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Mittwoch, 18. September 1935
Nr. SIS
Henderson erkrankt London . Der Präsident der Abrüstungskon- fcrenz Henderson ist erkrankt. Er mußte heute ins Krankenhaus gebracht werden, da er em Magenleiden und Gelbsucht hat.
der Grenze eines menschenwürdigen Einkommens liegen und man wird ihr glauben, daß sie„eindeutig sozial" eingestellt sei. Bislang aber hat man an Positivem nur die Verpflichtungen kennen gelernt, welche die bei dem von der SdP einge- führten Landdienst beschäftigten„Landhelfer" eingehen mußten, bei Kost und Unterkunft für einen Wochenlohn von 10 KL im Zeichen der Volksgemeinschaft moderne Sklavenarbeit zu verrichten. Doch wenn auch bisher nicht das mindeste geschehen ist, was die Behauptung einer eindeutig sozialen Einstellung des sudetendeutschen Fascistenklüngels rechtfertigen würde, so könnten sich vielleicht Bescheidenere damit abfinden, wenn es wenigstens schon so weit wäre, daß die SdP sich klipp und klar über Ziel und Weg ihrer„eindeutig sozialen" Absichten äußern würde— auch damit ist es n i ch t s, g a r n i ch t s. Bei der Debatte über die Rede des Fürsorgeministers im sozialpolitischen Ausschüße des Abgeordnetenhauses wäre für die Henleinpartei nicht nur Gelegenheit, auch Gebot gewesen, endlich das lang behütete Geheimnis bekannt zu geben, wie sie, die sich rühmt, von vier deutschen Arbeitern drei in ihren Reihen stehen zu haben, diesen deutschen Arbeitern zu helfen gedenkt. Man hätte erwarten können, daß wenn schon nicht unmittelbar das großmäulig angekündigte„Handeln" an Stell« von Worten, so doch wenigstens die Enthüllung eines konkreten sozialpolitischen Programms erfolgen werde. Was aber kam, das war, was die SdP. bei anderen so verpönt: Worte, nichts alsWorte— und was für Worte noch dazu l Außer dem Hinweis auf di« Arbeitsbeschaffungsbroschüre der SdP, die lediglich durch den blutigen Dilettantismus, mit dem hier an volkswirtschaftliche Probleme heran-' gegangen wird, Aufsehen erregt hat, enthielt die Rede des Herrn Rudolf Sandner an Greifbarem nur die Anregung auf Errichtung von Arbeitslagern— was Hitlern getreu abgeguckt ist— wobei Sandner recht unverblümt zugab, daß die Arbeiter in diesen Arbeitslagern ungefähr so entlohnt werden würden, wie bei dem von der SdP cingesührten„Landdienst". Im übrigen beeilte sich sowohl Herr Sandner wie sein Kollege Dr. Köllner, kaum daß sie ihren Speech beendet hatten, den Beratungssaal zu verlassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihre angeblich eindeutig sozialen Rettungsbestrebungen durch Anträge zu konkretisieren und für die Annahme dieser Anträge sich einzusetzen. Die wirkliche Arbeit, die erforderlich ist, d«r notlejden- den Menschen im sudetendeutschen Gebiet Hilfe zu bringen, überließen die Herren großmütig den sozialistischen Parteien. Der Fascismus der verschiedenen Abarten hat die Demagogie zur höchsten Vollendung entwickelt pnd so kann auch dem Manöver der Hen« leinfascisten, sich„sozial" aufzuputzen, insofern« Erfolg beschieden sein, daß sich Leute täuschen lassen. Der Schaden aber, der ihnen daraus erwächst, wird so fühlbar sein, daß sie bald erkennen müssen: ja„eindeutig" ist die Einstellung der Platzvertreter des Hitlerismus, s o eindeutig, daß sich die betrogenen Arbeiterwähler mit Wut und Abscheu von ihnen abwenden werden.
Auf vorgeschobenem Posten Der Parteitag der ungarischen Sozialdemokratie
Sonntag und Montag hielt die ungarische Bruderpqrtei ihren diesjährigen Parteitag in B u d a p e st ab. In seinen Verhandlungen spiegelten sich die ungeheuren Schwierigkeiten, aber auch die zähe Lebenskraft der ungarländischen Arbeiterbewegung, die zu den exponiertesten Vorposten des europäischen Sozialismus gehört. Wenn man es nicht anders erführe, so würden manche Aeußerlichkeiten anzeigen, wie schwer der Druck der durch einen parlamentarischen Scheinbetrieb nur spärlich verhüllten Militärdiktatur auf der arbeitenden Bevölkerung dieses Landes lastet. Im Präsidium des Parteitages sitzt ein Poli- -«ioffizier. Jedes auf dem Kongreß gesprochene Wort wird von Polizeibeamten mitstenographiert. Mehr als ein halbes Hundert uniformierter Ordnungshüter hält das Haus besetzt. Dazu kommen noch zahlreiche Zivildetektive, so daß auf zwei Parteidelegierte ein Ueberwachungsorgan entfällt. An den Verhandlungen beteiligen sich mehrere Ber « trauenspersonen, die wegen„staatsgefährlichen" Reden auf dem letzten Parteitag zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind und sie demnächst antreten'müssen. Auch ein Teil des Redaktionsstabes der tapferen„Nepsava" sitzt hinter Schloß und Riegel. Nimmt man hinzu, daß auch geschloßene Versammlungen und Konferenzen der behördlichen Genehmigung unterliegen und daß manchen Provinzorganisationen schon seit zwei Jahren keine Mitgliederversammlung bewilligt worden ist, dann hat man eine ungefähre Vorstellung von den dornenvollen Wegen der ungarischen Arbeiterbewegung. Seit der Verschärfung des Gömböskurfes schwebt über der ungarischen Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften das Damoklesschwert der Auflösung. Diese Gefahr scheint sich in den letzten Wochen verringert zu haben, ist aber noch keineswegs gebannt. Um so bewundernswerter ist die Ruhe und Kaltblütigkeit der ungarischen Genoßen, mit der sie, auf weite Sichte planend und mit allen Eventualitäten rechnend, ihr Feld bestellen. Ganz im Geiste eines kaltwägenden sozialistischen Realismus war das Hauptreferat des Genoßen M o n u s gehalten. Monus, ein ehemaliger Schuhmachergehilfe und seit Jahren Sekretär der Parlamentsfraktion, hat sich in der Nachkriegszeit zum theoretischen Führer der Partei emporgearbeitet und ist bestrebt, daS beste geistige Erbgut der Bewegung mit dem Inhalte der Zeit zu erfüllen. Eine waffenstarrende Umwelt zwingt die ungarische Arbeiterbewegung zur stärksten weltanschaulichen Betonung ihrer geschichtlichen Sendung. „Der Gewalt muß die unsterblich« Macht der Id« entgegengestrllt werden." Der Verschärfung des reaktionären Kurses wurde ein systematisches Bemühen zur g e i st i g e n Vertiefung des Parteilebens entgegengesetzt. Die ungarische Sozialdemokratie hat trotz ihrer bitteren Armut kleine theoretische und zeitkritische Broschüren in einer Auflage von 400.000 und dazu 1,700.000 Flugblätter herausgegeben. Aus den Bedürfnißen der Tagespolitik ist in der Partei der Ruf nach einem sozialistischen Plan laut geworden. MonuS umschreibt dessen Bestim
mung in der HerauSarbeitung der Forderungen auf dem Gebiete der Bodenreform, des Kreditwesens, der Schlüsselindustrien und der öffentlichen Arbeiten. Es soll aber kein Arbeitsplan sein, der von oben diktatorisch verfaßt, sondern aus der Grundstimmung der Massen geschöpft ist. Zur Lösung dieser Aufgabe wurde vom Parteitage eine sozialistische Plankommission gewählt. Der stimmungSmqßige Höhepunkt der Kongreßverhandlungen war das Montag erstattete Refert des Genoßen Abgeordneten Takacs über di« Lage der Landarbeiter und Kleinbauern und ihre Forderungen. Takats, von Beruf Zimmermeister und Kleinlandwirt, hat bei der letzten Wahl der Partei den einzigen bäuerlichen Wahlbezirk mit geheimer Abstimmung, Hödmezö- väsarhely, erobert. Sein Gegenkandidat war ein einflußreicher Staatssekretär von der Regierungspartei. Takacs wußte also einiges zu erzählen, mit welchen Mitteln das ungarische Landvolk heute niedergehalten wird und wie armselig das Dorfproletariat unter der herrschenden Latifundien- wirtschaft dahinvegetiert. Den roten Helden der ungarischen Dörfer, die sich lieber blutig schlagen laßen und mit ihren Familien das Hungerschicksal der Verfemten tragen, ehe sie ihre Ueber- zeugung preiSgeben, bereitete der ganze Kongreß bei den Ausführungen Takacs, die kein Auge trocken ließen, immer wieder stürmische Ovationen. Bei diesem Punkt der Tagesordnung entrollten noch einige weitere Redner aus den Reihen der Landarbeiter und der Bauern erschütternde Bilder von der Rechtslosigkeit und Bedrückung des ungarischen Landvolkes durch Großgrundbesitz und Bürokratie. Für unsere Henleinbauern wärt das sehr lehrreich anzuhören gewesen. Der Parteitag bekräftigte einmütig die von Takacs erhobene Forderung nach Durchführung einer radikalen Agrarreform. Die Eröffnungsrede deS Genossen Payer und daS Referat Buchingers über den Kampf gegen den Fascismus präzisierten die Stellung der Partei zu den innen- und außenpolitischen Problemen, soweit dies unter den obwaltenden Umständen getan werden konnte. Im Hinblick auf die Kriegsdrohungen fascistischer Staaten erklärte Payer:„Die Unterdrücker der Völker mögen aufpaßen. Wenn ein unterdrücktes Volk wieder einmal Waffen in die Hand bekommt, so wird es zu allererst mit seinen Unterdrückern abrechnen. Auf die ungarische Problemstellung übergehend» fügte er hinzu:„Es wär« katastrophal gus,dem Gesichtspunkt der Zukunft, wenn sich die Machthaber einem Diktaturtaumel ergeben würden die Verfassung zerbrächen und die noch bestehenden minimalen Freiheiten vernichten würden. Große Völker halten vielleicht diese Abenteuer aus. Ein kleine- Volk darf jedoch di« Sympathien der Welt nicht verlieren und den Frieden der eigenen Bevölkerung nicht gefährden." Buchinger sagte:„Ein absolutistisches System muß im Kriegsfälle nicht nur nach außen, sondern auch nach innen kämpfen und ist daher im Nachteil den demokratischen Ländern gegenüber. Wenn wir uns einem Fascismus anschließen, so ist das die sichere Niederlage." Dies war eine deutliche Absage der ungarischen Arbei-
I Rechnungsabschluß für 1934 relativ günstig Defizit gegenüber 1933 stark reduziert Prag . Der Staatsrechnungsabschluß für 1934 wurde am Dienstag vom Obersten Rechnungskontrollamt der Nationalversammlung übergeben. Nach dem Rechnungsabschluß betragen die Ausgaben der eigentlichen Staatsverwaltung 8029 Millionen(gegenüber einem Präliminare von 7630), die Einnahmen 7774 Millionen(gegenüber 7631). Es ergibt sich also für die eigentliche Staatsverwaltung ein Defizit von 255 Millionen. Aus de« nicht prälimi- niertrn Ausgaben von 775 Millionen, denen Einnahmen von 689 Millionen gegenüber- stehen, ergibt sich em weiteres Defizit von 85 Millionen. Zusammen ergibt das einen Fehlbetrag von 340 Millionen. Dieses Ergebnis ist gegenüber dem Vorjahr bedeutend günstiger, denn 1933 betrug das Defizit 1484 Millionen. Auch das Defizit drrKassengeba- r u n g ist mit 705 Millionen gegenüber dem 1507-Millionen-Defizit im Jahre 1933 wesentlich günstiger. Der Verlust der Staatsbahnen ist um 165 Millionen auf 669 Millionen zurückgegangen, dagegen hat die Tabakregie gegenüber dem Voranschlag um 205 Millionen schlechter abgeschnitten, da ihre Einnahmen nur 1258 Millionen erreichten.
terschaft an jene abenteuernden Kreise, die ihre Hoffnungen auf die Waffen Hitlers setzen. Wie ein roter Faden zog sich durch die Verhandlungen des Kongreßes eine Forderung, die bei uns schon vor dreißig Jahren erkämpft wurde, die aber heute noch für den Daseinskampf der ungarischen Arbeiter und Bauern lebenswichtig ist: nach einem gleichen, geheimen Wahlrecht. Ohne staatsbürgerliche Gleichberechtigung, ohne demokratisches Mitbestimmungsrecht der arbeitenden Massen kein sozialer Fortschritt— das ist Erkenntnis, die die ungarische Arbeiter- belvegung in fünfzehnjähriger Herrschaft der Konterrevolution gewonnen hat. In den politischen Referaten kam die Bereitschaft der Partei zum Ausdruck, zur Durchsetzung einer demokratischen Wahlreform mit allen wirklich fortschrittlichen Kräften des Landes zusammen- zuarbeiten. Aeußerst herzlich war die Aufnahme der BegrüßungSioorte der Delegierten der ausländischen Bruderparteien. Es sprachen C o m p t o n für die englische Arbeiterpartei, Soukup für die Sozialistische Arbeiterinternationale, Brocke für die belgische, Wonderberg für die hol- ländische, Jaksch für dl« sudetendeutsche, Z i- mal für die tschechoslowakische und Radi« c a n u für die rumänische Sozialdemokratie. Die Erwähnung Masaryks durch Genossen Soukup wurde vom ganzen Kongreß mit Ovationen quittiert. Für die schwerringende ungarische Sozialdemokratie war es von außerordentlicher moralischer Bedeutung, in so kritischer Situation der Oeffentlichkcit ihre enge Verbundenheit mit den demokratisch-sozialistischen Kräften des Westens, insbesondere mit der mächtigen englischen Arbeiterpartei vorkühren zu können. Sn verdient es, bei der Behauptung und dem Ausbau ihrer schwierigen Vorpostenstellung im Donauraum auch weiterhin von der brüderlichen Solidarität der ganzen Internationale unterstützt zu werden.
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I VILLA OASE | oder: DIE FALSCHEN BORGER
Roman von Eugene Dablt Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot
Sie hatte die Arme um ihn geschlungen und seufzte hingebungsvoll auf. Er fühlte ihren starken, warmen Körper und warf sie aufs Bett. Als er vor dem Spiegel sein Haar ordnete und seine Krawatte festzog. sagte Irma, die. auf dem Bettrand sitzend, seinen Bewegungen mit den Blicken folgte: „Heute abend noch spreche ich mit Julien." „Mach keine Schnitzer. Ich will, daß alles freundschaftlich geregelt wird." Auf der Treppe kam ihm Blanche entgegen, die er galant begrüßte. Draußen ging er über den Damm, stellte sich aufs gegenüberliegende Trottoir, betrachtete die Front und erwog die Veränderungen, die nötig waren. Ein« Goldgrube, verglichen mit seiner Bude in Montpar- naste. Wenn auch vor dem Kriege Lenin dort gewohnt hatte, so waren die Geschäfte deshalb nicht besser geworden. Bor sich hinpfeifend, ging er weiter und musterte jedes weibliche Wesen. Es war sechs. Seit vierzehn Tagen erwartete er regelmäßig«ine junge Näherin vor ihrem Atelier— wie früher Irma. Je älter er wurde, desw mehr liebte er die Frauen und überließ es den anderen, sich mit Karten die Zeit zu vertreiben. Heute abend hoffte er, bei der Kleinen ans Ziel zu kommen.
III.
Julien füllte Wein ab. Plötzlich hört« er Lärm und erkannte die kreischende Stimme der
Miß. Er setzte die Flasche aus der Hand, zog sich schnell die Hose hoch und ging nachdenklich die Treppe hinauf. Bor einigen Tagen, nach langem Zögern und vielen Unterhaltungen mit Alfred, hätte er sich entschlossen, seinem Teilhaber einen ausführlichen Bericht zu schreiben. Der große Felix und seine Frau erwarteten ihn im Büro. „Schon zurück?" „Als dein Brief eintraf, habe ich schleunigst gepackt, Ich sagte mir, entweder gcht alles schief, oder er hat den Kopf verloren." „Weder... noch," brummte Julien. Er betrachtete die Miß. Ihr rotblond ge» färbtes Haar siel weit in die Stirn, ihre welken Backen schimmerten in allen Tönen, und ihre sonst stumpfen Augen leuchteten. Lächelnd bemerkte er: „Sie sehen gut aus." „Ich hätte noch vierzehn Tage Ruhe brauchen können. Sagen Sie, Dicker, es ist doch nicht Ihr Ernst, daß Sie uns sitzen lassen wollen?" Julien war kein Freund von Auseinandersetzungen. Es haperte mit der Logik, und er verlor leicht den Faden, Er gab sich alle Mühe, die Situation zu erklären. Dabei verhedderte er sich, und seine Gründe wirkten nicht sehr überzeugend. Der große Felix zog die Stirn kraus, und die Miß lächelte höhnisch. Statt auszureden, schlug Julien mit der Faust auf den Tisch und schrie: „Ich habe alles in meinem Briefe gesagt. Wenn ihr es nicht verstanden habt, ist es mir schnuppe. Aber mein Entschluß steht bombenfest." „Du hast uns überrumpelt. Das war nicht freundschaftlich gehandelt. Ich hoffe aber, es war nicht dein letztes Wort." Julien ging in sein Zimmer. Die Idee, zu verkaufen, erschien ihm plötzlich nicht mehr verlockend. Vielleicht ließ er sich da in eine Sache ein, die ihm Verdruß bringen würde. Alles um Irmas willen. Sie schlief. Er rüttelte sie wach und schrie ihr, ohne sich um ihren Schreck zu kümmern, ins Gesicht:
„Felix und die Miß sind da. Wollen von nichts hören..." So wie jetzt war er in den schlechten Zellen gewesen. Diese Miene hatte sie lange nicht mehr gesehen. Im Grunde war er ein schwacher, wankelmütiger Mensch. Dabei dachte sie an nichts anderes mehr als an den Verkauf, und Alfred hatte sein Hotel schon halb und halb losgeschlagen. „Wirst du dich etwa umstimmen laßen? Renommieren, dich wichtig machen, das kannst du. Aber, sowie es ernst wird... Setz dich' mal zu mir, Dicker." Sie richtete sich hoch und legte ihm den Arm um den Nacken. Dann wiederholte sie, was Alfted sie gelehrt hatte: Poincare werde den Franken stabilisieren, Fremde würden nach Paris kommen, nie wieder böte sich ein so günstiger Augenblick wie jetzt, das Hotel zu verkaufen. „Und dein Alfred wärmt sich an dem Feuerchen die Hände, he?" Sie erschrak. Hatte er etwa Wind bekommen? Aber er fügte ganz ruhig hinzu: „Ich tue es nur um deinetwillen. Wärst du nicht leidend, dächte ich nicht daran." „Schließlich, wenn du willst, arbeite ich weiter, Julien." Er beschwichtigte sie mit zärtlichen Worten. Natürlich verkaufte er. Felix müße sich eben damit abfinden. Die Antwort war ein Kuß auf Juliens Lippen. Sie preßte ihn an sich. Und er widerstand nicht lange und nahm sie. Sie aßen gemeinsam. Nachdem sie sich um den Hals gefallen waren, fragten die Miß und Irma einander nach ihrem Ergehen. Die Miß erzählte von ihren Leiden, Irma von ihren Krisen. „Na, Sie können sich ja bald pflegen", meinte die Miß.„Wir hatten nette Tage in Nizza . Abends trank man seine Aperitifs auf der Promenade des Anglais, dann warf sich Felix in seinen Smoking, ich machte große Toilette, und wir gingen ins Kasino." „Wir gehen nächsten Winter nach Nizza ",
erklärte Irma.„Aber vorher schaffen wir uns ein Auto an." Die Miß stand auf. Sie war satt. Irma folgte ihr bald nach. Die Männer blieben allein. Jeder kaute an den Worten seiner Frau. Das Schweigen wurde bedrückend. Es war ihnen nicht mehr möglich, mit der Schilderung eines Abenteuers oder mit dem Austausch ihrer Pläne darüber hinwegzukommen. Sie belauerten sich wie zwei Fremde. Julien warf plötzlich seine Serviette auf den Tisch. „Ich habe an Alfred telephoniert. Er mutz jeden Augenblick hier sein." „Bitte, ich stehe zur Verfügung", erwiderte der große Felix. Am selben Mend fuhren Irma und Julien in die Rue Bourquin zurück. Julien war zufrieden. Es war alles nach Wunsch gegangen. Alfted und der große Felix hatten keine Schwierigkeiten gemacht. Vielleicht würden sie noch einen Monat im Montbert arbeiten, um ihre persönlichen Angelegenheiten zu erledigen. Irma hatte die Wohnung nicht wiedergesehen. Schon an der Türe geriet sie in Begeisterung. Julien nahm sie um die Taille, und sie gingen wie ein junges Paar. Er wollte immer neue Bewunderung hören. Aber-sie war unversehens still geworden. Das machte ihn besorgt. Er wußte ja, daß sie keine Auftegung vertrug. Vielleicht war es bester, sie ruhte erst eine Weile aus. Sie saß auf dem Diwan im Salon und dachte daran, daß sie seit der Beerdigung nicht mehr zu Hause gewesen war. Hier, in dem Zimmer, war Helene gestorben. Julien hatte das Menschenmögliche getan, alle Erinnerungen an das furchtbare Erlebnis auszulöschen. Nene Tapete, ein neues Bücherregal, ein niedriger Tisch mit Ledersesseln. Bon den alten Möbeln war kein Stück mehr vorhanden. Alles war ordentlich, reinlich und zugleich behäbig. Plötzlich schrie sie auf. Ueber dem Kamin hing, an Stelle des Spiegels, ein Bild in einem goldenen Rahmen. lFortsetzung folgt.)