I i Mittwoch, 25. September 1935 15. Jahrgang Einzelpreis 70 Hin« (otesehlieBlteh S Heiter Porto) 1EHTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK' ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii., fochova«r. telefon snn. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR! DR. EMIL STRAUSS, PRAG  . Morgen[Meldung in Genf  Letzter Kompromlßversndi' Wenig Hoffnung/ Regenzeit In Abessinien vorbei Genf  . Der Fünferausschuß beendete Diens­tags den Bericht, den er dem Bölkerbundrat un­terbreiten soll. Der Bölkerbundrat ha» sich bis Donnerstag vertagt. Der Ausschuß konnte auf gewisse Ereignisse der letzten Tage keine Rücksicht nehmen und an seinem Bericht im ganzennichtS ändern. Die gnnze Verantwortung für da- weitere Vorgehen bei der Regelung des italienisch-abes­sinische« Konflikts fällt somit auf da» Bölkerbund- rat, der entscheiden muß» ob das Mandat des Fünferausschusses mit einer neuen Verhandlungs­basis erneuert werden soll, oder ob bereits zur Anwendung derArtikel des Völkerbund   Paktes geschritten werden müsse. Heute werden noch die Bertreter Englands, Frankreichs   und Italiens   zusammentreten, um den letzten Versuch eines gemeinsame« Kompromisses zu machen. Die Hoffnung auf die Erzielung eines solchen Kompromisses ist jedoch schon sehr schwach. Ministerrat In Born; Italien   kann nicht anders** Rom  . Der dienstägige italienische Minister­rat, von dem mal» wichtige Entscheidungen Er­wartet hatte, hat sich auf Samstag ver­tagt. Mussolini   erstattete einen kurzen Bericht über die Entwicklung der politischen Lage von Samstag bis heute, wobei er feststellte, dass Ita­ lien   in Genf   keine Gegenvorschläge * unterbreitet hat. Alles, was seit Samstag vor sich gegangen sei, sei ein Beweis dafür, daß die Hal­tung der italienischen Regierung nicht anders sein konnte. ... und In London  : Für den Fall des Krieses in Europa  London  . Das englische Kabinett trat Diens­tag vormittags um elf Uhr zum ersten Male seit der am 22. August abgehaltenen Sondersitzung wieder zusammen. Hauptgegenstand der Bespre­chungen war der italienisch-abessinische Konflikt. Die Politik, die bei dieser Gelegenheit von Groß­ britannien   vertreten wurde, wurde von dem Ka­binett in voller Gänze genehmigt. Ferner wurde der Text der britischen   Ant­wort an Frankreich   betreffend die bri­ tische   Stellungnahme im Falle eines Angrif­fes in Europa   geprüft. Die Antwort soll im geeigneten Augenblick an die französische   Re­gierung abgeschickt und Ende der Woche veröffentlicht werden. Allgemeine Mobilisierung Addis Abeba  . Die Regenzeit ist zu Ende. Schon seit zwei Tagen ist kein Regen mehr gefallen. Der Kaiser von Abessinien hat Dienstag den Befehl zur allgemeinen Mobili­sierung unterschrieben. Dieser Befehl wird aber wahrscheinlich erst am Feiertage Maskala, der am Ende der Regenzeit begangen wird, oder aber ehesten- nach diesem Feiertage kundgemacht werden. Und was ist mit Hitler? Paris  . Der Berichterstatter des Wehraus- fchusses der Kammer, der radikale Deputierte A r ch i m t> a u d, hielt eine Rede, in der er be­fürwortete, daß die in Genf   versammelten Dele­gationen sich dagegen aussprächen, daß Italien  den Völkerbundpakt verletze. Gleichzeitig stellt aber Archimbaud die Frage, warum die gleichen Staaten, D e u t s ch l a n d die gewalt­same Verletzung des Versailler Vertrages gestatten.Wir wisse», daß die deutsche   Armee bald ebenso stark sein wird. wie die französische   Armee, daß das deutsche  Kriegsmaterial täglich vervoll­kommnet wird und daß das R h e i n g e biet keine entmilrt avisierte Z o n e mehr ist L«r Völkerbund weiß dies und schweigt, England weiß dies und wir erwarten ständig eine große Rede Sir Samuel Hoares über diese Angelegenheiten." Italien   droht dem Völkerbund  Genf.(Havas.) Einige Delegierte erwägen heute abends mit dem Vorsitzenden des Völker­bundes Dr. Benes die verschiedenen Prozeduren, unter denen der Bölkerbundrat am Donnerstag zu wählen haben wird. Im italienischen Kommu- niquee wurde nicht verhehlt, daß Italien   seine Konsequenzen ziehen werde, wenn gewisse Artikel des Völkerbundpaktes angewendet werden würden. Man sieht darin die Drohung, daß Italien   den Völkerbund verlassen wird, wenn der Völkerbund­rat sich entschließen werde, Artikel 15 zu appisi- zieren. Musterung der Jahrgänge 19011914 In Italien  Rom  . Die Beschlüsse d«S dienstägig«» Mini» sterrates betreffen-um größten Teil milktärische Verwaltungsgesckäfte, die mit der italienischen Expedition nach Ostafrika   Zusammenhängen. Die wichtigste Maßnahme bestimmt, daß alle Wehr­pflichtigen der Jahrgänge, 1901 bis 1914, die bisher aus gesundheitlichen und anderen Grün­den nicht ausgebildet worden waren, sich einer neuen Ausmusterung unterziehen müssen. Der Dienst in den nach Ostafrika   entsandten Schwarz­hemdendivisionen wird dem Dienst des regulären Heeres gleichgestellt. Die höheren Offiziere der fascistischen Miliz erhalten den Rang von Re­serveoffizieren der Armee. Die Mitglieder der Regierung und des Großen fascistischen Rates können Flkegeroffiziere in der Reserve werden. Ausfuhrverbot für Kriegsmaterial In USA  Washington.(Reuter.) Das nationale Kontrollamt für Munition hielt unter dem Vor­sitz Hulls seine erste Sitzung ab und arbeitete ein Verzeichnis des Kriegsmaterials aus, das dem Ausfuhrverbot unterliegen soll. Dieses Verbot wird Roosevelt   auf Grund des Neutralitäts­gesetzes verkünden. Das Verzeichnis wurde ge­billigt und wird Roosevelt   vorgelegt werden. vemomtrationen in Wien  150 Verhaftungen Aus Wien   wird dem Prager Tagblatt ge­meldet» daß am Abend vor den Flugabwehr­übungen, also Montag, in einigen Wiener   Be­zirken Demonstrationen, sowohl der National­sozialisten als auch der Sozialdemokraten und Kommunisten stattsandcn, bei denen Flugzettel verteilt und geklebt wurden. Die Polizei, welche offenbar sehr spät von diesen Demonstrationen Kenntnis erhielt, nahm insgesamt 15 0 Ver­haftungen vor. Angeblich soll auch ein Anschlag auf das Riesenrad, welches bei den Luft- schntzübungen als Beobachtungspunkt dienen sollte, vorbereitet gewesen sein, weshalb es die militärischen Führer des Manövers vorzogen, das Kommando auf einen anderen Platz, der weniger gefährlich schien, zu verlegen. Henleinpartei- angeprangert! Abg. Dr. Köllner der Unwahrheit überführt! Wie haltlos die Behauptungen von Funk­tionären der Sudetendcptschen Partei sind, wenn es sich um Anschuldigungen gegen unsere Partei handelt, wie unernst selbst die erstenAmtswal­ter" der Sudctendeutschcn Partei sich benehmen und Ivie wenig man ihren Angaben Glauben schenken kann, geht aus dem nachstehenden Fall hervor, den wir hier vor der gesamten sudeten­ deutschen   Oeffcntlichkeit anprangern. Im sozialpolitischen Ausschuß des Abgeord­netenhauses hat der Abgeordnete der Sudeten­ deutschen   Partei Dr. Köllner in seiner Rede die Behauptung aufgestellt, daß die Gemeinden im deutschen   Gebiete, insbesondere die sozial­demokratisch beeinflußten, in der Verteilung der Ernährungskarten und der Arbeitslosenunterstüt­zung überhaupt parteisch vorgehen und daß insbe­sondere im Verteilungsapparat der Ernährungs­karten die Konsumvereine besonders begünstigt sind. Genosse Taub forderte vor dem gesamten Ausschuß den Abgeordneten Dr. Köllner sofort auf, er möge den Namen auch nur einer einzigen sudetendeutschen   Gemeinde nennen, wo dies der Fall fei; worauf der Herr Dr. Köllner mit eini­gem Zögern den Namen Lanz nannte. Genosse Taub fragte ihn, welches Lanz er meine, woraus Köllner replizierte, Lanz im Bezirke Falkenau. Wir sind nun dieser Anschuldigung des Ab­geordneten Dr. Köllner gegen eine sudetendeutsch: Gemeinde nachgegangcn und legen unseren Leser» sowie allen anderen wahrheitsliebenden Mensche» und schließlich allen jenen Sudetendeutschen   welche noch Sinn für Wahrheit und Recht haben, folgendes Dokument vor: Bestätigung. Ucber Verlangen der Mitglieder der so­zialen Gemeinde-Kommission wird hiemit wahrheitsgemäß bestätigt, daß die Ernährungs­karten seitens der Gemeindesozial-Kommisston strenge«ach de» Richtlinien des Mini stör iums für soziale Fürsorge in voller Unparteilichkeit ausgegebon werden. Es erhält jeder ohne Un­terschied der Partei seine Lebensmittelkarten, insofern er von der sozialen Bezirkskommis­sion bzw. von der Bezirksbehörde in Falkenau a. d. Eger als bezugsberechtigt anerkannt wurde. Die Einlösungen der Lebensmittelkarten bei den einzelnen Geschäftsleuten und Kon­sumverein steht in keiner Weise unter Einfluß der sozialen Gemrindekommission und steht es jedem Beteiligten frei, seine Karten dort einzu­lösen, wo er selber will. Gemeindeamt Lanz, «im 23.' September 1935. Der Gemeindevorsteher: Stampiglie  . Wenzel Hoffmann. Damit ist klipp und klar festgestellt, daß in der Gemeinde Lanz bei der Verteilung der Er­nährungskarten in voller Unparteilichkeit vorge­gangen wird. Dieses Zeugnis der Gemeinde wer­den unsere Leser und wird die gesamte Oeffent- lichkeit erst in seinem vollen Werte erkennen, wenn- wir erzählen, daß der unterfertigte Gemeindevorsteher nicht etwa Mitglied der sozialdemokratischen Partei ist, sondern daß er der Sudetendeut­ schen   Partei nahe st eh t. Er wird mm selbst sehen, wie leichtfertig die ihm nahestehende Partei Beschuldigungen erhebt. Wie es mit der Begünstigung des Konsumvereines steht, geht daraus hervor, daß von 420 der Ge­meinde zur Verfügung gestellten Lebensmittel­karten 75, also nicht einmal der fünfte Teil im Konsumverein eingelöst werden. Herr Dr. Köllner, der diese An» schuldigung erhoben hat, ist damit vor der gesamten sndetendeutschen Oes» fentlichkeit gerichtet und mit ihm die Sudetendeutsche Partei  , die er vertritt. Labour-Party und Außenpolitik Der angeblich bevorstehende Rücktritt George Lansburys und der schon vollzogene Rücktritt Lord Ponsonbys und des Sir Stafford Cripps   von ihren Parteifunktionen in der La- baur-Party bedeutet für die englische Arbeiter­partei zwar den Verzicht auf geschätzte Führer, unter denen der greise Lansbury, der Leiter der Opposition im Unterhaus sind repräsentative Führer der Partei, besonders populär ist, aber eine politische Krise bedeutet der Rücktritt dieser Männer nicht, die auch weiterhin Ange­hörige der Partei bleiben werden. Was Lans­ bury  , Cripps   und Ponsonby   zu ihrem Rücktritt veranlaßt hat, war weniger ein politischer Kon­flikt mit der Mehrheit der Partei, die hinter den außenpolitischen Beschlüssen der Trade- Unions, der englischen Gewerkschaften, steht, als ein Gewissenskonflikt. Das gilt insbesondere für Lansbury   und den bisherigen Fraktionsführer im Oberhaus Lord Ponsonby  , die in ihrer streng pazifistischen Gesinnung die Mitverantwortung an kriegerischen Maßnahmen ablehnen, die an­gesichts der Haltung Mussolinis im abessinischen Konflikt von der englischen   Regierung ergriffen werden könnten. Der letzte Parteikongreß der Labour-Pärty, der voriges Jahr in Southport   abgehalten wurde, hat die Stellung der Partei zur Kriegsfrage ge­gen eine(von Lord Ponsonby   geführte) streng pazifistische Minderheit; dahin festgelegt, daß die Partei ein bewaffnetes Vorgehen nur dann dul­den und billigen werde, wenn es vom Völker­bund beschlossen und als gemeinsame' Maßnahme der Völkcrbundsmächte eingeleitet werde. Dieser Beschluß war die Folgerung, die man aus der durch Mussolini   und Hitler   geschaffenen Lage zog und aus dem Mißerfolg der Abrüstungs­politik, deren aufopferndster Vorkämpfer Arthur Henderson   damals in Southport   von dem Posten des Generalsekretärs der Labour-Party   schied. .Wenn jetzt, angesichts der Kriegsdrohung Musso­linis, der englische Gewerkschaftskongreß in Mar­ gate   sich für Völkerbundssanttionen gegen einen italienischen Angriff ausgesprochen hat(mit dem Zusatz: auch wenn diese Sanktionen einen Krieg zur Folge haben könnten), dann hat er damit nur die Konsequenz aus den Beschlüssen von Southport   gezogen, und es ist so gut»wie sicher, daß auch die bevorstehende Jahreskonfe­renz der Partei dieselbe Stellung einnehmen wird. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Labour-Party angesichts der durch Mussolini  geschaffenen Situation plötzlich einen neuen Kurs eingeschlagcn hat. Und es hat auch keiner der hohen Parteifunktionäre, die jetzt ihre Ämter verlassen, einen solchen Vorwurf erhoben. Wenn Lansbury   und Ponsonby   die Verantwortung an den möglichen Folgen der anti-italienischen Sanktionen ablehnen, dann legen sie damit nur das persönliche Bekenntnis ihrer ethisch-religiö­sen Friedensgesinnung ab, die sie bis zuletzt hoffen ließ, der Friedenswille der Völker werde einen, neuen Krieg nicht zulassen» wobei sie die tragische Tatsache nicht deutlich genug er­kannten, daß der Wille der Völker in den vom Fascismus eroberten Staaten geknechtet ist und sich nicht äußern kann. Der Rücktritt Lansburys und Ponsonbys ist also mit dem vorjährigen Rücktritt Hendersons zu vergleichen; sie müssen sich einer Realität beugen, die sich leider stärker erweist als ihr gläubiger Friedenswille. Um den Gewissenskonflikt, in den Lans­bury, Ponsonby   und Cripps   geraten! sind, ganz zu verstehen, muß man freilich noch die Tatsache berücksichtigen, daß die Labour-Party innerpo­litisch in schärfster Opposition zurnationalen" Baldwin-Regierung steht und daß insbesondere Stafford Cripps  , der Leiter derSozialistischen Liga"(die den linken Flügel der Partei bildet)! die Aufgabe der Opposition gegen die Außen­politik der Regierung für bedenklich hält. Das Mißtrauen gegen die herrschenden Konservativen äußert sich in der Befürchtung, daß die englische Regierung aus einem Abwehrkampf im Zeichen des Völkerbundes einen imperialistischen Kolo­nialkrieg machen könnt?» aber dieses Miß­trauen ist nicht auf den Kreis der Pazifisten und der Sozialistischen Liga beschränkt und wird die gesamte Labour-Party zu erhöhter Wachsamkeit gegenüber den Maßnahmen der Regierung ver­pflichten, die ja mit dem von Sir Samuel Hoare