Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

15 Jahrgang

Freitag, 27. September 1935

Ein neuer Dreibund?

Deutschland - Polen - Ungarn

Paris . Zu der bereits gemeldeten Berliner | über den Einfluß des Sowjetverbandes auf dem Reise des ungarischen Ministerpräsidenten m- Balkan und schließlich über die sich aus dem bös erfährt der Korrespondent der Information italienisch- abessinischen Konflikt ergebenden Pro­financière", ihr Zweck seien Verhandlungen über bleme.

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( einschließlich 5 Heller Porte]

Wege aus der Krise

1. Der Wiederaufbau unseres Exports Die schwere Arbeitslosigkeit, die seit Jahren über den industriellen Gebieten der Republik lastet, ist im heurigen Jahre nicht geringer ge­worden. Im Jahre 1934 sind von Ende Feber bis Ende August 271.856, 1935 in derselben Zeit 276.874 Arbeitslose wieder eingestellt wor­den. Es handelt sich also

Nr. 226

des damaligen Ministers für soziale Fürsorge, Dr. Alfred Meißner , bewiesen, das dieser am 20. November 1934 im Abgeordnetenhause ge= halten hat und in welchem er als die am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffenen Bezirfe den Anfch I u Ungarns an da§ Aufschlußreich ist auch eine Bemerkung der Grasliß mit 36.1 Prozent, Sternberg, mit 30. deutsch - polnische Bündnis, dessen( offiziösen Diplomatischen Korrespondenz", daß Rumburg mit 29.1, Neudet mit 25.4, Friedland Grundlagen von Göring und Nibbentrov diejenigen Staaten, welche durch die von Ruß­ausgearbeitet wurden, also die Verwirklichung land, der Tschechoslowakei und Rumänien ein­mit 23.4, Freudenthal mit 22.7, Elbogen mit eines deutsch - polnisch- ungarischen Dreibundes. 21.4 und Karlsbad mit 21.3 Prozent Arbeitss geschlagene Politik betroffen sind, pflichtgemäß Umschau halten müssen. losen anführte, durchwegs Bezirke mit deutscher Bevölkerungsmehrheit. Nach einer anderen Sta­Die Nachrichten der ausländischen Preffe von Inbesondere die arbeitenden Massen des de ut= tistik waren Ende August von tausend Einwoh­dem bevorstehenden Abschluß eines Luft abfchen Volkes sind von dieser Stagnation der nern in Bezirken mit mehr als der Hälfte deuts fom mens zwischen Deutschland , Bolen und Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Daß die scher Bevölkerung 76.4, in jenen mit mehr als Ungarn gewinnt unter diesen Umständen an Arbeitslosigkeit die deutschen Gebiete der Repu= der Hälfte tschechischer Bevölkerung nur 27.7 Wahrscheinlichkeit. blit stärker betroffen hat, wurde schon im Exposé arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit ist

Reichskanzler Hitler , der bisher ein Gegner der Politik des Vorkriegs- Allianzsystems war und feine bisherige Politik darauf beschränkte, den Nachbarn Deutschlands , mit Ausnahme von Li­ tauen , Nichtangriffsrakte anzubieten, habe unter dem Einfluß der letzten Ereignisse seine Auffaf­fung geändert, insbesondere unter dem Eindruc des aktiven Eintretens Rußlands in die euro­päische Politik.

Es gelte fast als sicher, daß die Anregung zu diesen Verhandlungen von der polni. schen Regierung ausging, die sich durch die Politik Rußlands und durch die neue Annäherung zwischen Rußland und Rumänien bedroht fühle.

Budapest . Ministerpräsident Gömbös hat sich Donnerstag früh mit seiner Begleitung zu dem angekündigten Besuch nach Deutschland be­geben.

In Begleitung des Ministerpräsidenten be finden sich der Pressechef des Außenministeriums, der Leiter der politischen Abteilung des Außen­ministeriums sowie sein Adjutant.

Letzte Frist

auch heuer nur um eine Saisonbelebung der Wirtschaft, nicht aber um eine wirkliche Kon­junktur.

für gütliche Austragung

Verfahren nach Artikel 15 beginnt

Genf . Nach einer kurzen nichtöffentlichen Sitzung verhandelte der Völkerbund am Don= nerstag vormittags in öffentlicher Sißung über den abeffinisch- italienischen Konflikt. Der Vor­fizzende konstatierte, daß die Schlichtungskommission des Fünferansschusses beendet sei und nunmehr die weiteren Bestimmungen des Artikels 15 des Völkerbundpaktes in Betracht kommen. Lord Eden verlangte im Namen Englands die sofortige Anwendung des§ 4 des Artikels 15. 2aval schloß sich diesem Verlangen vollinhaltlich an.

Schon daraus ist ersichtlich, daß es sich nicht um eine harmlose Jagd", wie es gestern hief, Gen f.( Havas.) Infolge des Be. sondern um hoch politische Konfeschlusses der donnerstägigen Ratssit. renzen handelt. zung wurde die Prozedur nach Art. 15 des Paktes eingeleitet, doch ruht die Anwendung dieses Artikels, solange der Rat nicht die Schlußresolutionen genehmigt. Damit ist Mussolini eine lette Frist gegeben, aus der Sackgasse herauszukommen.

Gömbös ist bereits in Nemonien( bart an der litauischen Grenze) eingetroffen. Seine Begleitung flog nach einer kurzen Zwischenlan

dung in Insterburg nach Berlin weiter.

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Es scheint, meldet Hava s aus Berlin , daß in Nemonien über die Fragen der Spannung zwi fchen Polen und der Tschechoslowakei verhandelt werden wird oder verhandelt wurde, und ferner

Hungerkrawalle

im Berliner Arbeiterviertel

Das weitere Verfahren

Der Artikel 15 des Völkerbundpaktes betrifft das Schlichtungsverfahren. Der§ 4 lautet:

Kann die Streitfrage nicht gefchlichtet wer­den, so erstattet und veröffentlicht der Rat einen auf einstimmigem Beschluß oder Mehrheitsbeschluß beruhenden Bericht, der die Einzelheiten der

Streitfrage und die Borschläge wiebergibt.

die er zur Lösung der Frage als die gerechtesten und geeignetsten empfiehlt."

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abgesehen von einstim

Berlin . Im Berliner Stadtteil Wed. bing kam es in der Brunnen- und Ackerstraße zu Hungertrawallen. Diese begannen da­mit, daß die Frauen beim Einkauf von Kartoffeln laut ihrer Empörung über die wachsende Teue­Wenn dieser Bericht vom Rat rung Ausdruck gaben. Es bildeten sich spontan den Vertretern der Streitparteien Demonstrationen, und verschiedene Le- mig angenommen wird, so verpflichten sich die bensmittelgeschäfte wurden geplündert. Als die Bundesmitglieder, gegen teine Streitpartei, die Unruhen größeren Umfang annahmen, griffen sich den Vorschlägen des Berichtes fügt, zum Kriege Feldpolizei und SS ein. Dabei wurde von der zu schreiten. Jst dagegen feine Einstimmigkeit Schußwaffe Gebrauch gemacht. Die Unruhe erfaßte auch einige dortige Großbetriebe, in denen erreicht worden, so behalten sich die Bundesmitglie der das Recht vor, die Schritte zu tun, die sie zur die Vorfälle mit auffälliger Schnelligkeit bekannt wahrung von Recht und Gerechtigkeit für nötig er­wurden. Es wurden massenhaft Verhaftungen vorgenommen.

Presseberichtigung:

Zu dem in unserer Folge von Sonntag, den 22. September, gebrachten Artikel Henlein und das Dritte Reich", der den Bericht über den Prozeß der Sudetendeutschen Partei gegen die Prager Presse" enthielt, erhielten wir von den beiden An­wälten Dr. Hans Kohl und Dr. Hans Neu= wirth folgende Berichtigung:

"

Es ist unwahr, daß wir offensichtlich ein gro ßes Interesse daran zeigten, daß eine möglichst lange Frist für die schriftliche Vorlage und Prü­fung der Beweisanträge eingeräumt werde. Wahr ist vielmehr, daß wir verlangten, daß Herr Dr. Bouček seine Beweisanträge unverzüglich zu den Aften bringe.

Durch diese Berichtigung wird der Eindruck, den unser Berichterstatter aus der Haltung der beiden Anwälte empfangen hat, nicht im gering­sten abgeschwächt. Die Redaktion.

achten".

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nicht sehr wahrscheinlichen Für den Fall der einstimmigen Annahme der Vor­chläge des Rates müßte ein friegerisches Vorgehen Italiens gegen Abessinien dann die Santtio­nen nach Artikel 16 zur Folge haben, in dem es heißt:

ten jedes Bundesmitglied zu der bewaffneten Macht beizutragen hat, die den Bundesverpflich. tungen Achtung zu verschaffen bestimmt ist."

Weitere Bestimmungen betreffen die gegen

feitige Silfeleistung der Bundesmitglieder lichen und finanziellen wie auch militärischen Sant­

bei der Ausführung der zu ergreifenden wirtschaft­

tionen.

also im deutschen Gebiete fa it dreimalso großalsim tschechischen.

Die Frage der Wiedereinstellung der durch Jahre hindurch arbeitslosen Menschen im Ge­famtgebiete der Republik , insbesondere aber in den deutschen Industriegebieten, ist wohl die bedeutsamste wirtschaftliche und soziale Frage des Staates, die auch ihre große politische Bedeutung hat und der die Aufmerksamkeit aller zugewendet sein muß, welche einen Ausweg aus der Krise suchen. Die Erfah= rungen der letzten Jahre lehren uns, daß eine Wiedereinstellung der Arbeiter insbesondere im deutschen Gebiete, das ist also

eine wesentliche stärkere Beschäftigung unserer Arbeiter in der Textil, Glas- und Borzellan­industrie sowie im Kohlenbergban, nicht möglich ist ohne einen Wiederaufbau unseres Exports. Die tschechoslowakische Einfuhr hat im Jahre 1928 über 21 Milliarden betragen, sie ist dann in den folgenden Jahren Jahr für Jahr gesun= fen, bis sie ihren tiefsten Stand im Jahre 1933 mit 5.853,000.000 erreicht hat. 1934 hatte

sie einen fleinen Aufstieg zu verzeichnen, die Ausfuhr betrug in diesem Jahre 7.287,000.000 , sie belief sich also troß der geringen Besserung auf nur ein Drittel unserer Ausfuhr Für den Fall, daß die vom Rat vorgeschla- während der Hochtonjunttur. gene Lösung nicht einstimmig angenommen Auch im heurigen Jahr ist ein kleiner, aber nicht wird, gelten für Italien troßdem die Bestimmun- sehr bedeutender Fortschritt zu verzeichnen. Im gen des Artikels 12, daß es in keinem Falle vor ersten Halbjahr 1934 betrug unsere Ausfuhr Ablauf von drei Monaten nach dem 3.146,000.000 und im ersten Halbjahr 1935 Spruch der Schiedsrichter oder dem Bericht des Rates zum Kriege schreiten darf. Da dies Italien natürlich nicht befolgen würde, so drohen ihm für die frühere Eröffnung der Feindseligkeiten eben falls a II e im Artikel 16 angedrohten Sanktionen

Eden und Laval einig

3.278,000.000. Wie sehr die Tschechoslowakei ins Hintertreffen gerät, lehrt die einfache Fest­stellung der Tatsache, daß, ordnet man die Län­der dem Wert des Außenhandels auf 1000 Ein­wohner nach, die Tschechoslowakische Republik erst an 14. Stelle steht und nicht nur hinter der Schweiz , Belgien , Groß­ britannien , Frankreich und Schweden , sondern Ueber die Sizung wird folgender ausführ- fogar hinter Deutschland , Desterreich und licher Bericht veröffentlicht: Portugal rangiert. Das ist ein unerträglicher Zus Der Ratsvorsitzende schlug sodann vor, an die stand: einen Teil der uns verloren Redigierung eines Schlußbe- gegangenen Ausfuhr müssen richtes mit der Empfehlung zu schreiten, daß wir wiedergewinnen, wenn die mit den betreffenden Arbeiten alle Ratsmit- judetendeutschen Arbeiter leben glieder betraut werden. Der Völkerbundrat und wieder arbeiten sollen. schließt die gegenwärtige Sihung nicht ab und wird rasch seinen Bericht herstellen.

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Zersplitterung unserer Außenhandelspropa­ganda..

Jede Maßnahme zur Hebung unserer Auss Der Vertreter Englands, Minister Eden, be- fuhr stößt zunächst auf eine dauerte, daß das Schlichtungsverfahren keine Lösung gebracht hat. Die englische Regierung habe bereits zu verstehen gegeben, daß sie es als die Pflicht aller betrachte, das Instrument des Völkerbundes Eine ganze Reihe von Behörden, unter ihnen bei der Lösung des afrikanischen Konfliktes nicht mehrere Ministerien, sind es, welche sich mit dem außeracht zu lassen. Die englische Regierung ist im Außenhandel befassen, so das Außen-, Handels­mer noch der gleichen Meinung und glaubt, daß gesten Zeit eine eigene Außenhandelssektion errichtet und Landwirtschaftsministerium( das in der letz mäß Artikel 15,§ 4, unverzüglich ohne ,, Schreitet ein Bundesmitglied entgegen den weiteren Beitverlust borgegangen wer- hat), das Finanzministerium sowie das Devisen­in den Artikeln 12, 13 und 15 übernommenen Verpflichtungen zum Kriege, so wird es ipso den müsse, was die Möglichkeit nicht ausschließt, noch amt, das Getreidemonopol, die Handelskammern. facto so angesehen, als hätte es eine Kriegs- im Laufe der Arbeiten des Völkerbundrates eine Bei dieser Sachlage ist es unmöglich, zweckmäßige Maßnahmen rasch durchzuführen. Unsere Un= handlung gegen alle anderen Bundesmitglie­der begangen. Diese verpflichten sich, unverzüg- suchen. Eden betonte, daß eine Schlichtungsaktion er händler bei Sandelsverträs lich alle Handels- und Finanzbeziehungen zu ihm nur im Rahmen des Völkerbund gen wissen vor lauter vorgeseh pattes möglich ist. Am Schluß seiner Ausführun- en Behörden nicht, was sie vers abzubrechen, ihren Staatsangehörigen jeden Ver tehr mit den Staatsangehörigen des vertragsbrü. gen hob Eden hervor, daß der Frieden aufrechterhal- langen sollen und welches der ten werden müsse und daß deshalb nichts unterlassen Standpunkt der Regierung ist. Es ist chigen Staates zu untersagen und alle finanziel werden dürfe. Die englische Renierung iſt feit ent- ſchon einigemal bei Handelsverträgen vorgekom len, Handels- und persönlichen Verbindungen zwi­schlossen, an ihrer bisherigen Politik festzuhalten, men, daß unsere Vertreter die Verhandlungen ab­brechen mußten, weil die kompetenten Behörden schen den Staatsangehörigen dieses Staates und deren Richtlinien allgemein bekannt sind. jedes anderen Staates, gleichviel ob Bundesmit­untereinander nicht einig waren. Den vielen Ministerpräsident Laval schilderte in einer fur Stompetenzfonflikten, die da entstehen, kann nur glich oder nicht, abzuschneiden.

In

friedliche Lösun

g des Konfliktes zu ver­

verschiedenen beteiligten Regierungen vorzuschla. mehrmals, daß er mit der Ansicht des britischen Bers Außenhandelsministerium 3, in

gen, mit welchen Land-, Sec. oder Luftstreitfräf­

( Schluß auf Seite 2)

Idem die gesamte diesbezügliche Agenda Konzena