Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFONI 33077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG ,

15. Jahrgang

Donnerstag, 12. September 1935

Anti- Teuerungsblock im Werden

Gemeinsamer Antrag der drei sozialistischen Parteien und der Tschechisch- Klerikalen im sozialpolitischen Ausschuß

Prag . Im Laufe der Debatte im sozialpolitischen Ausschuß wurde am Mittwoch ein gemeinsamer Antrag der drei sozialistischen Koalitionsparteien, dem sich auch die tschechische Volkspartei anschloß, eingebracht. Darin werden von der Regierung eine Reihe einschneidender Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise und vor allem zur Bekämpfung der Teuerung ver. langt.

Wir heben daraus neben dem Verlangen nach einer neuen inländischen Investitionsanleihe, nach gesetzlicher Regelung der Arbeitszeitverkürzung und der Arbeitsvermittlung vor allem die Forderungen hervor, die der Teu erung entgegenwirken sollen: Freigabe der Kartoffel, Schweine- und Vieh einfuhr unter Sistierung der Zölle, Er höhung des Margarine- Kontingents, Senkung der Zuckerpreise etc. und nicht in letzter Linie energische Eingriffe gegen den Preiswucher der Kartelle.

Der Antrag, der von den Abgeordneten Ta verle, Tučný, Petr und Ta u b gestellt ist, hat folgenden Wortlaut:

Die Regierung wird aufgefordert:

I.

3weds Linderung der Arbeitslosigkeit die nötigen Maßnahmen zur Belebung des Inlands­marktes, zur Vermehrung der Arbeitsgelegen= heiten, zur Erhöhung der Kauffraft der Bevöl­ferung und zur Erhöhung und Beschleunigung des Handelsumsatzes zu treffen. Zu diesem Ziele wird verlangt:

a) möglichst rasch Maßnahmen zur Ver­billigung des Kredites zu treffen;

b) Investitionsarbeiten des Staates und der Selbstverwaltung in der Höhe von mindestens zwei bis drei Milliarden außerhalb des Staates, bzw. der autono­men Voranschläge zu ermöglichen und zu diesem Zwecke eine Inlandsanleihe auszu­schreiben.

c) zur wirksamen Arbeitsbeschaffung einen staatlichen Wirtschaftsrat zu errichten;

d) die Administrative des Staates und der Selbstverwaltungskörper derart zu regeln, daß die Erledigung der Investitionsarbeiten mit größter Beschleunigung erfolge;

c) dem Außenhandel systematische Fürsorge zu widmen, u. zw. durch Beseitigung aller Ausfuhrschwierigkeiten und durch zweckmäßiger organisierten Versorgung der Republik mit Roh­stoffen auf direktem Wege aus den Ur­sprungsländern, um eine günstigere Position beim Abschluß von Handelsverträgen zu erreichen;

f) Maßnahmen zum Zwecke der Bele­bung der Baubewegung zu tref. sen, vor allem durch Ergänzung der Verordnung über die Steuererleichterungen bei Hausrepara­turen.

II.

Soll die Regierung für die Einreihung einer weiteren Zahl von Arbeitslosen in den Arbeits­prozeß Vorsorge treffen, und zwar nach der Dauer der Arbeitslosigkeit und der sozialen Lage und den Angestellten angemessene Löhne sichern. Zu diesem Zwecke wird gefordert:

a) so bald wie möglich normativ die Arbeitsvermittlung und die 40 stündige Arbeitswoche zu regeln; b) die Verbindlichkeit der Kollektivverträge in den Textil­betrieben nach der Verordnung 102/35 durchzu­

e) insoweit die beimische Zucht zur Def­fung des Inlandsbedarfes nicht ausreicht, soll die Einfuhr von Schweinen unter 120 Kilogramm Lebendgewicht sowie von Rindwich freigegeben und die Schutzzölle für Vich und tierische Fette aufgehoben werden;

f) endlich soll die Regierung eine Entschei­dung über die Herabsesung der 3 nderpreise treffen.

IV.

Die Regierung foll mit größter Beschleuni­gung der Nationalversammlung den Entwurf einer Novelle des Kartellgesetzes vorlegen, die Eingriffe des Staates nicht nur in die Preis­politik der Kartelle, weiter die Oeffentlichkeit des Verfahrens, die Publizität der Kartellverträge und Entscheidungen, die Beseitigung des Prinzips rung aufgefordert, folgende Maßnahmen zu der Einstimmigkeit bei den Erkenntnissen der Kartellkommission und die Zuerkennung der akti­a) soll alles vorgekehrt werden, um die ver- ven Legitimation an die Verbrauchsorganisa bindliche Erklärung der Regierung vom 20. Juli tionen zur Eröffnung des Verfahrens enthalten 1935 zu erfüllen, daß die Mehl- und Brotpreise soll. nicht über das Preisniveau vom 15. Juli 1935 erhöht werden. Namentlich wird die Regierung aufgefordert, bei der Durchführung diefer Be> ftimmungen alle Mittel anzuwenden, damit das

treffen:

Brot nicht verteuert werden fann;

b) die Einfuhr von Speisekartoffeln soll freigegeben und Maßnahmen getroffen werden, damit die Kartoffel für die Bevölkerung nicht verteuert werden. Zu diesem Zwede soll die Re­gierung den Zoll und die Gebühren an der Grenze

ansheben. Diese Maßnahmen sollen noch vor Ein­tritt der Fröste durchgeführt werden, damit die Bildung von Vorräten ermöglicht wird. Nament­lich soll dabei an die Beschaffung von Kartof­

feln für die Arbeitslosen gedacht werden. Weiter soll die Verarbeitung von Speise­Tartoffeln zu industriellen Zwecken verboten und Magimalpreise für ausgesprochene Industrie­fartoffel, für Speisekartoffel im Großhandel und

für Kartoffel im Kleinhandel festgesetzt werden;

c) das Kontingent für Bflanzenfette nach der Regierungsverordnung 51/34 soll für das Jabr 1935 in einem solchen Maß erhöht werden daß der Bedarf des Konsums an Volks- Pflan­zenfetten voll gedeckt wird;

d) da ein Milch mangel droht und

auch sonst der hohe Preis der Futtermittel auf bie Viehzucht schädlich einwirkt, soll die Regierung Maßnahmen zur Herabsehung der Futtermittel­

preise treffen;

Sir Hoare in Genf :

V.

Das Handelsministerium soll bei der Durch führung von Schuhmaßnahmen für das Gewerbe nicht die Einkaufsquellent tref: fen, die den Konsumenten einen billigeren Ginfauf der täglichen Bedürfnisse ermöglichen, und eine Vermehrung der Zahl der Arbeitslosen ver­meiden.

Es wurde über Antrag der Koalition ein elfgliedriger engerer Ausschuß gewählt, dem auch die größeren Oppositionsparteien angehören. Er hat die Aufgabe, die in der Debatte vorgetragenen Anregungen zu behandeln, und wird gleich zu Be­ginn der nächsten Woche an die Arbeit gehen.

Dem Ausschuß gehören an von der Koalition Dubický, Petr, Tayerle, Tau b, Tučný und Vávra, von der Opposition Cavojský( Slow. Volksp.), Schütz Christlichsoz.), Dr. Köllner( SDP), Kopřiva( Komm.) und

Sedláček( Sjednocení).

In diesem Subkomitee wird vor allem auch der oben wiedergegebene Antrag der vier Kvali­tionsparteien einer gründlichen Erörterung unter­zogen werden müssen. Nach Abschluß der Be­ratungen des ubkomitees wird dann das Aus­schußplenum erneut zusammentreten, um die endgültigen Anträge des Ausschusses an die Re­gierung zu firieren.

Für Donnerstag ist bekanntlich auch der sozialpolitische Ausschuß des Senats zu einer Diskussion über dasselbe Thema einberufen

worden.

Der Pakt muß aufrecht bleiben

Wirtschaftliche Zugeständnisse in Aussicht gestellt

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 213

Hitlers Parole: Freibrief für Mörder!

Der Parteitag der Freiheit" hat schon am ersten Tag seinen Namen schauerlich be­währt: nicht die Freiheit des Lebens, des Gei­stes, hat er dem deutschen Volf gebracht, wohl aber die Freiheit, die ungezügelte Freiheit - des Mordens. Hitlers Proklamation an die Marristen und die jüdischen Draht­zieher", welche die berüchtigte, höhnende Kriegs­proklamation des russischen Zaren ,, an meine lieben Juden" tausendfach an Barbarei über­trifft, darf sich an geschichtlicher Bedeutung dem 30. Juni des vorigen Jahres ruhig an die Seite stellen. Zynischer und offener als mit der Erklärung: ,, Wenn im Kampfe gegen den Mar­rismus sich die staatlichen Institutionen als un­zulänglich erwiesen haben, dann wird eben die Bewegung diese Aufgabe übernehmen und die Nationalsozialisten werden dabei nicht nach ihrem for malen Verhalten" son­dern nach dem Erfolg ihrer Maß­nahmen" beurteilt werden", konnte eine neue Auflage der Nacht der langen Messer nicht mehr angekündigt, nein a n be fohlen wer­den. Der neue Parteibefehl des Führers" be. deutet nichts anderes, als daß von nun ab jeder Mensch im Dritten Reich , der irgend einemt Nazihelden als Margist verdächtig erscheint, unter Umgebung selbst der bisher üblichen formalen" Untersuchung durch Gericht oder Staatspolizei Freiwild für jedes private Mord­und Terrorgelüft ist, ohne daß der Mörder eine Mißbilligung seines ,, formalen Verhaltens" be­fürchten müßte. Alles was bisher an unvorstell barem Greuel im Dritten Reich geschah, die Konzentrationslager, die Gestapofolterungen, die Erschießungen auf der Flucht", die Juden­die Erschießungen auf der Flucht", die Juden­pogromme, die Entmannungen wegen ,, Rassen­schande", all das geschah im Namen der" ,, for­malen Bürokratie". Wer kann sich den hem­mungslosen Blutrausch ausmalen, der nun auf Grund des allgemeinen Mordbriefes durch den Führer ausbrechen soll?

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Seit Monaten schon währt das große Rät­felraten darüber, welchen Weg das Hitlerregime einschlagen wird: den Weg Streicher oder den Weg Schacht- den Weg einer Neuauflage ungezügelter Parteidiktatur oder den Weg des konservativen deutschnationalen Flügels und der hohen Reichswehrgeneralität. Es wäre voreilig, wollte man auf Grund der gestrigen Hitlerproklamation behaupten, daß Hitler sich nun eindeutig für den ersteren Weg und das Fallenlassen des Schachtflügels ent­schieden hat. Die Proklamation tann eine sol­che Bedeutung haben, aber sie kann ebensogut bedeuten, daß Hitler nun dem unruhig werden. den braunen Mob eine neue Nacht der langen Messer als Entschädigung dafür hinwirft, daß die reale Regierungsgewalt den Herren um Schacht ausgeliefert werden soll. Den braunen Bataillonen den Mordfreibrief den Junkern und Fabriksherren die Macht! Vor einem Jahr schüttelte man die unbequeme, re­bellierende SA dadurch ab, daß man sie er­will man sie jetzt dadurch ab­schütteln, daß man sie morden läßt? Das lers alarmierenden Blutbefehl nicht gelöst. Eindeutig klar aber ist die Bedeutung der Hitlerproklamation nach einer anderen Rich­tung. Nach dreieinhalb Jahren Herrschaft des Dritten Reiches , nach dreieinhalb Jahren Ter­

Gen f. Der britische Außenminister Sir der natürlichen Reichtümer führen und analoge Maßnahmen auch in anderen Samuel Hoare eröffnete Mittwoch die De- der Welt an alle Staaten. Die mordete. batte mit einer mit Spannung erwarteten Rede, Frage der Expansion hält die britische Regierung

Arbeitsgebieten zu treffen;

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c) die Bezirksbehörden sollen darauf achten, in welcher er das Festhalten Englands an der eher für ein wirtschaftliches als für Rätsel ,, Schleicher oder Streicher" ist durch Hit­daß die Verordnung über die Verbindlichkeit der Idee des Völkerbundes und seine Entschlossenheit, ein politisches Problem und glaubt an eine| mit aller Kraft für die Aufrechterhaltung des bessere Organisierung der Rohstoffverteilung für die Industrie­Friedens einzutreten, betonte. länder. England wolle in dieser Richtung im Rah­Schließlich wies Hoare darauf hin, wie in men seiner Pflichten beitragen.

Kollektivverträge von den Arbeitgebern eingehal­ten wird;

d) so bald wie möglich eine neue Ber gebungsordnung zu erlaffen, die eine gute Qualität der Arbeit und eine gerechte Ent­lohnung verbürgt;

England wünsche nicht weitere leere Sise im Bölkerbund, aber die Baktverträge müßten aufrecht bleiben. In diesem Zusammenhange glaube England, daß die kleinen Staaten das der letzten Zeit die öffentliche Meinung Englands ror und Folter und Blutbad gegen Marristen, Interstihung der Arbeitslofen auf kollektive Sicherheit haben. Ich glaube, sagte politik hinsichtlich der Einhaltung der Völker- Munde des Führers selbst gehört: Der e) die Bestimmungen zu revidieren, die die Recht, ihr eigenes Leben zu leben, und das Recht ihre Unterstützung der englischen Regierungs - hat man gestern zum ersten Male aus dem Hoare, daß auch rückständige Völker das Recht auf bunds- Verpflichtungen kundgetan hat. Mit Rüd- Marrismus lebt, lebt sogar im Diese Vilfe haben, ohne daß ihre Souveränität ſicht auf diese Verpflichtungen behalen Gül- Dritten Reich!" Hitler ſelbſt muß ein Sierauf beschäftigte sich der englische Außen- tigkeit eingehalten werde, insbesondere was der gestehen, daß die ,, formalen Institutionen" des durch eine unbegründete Verteuerung der Lebens- minister mit den Möglichkeiten einer beffe follektive Widerstand gegen jeden unprovozierten Dritten Reiches, daß die Gestapo und die SA und SS und die Konzentrationslager nicht im­

erschweren oder gar verschlechtern.

III.

Damit die Lage des arbeitenden Volkes nicht

oder Unabhängigkeit angetastet wird.

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land darauf, daß der Pakt in seiner vollen

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