Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

15. Jahrgang

Samstag, 28. September 1935

Nun auf zu rascher Tat!

Das sozialistische Krisenbekämpfungsprogramm fast restlos angenommen Schnellste Durchführung unbedingt erforderlich

Pra g. Nunmehr liegt die Resolution des sozialpolitischen Subkomitees in ihrer endgülti­gen Fassung im Wortlaut vor. Ihre Vorgeschichte ist noch in aller Erinerung. Auf Initia= tive der sozialistischen Parteien wurde der sozialpolitische Ausschuß anfangs September einberufen, um zu der geradezu unerträglich gewordenen wirtschaftlichen Lage der breiten Volksschichten Stellung zu nehmen. Fürsorgeminister Genoffe Ing. Nečas entwickelte dort ein furchtbares Bild der Situation. Seine Rede trug sicher viel dazu bei, daß die Debatte nicht im Sande verlief, sondern in einem Subkomitee die der Regierung zugeschlagenden Maßnahmen eingehend beraten wurden. Das Ergebnis ist nun die vorliegende Resolution, die noch dem Aus­plenum zur Genehmigung vorgelegt werden wird.

Die Grundlage der ganzen Diskussion im Subkomitee war die von den drei fozialistischen Parteien ausgearbeitete und auch von der tschechischen Volkspartei ausgearbeitete Resolution, die wir seinerzeit abgedruckt haben. Schon ein flüchtiger Vergleich zeigt, daß diese Resolution zum allergrößten Teile wort wörtlich vom Subkomitee akze p= tiert wurde. Keine Aenderung trifft irgendwie den Kern des von den Sozialisten vor­geschlagenen Programmes der Krisenbekämpfung. Die sozialistischen Parteien können also mit Recht auf ihre erfolgreife Initiative in Sachen der Krisenbekämpfung stolz sein. Anerkennung verdienen aber auch die anderen Parteien, die durch die Annahme dieser Vorschläge ihr Ver­ständnis für den Notstand der arbeitenden Bevölkerung bewiesen haben.

Eines dürfen wir, aber nicht vergessen: Vorläufig existiert nur eine Resolution, draußen aber steht schon ein Krisenwnter vor der Tür, der seinen Vorgängern leider nichts nachgeben wird. Darum muß die Regierung jetzt alles daransetzen, um diese Nesolution anch in die Tat umzusetzen, und zwar so rasch als nur irgend möglich, damit die Auswirkungen dieses Programmes noch vor dem Winter sichtbar werden und mit dazu beitragen, den Winter glimpflich zu überstehen.

Nicht von der Resolution, sondern erst von ihrer praktischen Durchführung wird die weitere wirtschaftliche und damit auch die politische Entwicklung unseres Staates zu einem erheblichen Teile abhängen. Die Regierung hat das Wort!

Die Resolution

Die Regierung wird aufgefordert:

I.

Zwecks Linderung der Arbeitslosigkeit die nöti­gen Maßnahmen zur Belebung des Inlandsmarktes, zur Vermehrung der Arbeitsgelegenheiten, zur Er­höhung der Kauffraft der Bevölkerung und zur Er­höhung und Beschleunigung der Handelsumsätze zu treffen. Zu diesem Zwecke wird verlangt:

a) So bald wie möglich Maßnahmen zur

c) daß die Bezirksbehörden darauf achten, daß die Verordnung über die Verbindlichkeit der Kollektivverträge von den Arbeitgebern eingehalten werde;

d) so bald wie möglich eine neue Vergebungs­vrdnung zu erlassen, die eine gute Qualität der Arbeit und ihre gerechte Entlohnung verbürgt;

e) die Bestimmungen über die Unterstüßung

der Arbeitslosen zum Zwecke der Vereinfachung des Verfahrens zu revidieren;

f) mit größtem Ernst die Frage der Rekul­tivierung des vom Bergbau verwüsteten Bodens und der Kolonisierung zu lösen, wobei in erster Linie auf den Bedarf der Bevölkerung in Kar pathorußland und der Slowakei Rücksicht genom­men werden soll;

g) das Doppelverdienertum Einzelner oder die Erwerbstätigkeit von Pensionisten mit einer ausreichenden Rente überall dort zu verbieten, wo dies der Staatsmacht möglich ist.

III.

Damit die Lage der Verbraucherschichten nicht durch eine Verteuerung der Lebensbedürfnisse ver­schlechtert werde, wird die Regierung zu folgenden Maßnahmen aufgefordert:

a) alles vorzukehren, um die verbindliche Er­klärung der Regierung vom 20. Juli 1935 zu er­füllen, daß die Mehl und Brotpreise nicht über das Niveau vom 15. Juli 1935 erhöht werden. Namentlich wird die Regierung aufgefor­dert, bei der Durchführung dieses Beschlusses alle Mittel anzuwenden, damit das Brot nicht ver­teuert werden kann;

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 227

Preise die Nottarife der Bahnen angewen det und die Verzehrungssteuer aufgehoben werden. Die Verarbeitung von Speisekartoffeln zu indu­striellen Zwecken ist zu verbieten;

=

c) Maßnahmen zu treffen, damit die Pro duktion von Volks Pflanzenfetten den Bedarf der Bevölkerung voll decke. Die entsprechenden Kontrollmaßnahmen sind von der Regierung durchzuführen;

d) da ein Milch mangel droht und auch sonst der hohe Preis der Futtermittel auf die Viehzucht schädlich einwirkt, soll die Regierung Maßnahmen treffen, um ein Herabsehung der Futtermittelpreise zu er­zielen, vor allem für die Notstandsbezirke;

e) insoweit in der Versorgung mit Fleisch it n d tierischen Fetten die hei­mische Zucht und die bisherigen Maßnahmen der Regierung zur Deckung des Inlandsbedarfes nicht ausreichen, find weitere enti pre chende Maßnahmen zur ausreichen­den Versorgung der Bevölkerung zu treffen; f) endlich soll die Regierung eine Entschei dung über die Herabsehung der Zuckerpreise treffen.

IV.

1. Die Regierung soll mit größter Beschleuni­gung der Nationalversammlung den Entwurf einer Novelle des Kartellgesetzes vorlegen, die nach allen Richtungen staatliche Eingriffe in die Kartellpolitit ermöglicht und weiter die Deffentlichkeit des Ver­fahrens, die Publizität der Kartellverträge, die Zu­erkennung der aktiven Legitimation an die Kon­fumentenorganisationen zur Eröffnung des Ver­fahrens und weitere Bestimmungen enthält, um ein schnelles Verfahren und eine schnelle Entscheidung

b) sofort alle Maßnahmen zu dem Zwecke zu sicherzustellen. treffen, um den Kartoffelkonfum in 2. Bei der Durchführung des Gewerbe dem nötigen Maße bei nicht erhöhten Preisen schuhe& foll die Praxis so gehandhabt werden, ficherzustellen. Diese Maßnahmen sollen noch vor daß Selbsthilfeaktionen der Konsumentenschichten Eintritt der Fröste durchgeführt werden, um die nicht unmöglich gemacht und gebührende Rücksicht auf Bildung von Vorräten zu ermöglichen; dabei find den Arbeitsmarkt genommen wird Vorkehrungen zur Beschaffung von Kartof- feln für Arbeitslose zu treffen. Neber diese Maßnahme ist dem sozialpolitischen Ausschuß in der Zeit vom 10. bis 20. Oktober ein 4. Die Schritte zur Novellierung und Durch Bericht zu erstatten. Bei der Distribution der Vor- führung der Versicherung der selbständigen erwerbs­räte sollen zum Zwecke der Verbilligung der tätigen Personen sollen beschleunigt werden.

Berbilligung des Krebites zu Die Enthüllung des ,, Sozialdemokrat" hat gewirkt:

treffen;

b) Investitionsarbeiten des Staates und der Selbstverwaltung anßerhalb des Staats- bzw. der autonomen Budgets in einen außergewöhnlichen, dem Umfang der Arbeits­losigkeit entsprechenden Maße zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke sollen geeignete Kredit­operationen durchgeführt werden;

c) über die Durchführung dieser Arbeiten zeitgerecht ein Abkommen mit den Selbstverwal­tungsinstanzen zu vereinbaren;

d) zur initiativen Tätigkeit in der Richtung der Arbeitsbeschaffung die volks­wirtschaftliche Abteilung beim Ministerratspräst­dium zweckmäßig auszubanen;

e) die Administrative des Staates und der Selbstverwaltung derart zu regeln, daß die Er­ledigung der Investitionsarbeiten mit größ ter Beschleunigung erfolge;

3. Die Regierung wird aufgefordert, die Mög­lichkeit von Schuhmaßnahmen für verarmte, selbständig erwerbstätige Personen zu prüfen.

Nentwich aus dem Henleinklub

Zank und Empörung im Henleinlager

"

In dem Brief des Henleinabgeordneten Ing. Alfred Nentwich, den der Sozialdemokrat" vor vierzehn Tagen veröffentlichte, schreibt Kame­rad Nentwich an seinen Parteigenoffen Rudolf Sachse in Bodenbach: Nur zu, je forscher, desto cher ist der Scherben da."

halten

Nun, Herr Kamerad Nentwich hat recht be­

-

f) dem Außenhandel systematische die Scherben sind schon da: Fürsorge zu widmen, und zwar durch Beseitigung aller Exportschwierigkeiten, durch Ausstattung der Auf Grund unserer Veröffent­Bertretungsämter mit Handelsfachleuten, durch lichung des Briefes Nentwichs, durch zweckmäßiger organisierter Versorgung der Repu- den ein Teil der skandalösen Vorgänge blik mit Rohstoffen auf direktem Wege aus den Ursprungsländern, um dadurch eine günstigere in der Henleinpartei aufgedeckt wurde, Position beim Abschluß von Handelsverträgen zu ist nun Nentwich aus dem Ab. erreichen; 8) Maßnahmen zum Zwecke der Bele. Seordneten klub der Hen. er Baubewegung zu tref- eins hinausgeworfen wor fen, namentlich foweit es sich um Bauten mit den. Die" Rundschau" veröffentlicht kleinwohnungen handelt, und die heute eine parteiamtlich e, von Verordnung über Steuererleichterungen bei Haus- Rudolf Sandner gezeichnete gewun­reparaturen zweckmäßig zu ergänzen. dene Erklärung, in der es heißt:

bung

de

II.

Für die Einreihung einer weiteren Zahl von Arbeitslosen in den Arbeitsprozeß Vorsorge zu tref= sen, und zwar mit Rücksicht darauf, wie lange der Angestellte aus der Arbeit ausgeschieden war oder feine Gelegenheit zur Arbeit hatte und mit Rück­ficht auf die soziale Stellung, und weiterhin den Eingestellten angemessene Löhne zu Tchern. Zu diesem Zwecke wird gefordert:

a) So bald wie möglich die Regierungsver­handlungen über Arbeitsvermittlung und Arbeitszeitverkürzung positiv zu beenden;

b) die Verbindlichkeit der Kollektivverträge in den Textilbetrieben nach der Verordnung 102/35 durchzuführen und nach vorhergehenden Versuchen nach gütlicher Einigung analoge Maß­nahmen auch in anderen Arbeitszweigen zu tref­fen, und zwar mit der nötigen Rücksicht auf die Produktions- und Exportbedingungen;

hinausgeworfen

Wen glaubt Herr Sandner mit diesem Ge­stammel( in seinen Kreisen würde man es als jüdischen Dreh" bezeichnen) dumm machen zu können?

In dem von uns veröffentlichten Brief Nentwichs, dessen Echtheit nun von der Rundschau" bestätigt wird, heißt es

wörtlich:

,, ich erkenne klar, daß Du recht hast, wenn Du von der Festigung des Blockes sprichst, der gegen uns den Dolch im Gewande trägt, doch ich die Suppe nicht so heiß, wie sie die Herrn vom Kreis M., der mir im mer mehr das geistige Ober. haupt soweit die Herren aus dem anonymen Dunkel hervortau­chen- erscheint, kochen und einrüh­ren wollen... M. muß von hier weg und das darf nicht locker behandelt werden."

-

,, Abg. Nentwich hat im Einverneh men mit Konrad Henlein sein Mandat als Abgeordneter der Parteiniedergelegt. Durch die Die Henlein - ,, Rundschau" muß vom Ver Niederlegung seines Mandates hat er die durch stand ihrer Leser eine verteufelt schlechte Meinung Veröffentlichung seines, eine per- haben, wenn sie glaubt, daß sich auch nur ein ein­fönliche Stellungnahme zu örtlichen Auseinan- ziger einreden läßt, daß mit jenem" M", den dersetzungen in Tetschen enthaltenden Brie- Nentwich als das geistige Oberhaut fes( im ,, Sozialdemokrat" Red.) entstandene bezeichnet, irgend ein beliebiges, unbe= Konsequenz gezogen... Die willkürliche Aus. fanntes Mitglied der Bewegung ge­deutung des veröffentlichten Briefes bezüglich meint ist. der beteiligten Personen( vor allem den Kreis­leiter des Wahlkreises V Hans May betref fend) entbehren jeder Grundlage. M bedeutet im Briefe des Kameraden Nentwick nicht eine Abkürzung des Namens des Kreis­leiters May, sondern bezog sich auf ein Mit glied der Bewegung in Tetfchen..."

von Verwirrung und Kopflosigkeit im Henleinhauptquartier.

Es ist auch bekannt, daß im Henleinlager des Kreises Tetschen , aber auch darüber hinaus, ein Mensch dieses verlegene Ge stamme I glaubt. Die Empörung und Verwirrung wird von Tag zu Tagärger. Die genasführten Mitglieder, den nun die Augen aufzugehen beginnen, wollen wissen,

wie es mit den anderen Enthüllun gen in dem Brief Nentwichs steht, was mit dem ,, zweifelhaften Bundes. genossen", dem Henleinlandesvertre. ter Helzel los ist und was mit dem Henleinsenator Robert Tschakert, von dem in dem Brief erklärt wird, das die Dilettanten über ihn her. fallen".

Vierzehn Tage lang hat's den Henleinbon zen die Rede verschlagen und sie haben versucht, den Skandal totzuschweigen. Das hat sich als un­möglich erwiesen Kamerad Nentwich mußte geopfert werden.

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sches Gestammel zu vertuschen. Jetzt versucht man den Skandal durch kindi­Das wird auch nicht lange gehen. Das große Scherbengericht, das Nent­wich ankündigt, hat begonnen. Mit Und vollends die Behauptung, daß Serumreden läßt es sich nicht aufhalten. jemand mit dem ,, Kreis M " nicht den Die Bonzen haben sich gegenseitig die Kreis des Kreisführers M gemeint Maske vom Gesicht gerissen. Das sude. habe( der Kreisführer des Kreises tendeutsche Volk sieht jetzt, wer die Tetschen aber ist der Abg. Franz Leute sind, von denen es sich bluffen May), beweist schon ein hohes Maß ließ.