Nr. 229 Mittwoch, 2. Oktober 193S Seite 5 4 Halbanalphabeten als Marxkritiker Es ist alter, wenn auch nicht guter Brauch des völkischen Intellektuellen, sich nicht zu sehr mit Wiffensballast zu bebürden. Es ist zur Tradition des völkischen Politikers geworden, den Marxis­mus, gegen Len er kämpft, grundsätzlich nicht ken­nen zu lernen. Er folgt damit dem Beispiele des Vorbildes aller Streiter wider' den Marxismus, Hitlers , der mit jedem Worte, das er in seinem sprachschludrigen»Standard"-Werk dem Marxis­mus widmet, den Beweis erbringt, daß er keine Ahnung vom Marxismus hat. Warum sollten die kleinen sudetendeutschen Hitlerianer es anders halten? Der»Rüdiger" der Henleinschen»Rund­schau", der in der Folge 39 über den Marxismus blödelt, ist jedenfalls von keinerlei Sachkenntnis angekränkelt. Sonst könnte er nicht schreiben: »Und wie steht es mit der materialistischen Geschichtsauffassung, die Karl Marx erfunden, aus der Luft gegriffen hat, die den Geschichtsablauf lediglich als Spiegelbild der wirtschaftlichen Ver­hältnisse und Machtkämpfe-«stellt? Wie steht es mit Karl Marxens Behauptun­gen, die verworrene Sätze nicht klarer machen und wonach das gesellschaftliche Sein vom Bewußtsein bestimmt ist, was in gutem Deutsch heißt, daß von geistigen und moralischen Gütern und Werten jemand desto mehr'versteht und aufnimmt, je mehr Geld er hat? Wie steht eS damit? Sind es moralische Lehren, ist es Erziehung zur Freiheit, wenn Marx lehrt, daß der klein« Mann auS dem Volke nichts von der großen Ge­schichte, nichts von den großen Geistern seines Volkes versteht, daß aber der begüterte Mann da­von um so mehr weiß, dieweil er Geld hat, den Tag über im Kaffeehaus lümmelt und Kaviar frißt?" Das wqre, wer immer ihr Verkünder wäre, gewM keine moralische Lehre. Aber wir kennen auch niemanden, der daS gesagt. Marx gewiß nicht. Er hat auch nicht jenen Satz gesprochen, der dem Rüdiger verworren erscheint. Rüdiger hat nach dem Hörensagen zitiert. Die materialistische Geschichtsauffassung lehrt nicht, und weder Marx noch einer seiner Schüler hat je Aähnliches auch nur andeutungsweise behauptet, daß man von geistigen Gütern um so mehr versteht, je mehr Geld man hat. Hätte Marx das gemeint, dann hätte er sich mit feiner gewiß nicht leicht zu ver­stehenden Lehre nicht just an die Arbeiter ge­wandt.- Der falsch, genau verkehrt zitierte Satz stammt aus dem Vorwort»Zur Kritik der politi­schen Oekonomie" und lautet richtig:»ES ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das chr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliche- Sein, da- ihr Bewußtsiiw bestimmt.." Dieser Satz, für sich allein leineswegs genügend,. das Verständnis für den historischen Materialismus zu erschließen, sagt, daß»en»Ideen", dem»Be- wußtwerdrn" etwas zugrunde liegt: die ökonomi­sche Basis der Gesellschaft. Er ist in prägnan­tester Form die Erklärung, warum in bestimmten Gesellschaftsepochen bestimmte.Ideen", bestimmte Ideologien entstehen. Der Marxist wird ebenso­wohl des Entstehen der sozialistischen Ideen wie da« Auftauchen nationalfascistischer Gedanken­gänge verstehen, er wird den»Rüdiger" besser verstehen als der sich selber. Der hiswrische Ma­terialismus. ist" Millionen Proletariern der Er­zieher zur Freiheit geworden, weil er ihnen die Erkenntnis nicht nur der Möglichkeit, sondern auch der geschichtlichen Notwendigkeit der Unige­staltung der Gesellschaft zu einer Gemeinschaft freischaffender Menschen gab. Er hat in unzähli­gen Arbeitern den glühendsten Idealismus geweckt. Und deshalb kann man auf Marx selber die Worte anwenden, die er in seiner philosophischen Doktor­arbeit schrieb:»Prometheus ist der vornehmste Heilige und Märtyrer im philosophischen Kalen­der." Christlicher Gewerkschaftskongreß Am 28. und 29. September fand in Prag ein Kongreß der christlichen Gewerkschaftsorgani­sationen Böhmens statt. Referate erstatteten Ab­geordneter Petr über die Wirtschaftslage, Sekre» täx N e p r a s über die Planwirtschaft und Dok­tor D o l e z a l und Dr. F o r m a n e k über die päpstlichen Enzykliken. Zum Vorsitzenden wurde Abgeordneter Petr gewählt. Unter den ange­nommenen Anträgen heben wir einen solchen auf Schäftung eines, staatlichen Wirtschaftsrates, Verbindlichkeitserklärung der Kollettivverträge, Zwangsarbeitsvermittlung und ein Beratungs­kollegium der Gewerkschaften beim Ministerium für soziale Fürsorge hervor. 40 prorent Mitgliederzuwachs der finnischen Sozialdemokratie HelsingforS . Die Oeffentlichkeit beschäftigt sich in steigendem Maße mit den für 1936 bevor- steh'nden Wahlen. Die Sozialdemo­kratie entfaltet eine große Aktivität. Ihr Füh­rer Tanner erklärte, daß eine Koalition mit der finnischen Bauernpar« t e i nach dem Muster Norwegens nicht unmöglich sei. Der sozialdemokratische Optimismus gründet sich darauf, daß die finnischen Gewerkschaften, die eine Reihe von Streiks durchgeführt und dabei Lohnerhöhungen bis zu IS Prozent durchgesetzt haben, ihre Mitgliederzahl im letzten Jahre um 40 Prozent steigern konnten. Außerdem g-lang der Sozialdemokratie«in stärkerer Estrbruch ins lommunitzische Lager. M KN MW, feine M MU MM Ehetragödie vor dem Schwurgericht Die Frau ohne Mitgift Wer über den Aafetsmus Prag . Vladimir Cernohorsky, ein 26- jähriger Bäckermeister aus Postovice bei Schlan , steht vor den Geschworenen unter furchtbarer Anklage. Er hat sein« Frau durch einen Revolver­schuß auf den Tod verwundet(sie kam nur wie durch ein Wunder mit dem Leben davon) und sein vier­jähriges Töchterchen durch einen Kopfschuß getötet. Die Anklage lautet auf dar Verbrechen des voll­brachten und des nicht vollendeten Mordes. Im Hintergrund dieser furchtbaren Ehetragödie steht der Fluch des Mammons. Die Armut der Braut als Stein des Anstoßes Bor sieben Jahren lernte der Angeklagte seine spätere Frau Marie kennen. Seine Eltern, ziem­lich vermögende Gewerbetreibende, sahen dieses Verhältnis mit scheelen Augen an, denn die Braut ihres Sohnes war eine arme HäuslerSwchter. Trotz allen Widerständen kam es zur Eheschließung. Aber diese Ehe bedeutete keineswegs eia glückliches Ende im Gegenteil, sie leitete eia langjähriges Mar­tyrium der armen Frau ein. Die Anfeindungen seitens der Eltern deS An­geklagten setzten sich in gesteigertem Ausmaß fort und dkehergelaufene" Schwiegertochter war stän­dig den ärgsten Verdächtigungen und Beschuldigun­gen ausgesetzt. Schließlich ließ sich der Sohn von seinen gehässigen Eltern mehr und mehr beeinflussen und machte seiner Frau das Leben zur Hölle. ES nützte nichts,' daß sich das junge Ehepaar vorüber­gehend von den Eltern des Angeklagten trennte. Die Zerwürfnisse waren bereits zu weit gediehen. Auch das Töchterchen, das dem jungen Ehepaar im Jahre 1981 geboren und auf den Namen Eva getauft wurde, vermochte die einmal aufgerisiene Kluft nicht zu überbrücken. ES wurde immer ärger und ärger. Die Ehegatten bezichtigten sich gegenseitig der ehe­lichen Untreue und die Hiebe Verwandtschaft sparte nicht mit allerlei sonstigen Hetzereien und Verdächti­gungen. Vladimir Cernohorsky begann seine Frau mit Ohrfeigen und Fußtritten zu trak­tieren und so reifte die trostlose Situation der blutige» Katastrophe entgegen. Gegen Ende April häuften sich die ehe­lichen Auseinandersetzungen und am 24. jene- Mo­nates fanden sie ihren tragischen Höhepunkt. Nach den Ausführungen der Anklageschrift kehrte Cernohorsky in den Abendstunden vom AuS- tragen deS Gebäcks heim und fand seine Frau und seine kleine Tochter zum Weggehen gerüstet. Auf seine Frage erklärte ihm seine Gattin, sie habe ein« Besorgung zu machen, worauf er sich nochmals ent­fernte. Als er wieder in die Wohnung zurückkam, fand er auf dem Bett ein aufgeschlageneS Schreib­heft, das sich als Tagebuch seiner Frau er­wies und dessen letzte Eintragung Abschiedsworte an ihren Mann enthielt. Cernohorsky behauptet, er habe-aus den Abschiedsworten seiner Frau entnom­men, daß sie Selbstmord- begehen-wolle.----E» begab sich auf die Suche nach, ihr und holt« sie tat­sächlich in einem Wqld vor dem. Dorfe ein. Bei der folgenden Auseinandersetzung habe die vierjährige Eva sich an den Rock ihrer Mutter geklammert und diesen so in die Höhe geschoben, daß der Angeklagte einen in ihren Unterhosen ver st eck­ten Revolver sab. Cernohorsky behauptet nun, er habe ihr den Revolver entreißen wollen; dabei sei dieser losgegangen. Vor dem Untersuchungsrichter hat der Angekütgte gestanden, daß er seine Frau bei dem Kampf um den Revolver Fan st schlüge inS Gesicht versetzte. Da sie auf einem Auge blutete, habe er ge­glaubt, fie werd« erblinden und ihr deshalb eine Kugel in die Schläfe geschossen. Dieses Geständnis widerrief er später und bei der Hauptverhandlung erklärte er, er habe über­haupt nicht gewußt, was er tue und der Schuß sei nur durch Zufall losgegangen, als er seiner Frau den Revolver entwinden wollte. Die kleine vierjährige Eva klammerte sich ent­setzt an ihren Vater. Und der Vater jagte dem armen Kind eine Kugel in die linke Schläfe. Die arme Kleine war sofort tot,,, Der tatsächliche Hergang der schrecklichen Tai wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Als einzige Tatzeugin erschien die schwer ange­schossene Gattin des Angeklagten vor dem Schwur­gericht. Sie hat einen Kopfdurchschuß erlit­ten. Das Projektil des Revolvers hat ihren Kopf von der linken zur rechten Schläfe durchschlagen. An den Schläfen sind die Einschuß- und AuSschuß- narben deutlich zu erkennen. Es ist ein Wunder, daß sie am Leben blieb. Aber Marie Cernohorsky entschlug sich der AuSsage gegen den angeklagten Gatten unb_ so bleibt alles nähere unaufgeklärt. Als sie erklärte, nicht aussagen zu wollen, schrie ihre im Auditorium sitzende Mutter aus:»Mariechen nicht!" Aber Marie Cernohorsky blieb bei der Verweigerung ihrer Aussage und so sind die näheren Tatumstände in Dunkel gehüllt. Insbesondere auch der Tod des armen Kindes. Vladimir Cernohorsky verteidigte sich vor den Geschworenen damit, er habe im Augenhlick der Tat überhaupt nicht gewußt, was er tue. Wie bereits erwähnt, steht diese Verantwortung im Widerspruch mit seinen früheren Aussagen. Er hat ferner vor dem Untersuchungsrichter gestanden, sein Kind er­schossen zu haben, weil er eS nicht allein und ver­lassen zurücklaffen wollte. Er hat trotz der angeb­lichen SinneSverwirkung unmittelbar nach der Blut­tat Geistesgegenwart genug gehabt, den durch die Schüsse alarmierten Dorfbewohnern mit gerungenen Händen zuzurufen: »Meine Fra» hat unser Kind«nd sich selbst erschösse».. Er hat ferner einige Selbstmordversuche borgetäuscht, dke so vorsichtig angestellt waren, daß sie kaum ernst genommen werden können. Die Hauptzeugin hat eS borgezogen, zugunsten deS Angeklagten zu schweigen. Aber daS Tagebuch der gequälten Fra» liegt in den Gerichtsakten und kam zur Verlesung. In der letzten Eintragung, die dem Gatten als Ab­schied zugedacht war, heißt eS u. a.: Ich habe mich bemüht. Dir eine gute Frau zu sein, aber Du hast mir meinen Glauben an daS Gute und den Glauben an die Treue zerstört. Ich wollte im guten mit Dir auskommen, aber Du hast mich immer gleich geschla­gen... Vielleicht tue ich»gut, wenn ich Dir unser Töchterchen nicht lasse... DaS Kind beginnt zu begreifen«nd hätte doch nur eine vergiftete Jugend." Diese letzte Tagebuchnotiz deutet ferner an, daß -die Frau ihren-Mann verlassen und zu ihren Eltern zurückkehcen wollte. Eine Selbstmordab­sicht kann jedoch dieser letzten Eintragung nicht unterstellt werden. Bei der Einvernahme der weiteren Zeugen, die lediglich der Aufhellung der FaMilienverhältniss: diente, kam eS zu erregten Auftritten. Die Eltern der Frau sagten zurückhaltend aus, desgleichen auch der Vater deS Angeklagten. Dagegen entwickelt» dessen Mutter eine unglaublich gif­tige Beredsamkeit. Sie mußte schließlich auS dem GerichtSsaal entfernt werden, als sie auf die AuSsage eines Zeugen, daß sie auch schon die Ehe ihres ältesten Sohnes zerstört habe, in ein un­beschreibliches Gekeife ausbrach. In den Abendstunden zogen sich dke Geschworenen zur Beratung zurück, deren Ergebnis war, daß Vladimir Cernohorsky mit allen zwölf Stimmen deS vollbrachten»nd deS nicht vollendeten Mordes schuldig erkannt wurde. Der Schwurgerichtshof(Vorsitzender OEM. Ho man) verurteilte hierauf den Ange­klagten zu fünfzehn Jahren schweren Kerkers, rb. in seiner klassischen der italienischen Form sich unterrichten will, der lese das grundlegende Werk von Ignacio Silone :Der Fascismus" geb. K£ 54., drosch. XL 42.50. Wer das Leden italienischer Bauern unter fascistischer Herrschaft kennen lernen will, der lese des gleichen Autors Dorfroman Fontamara", drosch. XL 32.. Volkswirtschaft und Sozialpolitik Die Sonderkonjunktur in der Strumpfindustrie Die tschechoslowakische Strumpfindustrie die ihren Sitz in Schönlinde und Umgebung hat, er­freut sich seit längerer Zeit einer ausgesprochen guten Konjunktur. Schon in den letzten Fahren war im Gegensatz zu der schlechten Beschäftigung in den meisten anderen Exportindustrien der Be­schäftigungsgrad in den Strumpffabriken ein guter zu nennen. In der letzten Zeit aber haben einige Strumpffabriken größere ausländische Auf­träge erhalten. Die Firma I. I. Schwadron & Co. hat einige bedeutende Aufträge nach Ruß­ land auszuführen, während die' Firma Stefan Schindler für Exportaufträge nach anderen Län-, dern stark beschäftigt ist. Andere mittlere und kleinere Firmen arbeiten an Aufträgen für Bata und für die größte Strumpffabrik I. I. Kunert & Söhne in Warnsdorf. Bata hat seine neue Strumpffabrik in Otrokowitz ebenfalls in Betrieb genommen. Die Firma Kunert arbeitet in meh­reren Schichten. Es wird sogar behauptet, daß sich bereits ein Mangel an geschulten Cotton­arbeitern bemerkbar mache. Jedenfalls kann die Strumpfindustrie als eine Oase in unserer darniederliegenden Exportindu­strie bezeichnet werden. Man kann nur wünschen, daß die Konjunktur fortdauern möge und daß cs der Arbeiterschaft gelingt, ein Lohnnweau zu er­kämpfen, daS dann den Arbeitern anderer Indu­striezweige ein leichteres Loskommen von den Elendsquellen der Krisenzeit ermöglicht. Labour für Planwirtschaft Der JahreSkonferenz der Labour Party in Bringhton wird voM Vorstand ein, Programm vorsielegt Mrdey, Mdxm.,,ejn.e. umfassende untz- konstruktive Politik, in d.er Richtung^xiner vollen" öffentlichen Auswertung unserer verfügbaren Hilfsquellen und internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit" verlangt wird. Dazu sei ein einheitlicher Plan auf Grund öffentlicher Kon­trolle der grundlegenden Industrien und Dienste notwendig, ferner die Entfaltung einer Markt­organisation für In- und Ausland und interna­tionale Abmachungen über eine Ausdehnung der Weltkaufiraft und damit deS Welthandels. Für die britischen Notstandsgebiete wird eine Verstär­kung der Hilfsmaßnahmen und eine Einfluß­nahme deS Staates auf die Wahl des Standortes neuer Industrien gefordert; dies soll durch die Tätigkeit einer»Nationalen Plan­wirtschaftsbehörde" und einesNa­tionalen Jnvestitionsamtes" erreicht werden. Zum Beispiel sei es notwendig, in den notleiden­den Kohlengebieten öffentliche Betriebe zur Koh­lenverflüssigung zu errichten. Auch soll die lokale Wirtschaftsplanung zusammengefaßt werden. MSmrerbünde der Galla F. Bei den australischen und aftikanischen Ur­bölkern findet sich häufig die primitive Sozial­organisation der Männerbünde. Freud und Blü» her haben diese Erscheinung analytisch zu ergrün­den gesucht. Ganz gleich aber, welche verborgenen seelischen Menschheitserlebnisse sich in diesen Or­ganisationen manifestieren mögen, ihre Kenntnis ist von soziologischer Bedeutung für die Enträtse­lung der Urformen menschlichen Gemeinschafts­lebens. Die Männerbünde beweisen, daß dort, wo noch keine Klaffengliederung nach dem Gesichts­punkt der Herkunft oder eines fest gegründeten Besitzes, also auch kein HerrschastsverhältniS zwi­schen Siegern und Besiegten besteht, sich«in kastenmäßiger Aufbau aufGrund der Altersklassen und der Lebens« funktionen findet. Diese primitive Sozialorgani« sation wird erhalten durch den Zwang überkom­mener mystischer Vorstellungen. Sie findet daher ihre äußerliche Garantie in einer Reihe von tra­ditionellen Festakten geheimnisvoller Art. Ein besonders packendes Beispiel einer sol­chen Männerbundorganisation mit altersklaffigem Stufenbau bieten die G a lla, einer jener kriege­rischen Stännne, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum abeffinischen Kaiserreich jetzt im Vordergrund des allgemeinen Jntrreffes stehen. Ueber ihr» Bräuche berichtet der Ethnograph Schurtz (wir zitieren nach Hans Freimark : Das Sexualleben der Afrikaner) einige höchst eigenarfige Einzel­heiten. Die Galla haben ihr Altersklassensystem den Zwecken eine» Halbweg» geordneten Staats­wesens aufs sonderbarste angepaßt: Die etwa im zwölften Jahre zur Versehung von StaatSgeschäftea auserkorene» und formell gewählten Angehörigen einer sog.Gada"- Gruppe erhalten bei ihrem Amtsantritt die Be­zeichnungajü" oderboü"(Landesvater), wel­che sie während desbuttä" oder dcS Zeitraumes von acht Jahren führen. Sie nehmen in dieser Zeit an allen Staatsgeschäften Anteil. Ihre Amts­handlung leiten sie mit einem Opfer ein, das gleichfallsbuttä" heißt und dem bei Todesstrafe kein Fremder beiwrchnen' darf. Nach Beendigung von vier Jahren in dieser Eigenschaft lassen sich alleajü" beschneiden. Sie werben während der ersten acht Jahre, wo sie noch junge Burschen sind, auchdebett" genannt, führen untereinander mit Ausschluß der Frauen Tänze auf und begehen Festlichkeiten zu Wien des Stamme », dem sie an­gehören. Sind die ersten acht Jahre verflossen, so wird, ohne daß hierbei jemand Waffen tragen darf, eine Versammlung abgehalten, gleichsam um zu resümieren, was geleistet wurde, Madafa (Häuserbau) genannt. Die Galla, derenbuttä" zu Ende ging, erhalten den Namenfolö", Pflan­zen zum Gedächtnis an diese Zeit jeder einen PoduarpuS- ober Cypreffenbaum, führen jeder gern eine lange Rute in der Hand, verkleiden sich als Frauen, Hunde, Affen, überhaupt mit Vor­liebe als Tiere und haben in dieser MaSke das Recht einer schrankenlosen Meinungsäußerung, die sogar zu Spott und Insulten der ihnen Begeg­nenden ausarten darf. Die Erfahrungen, die sie als Leiter politischer Angelegenheiten gesammelt, vielleicht der Zusammenhang mit mancher noch aktuellen Angelegenheit verschafft ihnen ein ge­wisses Ansehen als Kenner der Staatslage und ihre Stimme ist für viele von Interesse. Während der nächsten acht Fahre, deren Be­ginn mit einer Versammlung während des Früh- lingsäquinoktium»(Tag- und Nachtgleiche), in ­auguriert wird, führen die Galla den Namen Kondalla", Pflanzen abermals Gedächtnisbäume und begehen in demselben Jahre bei dem Herbst­äquinoktium ein neues Fest,benti", an dem viele heiratsfähige Mädchen teilnehmen und bei welcher Gelegenheit die Ehen unter den jungen Leuten verabredet werden und wo die Heirats­werber dem Mädchen ein Geschenk eine Jacke oder einen Lederunterrock machest. Im dritten Jahr nach dembenti" findet ein. nationales Stieropfer der Kondalla swtt, welches der ajü ihrer Familie darbringt. Die letzten acht Jahre in der politischen Laufbahn jedes Galla, die vierte gadä", beginnen mit einerdegagga" genannten Versammlung aller Beteiligten, die fortan den Namengadoma" oderdgroma" führen, welche Bezeichnungen soviel wie Bollbürger zu bedeuten scheinen, denn sie bringen den Männern.das Recht aller politischen und Ehrenrechte, sowie die Befug­nis, religiöse Opfer aller Art zu verrichten. Auch diese Zeitperiode ist durch Pflanzungen von Bäu­men und eine sehr zahlreich besuchte Schlußver- sammlung aller Teilnehmeroda"> markiert, während welcher die ersterwähltenajü" ihr Amt antreten. Nach dieser Zeit, also in der Regel in einem Alter von etwa 60 Jahren, zieht sich der Galla gewöhnlich von den Staatsgeschäften zurück und macht jüngeren Kräften seiner Familiengruppe Platz. Während der letzten 16 Jahre hat er den Titelakakajü", Großvater des Landes, geführt und nach Möglichkeit die jüngeren ,^ajü" beraten. Der Rücktritt der abgehenden Alten,luba"« wird durch ein tumultarisches Fest gefeiert, wor­auf die Greise den Namenbuba" annehmen und Polstisch nicht mehr hervortreten."