Seite 6 Samstag. 28. September 1935 Nr. 227 Taifun Tokio . Aus der Provinz Gumma, nordwest- lich von Tokio werden 190 Todesopfer des Taifuns uyd der Ueberschwemmung gemeldet, 130 weitere Personen werden vermiet. Rund 1500 Häuser sind überschwemmt oder eingestürzt. Der Bahnverkehr nach der Provinz ist unterbrochen. Vier Torpedobootzerstörer erlitten während eines Taifuns in den südjapanischen Gewässern bei Uebungen schwere Schäden. Zwei Zerstörer sind anscheinend zusammengestoßen, wobei im ganzen 51 Mann vermiß t werden. Das Lych ins Freie Bromberg. In dem großen Zuchthaus Krone bei Bromberg ist es in der letzten Nacht wieder zu einem verwegenen Massenausbruch gekommen. Aus eine n Schlafraum.' in dem sich 47 Gefangene befanden, sind deren sieben durch ein i n die Außenwand gestemmtes Loch ins Freie gelangt. Sie kamen von dort in die Pfarrkirche, und zwar, indem sie dort auch ein zweites Loch in die Mauer brachen. Frauen in Genf Im Genfer Bölkerparlament haben eine Reihe vop Frauen Sitz und Stimme. Es sind im ganzen^l4,• die als Delegierte, als Ersatzdelegierte oder Mitglieder von Kommissionen am Völkerbund mitarbeiten. Unter ihnen die Fürstin Völkerbund Mitarbeiten Unter ihnen befinden sich die Fürstin Starhemberg , die Komteffe A p p o ny i, die frühere erste Botschafterin der Sowjetunion , Frau Kollontai , weiter die Europäerinnen Forchhommer(Dänemark ), Ma- laterre-Sellier(Frankreich ), Horsbrugh(Groß britannien ), Ciurlois'(Litauen ), Reutz(Ncr- wegen), Kluyver(Holland ), Vacarescu(Rumä- nieu) und Hosselgren(Schweden ) und zwei Asiatinnen: die Krämerin Heknni und die Chinesin Den Chen. Herriot « Friedenspfeife Paris. (MTP.) Edouard Herriot , dessen Pfeife niemals ausgeht, hat in seiner Eigenschaft als Bürgermeister von Lyon vor einigen Tagen als Ehrengast bei den Tabakhändlern seiner Stadt an einem Bankett teilgenommen. Er hat die Gelrgerchcit nicht versäumt, das Rauchen und insbesondere das Pfei- fcnrauchen zu rühmen. Man habe ihm manchesmal nachgesagt, meinte er, daß er die Pfeife geradezu zu einem Mittel der europäischen Diplomatie gemacht hab«. Er würde dar durchaus begrüßen. Denn es gab schon einmal ei,re Diplomatie, die sich der Pfeife als Symbol bediente: es waren die Indianer, die bekanntlich die Friedenspfeife zu rauchen pflegten. Er würde lediglich wünschen, daß seine Pfeife in der europäische Diplomatie keine andere Bedeutung hätte. Die Jndengesetze. Wie der gewöhnlich sehr gut informierte Berliner Korrespondent der „Neuen Züricher Zeitung" meldet, hat bereits der Streit um die Auslegung der schändlichen Nürnberger Judengesetze begonnen. Zwischen dem Reichsinnenministerium und den Münche ner Parteistellen sind„ernste Meinungsverschiedenheiten" über die Durchführung der Judengesetze entstanden, und eine für Dienstag einberu- fene Pressekonferenz, in der die Gesetze erläutert Iwerden sollten, ist deshalb abgesagt worden. Denn das Ministerium in Berlin will die Wirkung der Gesetze auf die reichsdeutschen„Bolljuden" beschränken, während die Parteihäuptlinge in München sie auch auf die in Deutschland lebenden jüdischen Ausländer und die arisch-jüdischen „Mischlinge" angewendet sehen möchten. Auch im Reichswehrministerium schüttle man nun die Köpfe: denn es gibt in Deutschland mehr als 100.000„Mischlinge", die von der Reichswehr im Falle der Tauglichkeit zum Militärdienst eingezogen werden und laut§ 15 des Wehrpflichtgesetzes nach Ableistung des Militärdienstes keine Nichtarierin heiraten dürfen. Sollen sie nun nach 8 1 der Nürnberger Gesetze auch keine Arierin heiraten dürfen? Man scheint in Nürnberg keine Zeit gehabt zu haben, sich mit solchen Fragen zu befassen, weil man offenbar in aller Eile die Rassengesetze zusammengeflickt hat, um den Anhängern der Bewegung am Ende überhaupt etwas„Positives" bieten zu können. Der erwähnte Schweizer Korrespondent hat auch erfahren, daß in Nürnberg nach den offiziellen Veranstaltungen noch tagelang, geheime Beratungen stattgefunden haben, darunter eine Versammlung sämtlicher Gauleiter imd Reichsleiter der Partei in Anwesenheit Hitlers , bei der Dr. Schacht eine Rede hiell, die sich inhaltlich mit seiner bekannten Königsberger Kundgebung deckte und in der Forderung gipfelte, den Antisemitismus ausschließlich auf„staatsbürger- liches" und„kulturelles'* Gebiet zu lenken, die Wirtschaft aber unberührt zu lassen. Es ist deni- nach nicht zu bezweifeln, daß die Gesetzesmach- werke von Nürnberg wieder ein echt hitlerisches Ablenkungsmanöver zugunsten des Kapitalismus waren, der dafür sorgt, daß nicht nur der Wahnsinn, sondern auch die Gemeinheit und die Verwirrung Methode haben. Ostrauer Ziffern. Aus Mährisch-Ostrau wird berichtet: Zur Linderung der Not der Arbeitslosen in Mährisch-Ostrau trägt in erster Reihe der Staat bei, dann die Stadt selbst, ferner der Bezirk und die Polizeidirektion. Seit dem Jahre 1930 erforderte die Arbeitslosenfürsorge in Mäh- risch-Ostrau einen Gesamtaufwand von Kö 26,103.627, wozu der Staat mit XL 21,180.144, der Bezirk mit 839.925, die Stadt mit 3,778.553 und die Polizeidirektion mit XL 305.003 beitrugen. Im Rahmen dieser Fürsorge wurde Heuer ein Betrag von XL 4,507.961 aufgewendet.— Nach dem Schlußausweis wurden in Mährisch- Ostrau Heuer an 32 tschechischen Volksund 13 Bürgerschulen 11.847 Kinder und an 10 deutschen Volks- und sechs Bürgerschulen 2145 Kinder, an drei polnischen Volks« imd einer Bürgerschule 150 Kinder und in der fünfllassigen jüdischen Schule 200 Kinder. Außerdem besuchten die tschechischen Kindergärten 1568 Kinder. Ein gewissenloser Chanffeur. Auf der von Prag nach Motol führenden Straße wurde bei der Ortschaft Pod Homolkou gestern nach Mitternacht der Soldat des Artillerieregiments Nr. 101 Antonin M ü l l e r in schwerverletztem Zustande aufgefunden. Er war von einem unbekannten Auto überfahren worden. Müller wurde mit einem Lastauto zuerst in die Kaserne von Motol und dann mit einem Sani- tätSauto in das Tivisionskrankenhaus überführt. Das Befinden des Verletzten, der neben anderen I Verletzungen auch einen Bruch des Schädelkno-| chens erlitt, ist sehr ernst. Nach dem unbekannten Chauffeur, der, ohne sicb um den Schwerverletzten zu kümmern, weitergefahren war, fahndet die Gendarmerie. Todessahrt auf dem Motorrad. Der 24jährige Student der Technik Ed. MakoviLka aus H o st i v a r bei Prag , der die 21 Jahre alte Marie Kucharovä, ebenfalls aus Hoftivar, auf seinem Motorrade mitführte, geriet auf der Staatsstraße bei Domasov unweit von Brünn , als er einem Schubkarren ausweichen wollte, in den Straßengraben und stieß mit dem Kopfe so unglücklich gegen eine kleine Straßenbrücke, daß er auf der Stelle tot war. Seine Begleiterin wurde mit leichteren Verletzungen in ein Krankenhaus in Brünn gebracht. Rauschgift. Die Wiener Polizei verhaftete einen der berüchtigsten Rauschgifthändler Wiens, den ehemalige Pharmazeuten Karl P l u g e r, der selbst leidenschaftlicher Morphinist ist. Pluger hat in der letzten Zeit über 200 Rezepte gefälscht und verhältnismäßig große Mengen von Rauschsgiften herausgelockt. Unter seinen Opfern befindet sich auch ein bekannter Wiener Rechtsanwalt, der vor einigen Tagen Selbstmord verübte. Die geistlichen Devisen. Vor dem Berli ner Schnellschöffengericht begann gestern ein Devisenstrafverfahren gegen zwei Geistliche der Missionsgesellschaft der Pallotiner in Limburg (Lahn ), denen Tevisenschiebungen in der Höh- von 190.000 RM Vorgeivorfen werden. Blutiger Ballon. Tie Bewohner des polnischen Dorfes Trczinka fanden auf dem Felde einen anscheinend deutschen Ballon mit der Aufschrift„Brautunesse". Der Ballon Ivar ohne Gondel und zeigte Blutspuren. Die Gondel und die Besatzung konnten bisher nicht gefunden werden. Herbstmanöver in Jügoslavicn. Gestern um 19 Uhr wurden die Heibstmanöver der jugoslawi- fchen Armee eröffnet. Die Blätter heben hervor, daß dies die größten Manöver seit der Gründung des neuen Staates seien. Hochwasser in Mexiko . Gewaltige Regengüsse im Staate Jalisco riefen eine Ueberschwem- mung weiter Gebiete in Mexiko hervor und richteten riesigen Schaden an. Zahlreiche Ortschaften stehen vollkommen unter Wasser. Spionage im Elsaß . Ter„Matin" meldet, daß im Elsaß in einer Fabrik für Erzeugnisse, die zur Nationalverteidigung bestimmt sind, eine Spionage-Affäre aufgedeckt wurde. Die Polizei bat wichtige entwendete Dokumente bei einem der Fabriksdjrektore n, einem Schweizer , beschlagnahmt. Ein englisches Militärflugzeug stürzte in einen yalähüüknWchMi><>&. S>x Pjl»» ,,»r». seine Begleiter wurden getütet. Fundverheimlichung? In K a s ch a n wurde der Arbeiter Fr. Kurfist, als er Goldmünzen zum Kauf anbot, von der Polizei gefaßt, die bei ihm 23 Stück Goldmünzen fand. Wie festgestellt wurde, stammen diese Münzen aus dem jüngst bei den Grundarbeiten für das Gebäude der Finanzdirektion in Kaschau gefundenen Goldschatz. Die Polizei verhaftete im Zusammenhang damit den Finder des Goldschatzes, den Arbeiter Peter Stachö, ferner St. Kondäs, Michal Haluska, Gabriel Hack, O. HonLiarik und Helene Kondasova. Tie Mehrzahl der gefundenen Goldmünzen konnte wieder sichergestellt werden. Vom Rundfunk Umpfehlenswerlea aus den PrograaimMi Sonntag: Prag , Sender L: 7.30: Konzert aus Karlsbad , 8.30: Violinkonzert, 9.10: Klavierkonzert, 15: Deutsch « Landwirtschaftssendung, 17.50: x Deutsche Sendung: Konzert des Prager Rundfuntorchesters, 20: Uebertragung aus dem Smetanasaal: Konzert des tschechoslowakischen Rundfunks, 22.25: Deutsch « Presse und Sport, 22.30: Tanzmusik. Sender T: 14.30: Deuts ch e A rb ei ters e n d u n g: A. Schmidt: Arbeitslosigkeit u. Auswanderung. 14.45: Etwas Weltgeschichte. — Brünn 9.10: Konzertstunde, 13.40: Berliner Philharmonie auf Schallplatten, 18.35: Deutsche Sendung: Jng. Tche- diwy: Kurzbericht vom Masarykring.— Mährisch- Ostrau 16: Nachmittagskonzert.— Preßburg 19.05: Durch Gesang und Tanz. Montag: Prag , Sender L: 10.05: Deutsch « Presse, 13.30: Arbeitsmarkt 11.25: Schulfunk, 15: Orchesterkonzert auf Schallplatten, 18.10: Deutsche Sendung: Josef Zak: Volk und Kirche, aus dem Manuskript. 19.10: Schallplatten: Smetana , 21.30: Schönberg „Verklärte Nacht ", Sextett für Streicher. 22.30: Tschechisch für Deutsche , 22.35: Schallplatte»: Zeller: Der Vogelhändler. Sender S: 7.30: Salonorchester. 14: Chansons. 14.20: Deutsche Sendung' Sordan: Lieder, die sie nicht erreichten,, 19.10: Buntes Programm. — Brünn 11: Schallplatte» Mozart, 13.30: Arbeitsmarkt und Sozialinformationen, 17: Kinderstunde, 17.40: Deutsche Sendung: Dr. Hruby: aussterbende Pflanzen und Tiere unserer Heimat, 19.30: Alte Lieder und VolkSbräuche. — Mährisch-Ostrau 18.10: Deutsche Sendung: Ar- beiterftmk: RusiLkova: Die soziale Stellung der Frau im alten Rom ,— leichte Musik.— Prcßburg 16.10: Orchesterkonzert. Dienstag: Prag , Sender L: 10.05: Deutsche Presse, 11: Schallplatte», 11.05: Deutscher Schulfunk, 12: Unterhaltungsmusik, 16.10: Orchesterkonzert, 17: Kinderstunde, 17.50: Unterhaltungsmusik, 18.10: Deut sch « Sendung: Die holzgeschnitzte Madonna, Hörspiel, 18.45: Deutsche Presse, 19.30: Blaskonzert. Sender S: 7.30: Leichte Musik, 14.50: Deutsch « Sendung: 14.30: Arien aus Mozartopern, 18: Schrammeikonzert.— Brünn 17.40: Deutsche Sendung: Arbeiterfunk: Sozialinformationen, Tesar: Kunst und Klaffe.— Mährisch-Ostrau 12.35: Orchesterkonzert.— Kascha» 15: Orchesterkonzert. Stipendium. Das Schulministerium verl'ffent- licht einen Konkurs mif ein von der'Gesellschaft der Freund« der Straßburger Universität ftir einen tschechoslowakischen Staatsangehörigen für vaS Wintersemester 1935/36 errichtetes Stipendimü. Näher« Bedingungen in den Dekanaten der Uviversität in Prag , Brünn und Bratislava . Wieder wärmeres Wetter,-Frankreich und E'Nsslcklio" irtiloffien gc jtfnr' cme pllrlere Ei Mr-' mung. London hatte nachmittags bereits wieder 20 Grad. In Mitteleuropa ist es noch kühl.— Prag meldete Freitag um 14 Uhr nur 14 Grad, auf der Schneekoppe herrscht noch immer leicht.cr Frost. Die kalte Lust wird nunmehr"osttvärtS zu- rückwcichen, wobei anfangs noch'stärkere/Bewölkung zu erwarten ist.— Wahrfchtinlichjts Wetter von heute: Winddrehung gegen Lüdwesten und langsame Erivärmung. Anfangs noch stärkere Erwärmung ohne wesentlichen Regeu, später allmählich auftlärend, namentlich im- Süden des Staates.— Wetteraussichten für Sonntag: Im ganzen schön, untertags^ weitere Erwärmung. Geteilte oder ungeteilte Unterrichtszeit? Vor einigen Jahren wurde vom Schulmini- sierium vielen Stadtschulen der ungeteilte Unterricht bewilligt. Diese Neueinführung hat sich bestens bewährt. Seit vorigem Jahr geht nun die Schulbehörde von ihrer Praxis ab. Zunächst wurde verlangt, daß an zwei Nachmittagen unterrichtet wird und im heurigen Schuljahre wurde nun in vielen Fällen die Beseitigung des ungeteilten Unterrichtes überhaupt verfügt. Merkwürdig dabei ist nur, daß die Anwendung eines einheitlichen Maßstabes vermißt wird. So sind z. B. Fälle bekannt, wo zwei Schulen, die Kinder aus dem gleichen Schulsprengel besuchen und in einem Gebäude untergebracht sind, verschieden behandelt werden. Der einen Schule wurde der ungeteilte Unterricht bewilligt, der anderen verboten. Dieses ganz willkürlich erscheinende Vorgehen in einer so wichtigen Frage erfordert die öffentliche Behandlung, damit unsere Schuljugend vor unnötigen Schäden bewahrt wird. Bei der Erörterung des Problems geteilte oder ungeteilte Unterrichtszeit darf selbstverständ- lich nur die Auswirkung auf das Schulkind untersucht werden und nicht etwa die Vor- oder Nachteile, welche dem Lehrer daraus entstehen können. Eine Reihe von Gesichtspunkten spielen eine Rolle, zunächst ist auf die Gesundheit des Kindes Rücksicht zu nehmen. Das maßgebende Wort dazu hat der Arzt. Dann ist die ausgesprochen pädagogische Seite zu betrachten und nicht zuletzt bestimmen die Entscheidung die sozialen Verhältnisse der Kinder..In der. gegenwärtigen Krisenzeit muß die Ernährung des Kindes vorangestellt werden. Das gewichtigste Wort gebührt also dem Arzte. .In den letzten drei Jahrzehnten wurde die Frage des geteilten oder ungeteilten Unterrichtes eingehend untersucht. Sehr eingehend wurde sie unseres Wissens zuletzt vom Großen Ausschuß der Badischen Gesellschaft für soziale Hygiene im Lahre 1923 behandelt. In der Schlußsitzung am 24. Juni, über die ein genauer Bericht vorliegt, sprach u. a. Univ.-Prof. Dr. Kassel über die gesundheitlichen Gesichtspunkte. Im wesentlichen führte er dabei aus:' Bei geteiltem Unterricht fällt zwischen den Vormittags- und Nachmittagsunterricht die Hauptmahlzeit des Tages. Es ist deshalb zu erwägen, wie die Verarbeitung und Ausnutzung der aufgenommenen Nahrungsmittel durch die Unterrichtszeit beeinflußt werden kann. Die Physiologie lehrt, daß die Verdauung sehr stark unter dem Einfluß nervöser Vorgänge steht. Weite Schulwege bei schlechtem oder heißem Wetter steigern die Nervosität und beeinträchtigen dadurch die Verdauung. Die Zeit nach dem Mittagessen ist für die geistige Tätigkeit höchst ungeeignet. Es ist eine bekannte Tatsache, daß namentlich die erste Nachniittagsunterrichtsstunde unter dem Einfluß einer starken Ermüdung des Schulkindes steht. Schon im Jahre 1907 hat der Dortmunder Schularzt Dr. Steinhaus experimentelle Versuche mit der, Lösung von Rechenaufgaben an Volksschulkindern angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß bei getefltem Unterricht die Kinder zu Beginn des Nachmittagsunterrichtes nach zweistündiger Pause hohe Ermühung zeigten und die Ermüdungskurve weit über den Grad der am Ende des Vormittagsunterrichtes verzeichneten hinausging. Natürlich steigt diese Kurve auch im Laufe des Vormittagsunterrichtes, aber durch entsprechende Fächerverteilung kann auch wieder eine Abnahme der Ermüdung erreicht werden. An den Volks- und Bürgerschulen läßt sich der Stundenplan ohne jede Schwierigkeit so einteilen, daß Fächer, die weniger geistige Ermüdung bedingen, an den Schluß des Vormittags verlegt werden. Dies ist ohne jede gesundheitliche Schädigung der Kinder möglich. Schmid-Monnard hat sogar die Zahl der kränklichen Kinder bei geeiltem Unterricht größer gefunden als bei ungeteiltem. So weit Prof. Dr. Kassel. Der ungeteilte Unterricht bringt dem Kinde noch als großen hygienischen Vorteil die freie Verfügung über den Nachmittag. Ungestört von Schulfragen kann sich das Kind körperlich und geistig erholen. Die Vcr- dauungsarbeit kann sich ohne Störung durch Gehirnarbeit vollziehen. Bei 16.000 untersuchten Schülern in Halle a. d. S. fand man Nervosität, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit in folgendem Verhältnis bei Schülern mit geteiltem Unterricht: Knaben im Durchschnitt 26 Prozent, im Maximum 37 Prozent, Mädchen im Durchschnitt 30 Prozent, im Maximum 45 Prozent; bei Schülern mit ungeteiltem Unterricht: Knaben im Durchschnitt 13 Prozent, im Maximum 25 Prozent, Mädchen im Durchschnitt 21 Prozent, im Maximum 40 Prozent. Neben diesen wesentlichsten gesundheitlichen Argumenten treten noch eine ganze Reihe pädagogischer und erziehlicher Vorteile in Erscheinung. Es ist schon gesagt worden, daß die erste Nachmittagsstunde unterrichtlich nutzlos ist. im geheizten Schulraum im Winter, wie bei schwüler Temperatur im Sommer, sinken dem Kinde die Augenlider zu. Darüber hilft auch der anregendste Unterricht nur selten hinweg. Beim geteilten Unterricht gehen die hellsten Tagesstunden verloren, während beim ungeteilten Unterricht gerade die hellste Tageszeit recht gut ausgenutzt wird. Es ist stätistisch nachweisbar, daß durch den ungeteilten Unterricht der Schulbesuch regelmäßiger und besser geworden ist. Für die häuslichen Schularbeiten steht mehr Zeit zur Verfügung, sie werden daher auch sorgfältiger’ ausgeführt. Ein Lehrer führte auf der oben genannten Beratung wörtlich aus: „Die pädagogischen Nachteile des Nachmittagsunterrichtes sprangen offensichtlich ins Auge: Neigung zur Unruhe. Unarten,' Anwendunq von Strafen zur Erreichung der notwendigen Auf- merksamkeit und Konzentration, mechanischer Vorstellungsverlauf, verarmte, verflachte Phantasietätigkeit, Zunahme der Fehler." Zu diesen pädagogischen Gründen kommen nun auch ncch wirtschaftliche Vorteile. Unsere Schulgemeinden müssen sich infolge der Wirtschaftskrise der sparsamsten Verwaltung befleißigen. An allen Ecken und Enden muß gespart werden. Ausgaben für soziale Kinderfürsorge, die Beiträge für Lehr- und Lernmittel müssen gekürzt 'werden. Wo cs also tatsächlich um.jeden Heller geht, kommen die Schulbehörden und zwingen die Gemeinden nutzlos Geld auSzugeben für Beleuchtung und Beheizung. Da beim ungeteilten Unterricht die Klassenzimmer nachmittags nicht gebraucht werden, bedeutet er große Ersparnisse an den Kosten für Licht und Heizung. Die Eltern müssen natürlich auch gehört werden. Am besten ist es, ein Beispiel anzuführen. Der Ortsschulrat in Aussig hat vor Einführung des ungeteilten Unterrichtes dieses Problem eingehend untersucht, Schulärzte, Lehrer und Eltern haben dabei mitgewirkt. Aerzte, Lehrer und Eltern können all das bestätigen, was hier angeführt wurde. Die Eltern haben sich bei den alljährlich erfolgten Abstimmungen zu weit über 90 Prozent für den ungeteilten Unterricht ausgesprochen. Sie konnten es ohne jedes Bedenken tun, weil für jene Knaben und Mädchen', di« während der freien Nachmittage ohne Äufficht sind, nicht weniger als acht Horte zum Besuche zur Verfügung stehen. Zusammenfassend sei wiederholt: 1. Der viermalige tägliche Schulweg, der gerade in die stärkste S»*aßenfrequenz fällt, ist eine Gefährdung der K'nder. 2. Kinder mit weitem Schulweg müssen in Eile ihr Mittagessen verzehren. Bei schlechtem Wetter im Herbst, Winter und Frühjahr sind Erkältungskrankheiten nicht selten eine Folge des öfteren Schulweges. Der Nachmittagsunterricht beeinträchtigt die Verdauung und umgekehrt. Der ungeteilte Unterricht ermöglicht eine gründlichere Lüftung der Schulräume. 3. Die Schulgemeinde erspart Geld an Beheizung und Beleuchtung. 4. Die Wochenstundenzahl ist ohne Ueberlastung der Kinder in den meisten Fällen an den Vormittagen unterzubringen. Der Arbeitsunterricht der neuen Schule stellt an das Kind höhere Anforderungen im Beobachten und selbständigen Verarbeiten. Es braucht Zeit und Muße. Der ungeteilte Unterricht schafft die^ichtige Gelegenheit dazu. Die günstigen Erfahrungen in allen Orten mit dem ungeteilten Unterricht sprechen für seine Beibehaltung. Es liegt keine Ursache vor, diese bewährte Neuerung zu beseitigen.
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15 (28.9.1935) 227
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