett gelten, daß er nur so viel ausgeben dürfe, wieviel ihm die Wirtschaft bringen kqnn.

19 VILLA OASE Oder: DIE FALSCHEN BORGER

Roman von Eugene Debit Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot

Papa Adam, der große Felix und Alsted kamen jeden Abend. Sie sprachen vom Geschäft, und wenn die Uhr sieben schlug, schlürften sie, mit demselben Zeremoniell wie im Taft des EourseS, ihren Pcrnod. Natürlich machten sie die Türe hinter sich zu. Aber sie vergaßen dabei nicht die Kleine und hörten nicht auf, ihren Zustand zu erörtern. Nur nicht in Irmas Beisein. Die Pflegerin kam dazu. Man reichte ihr ein Glas, daS sie in einem Zuge leerte.Herr Monge..." Julien unterbrach sie:Ja, ich weiß." Dabei zückte' er seine Brieftasche und dachte daran, daß die Scheine Füße kriegten. Sie saßen beim zweiten Glase, als die Arenoud erschienest. Julien rief, das Mädel werde sich über ihren Besuch freuen. Wieder schlug die Klingel an. Entweder war es die Portiersfrau, die sich erkundigen wollle, oder eS war der Arzt oder sonstwer. Jedenfalls ein beständiges Kom­men und Gehen. Wenn Freunde und Verwandt« sich verabschiedeten, runzelte Julien die Stirn. Er und seine Dicke lebten wie zwei Gefangene, mußten immer auf dem Posten sein. Irma zog sich stundenlang in ihr Zimmer zurück. Dort hörte sie wenigstens nicht das Hu­sten und Stöhnen, atmete nicht die Krankenlust. Sie lag auf dem Bette, rauchte eine Zigarette nach der anderen und schlief auch zuweilen ein. Wenn sie erwachte, fand sie ihre Sorgen wieder. Sie stand auf. Einmal mußte sie doch nach Helen« |eh«n... Sie setzte sich an ihre Sette. Um ihr

düs Atmen zu erleichtern, kam sie auf den Gedan« ken, sie an den Schultern zu halten. Aber der Körper wurde bald schwer wie Blei, und seine Hitze verbrannte ihr die Finger. Sie zog sich zu­rück. Ganz langsam. Denn ihre Tochter ließ sie nicht aus den Augen. Ach, wenn sie sie retten, sich selbst von dem Alpdruck befteien könnte, war sie zu jedem Opfer bereit. Nachts schlief sie nicht. Julien stand zehnmal auf, weil die Anfälle sich häuften. Schweißge­badet» mit laut klopfendem Herzen, wartete sie im Dunkeln. Helene stöhnte. Julien fluchte, zankte sich mit der Pflegerin, lief hin und her und warf eine Flasche um. Sie wagte nicht, das Fenster wett aufzumachcn; die Nachbarn hatten sich beschwert. Um ein wenig Kühle zu finden, drehte sie sich zur Wand. Die Uhr schlug: zwei-, drei-, viermal. Endlich wurde es Tag. Und wenn sie einge- schlafen war, kam Julien und weckte sie mit den Worten:Das Mädel ruft nach dir." Einmal riß er sie fast mtt Gewalt aus dem Bett. Sie erkannte ihn nicht wieder. «Ich glaube, eS geht zu Ende, Irma." Er ließ einen Spezialisten kommen. Es kann sich nur noch um Tage handeln", erklärte der. Irma wiederholte sich diesen Satz und lebte mit dem Gedanken an den Tod. Sie neigte sich über das.Gesicht ihrer Tochter wie über einen Abgrund. Sie wollte es nicht, aber es war, als zöge sie ein Schwindelgefühl. Schnell schloß sie die Augen und entfernte sich taumelnd. Die Freunde nannten sie»arme Irma", und der weh­leidige Ton, in dem sie es sagten, steigerte nur ihre Angst. Sie prüfte sich im Spiegel. Die Zunge war belegt, ihr Teint aschgrau, die Haare wur­den weiß. Sie hatte gar nicht mehr das Inter­esse, sich gut anzuziehen, Pläne zu machen, ihre Hoffnungen verwirllicht zu sehen. Immer wieder übermannten sie dieselben traurigen Gedanken» an denen sie fast erstickte. Sie mußte Julien rufen.

Er legte ihr ein feuchtes Handtuch auf den Kopf, dann ging er wieder an die Arbeit. Un­rasiert, halb angezogen, mit einer schmutzigen Schürze, half er der Pflegerin und der Aufwarte- frau. Gr lief treppab und treppauf, verschnaufte ein paar Minuten und machte sich von neuem zu schaffen. Erst am Nachmittag, wenn die Freunde kamen und mit ihm den Aperitif tran­ken das einzige, was ihn noch aufrecht er« hielt, wie er behauptete erst dann gönnte er sich Ruhe. Eines Tages konnte er nicht mehr. Alsted war unvermutet gekommen und hatte mit ihnen gegessen. Und die Gelegenheit ergriff er beim Schopfe. Höre", sagte er zu ihm,ich hab's dick, den Krankenwärter zu machen. Ich muß mal an die Lust. Du kannst bei Irma bleiben, und ich fahre mit Papa Adam nach Vincennes ." Er zog den Mantel an, setzte den Schlapp­hut auf, umarmte Helene. Ich habe im Montbert zu tun." Sobald er den Rücken gewandt hatte, mel­dete sich die Pflegerin bei der Kranken. Ich gehe nur mal etwas besorgen", sagte sie. Helene bemertte Alsted, der, mit aufge­stützten Armen, am Eßtisch saß. Er legte seine Zigarre fort, um ein Gläschen Kognak zu trin­ken. Hie und da warf er ihr einen Seitenblick zu, doch sie schlug schnell die Augen nieder. Sie hatte einen Pik auf ihn seit dem Abend im Cast des Tourses, an dem er sich über sie und Ettenne lustig gemacht hatte. Er tat, als merke er eS nicht, war übertrieben liebenswürdig und erwies ihr erheuchelte Aufmerksamkeiten. Plötzlich stand er auf und ging auf sie zu. Sie schloß wieder die Augen. Dein Mädel ist allein, Irma", flüsterte er,und schläft." Helene hörte, daß Stühle gerückt wurden. Dann wurde, ganz leise, eine Türe zugemacht.

Ede» soll helfen Henleins Hoffnungen auf das Ausland DieDeutsche Landpost", dar Hauptblatt deS Bundes der Landwirte, knüpft in ihrem Leitaus­satz von Samstag an jene Stelle der Henlein« rede in Haida an, in welcher der Führer der Su« detendeutschen Partei die Erklärung abgegeben hat, dem Sudetendeutschtum müsse die Möglichkeit gewährt werden sich an daS Ausland zu wenden. Das Blatt schreibt dazu u. a.: Die Reise Henleins nach dem Ausland« hat diesen Hoffnungen neue Nahrung gegeben und die Wunderschönsten Gerüchte entstehen lassen. Was da nun alles erzählt wird, und zwar keineswegs viel­leicht um Deutschland oder Hitler, sondern sogar um den englischen Bölkerbundmknister Eden, ist zwar lächerlich, aber noch lange nicht lächerlich genug, um doch geglaubt zu werden. Man sollte eS zwar kaum für möglich halten, aber eS ist doch so, daß es heute wieder naive Gemüter gibt, die ganz ernstlich der Ueberzeugung sind, Mister Eden werde, wenn er nur er st einmal die abessinischeFrage vomHalse hat, sein Interesse dem Sude­tendeutschtum zuwenden und sich für die Beschwerden des Sudetendeutschtums mit dem gleichen Eifer«insetzen, wie nun für den Kaiser von Abessinien. Nun soll zwar nicht geleugnet werden, daß außenpolitische Dinge auf die innere Lage im Staate einen Einfluß haben und daß außenpolitische Wandlungen vielleicht auch dem Sudetendeutschtum eine Erleichterung bringen könnten, aber die Frage ist nur, wann und iu welchem Maße, und bei alledem ist es ganz sicher, daß sich daS Ausland in keiner Weise in inner­staatliche Dinge der Tschechoslowakei einmischen wird, es sei denn propagandistisch, was aber für uns keinerlei Wert besitzt. Das Ausland hat in der Vergangenheit nichts getan, um uns politisch zu helfen, es wird auch in der Gegenwart nichts tun und das gleiche wird man wohl auch hinsicht­lich einer sozialen Erlösung durch das Ausland sagen müssen. Es ist möglich, daß Henlein auf seiner län­geren Reise da oder dort auf ernstes Interesse für die sudetendeutsche Frage gestoßen ist, es ist auch möglich, daß die Schilderung der Not da oder dort die Zusage einer Hilfe zur Folge hatte, aber trotz­dem wäre doch auch eine Hilfe aus dem AuSIande nichts anderes als ein Tropfen auf einen heißen Stein und selbst wenn sie noch so ausgiebig wäre, so würde sie nicht weiter reichen, als vielleicht einigen tausend Familien die Lage für eine oder mehrere Wochen zu erleichtern. Bei der Größe der Not läßt sich allerdings auch der Wert einer sol­chen Hilfsaktion nicht leugnen und der Staat könnte und würde ii« auch kaum verhindern kön­nen, wenn die Politik dabei aus dem Spiele bleibt und nicht propagandistische Absichten damit ver­folgt werden, wie es leider mit der Vollshilfe oft der Fall war und ist,«wer niemand wird erwarten dürfen, daß dadurch eine grundlegende Besserung unsererwirtschaftlichen Ver­hältnisse erzielt werden könnte. Aber eines wäre eine neu genährte Hoffnung auf das Ausland, die sich für das Sudetendeutsch­tum noch immer als trügeriscb erwiesen hat, viel­leicht imstande, nämlich uns heute, so wie in der Umsturzzeit, davon abzuhalten, unsere Kräfte zu- sammtnzufassen und sie dafür einzusetzen, um uns unser politisches wie soziales Schicksal wenn auch nicht rosig» so doch erträglich zu gestalten.

Sie lauschte; es war ihr so seltsam beklommen umS Herz. Aber alles blieb still. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zum sommerlichen Himmel auf. Aber ihr Kopf sank bald zurück. Ihre Einsamkeit wurde täglich trost­loser. Wenn sie auch an ihrem Bette standen: sie war doch allein. Die sogenannten Freunde kannte sie jetzt. Gleichgültig, eitel, verlogen.Parve­nüs, nichts weiter", sagte Berthe.Leute wie wir, aber mit dem Ehrgeiz, für Bürger gehalten zu werden." Nur die Arenrmd liebten sie aufrich­tig und ihre Mutter. Sie hatte den Wunsch, sie zu rufen. Viel­leicht aber ruhte sie gerade wie immer um diese Zeit? Nun, so begnügte sie sich, an sie zu denken. Sie erinnerte sich ihrer Spaziergänge, besonders deS Besuchs in den GalerieS-Lafayette. Dabei fielen ihr die hübschen Kleider ein. Sie wollte sie sehen. Kaum, daß sie sie einmal getragen hatte... Und jetzt hingen sie zwecklos im Schrank in ihrem kleinen Stübchen. DaS Aufstehen war ihr verboten. Hatte sie denn überhaupt noch die Kraft dazu? Ihr Gesicht verriet ihre Anspannung. Sie warf die Decke ab, setzte den Fuß auf den Teppich, umklammerte eine Stuhllehne und stand; ein wenig zitternd zwar» aber stotz. UebrigenS atmete sie leichter. Sie ging einen Schritt, noch einen. Bloßfüßig schleppte sie sich durchs Eßzimmer. Jetzt fühlte sie, wie schwach sie war. Aber glücklicherweise war sie am Ziel. Sie öffnete den Schrank und nahm ihre Kleider heraus. Plötzlich drang ein Geräusch an ihr Ohr: ein ttefeS, rhyth­misches Stöhnen, das aus dem Zimmer ihrer Mutter kam. Sie schlich an di« Türe, lauschte, und dabei fiel ihr Alfreds Bemerkung ein:Dein Mädel ist allein und schläft." Sie wollte enffetzt davonlaufen, aber die Knie trugen sie nicht mehr. Sie warf die Hände in die Lust und brach zusammen.

.(Fortsetzung folgfi)