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ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
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15 Zahrgang
Dienstag, 8. Oktober 1935
Nr. 234
6snf s’ellt einstimmig fest:
Italien hat den Pakt verletzt Der Rat nimmt die Ausschußberichte an Genf.(Tsch. P. B.) Der Völkerbunds rat hat Montag abends gegen die Stimme Italiens den Bericht des Dreizehnerausschuffes gemäß Art. 15 angenommen, ferner den Bericht des Sechserausschuffes, durch den festgestellt wird, daß Italien entgegen den Verpflichtungen aus Artikel 12 z u m Kriege geschritten ist. Genf . Reuter.) Das von dem Delegierten Baron Alois» vorgebrachte italienische Ersuchen, die Aussprache über den Bericht des Sechserausschusses zu vertagen, wurde vom Völkerbundsrat abgelehnt. Zn diesem Sinne wurde ein Schreiben redigiert, in welchem Baron Aloifi darauf aufmerksam gemacht wird, daß der Krieg im Gange, daß rasches Handeln unbedingt nötig sei und daß infolgedessen sein Ersuchen abgelehnt werde.
Die Feststellung, daß Italien den Artikel 12 der BundeSsatzung verletzt hat und zum Angriff übergegangen ist, leitet die Prozedur der Sanktionen eigentlich automatisch ein. Ob der Artikel 16 nun im vollen Umfang angewendet werden wird, hängt allerdings davon ab, ob sich bis Mittwoch Frankreich und England über die Sanktionen zu einigen ver- m ögen. Während England Sonderverhandlungen mit dem Friedensbrecher bisher ablehnt und in Genf auf scharfe Sanktionen drängt, verficht Laval, der ja um sein persönliches Prestige und um die Weiterexistenz seines Kabinetts kämpft, noch immer zu Verhandlungen mit Mus solini und zu einer Einigung zu gelangen. Die französische Presse vertritt die metttvürdige Auffassung, daß man Italien jetzt, da er militärisch seine Revanche für 1896 genommen habe, vielleicht durch ein grösseres Zugeständnis zum Frieden betvegen könne. Man spricht in den französischen Blättern davon, dass nur Alt-Abessinien selbständig bleiben, die von den Amhara — der Herrenschicht—- unterworfenen Stämme aber den Italienern ausgeliefert werden sollen. Auch über Alt-Abessinien will nran Italien ein Dkandat einräumen. Sollte Frank reich wirklich wagen, diese Auffassung, auch nur ernstlich zu verfechten, so würde es freilich den Begriffen der europäischenSicher- heit und des Völkerrechts den T o d e s st o ss versetzen. Denn wenn man vor dem frechen Friedensbruch Italiens es noch hätte verteidigen können, dass dem Erpresser gut-
Rom. Sonntag abends veröffentlichte das Propagandaministerium ein Eommuniquee, in dem der Fall von Adua amtlich gemeldet wurde. Es heisst darin: „Heute(Sonntag) zeitlich früh eröffneten die Truppen des zweiten irationalen Armeekorps die Offensive und um 10 Uhr 30 marschierten sie in Adua ein. Auf der ganzen Kampflinie wurden bereits Verbindungen zwischen den einzelnen Heeresgruppen hergestellt." Weiter wird gemeldet, daß sich die Priesterschaft und Abordnungen der Bevölkerung im ita lienischen Hauptstabe ein gefunden und sich feierlich der italienischen Oberhoheit unterstellt habe. Die Meldung von dem Falle AduaS versetzte Rom und ganz Italien — zumindest nach den offiziellen Schilderungen— in einen wahren Siegrstaumel. Mussolini teilte dem König persönlich die Einnahme Aduas mit und sandte sofort an der kommandierenden General de Bono eine De- pesche, in welcher er erklärte: „Die Eroberung Aduas erfüllt alle italieni - schen Seelen mit Stolz. Du und Deine Militärabteilungen verdienen mein höchstes Lob und die Dankbarkeit der Nation." Es verlautet, dass Mussolini in den nächsten Tagen in einem besonders raschen Flugzeuge aus Rom nach Adua fliegen werde, um sich dort vor dem Andenken an die in der blutigen Schlacht des Jahres 1896 gefallenen Italiener zu verbeugen. Ein an dieses tragische Ereignis erinnernder Ge- d« n k.st e i n wurde bereits am Sonntag von den Italienern nach Adua gebracht.
willig ein Stück der geforderten Prise hingeworfen wird, damit es nur nicht zum Kriege komme, so hiesse ein Zugeständnis an Italien in diesem Augenblick ja, dass man auf den Friedensbruch und die Verletzung des Völkerbundpaktcs geradezu eine Prämie aussetzt. Wenn der Völkerbund sein Prestige wahren will, so müsste er gerade jetzt erklären, dass Italien keinen Fussbreit Bodens bekonnnt, sondern sich zu fügen hat. Das bedeutet keineswegs, einen europäischen Krieg heraufzubeschwören, vielmehr jeden Krieg im Keime zu ersticken, denn Italien ist der vereinigten Macht der Genfer Dlächte nicht einen Tag lang gewach- sen. Sollte Frankreichs Standpunkt ernsthaft erörtert werden, so wäre das im voraus für Hitler dse Rechtfertigung jeder beliebigen Vertragsverletzung. Dann könnte ja auch Hitler mit gutem Grunde kalkulieren, dass man ihm, sobald er etwa Memel beseht, freiwillig noch halb Litauen dazugeben müsste, damit er wieder friedlich wird! Das„Recht" Hitlers auf Memel sicht dem Mussolinis auf Adua nicht nach. Die Franzosen würden sich wahrscheinlich sehr bedanken, wenn der Völkerbund Hitler etwa das Recht auf R,e vanche für 1918 zugestehcn würde. Billigt man aber Italien zu, dass es ein Recht hatte,„Revanche für Adua" zu nehmen, dann verliert der Völkerbund auch Hitler gegenüber seine moralische Autorität. Es hängt für Europa alles davon ab, dass Frankreich sich bis Mittwoch dem einzig möglichen britischen Standpunkt anbequemt!
Am Abmd fanden große Umzüge in Rom statt, in welchen auf die italienische Armee begeisterte Hochrufe ausgebracht wurden. Eine gleiche Begeisterung gab sich auch in den übrigen Städten Italiens kund- AddisAbeba.(HavaS.) In der abessinischen Hauptstadt ist die Einnahme AduaS durch einen amtliche» Bericht bekanntgegcben worden, in welchem cs heisst, daß Sonntag um 13.30 Uhr das italienische Militär, von 20 Flugzeugen begleitet, in Adua einmarschiert ist, nachdem eS vorher Adigrat eingenommen hatte. Nach Reuter entwickelte sich der letzte Angriff, mit dem Adua eingenommen würde, bereits in den frühen Morgenstunden. Die zweite Kolonne der italienischen Armee, unterstützt durch leichte, schnell« Tanks, begann nach einer ausgiebigen Artillerievorbereitung den Angriff von den Höhen, die das Tal umgeben, in welchem Adua liegt. Durch den Angriff wurden die Abessinier zum Rückzug und zur Räumung Aduas gezwungen. Beide Seiten erlitten schwere Verluste. Reserven Im Anmarsch London . Den letzten Berichten von der abessinisch-italienischen Nordfront zufolge ist eS dm italienischen Truppm gelungm, die verschiedenen Tmppmsäulm zu einer Einheits fon t auf der Linie Adua— Entisci o— Adigrat zu vereinigen.
Der gegenwärtige Stand der Operationen an der Tigre-Front scheint darauf hinzudeuten, daß ein gewisses verlangsamtes Tempo in den ita lienischen Vormarsch eingetreten ist. Die Italiener, die bereits 40 Kilometer in die Provinz Tigre auf einer Frontbreite von 50 Kilometer einge- drungcn sind, konsolidieren jetzt ihre Positionen auf der Linie Adua—Entiscio—Adigrat. Tausende von italienischen und eingeborenen Arbeitern errichten im Rücken der vormarschirrenden Armee eiligst Straßen, durch welche die Versorgung der italienischen Front mit Munition und Lebensmitteln gesichert werden soll. Der abessinische Oberbefehlshaber Das Sey- oum, der die Verteidigung von Adua leitete, hat sich seinerseits in einer Linie, die sich von A k s« m nach M a k a l e erstreckt, festgesetzt. Grosse abessinische Verstärkungen sollen von Fiche nach diesem Gebiet unterwegs sein. An abessinischen Regierungsstellm hegt man das Verträum, daß die 100.000 Mann starkm Abteilungen unter dem Kommando des Ras Kassas nach Italienisch-Erithrea eindringen werdm und dass es ihnen grlingm wird, die Verbindung der auf abessinischem Gebiet befindlichm italienischen Truppm mit dem Hinterland zu unterbrechen. Die it'»mischen Truppm, die Adua erobert haben, befestigen inzwischm ihre Stellrmgm. Ihre Bewegungsfreiheit wird jedoch dauernd durch abessinische Scharfschützen behindert. Bon der italimischm Seite dür Front wird frmer gemeldet, dass in den lehtm 24 Stundm ununterbrochen Tausende von italienischen Truppm dm Grenzfluss Rareb überquert haben und in der Richtung von Adua aufrückm. Train» soldatm, Pionierabteilungen und Munitionsnachschub folgm ihnm auf dem Fuße. An der Mittelfront bei Französisch Somali- lm»d durchquerm italienische Eingeborenmtruppm die Wüste vom Berg Muss» Ali nach der Provinz A u s s a in der Absicht, die Eisenbahnlinie von Addis Abeba nach Dschibuti abzuschncidm. Nach abessinischm Berichten ist in O g a d e n ein ständiger Guerillakrieg im Gange. Nach abessinischen Schätzungen beträgt die bisherige Zahl der Toten auf abessinischer Seite 6000, auf italienischer Seite 800. Elefantenfallen gegen Tanks Die Abessinier verwenden eine beim Elefantenfang benützte Methode, in dem sie auf die Wege, welche die italienischen Tanks passieren, tiefe Gräben änbringen, welche sie mit Zweigen und aufgeschüttetem Sand überdecken. Auf diese Weise sollen bereits vier italienische Tanks vernichtet und ihre Besatzung getötet worden sein. Große Geländeschwierigkeiten Der Sonderberichterstatter des Reuter- BureauS bei den italienischen Truppen in Abessinien meldet: Durch die letzten Erfolge erhielten die Italiener eine Aufmunterung, denn ihr Vorgehen erfolgt nichtobneS ch w i erigk eiten, und wie die Offiziere erklären, dürfen die« n- gehruren Hindernisse, die zu überwinden sind, nicht unterschätzt werden. Der Boden gewährt den Abessiniern alle Möglichkeiten zur Legung von Hinterhalten. Addis Abeba . Das abessinische Rote Kreuz richtete an die internationale Rote Kreuz-Zen- träle in Genf das Ansuchen, ihm monatlich 10.000 Pfund Sterling zuzuteilen, was hier für eine annähernd 750.000 Soldaten zählende Armee als ungenügend angesehen wird. •„Times" meldet aus Port Said : Die Italiener haben jetzt 25 Kriegsschiffe im Roten Meer , darunter den Kreuzer„Mranto" und vier Unterseeboote. Die anderen Fahrzeuge sind Zerstörer und Avisos sowie fleine Hilfsschiffe. In dem Raume beim Berge Maussa Ali konzentrierten die Italiener 50.000 Mann, 70 Tanks und verfügen dort über etwa 100 Flugzeuge.
Labour und Kriegsgefahr Ein denkwürdiger Parteitag I. H., Brighton , Anfang Oktober. Auf dem Gewerkschaftskongreß in Margate vor vier Wochen hatte die britische Arbeiterbewegung mit überwältigender Mehrheit ihre Entschlossenheit erklärt, die Sanktionspolitik des Völkerbundes gegen den räuberischen Ueberfall Ita liens auf Abessinien bis zur äussersten Konsequenz zu unterstützen. Wenige Tage später kündigte George Lansbury in den Zeitungen sttnen Entschluß an, seine Parteiführerstelle zuruckzulegcn; er hatte in Margate noch den offiziellen Parteistandpunkt vertreten, wenn auch sichtlich nicht aus vollem Herzen— und der alte Mann hatte in den 75 Jahren seines Lebens stets aus heissem Herzen Politik gemacht I Zugleich resignierte Sir Stasford Cripps, der junge Führer der„So- cialist League", der kleinen, aber ideologisch bedeutsamen Links-Organisation innerhalb der Labour Party , als Mitglied der Parteiexekutive, und Lord P o n s o n b y trat als Führer der Labour-Fraktion im Oberhaus zurück. Alle diese Rücktritte hatten ihre Ursache in dem Widerstreben gegen eine Politik, die die britische Arbeiterbewegung zur Unterstützung eines Krieges, und sei cs auch eines Krieges im Namen des Völkerbunds, führen könnte; im einzelnen waren sie verschiedenartig motiviert: bei Lansbury durchaus religiös, aus dem urchristlichen Prinzip der absoluten Gewaltlosigkeit; bei Ponsonby aus unbedingtem Pazifismus; bei Cripps und der So- cialist League aus prinzipieller Ablehnung jedes kapitalistischen Krieges, der, wie immer verkleidet, in Wahrheit nichts anderes als ein Zusammenstoß imperialistischer Interessen sein könne. Die Exekutive der Labour Party nahm den Rücktritt Sir Stafford Cripps ' kühl, den Rücktritt Lord Ponsonbys mit Bedauern entgegen und forderte Lansbury auf, seiflß Führerstelle weiter zu behalten. Der unmittelbar bevorstehende Parteitag in Brighton sollte die aufgeworfenen Streitfragen endgültig klären. Ltimmen 1:20, Redner 1:1 Nach einer zwei Tage langen Debatte hat der Parteitag von Brighton soeben mit der zwanzigfachenMehrheit von 2,168.000 gegen 102.000 der vertretenen Stimmen die Politik der Partei in der Sanktionenfrage bestätigt. Die Mehrheit war noch grösser als in Margate , da in der Zwischenzeit zwei Gewerkschaften, die vor vier Wochen gegen Sanktionen gestimmt hatten, ihren Standpunkt geändert hatten.(Die Gewerkschaften bilden in England bekanntlich den Grundstock auch der politischen Pattei.) Aber wichtiger beinahe noch als dieses Ergebnis war die Debatte selbst, die, aiG ausserordentlich hohem geistigen Niveau gefuyrt, das ganze komplizierte Problem der Stellung der Arbeiterschaft zum Krieg zur Sprache brachte und daher gerade in dem jetzigen entscheidungsvollen Augenblick die Aufmerksamkeit des internationalen Proletariats in hohem Masse verdient. Die klare, durchaus realistische Völkerbundpolitik der Patteiführung auf der einen, die antiimperialistische Prinzipienpolitik der Socialist League auf der anderen Seite fand gleich in den beiden ersten Reden ihren vollen Ausdruck. Hugh D a l t o n, in der letzten Laboür-Regierung der Unterstaatssekretär Hendersons im Auhenamt, zeichnete in eindringlichen, dramattsch knappen Worten, das Bild der gegenwärtigen Lage: Die Partei hat stets von der Regierung die volle Erfüllung der Völkerbundverpflichtungen des Landes verlangt; da sie ihnen nun zum erstenmal entschieden nachkommt, ist es unsere Pflichf, sie dattn zu unterstützen. Wenn Mussolini jetzt freie Bahn bekommt, bricht das System der kollektiven Sicherheit endgültig zusammen, wir werden zu- rückgeworfen in die internationale Anarchie der Vorkriegszeit und ein neuer Weltkrieg in nächster Zukunft ist völlig unvermeidlich. Zusammen mit Sowjetrußland, zusammen mit den drei sozialistisch regierten skandinavischen Staaten, zusammen mit all den kleinen Ländern» deren Sichcr- hett von der gemeinsamen Abwehr unprovozierter Ueberfälle abhängt, muß Großbritannien die Völkerbundaktion gegen den Angreifer durchführen. Demgegenüber gab C r i p p S der Ueberzeu- gung Ausdruck, dass der Völkerbund von heute