Seite 2

Mittwoch, 2. Oktober 1835

Nr. 228

keine Neigung zeigten, zu den Schwarzen über­zulaufen, doch die falsche Spekulation zu erken­nen, die schließlich der Partei mehr Schaden als Nutze» zufügen mutzte, daran hinderte ihn eine üble Eigenschaft, sein eitles Selbstbewusstsein, dem jede Selbstkritik mangelt und das ihn dahin führte, um so hartnäckiger in der falschen Rich­tung zu laufen, je mehr.Zweifler seine Politik fand. Unter dem Einfluß Hilgenreiners bewahrte die von ihm geführte Partei kaum mehr als ihren Namen, denn so wie zuerst Hitler , so mutzte die Partei später auch Henlein dienlich sein. Dieses Aufgeben der eigenen Parteigrundsätze und die kaum mehr natürlich zu erklärende Sucht, sich für anderer Parteiinteressen zu exponieren, hat den Christlichsozialen die schwerste Niederlage einge­tragen, die sie jemals erlitten haben. Niemand, außer wahrscheinlich Dr. Hilgenreiner selbst, gläubte daran, die Entrostung der nationalisti­schen Fahne werde den deutschen Christlichsozia­len viele frühere Nazis zutreiben, aber niemand

Wohl hat sich eine so katastrophale Niederlage gegenüber Henlein vorgestellt, wie sie in der Tat erfolgte. Denn bisher war es immer so, daß der Glaube, die Religion sich in selbst für den Kleri- kaliSmuS schlechteren Zeitpunkten als unauflös­liches Bindemittel bewährten und gegenüber jeder Agitation politischer Gegner standhielten. Daß diesmal sogar dieses Bindemittel versagte, das ist, wenn vielleicht auch nicht zur Gänze, so doch zu einem sehr bedeutenden Teile das per­sönliche Verdienst Senator Hilgenreiners. Ob Herr Hilgenreiner nun' aus eigener Einsicht oder über dringlichstes Anraten von sei­ner Führerstelle weicht, er fällt als Opfer seines Sozialistenhafles. Und das ist die tiefere Ursache seines Falles: er hat HitlerS Sieg und Henleins Aufstieg mit den heißesten Segenswünschen be­gleitet, weil er in ihnen das Werkzeug zu er­blicken glaubte, mit dem der Marxismus endgül­tig erschlagen werden kann. Doch dieser hat Hil­genreiner überlebt, wie er Hitler und seinen Ge­folgsmann Henlein überleben wird.

vcr Kampf gegen öle Teuerung Regierung(ragt den sozialistischen Forderungen weitgehend Rechnung Prag . Am Dienstag nahm der sozialpolitische Ausschuß des Abgeordnetenhauses nach Ab­schluß dor Debatte, die durch die Verhandlungen dos Subkomitoes seinerzeit.unterbrochen worden war, die vom Subkomite« ausgearbeitete R e s o l u t i o n, die wir bereits im Wortlaut ver­öffentlicht haben, unverändert an und beschloß ferner über Antrag des Referenten T« L n h, ein« Reihe von Anregungen und Anträgen, die in anderen Resolutionen enthalten waren, der Regierung als Wunsch vorzutragen und zur Erwägung anheimzustellen. Gegen Schluß der Debatte gaben die zuständigen Ressortminister Dr. E e r n h und Jng. R e L a s Erklärungen ab. AuS dem" Schlußwort des Innenministers geht, wie auch der AuS- schutzvorsitzende Genosse Dr. Meißner betonte, eindeutig hervor, daß die Regierung tatsächlich geneigt ist» die Anregungen des Ausschusses als ernste Grundlage für ihre weiteren Verhand­lungen zu nehmen, und namentlich in der Frage der LrbenSmittelbeschaffung und der Be­kämpfung der Teuerung sich eng an die im dritten Teil der Resolution vorgesthlagenen Maß­nahmen zu halten. Darum geht es auch, denn die schönste Resolution würde nichts nützen, wenn sie nicht von dem hiefür kompetenten Faktor in di« Tat«mgesetzt wird. Bezüglich der Kartoffeln konnte der Innenminister namens der Negierung bereits die feste Zusage geben, daß die nötigen Men­gen für den Konsum unter allen Um st änden und rechtzeitig bereitgestellt wer­de«, nötigenfalls durch Einfuhr entsprechender Mengen auS dem Ausland. Auch die Zusage, daß die Kartoffelaktion für Arbeitslose wie im Borjahr, wahrscheinlich aber in erhöhtem Ausmaß durchgeführt werden wird, wird sicher von weiten Kreisen mit Be­friedigung ausgenommen werden, ebenso die Zusage, daß die Borsorgizng des Marktes vor allem mit den billigen Margarinesorten, die für die notleidenden Schichten als Fettstoff allein in Frage kommen, voll gesichert werden wird. Es ist nur zu wünschen, daß gerade die Margarinefrage ehestens in ihrer Gesamtheit geregelt wird. Schon jetzt kann also mit Genugtuung festgestellt werden, daß die sozialistische Initiative hinsichtlich des Schutzes der arbeitenden Schichten gegen die drohend« weitere Berelendung ihrer Lebenshaltung bereits ihre Früchte getragen hat, bevor noch das Parlament seine normale Arbeit wieder eröffnet hat. Es soll dieS ein Ansporn sein, auf diesem Wege mit verdoppeltem Eifer fortzufahren und namentlich auch die Zusammenarbeit der drei sozialistischen Parteien, die sich hier so bewährt hat, weiterhin auSzubauen und zu vertiefen!

Zu der im dritten Punkt der Ausschußresolu­tion aufgeworfenen Frage der Versorgung mit Lebensmitteln und der T e u e- r u n g führte der Minister an, daß den Be­zirksbehörden strenge aufgetragen wurde, darauf zu achten, daß die Maximalpreise für Roggen- und Weizenmehl nach dem Stand vom. Juli eingehalten werden. AuS den amtlichen Berichten gehe hervor, daß die Preise auch genau eingehalten werden und es nur in sehr wenigen Fällen zu Zwangsmaßnahmen kommt. Bei einigen Mehlsorten seien die Preis« noch etwas niedriger als die Maximalpreise, die sich als ein wirklicher Konsumentenschutz erweisen und

durch die in den Mehlhandel Ordnung gebracht wurde. Der Minister kann versichern, daß diese Mehl­preise unter allen Umständen werden eingehal­ten werden. Auch hinsichtlich deS BrotpreisrS ist der Minister durch die Regierung zu der Erklärung ermächtigt, daß di« Regierung alle Maßnahmen getroffen hat, bzw. treffen wird, damit der BrotpreiS nicht erhöht«erde. Auch der Kartoffel konsum wird in ausreichendem Maße unter allen Um st Laden gesichert und alle

diesbezüglichen Maßnahmen zeitgerrcht durch- geführt werden. BiS zum 8. oder 10. Oktober wird die Regierung ein verläßliches Bild über den Ernteertrag haben. FallS nicht genug ein­heimische Kartoffel vorhanden sind, werde« Kartoffeln zur Zeit auS dem Auslande rin­ge f ü h r t werden. Die Kart-fselhilfS-kti-n für Arbeitslose, wird auch Heuer wiederholt werden» vielleicht in einem noch grö­ßeren Ausmaße. Die Frage der Tarife und der Sistierung der Verzehrungssteuer wird günstig gelöst wer­den; die Frage der Suspendierung der Steuern auf Kartoffel ist bisher noch nicht, vereinbart, aber es besteht die Hoffnung, daß es zu einer annehm­baren Lösung kommt. Ueber das Verbot der indu­striellen Verarbeitung von Speisekartoffeln wird noch verhandelt. Auch die Frage der Versorgung mit b i l- liger Margarine beschäftigt die Regierung intensiv; ihre Entscheidung ist schon in den n ä ch st e n Ta g e n zu er­warten. Die Bedürfnisse der Bevölkerung wer­den vor allem bezüglich der billigsten Kunstfettsorten unter geeigneter Kontrolle deS Staates voll gedeckt werden. Ebenso wird sich die Regierung mit der Frage der ungestörten und ausreichenden Versor­gung mit Milch befassen und dieses Problem zeit­gerecht läsen. Beschwerden über unzurei­chende Milchversorgung gäbe es keine, auch

wenn die Milchbelieferung bei einigen ländliche« Molkereien stark gesunken sei. Bezüglich deS Z u ck e r p r e i s e S er­klärte der Minister, daß das Kartell­gesetz novelliert werden wird, waS eng mit der Frage des Zuckerpreises zufammenhängt. Die Regierung wird die Frage der Kartell­preise einer neuen und gründ­liches Revision unterziehen. Alle Probleme, über die im sozialpolitischen Ausschuß verhandelt wurde und die auch in der Resolution enthalten sind, sind Gegen st and ernster Erwägungen der Re­gierung, die sie eine nach der anderen lösen wird. Bisher wurden eine absolute Einigung in der Mehl-, Brot- und Kartoffelfrage erzielt. Abschließend betonte der Minister neuerlich die Notwendigkeit gegenseitiger Zusammenarbeit und gegenseitigen Verständnisses. Unsere Devise müsse sein, jentn Arbeit zu verschaffen, die sie ohne Schuld verloren haben, und die Arbeit an­ständig zu honorieren. Rur so könne man den Konsum heben. Der Vorsitzende deS Ausschusses, Genosse Dr. Meißner» dankte dem Minister für seine Kundgebung, aus der, wie er sagte, ersichtlich sei, daß die Regierung in der Hauptsache die in der Resolution enthaltenen Anträge a n n i m m t und an ihre Durchführung geht und daß also zwischen dem Subkomitee und feinen Ansichten und I Beschlüssen und der Aktion der Regierung v ö l- I l i g e Lebe rein st immung besteht.

her Winter droht Fürsorgeminister befürchtet starkes Ansteigen der Arbeitslosigkeit Fürsorgcminister Genosse Jng. NeöaS sprach in seinem Schlußwort offen die Befürchtung aus, daß, falls nicht durchgreifende Ma ßnahmen getroffen werden, die Zahl der Arbeits­losen im Winter wiederdie vorjährige Höhe erreichen wird. Um so mehr muß von sozialistischer Seite alles darangesetzt werden, daß auch die erste und zweite Gruppe der Anträge aus der Resolution, die von der Bekämpfung der Arbeitslosig­keit und von den Hilfsmaßnahmen für di« Arbeitslosen handeln» in weitestem Umfange und vor allem sorasch wienur möglich in die Tat umgesetzt werden.

Genosse Jng. Neöas konnte in seinem Schlußwort, mit dessen Details wir uns noch ausführlich beschäftigen werden, zunächst mit Befriedigung konstatieren, daß alle Debatten­redner, deren Zahl gegen 60 betrug, den Ernst der Zeit wie auch die Dringlichkeit außergewöhn­licher Vorkehrungen erkannt haben. Auch die An­träge, wie wir aus der Wirtschaftskrise heraus­kommen und welche außergewöhnlichen Mittel zur dringenden Milderung der Arbeitslosigkeit und zur Belebung unseres Wirtschaftslebens an­gewendet werben sollen, haben sich in ihren gro­ben Umrissen voneinander nicht sonderlich unter­schieden. Dir Zeichen einer wirtschaftlichen Be­lebung sind, wie der Minister«. a. erklärte» wirklich nicht di«, wie wir sie bei Vergleich unseres Wirtschaftslebens mit jenem des Aus­landes wünschen. Es besteht die Gefahr, daß die wirtschaftliche Belebung bei unS in den Frühlings- und Sommermonaten nur vor­übergehend ist, ebenso wie eS im Jahre 1934 der Fall war, und daß im Herbst und im Winter wieder ein« newerlichr Verschlech­terung eintritt, so daß sich die Krise bei unS in eine konstant« wirtschaftliche Depression verwandelt. Jährlich kommen zehntausende Jugendlicher aus den Schulen auf den Arbeitsmarkt; infolge

der niedrigen Löhne und Gehälter verbleiben Ueberdienende und Leute, welche verschiedene Arten von Einkommen beziehen, weiter im akti­ven Dienswerhältnis, aus dem Auslande lehren jährlich einige Tausende Repatrianten zurück und endlich belasten den Arbeitsmarkt zehntausend« von Leuten, welche früher entweder für immer oder vorübergehend Arbeit im AuSlande suchten. Der heurige Herbst wird, noch dadurch ärger, daß eben 70.000 Soldaten aus dem Präsenz­dienste entlassen wurden und wenn auch die gleiche Anzahl ihren Präsenzdienst antritt, kann man nicht damit rechnen, daß auf alle von diesen verlassenen Arbeitsplätzen neue Arbeitskräfte eingestellt werben, sondern man kann mit Sicher­heit erwarten, daß eine sehr ansehnliche Zahl der so frei gewordenen Stellen unbes etzt bleibt und deshalb wird auch die Anzahl derArbeits- losen wegen Rückkehr der Soldaten aus dem Präsenzdienst vermehrt. Wir müssen also, wenn nicht durch- greifenbe Vorkehrungen ge­troffen werden, mit dem Faktum rechnen, daß in tat Wintermonaten die Zahl der Arbeits­losen die vorjährige Höhe errei­chen wird. Der Minister teilt in dieser Hinsicht di« Befürchtungen» die von den Mit­gliedern der sozialpolitischen Ausschüsse beider Häuser ausgesprochen wurdeir.

man von Eugen« Dabit chtigte Uebertragung aus Französischen von Bejot

VILLA OASE Oder: DIE FALSCHEN BORGER

Eines Morgens setzte Julien die Zentral­heizung in Betrieb. Im ganzen Haus wurde bald angenehme Wärme spürbar. Irma saß im Sessel am Fettster und stickte an einem Tischläufer. Es war eine Äcduldprobe, die sie von Zeit zu Zeit unterbrach, um einen Blick in den Garten zu werfen. Die Blätter wirbelten durch die Lust, die Pappel bog sich im Winde. Jenseits der Mauer sah sie das Land, die kahlen Felder, die .entlaubten Bäume, die Häuser von Melun unter dem grau verhängten Himmel. Die Züge ließen gellende Pfiffe, die Schlepper ihr trauriges Brül­len vernehmen. Irma kauerte sich, erschaudernd, zusammen und dachte^ wie gut es sei, jetzt still und allein im behaglichen Zimmer zu sitzen. Um vier legte sie ihre Arbeit auS der Hand, um Tee zu trinken. Sie entfernte sich vom Fen­ster. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf Helenes Bild, das, gegen die Wand gelehnt, auf der Erde stand. Ich habe doch Julien gebeten, es aufzu­hängen," brummte sie. Sie drehte das Bild um, neigte sich darüber und fuhr zurück. Das Glas war zerbrochen. Sie rief nach ihrem Manne. Aber es dauerte eine Weile, bis er, halb auSgezogen und mit schwar­zen Händen, erschien: Ist daS eine Schinderei, bis man die Hei­zung im Gange hat!" WaS ist mit dem Bild?" Es muß unterwegs einen Stoß bekommen

haben. Ich bringe es zum Glaser , sobald ich nach Melun komme." Nein, niemand soll es berühren! Hänge es auf, wie es ist." Er schlug zwischen den beiden Fenstern einen Haken ein, befestigte das Bild und trat einen Schritt zurück, um die Wirkung zu prüfen. Dann sagte er, die Stimme dämpfend: Du weißt, ich habe ein Versteck für unser Geld gefunden. Ich habe mehrere ausprobiert, aber dies ist das beste: hinten im Kamin, in einer Kassette, auf die wir Holzscheite legen." Er schob das Schutzblech in die Höhe, um Irma die Sache zu erklären. Dann setzte er die Brille auf die Nase, nahm einen Notizblock zur Hand und rechnete. In der ersten Zeit hatte er mit dem Gelde um sich geworfen. Teils zu seinem Vergnügen, teils auch, um den Leuten zu impo­nieren. Aber jetzt notierte er die kleinste Aus­gabe. Er wollte Ersparnisse machen. Deshalb kontrollierte er die Einkäufe, wog das Fleisch nach, das der Schlächter lieferte, und prüfte die Preise. Das war nötig. Denn sie lebten vom Kapital, hatten nicht genug Vertrauen zur Hoch­finanz, um Aktien zu kaufen, und besaßen kein andere- Wertpapier als Kriegsanleihe. Solange eine energische Regierung am Ruder war, brauchte man sich wenigstens darüber keine Sorgen zu machen. Irma, die ausgetrunken hatte, nahm ihre Arbeit nicht wieder auf. Ihr gingen trübe Gedanken im Kopf herum. Seit sie in Chapelle- sur-Seine waren, hatte sie Helena fast vergessen. Sie war schon länger als ein Jahr tot. Jetzt ver­suchte sie, sie sich vorzustellen. Dabei durchlief sie ein Frösteln. Sie bedeckte ihre Augen mit der Hand, ließ sie wieder fallen und starrte auf das Porträt, dessen reine Linien sich nie ver­ändern würden. Allerheiligen will ich auf den Friedhof gehen," flüsterte sie. Am ersten November fuhren sie im Auto nach Saint-Ouen .

Die Gitterketten waren rostfleckig, die Blu­men in den Schalen vertrocknet, ein Chrysan- themenstrautz lag auf der Marmorplatte. Ver­mutlich hatte Berthe ihn hingelegt. Julien ging brummend um das Grab. Langlois, der die Pflege übernommen hatte, vernachlässigte seine Pflicht. ... WaS war das? Er hörte Schluchzen. Heul nicht, Dicke. Komm, du hast genug um sie geweint." Langsam gingen sie, Seite an Seite, durch die stille Stadt, in der die Blumen ihre Farben verloren, im Dämmerlicht eines grau bewölkten Himmels leise Schatten glitten. Irma sah und hörte nichts mehr. Ein Kummer drückte sie nieder wie am Tage ihres ersten Besuchs. Zu Hause eilte sie ins Schlafzimmer und warf sich aufs Bett. Sie hörte Solange den Tisch decken, Julien das Feuer schüren. Hunger hatte sie nicht. Sie dachte an den Kirchhof, auf dessen jetzt völlig im Dunkel liegenden Alleen sie ge­gangen war, zwischen Gräbern hin, die sich bei­nahe berührten. DaS ihre trat deutlich hervor. Sie sah die rote Marmorplatte, in die eines^ Ta­ges die WorteIrma Monge" eingraviert sein würden. Auch ihr würde man zu Allerheiligen einen Chrysanthemenstrauß bringen. Ach, aber Julien, Berthe, Ernest und ihre Schwester wür­den dann wohl auch nicht mehr am Leben sein. Niemand also würde um sie trauern. Dann drängte sich ihr der Gedanke auf, daß Flechons Eltern vielleicht in diesem Bett ge­storben waren. Daß ihre Hände die Möbel be­rührt hatten, die sie jetzt selbst berührte, daß auch sie einmal durch dieses Haus gegangen waren. Und jetzt? Jetzt waren sie nichts mehr, und sie, Irma, lebte hier an ihrer Stelle. Lange, lange würde sie hier sein, bis sie, in diesem stillen Zimmer, den letzten Seufzer tun würde. Ja, es kam auch für sie einmal der Augenblick, in dem sie die Billa Oase verlassen, sich von allen, allem trennen mutzte. Die frohen Sommertage erschienen ihr schon weit entrückt. Wie groß war noch ihr Glück ge ­

wesen, als ihre Freunde zum Ejnzugsschmaus gekommen waren. Jede Einzelheit stand ihr noch vor den Augen: das Essen, das Bad, die Fahrt zu Paul, ihr Tanz mit Alfred, den Kopf an seine Schulter gelehnt..., Alfred vernachlässigte sie seitdem. Sie war allein mit ihrem Manne, der von Tag zu Tag sonderlicher wurde. Sie zog sich auä und legte sich ins Bett. Ein wenig später kam auch Julien. Die Wochen waren vergangen, und nichts hatte sich geändert. Sie sah dieselben Dinge, hörte dieselben Geräusche, doch sie fürchtete sich nicht mehr so vor der Nacht. Nur eine unerklärliche Melancholie beschlich sie. Wie im Hotel Montbert. Sie starrte auf das Bild, das vor ihr hing. Die Augen gewannen Leben, der Mund schien sprechen zu wollen. Sie fühlte sich nicht mehr so einsam. VII. Schon seit einem Monat hielt das schlechte Wetter Julien im Hause fest. Die Vormittage verbrachte er mit Solange. Die Kleine war brav, aber schwer von Begriff und leichtsinnig. Man mutzte ihr dauernd auf die Finger sehen. Er klopfte die Teppiche und polierte die Futzböden. Eigentlich war es Frauenarbeit. Für ihn war es, verglichen mtt dem, was er früher getan hatte» ein Kinderspiel. Dann half er in der Küche. So­lange plauderte von ihrer trunksüchtigen Mutter, von ihrer Schwester, ihrem Bruder, und er erin­nerte sich dabei an seine eigene Jugend. Die Eltern hatten vor lauter Zank und Streit ihre Kinder vergessen, und ejt, als Nettester,.hatte sich um Berthe und Charles kümmern müssen. Die Erinnerungen sttmmten ihn nachsichtig. Wenn Irma Solange ihres lärmenden Wesens wegen ausschalt, trat er für sie ein. Was tat es denn? Die Kleine brachte dach nur Leben ins Haus. '(Fortsetzung folgt.).