Donnerstag, 3. Oktober 1935 Nr. 230 15. Jahrgang (•tmchlieBlich 5 H«U»r Porto) deiTdeutschenSozialdemokratischen Arbeiterpartei IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH.«»AKTION UNO Verwaltung MAO xn, FOCHOYA a. TELWOS«77. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAU», CHEHtDAKTEUKi WILHELM NIESSNER, VERANTWORTLICHER REDAKTEUR, ML EMIL STRAUSS, MAO« Mussolini geht los Der Einmarsch In Abessinien beginnt/ Fascistischer General-Appell In Italien ««Auf Krieg wird mit Krieg geantwortet” Der bewaffnete Konflikt in Ost afrika scheint nunmehr unvermeidlich zu sei«. Im Laufe des Mittwoch haben italienische Truppen bereits die abesst- nische Grenze an der DrellLnder-Eche Erttrea-Französisch Somallland-Abesfi- nien überschritte«. Für 18!lhr 30 wurde durch den ttalienischen Rundfunk der„Generalappell" aller Fascisten angeordnet, die fich sofort in ganz Italien an die vorher bestimmten Sammelplätze begeben mußte«. Rach halb 7 Uhr abends hiett Mus solini an seine Schwarzhemden eine Rundfunkansprache, in der er erklärte, daß die„feierliche Stunde in der Geschichte des Vaterlandes" anbreche. Italien laste sich den Platz an der Sonne nicht nehme«. Es werde auf Sanktionen wirtschaftlichen Charakters mit Der Berg Musali liegt unweit des Punktes, wo die Grenze des südöstlichen Zipfels von Italienisch- Eritrea, Französisch- Somali und Abessinien zusammenlaufen. Die abessinisch-italienische Grenze ist in diesem Landstrich n i ch t genau f e st g e l e g t. Die..theoretische** Grenze Genf. fTsch. P. B.) In hiesigen englischen Kreisen wird darauf hingewiesen, daß die Grenze zwischen dem italienischen und dem abessinischen Gebiet, wo nach abessinischen Angaben der italienische Bormarsch begonnen haben soll, nur eine theoretische Linie bilde. Der angrenzende Streifen der französischen So- maliküstr ist in dem römischen Abkommen vom 7. Jänner den Italienern zugesprochen worden, doch hat die Üebergabe dieses Gebietes und demgemäß die Festsetzung der neuen Grenze noch nicht stattgefunden. Was vielleicht noch dir Mög- R o m. Der fett einigen Tagen mit größter Spannung erwartete Generalappell der faseistisrhen Partei ist Mittwoch nachmittags Tatsache geworden. Um 18 Ahr 30 ertönten überall die Sirenen und die Glocke«, um die Schwarzhemden zu ihre« Sammelplätzen zu rufen. Wenige Minuten vorher war der Appell-Befehl über de« Rundfunk gegangen. „Die feierliche Stunde in der Geschichte des Vaterlandes bricht an", so begann Mussolini beim Generalappell am Mittwoch abends seine wieder von rauschendem Beifall unterbrochene Disziplin, Gleichmut, und Opferbereitschaft, auf Sanktionen militärischen Charakters mit milttärische« Maßnahmen, auf Kriegshandlungen mit Kriegshandlungen antworte n; es wolle aber alles Mögliche tun, um zu verhindern, daß der koloniale Konflikt europäischen Charakter annehme. Die Soldaten in Ostafrika sind, wie Muffolini ausdrücklich erklärte, imBegriffindenKampf z u g e h e n. Damit sind die letzten Hoffnungen auf eine friedliche Beilegung des Konfliktes vernichtet. Die Folgen dieses Vorgehens sind noch nicht abzusehe«. Die brttische Regierung hat, wie Havas berichtet, nach den ersten Mel- dutzgen über den ttalienischen Vormarsch die zuständigen Ministerien der nationalen Verteidigung ermächtigt, alle mtt Bezug auf die Situation not« wendigen Maßnahme» zu treffe«. Grenzverletzung Ms man jedoch nach dem gemeinsame« Sieg, zu dem Italien mit 670.000 Toten beigctragen hat, am Verhandlungstisch eine? erbärmlichen Friedens zusammenkam, da fielen für Italien nur die Brosamen einer großen Kolonialbeute aus, di« sich andere nahmen. 13 Jahre lang haben wir geduldig gewartet. 40 Fahre lang haben wir die abessinische Provokation geduldig ertragen. Jetzt ist es genug! Anstatt das gerechte Recht Italiens anzuerkennen, wagt man, im Völkerbund von Sanktionen zu sprechen. Bis zum Beweis des Gegenteils weigere ich mich zu glauben, daß das französische Volk sich Sanktionen gegen Italien anschließen könne, daß das englische Volk sein Blut vergießen und Europa auf den Weg der Katastrophe bringen wolle, um ein barbarisches Land zu verteidigen. Trotzdem dürfen wir aber nicht so tun, als »b wir die Möglichkeit von Sanktionen in der nahen Zukunft nicht sähen. Auf Sanktionen wirtschaftlichen Charakters werden wir mit Disziplin, Gleichmut und Opferbereitschaft antworten. Auf Sanktionen militärisch«« Charakters antworten wir mit militärischen Maßyahmr», auf Kriegshandlungen mit Krieashaudlnnge«. Niemgnd ' täusche sich darüber, m»S klein z« kriegen, den« er wird eine» harten Kampf bestehen müssen. Aber noch einmal sei eS in der kategorischesten Weise, wiederholt: Wir werden, alle? möglich« tun, um zu vermeiden, daß der koloniale Konflikt den Tharafter und die Bedeutung eines europäischen Konfliftes annimmt. »Darum marsch!", Italien , auf daß der Ruf seiner bis aufs äußerste unerschütterlichen Entschlossenheit gen Himmel steige und unsere Soldaten in Ostafrika erreiche, die im Begriffest« d, indenKampf zu gehen. vom schwimmt in Begeisterung Die Rede Mussolinis wurde von der nach Zehntaufenden zählenden Menge auf der Piazza Venezia immer wieder von stürmischen Beifallsrufen unterbrochen. Am Schluß brachte die Menge Mussolini , der immer wieder von neuem auf dem Balkon erscheinen mußte, nicht endenwollende Kundgebungen dar. Nach den Klängen des Giovinezza-Liedes erklärte Parteisekretär Staracr über den Rundfunk den Generalappell für beendet. Bei den« Generalappell wurde das britische Botschaftsgebäude in Rom von über 300 Polizisten, Karabinieri und Soldaten qcschützt. Abessinische Mobilisierung Wie Reuter aus Addis Abeoa meldet, wird die allgemeine Mobilmachung der abessinischen Streitkräfte einer amtlichen Mittellung zufolge am Donnerstag vormittags um 11 Uhr angeordnet werden. Die italienische Gesandtschaft in Addis Abeba schickt bereits ihre Archive mit der Eisenbahn aus der abessinischen Hauptstadt ab und verbrennt ihr Schriftenmaterial im Garten des , Gesandtschaftsgebäudes. Das Pariser Linksblatt„Oeuvre" meldet, daß die Abessinier die Italiener in die Niederungen Vordringen lassen werden und sich selbst in die Berge zurückziehcn werden. Beim Einsetzen I der neuen Regenzeit werde die Situation für die italienischen Truppen kritisch werden. Das gleiche Blatt erfährt, daß einige Führer des. jetzigen italienischen Regimes, darunter auch Marschall Badoglio, bezüglich der Beendigung des abessinischen Feldzuges unter den schlechten Bedingungen, mit. denen man wahrscheinlich rechnen müsse, sehrpessimistisch sind. Brandrede Mussolinis beim General-Appell aller Schwarzhemden immer Rede f dem der lichkeit einer Regelung drS Zwischenfalles in sich schließe. Italien könne noch immer geltend machen, daß es sich um ein M i ß v e r st ä n d- n i s, jedenfalls nicht um den Beginn eines Bormarsches ins Innere Abessinien- handelt. Die Feststellung» ob ein Angriff stattgefunden hat, werde auf alle Fälle noch einen Gedankenaustausch mit der italienischen Regierung notwendig machen. Rom dementiert nicht P a r i s. Der Korrespondent der Agencr Havas meldet: Die Meldungen über den Einmarsch italienischer Truppen in Abessinien werden in Rom nicht mehr d e m e n t i e r t. Die italienischen Truppen hätten die Feindseligkeiten jedoch noch nicht aufgenommrn. Sie sollen nur einige militärische Bewegungen in den bewaldeten Gebieten unternommen haben, nm ihre „Defensivpositionen" besser zu organisieren. an das italienische Volk. 20 Millionen Italiener sind in diesem Augenblick auf allen Plätzen Jtalieüs versammelt. Seit vielen Wochen läuft das Rad der Geschichte unter dem Antrieb unseres festen Entschlusses auf das Ziel zu. In diesen letzten Stunden ist das Tempo noch rascher und geradezu unaufhaltsam geworden. Es ist nicht nur ein Heer, das seinen Ziesen entgegen marschiert, es sind 44 Millionen Italiener , die mit diesem Heer mar- schierey, während man versucht, gegen sie die s ch w ä rzeste Ungerechti gkeitzu begehen und u n SdenPlatz an der Sonne zu nehmen. Als im Jahre 1918 Italien fein Schicksal mit Alliierten verband, wieviel Versprechungen! _’• P'D.) Das Sekretariat des Völkerbundes erhlett heute Nachmittag vom Kaiser von Abessinien folgendes Telegramm; „Wir gebe« bekannt und fordern, daß allen Mitgliedern des Völker- bundrates und allen Mttgliedstaaten mitgetettt werde, daß italienische Truppe« unerlaubter Weise die a b e s s i n i s ch e G r e n z e in der Ge- send südlich vom Berg Mvsali ü b e r s ch r i 1 t e« und eine Basis für einen Angriff großen Umfanges vorbereitet haben. Die Mähe des Meeres und der leichte Zugang über Französisch-Somaliland zu dieser Stelle ermöglicht es, daß der Dölkerbundrat einen Beobachter entsende oder sich die Bestätigung dieser Nachricht über die Verletzung abessinischen Gebietes durch Dermttt- lang der lokalen Regierung in Französisch-Somaliland beschaffe. Gezeichnet Halle Selasie." Nesus Genf.(T Einheitswollen gegen Spaltungsgeist Zur Erinnerung an die Schicksalstase von Karlsbad i. Vor fünfzehn Jahren fiel die folgenschwerste Entscheidung in der Geschichte der sudeten^eutschen Arbeiterbewegung. Vom 3. bis 7. Otkober 1920 waren in Karlsbad zum letzten Male die Sendboten einer einheitlichen deutschen sozialistischen Bewegung in diesem Lande versammelt. Das große geistig-politische Ringen zwischen Sozialdemokratie und Bolschewismus nahm auf unserem Boden von diesem Parteitag seinen Ausgang. Unerhört großes und tragisches" Geschehen ist in den eineinhalb Jahrzehnten, die uns von diesem ersten Kräftemeffen trennen, vorbeigerauscht. Die Generation, die dabei war und bebenden Herzens mitgcstritten hat um die Bestimmung des Weges und um die Rettung der Einheit der Partei, wird den Schicksalstagen von Karlsbad gerne einen Augenblick der Erinnerung schenken. Der jüngeren Generation, die seither ihren Platz in der sozialistischen Kampffront bezogen hat, ist bei diesem Anlaß zu sagen, wo der Ausgangspunkt des Bruderzwistes in den proletarischen Reihen lag, welch stolze Tradition sie zu hüten und welch großes Vermächtnis sie zu erfüllen hat. * Die Welt trug vor fünfzehn Jahren ein anderes Gesicht. Die Hungersnot des Krieges und der Umsturzzeit, die Schwierigkeiten der Demobilisierung, die Hemmungen, welche die Friedensverträge der sozialistischen Politik unter den besiegten Völkern auferlegt und die Hoffnungen, die die russische Revolution auch bei den Arbeiterklassen Mitteleuropas entzündet hatte, aber auch die ersten Anzeichen einer großen konterrevolutionären Welle bestimmten das Denken und Handeln der klassenbewussten Arbeiterschaft. Trotz den überstandenen Schrecknissen und Entbehrungen hatten die arbeitenden Menschen aus den Schützengräben und Munitionsfabriken ein erhöhtes Selbstbewusstsein heimgeträgen. Eine Massenarbeitslosigkeit im heutigen Umfange war unbekannt. Das Land und die Welt standen im Zeichen des Warenhungers. Bei der damals herrschenden Kohlenknappheit konnte ein Streik der Bergarbeiter das Wirtschaftsleben in seinen Grundfesten erschüttern. Unsere Kohle, unser Zucker wurden im Auslande mit Gold bezahlt. Auch die sudetendeutschen Exportindustrien hatten Anteil an der ersten Nachkriegskonjunktur. In den Glashütten, in den Metall- und Porzellanfabriken herrschte Hochbetrieb. Die nordböhmische und die mährisch-schlesische Textilindustrie belieferten noch ihre alten Absatzgebiete im Bereich des ehemaligen österreichisch-ungarischen Fünfzigmillio- nenstaakes. Man wusste noch nichts von der kommenden Jndustriewandcrung. Der Begriff dec Rationalisierung war in seiner heutigen Prägung unbekannt. Die Vorstellung, dass unser deutschböhmisches und nordmährisch-schlesisches Grenzland in zehn oder fünfzehn Jahren ein grosser Jndustriefriedhof sein werde, fand nicht einmal im Denken des ärgsten Pessimisten Raum. Fast alle Betriebe im deutschen Gebiet waren geschlossen in den freien Gewerkschaften organisiert. Es bedurfte nur eines gemeinsamen Aufrufes der Partei und Gewerkschaften, die Belegschaften geschlossen auf die Strasse zu führen. Kein Unternehmer wagte es, sich einer solchen Aktion zu widersetzen. Erfolgreiche gewerkschaftliche Lohnkämpfe schufen eine günstige Stimmung für die Organisations- und Werbearbeit der Partei. Der deutsche sozialdemokratische Jugendverband zählte gegen 30.000 Mitglieder. Die bürgerlichen Parteien waren noch vom Kriege her diskreditiert und in die Defensive gedrängt. So brachten die ersten Wahlen in die tschechoftowakische Nationalversammlung den sozialdemokratischen Parteien große Erfolge. Es gab weder im deutschen noch im tschechischen Lager eine sozialistische Mehrheit, doch die Sozialdemokratie war hier und dott die führende Partei. Politisch waren alle Vorbedingungen einer weiteren Aufwärtsentwicklung der Arbeiterbewegung gegeben. Die durch Krieg und Umsturz aufgerifsene Kluft zwischen der tschechischen und der deutschen Arbeiterschaft wurde allmählich durch die Notwendigkeiten einer sozialisti-i
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15 (3.10.1935) 230
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