Seite 2

SamStag, 12. CftoBer 1935

Nr. 238

Partei verloren. Die Partei aber, die zur Trä- gcrin der siegreichen Demokratie berufen ist, die Sozialisten, kann sich infolge der wirtschaftlichen Zurückgebliebenheit Griechenlands nur sehr lang­sam entwickeln. Doch, selbst diese langsame Ent­wicklung der sozialistischen Belvegung, vor allem aber die gelegentlichen gewerkschaftlichen Aktio­nen der Arbeiter» scheinen die Aktivität der Mon­archisten mit zu beeinflussen. Es geht nämlich bei dem Bolksentscheid, der nach den Erklärungen des neuen Ministerpräsidenten Kondylis am 3. November stattfindcn soll, nicht nur um die Mon­archie, sondern noch mehr darum, ob die er st noch zU wirklichemLeben zu erwek- kende parlamentarische Demo­kratie beseitigt und durch ein m ehr oder weniger»autoritäres Re­ff i m e", odergar durch eine Gene­ralsdiktatur ersetzt werden soll. Und es überrascht nach der Entwicklung in ande­ren Ländern nicht mehr» daß gerade diejenigen Kreise, die die fanatischsten Hasser jeder wirklichen Demokratie sind und ihr immer wieder Steine in ihre Räder werfen, mit den Korruptionserschei- nffngen, die sie selbst großgezogen haben, eine Aenderung des Regimewechsels begründen! Das geschieht freilich nicht immer ganz offen; wie ja , auch vor einem halben Jahre bei dem Aufstands­versuch Benizelos bestritten wurde, daß die Wie- dcrcinführung der Monarchie beabsichtigt sei, um sie dann nach der Niederschlagung des Aufstandes .umso hitziger zu betreiben. Tatsache ist, daß die jetzt gestürzte Regierung Tsaldaris, die, da sich die.Oppositionan den letzten

Wahlen im Inur 1 9 8 8 nicht betei­ligte, im Parlament über eine sichere Mehr­heit verfügte, erst kürzlich zwei Gesetze dürchpeit« scheu ließ, die den Arbeitern nach fascistischem Borbild das Streikrecht rauben, die Gewerkschaftsfreiheit gefähr­den und die Mitwirkung an der Ver­waltung der Sozialversicherung illusorisch machen. Welche innerpolitischen Ursachen und Folgen immer jedoch der monarchistische Putsch hat und haben wird, im Augenblick sind für Europa vor allem die außenpoliti­schen Zusammenhänge interessant. Nicht nur in der Sanktionsfront gegen Italien , sondern in erster Linie für den Fall eines Krie­ges im Mittelmeer ist Griechenland von größter Bedeutung für Italien wie für England. Die Venizelisten sind für ein Zusammengehen mit Italien . Deshalb fördert England die m anarchistische Bewegung, als deren Kandidat zeitweise sogar der Herzog von Kent genannt wurde. Da die Konflikte im Mit­ telmeer großen Entscheidungen entgegenreifen, hatten es Großbritannien und seine griechische Partei anscheinend eilig, sich gegen Musso- liniinAthenzu sichern. Da auch die T ü r- k e i in der englischen Front und dmnit seit 100 Jahren zum erstenmal in der gleichen Linie mit Griechenland steht, hat England jetzt im östlichen Mittelmeer eine sehr starke Position. Eine andere Frage bleibt, ob sich die griechische Monarchie gegen die innerpolitische Opposition wird halten können.

Weil ich das Fascisfenregime hasse" Der Schutzbündler Friemel vor den Geschworenen

Wien. (Eigenbericht.) Mittwoch stand in Wien der Schutzbündler Rudolf Friemel vor den Geschworenen. Die Einzelheiten über diesen Prozeß, in dem Genosse Friemel wegen der E r- -schicßung eines Wachmannes wäh­rend der Feberkämpfe angeklagt und zu drei­einhalb Jahren schweren Kerkers verurteilt wurde, sind in der gleichgeschalteten österreichischen Presse selbstverständlich unterdrückt worden. In der Anklageschrift wurde erklärt. Friemel sei am 12. Feber, während er sich mit seiner Schutzbundkompanie auf dem Marsch zum Quellenhof in Favoriten befand, einer Poljzeipatrouille aus drei Mann begegnet. Da die Wachleute sich auf Zuruf der Schutzbünd­ler nicht ergaben, eröffneten diese das Feuer. Die Wachleute zogen sich in ein Friseurgeschäft zurück. Friemel gab nun den Auftrag, den Ausgang des Geschäftes unter Feuer zu halten. Er selbst schlich währenddessen an der Mauer entlang zu diesem Eingang hin. Um die Wachleute zu entwaffnen. Als er plötzlich vor der Türe auftauchte und die Wachleute nochmals aufforderte sich zu ergeben, gaben diese wiedereinige Schüsse gegen ihn ab, worauf Friemel zurückschoß und den Rayonsinspektor Franz Schuster tödlich, einen anderen Polizisten schwer verletzte. Ein tragisches Schicksal hätte es gewollt, daß der tödliche Schuß gerade Schuster traf, der s e l b st ehemals Mitglied derso z i a l- demokratischcnPartei gewesen war. Nach dem Zusammenbruch der Kämpfe war Friemel in die Tschechoslowakei geflüchtet. Aber Ende Juli 1834 kehrte eraus der Emi ­

gration wieder nach Oesterreich zurück, um dort an der illegalen Arbeit teilzu­nehmen. Er wurde aber in der Wohnung seiner Schwester von den Polizeispitzeln aufgestöbert und verhaftet. In der Verhandlung nahm Genosse Friemel eine so prachtvolle Haltung ein, daß selbst die Schuschniggrichter sich diesem Eindruck nicht ent­ziehen konnten. Auf die Frage des Richters er­klärte er lautIch st ehe im vollen Aus­maß für die Handlung ein, die ichbegangenhabe." Auf die weitere Frage, ob er die Tat bereue, erklärte er:Ich habe erst später erfahren, daß ich Schuster erschossen habe und mir ging dies furchtbar nahe, weil Schuster Mitglied unserer Partei war. Daß ich aber überhaupt gekämpft habe, werde ich nie bereuen. Ich habe gekämpft, weil ich ein Sozialist bin und das Fascistenregime hasse." Später sagte er noch auf die Frage eines Geschworenen, daß er von Anfang an nicht die Absicht gehabt habe jemanden zu töten. Er habe die Wachleute wieder­holt aufgefordert, sich zu ergeben. Leider sind die Polizisten diesem Befehl nicht gefolgt; ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn der Zusammenstoß unblutig abgegangen wäre. Der Staatsanwalt, Herr Dr. Schreiber, fand, daß dreieinhalb Jahre schweren Kerkers für diesen mannhaften Kämpfer des Sozialismus zu milde" seien und hat die Berufung wegen zu geringer Bestrafung angemeldet.

Neue Offensive der Italiener?

Widersprechende Nachrichten aus beiden Lagern

Paris .(Tsch. P. B) Die Nachrichten vom abessinischen Kriegsschauplatz widersprechen einander noch immer. Sie bestätigen nur die Gerüchte von einer neuen Schlacht bei Ad ua. Die aus Rom oder Asmara kommenden italienischen Meldungen besagen» daß südlich.von Adua eine neue Schlacht im Gange sei und daß sich zwei abessinische Häuptlinge der Provinz Tigre mit einigen tausend Mann der italienischen Souveränität unterworfen haben. Die Italiener bemächtigten sich auch des Dorfes Daga Manut, einige Kilometer südlich von Adigrat, das von strategischer Wichtigkeit ist. Der Hauptkauepf werde im Sakazr-Tale geführt, durch das der Weg nach Mittrlabessinien führt. Die italienischen Truppen hätten bereits große Verstärkungen sowie Waffen» und Munitionsvorräte bekommen und beabsich­tigten eine große Offensive. Ita­lienische Flieger meldeten, daß sich 20.000 be­waffnete Abessinier unweit Ungahanu konzen­triere». An der Nordwestfront, an der Sudangrenze, überfallen Banden abessinischer Eingeborener an­dauernd italienische Truppen, ohne daß irgend­welche tatsächlichen Kämpfe geführt werden. Auch an der Ostfront, bei der Grenze von Fran­zösisch-Somaliland, wurden derartige kleinere abessinische Angriffe durchgeführt. Aus italienischer Quelle wird amtlich mitge­teilt, daß der mächtige Ras Haile Selassie Gugsa, der im Kreise Makale von der Grenze Eritreas bis nach Antbaalagi herrscht, mit 12.000 Mann, 12.000 Gewehren und 100 Maschinengewehren zu den Italienern übergegangen ist. Demgegenüber besagen abessinische Nachrichten, daß Ras Sejum in der Umgebung von Adua Erfolge erzielt hat und daß es ihm Donnerstag abend gelungen sei, die italienischen Stellungen um Adua zu umzingeln. Die Ita­liener befänden sich ständig in Adua und könnten nicht heraus, weil die Abessinier alle umliegenden Höhen beherrschen. Jede Nacht dringen, wie es heißt, die Abessinier bis in die Vorstadt ein, wo Scharmützel stattfänden. Rach einer Meldung auS Addis Ababa hätten die Abessinier bei Adua zwar Verluste erlitten, dafür aber italienische Stellungen erobert, italienische Soldaten ge­fangen genommen und Geschütze, Gewehre und Munition erbeutet. 50 eritreische Eingeborene seien zu Abessiniern übergegangen. Von der Düdfront wird ein Borrücken der italienischen Truppen gemeldet. Das Hauptziel der italienischen Offensive an der Südfront ist Addis Abeba » das vorläufige Ziel die Stadt Harrar , unweit der Eisenbahnlinie. Die Abessi­nier werden» wie es heißt, diese Eisenbahnstrecke aus allen Kräften verteidigen. Der Komniandeur der abessinischen Südar­mee' DedjaSniatsch Nassibu hat mitgeteilt, daß Patrouillen und Ueberläufer große Zusammen­ziehungen italienischer Sturmtruppen melden. Die Truppen seien durch Tanks,. Artillerie und Flieger verstärkt. Die bisher unbestätigten Nach­richten über einen großangelegtcn Angriff der Italiener von Dolo aus dürsten demnach zu­treffend sein.

Aus abessinischer Quelle verlautet aus Di->i rcdava, daß abessinische Militärabteilungen Ual« I Ual und Uardairu eingenommen haben. v Nächtlicher Ueberfall auf Adua? Addis Abeba .(Reuter.) Den heute I bekannt gewordenen Nachrichten zufolge, welche] sich in der abessinischen Hauptstadt rasch verbrei- I teten» haben Abteilungen des Ras Seyum Don- I nrrstag gegen 20 Uhr auf Adua einen Gegenan- 1 griff unternommen. Die abessinischen Abtcilun- I gen kreisten dir Stadt rin» metzelten etwa 2500 J Verteidiger derselben nieder und eroberten eine. große Anzahl von Gewehren, Maschinengewehren| sowie Ausrüstungsgegenständen für leichte Artil-| lcrie und Geschossen. Auch die Angreifer haben I schwere Verluste davongetragen. Ein italienischer 1 Gegenangriff wird erwartet. Reuter meldet, daß Adua wie ausgestorben 1 sei, da keine der kriegführenden Parteien die I Stadt bei Tage besetzen will. Die Stadt sei näm- J lich eine überaus günstige Zielscheibe für Ar-M ttllerie. Eine der Umgebung des Kaisers nahe- I stehende Persönlichkeit erklärte dem Reuter- M berichterstatter, daß die abessinischen Truppen in t der Umgebung von Adua 2500 Italiener nieder- 1 gemetzelt hätten. Auch der Sprecher der abesfi- 1 nischen Regierung erklärte dem Reutrrbericht- 1 erstatter» daß die Wahrheit dieser Nachricht be- I reits bestätigt sei. » AddisAbeba, In neutralen diploma- tischen Kreisen der abessinischen Hauptstadt wird erklärt, daß südlich von Adua tatsächlich eine I große Schlacht im Gange ist. Die Armee des I Ras Seyum und desRasKafiw nrh- 4 men an diesen Schlachten teil. Die Italiener sollen in Wolkait, Tigre und Agame mit Artilleriefeuex und Flie- i gerangriffen abessinische Stellungen, die stark I verschanzt sind, sturmreif machen. Auch in der I rechten Flanke beim Berge Mussa Ali soll er- höhte Kampstätigkeit eingesetzt haben. Ein« Bc- 1 stätignng dieser Gerüchte war nicht zu erhalten, i da die Telrphonleitung Adua Addis Abeba I zerstört ist. Aksum wird geschont? Rom.(Reuter.) Die Italiener beabsichti-H gen, wie verlautet, nicht, Aksum zu bombardieren-1 da es" mist geheiligte Stadt sei. Sie wollen lieber i abwarten, bis ihnen nach geglückten Operativ-1 nen an anderen Sektoren die Stadt in die Hände I fallen wird. Amtliche Kreise stellen kategorisch die Meldung in Abrede, daß Adua neuerlich von I den Abessiniern erobert worden sei. Rach einer weiteren Reutrrmeldung waren die militärischen Operationen den ganzen Tag hindurch bloß auf die Befestigung der eroberten I Positionen beschränkt. Rur im Rordabschnitt er- i folgte ein mäßiges Vorgehen der! italienischen Abteilungen südlich! von Adigrat in der Richtung gegen Makale und im Südabfchnitt ein mäßiges Borrücken der ita­lienischen Kolonne westlich von Dolo.

VILLA OASE oder: DIE FALSCHEN BORGER

Roman von lugen« Dabit Berechtigte Uebertragung aus dem Französischen von Bejot

Schon als Kind hatte er die Trauerzüge durch die Avenue Michelet pilgern sehen.' Er hatte sie nie begrüßt, da ihm Respekt vor dem Tode ein unbekannter Begriff war. Jetzt lägen seine Eltern und sein« alte Tante im Massengrab, und sie und seine beiden Frauen hasten ihm nie ein Zeichen gegeben. Er dachte an Irma und sah sich nach ihr um. Sie hing an Roses Arm. Es war, als könne sie kaum Schritt halten, obwohl der Zug sich nur langsam fortbewegte. Sie war gar nicht mehr auf dem Posten. Eines Morgens konnte auch sie dahingegangen sein. Er ließ die Schultern hängen und schleppte sich weiter. Die Sonne brannte immer unbarmherziger. Als die Trauerfeier beendet war, gingen sie Noch an Charliers und an Helenes Grab. Irma war seit Allerheiligen nicht mehr da gewesen. Sie weinte nicht. Und Julien wurde den Gedanken nicht los, daß früher oder später diese kleine Stelle sein Heim sein würde, wie es jetzt die Villa Oase war. Alfred nahm sie ins Montbert mit und ließ ein gutes Essen auftragen. Julien redete viel und laut. Die traurigen Anwandlungen ließen nach. Er brannte eine Zigarre an und stand auf, um einen Rundgang durch sein früheres Reich zu machen. Ich komme in den nächsten Tagen nach Chapelle-sur-Seine, Irma", sagte Alsted , sobald Julien draußen war.Ich muß mit dir sprechen." Als die beiden die Heimfahrt antraten, war Gewitterschwüle. Julien steuerte in Hemds­

ärmeln. Er litt unter der Hitze, und die Müdig­keit lag ihm in den Gliedern. Er kämpfte gegen den Schlaf. Irma war bereits eingenickt. Er dachte an die Freunde. Seltsam, daß sie nur noch bei solchen Gelegenheiten zusammentrafen. Jeder lebte für sich, jeder vertraute seiner bürger­lichen Wohlgeborgenheit... und dann kam eines Tages eine Todesnachricht. Die Erinnerungen wirbelten ihm im Kopf herum. In Chapelle-sur-Seine fühlte er plötzlich, daß auch sein Leben zur Neige ging. Papa Adam- Bild erschien ihm. Als er ihn zum letzten Male im Cafe des Courses gesehen hatte, hatte der Alte schon nichts mehr gesagt, aber er war doch wenig­stens noch da gewesen, hatte in seinem ewigen schwarzen Jackett leibhaftig auf dem Sofa gesessen. Seitdem waren vierzehn Tage vergangen, und ein Abgrund hatte sich aufgetan. Reich oder arm, alle gehen denselben Weg", dachte er. Er schloß die Augen. Ein Geheul ließ ihn sie wieder aufschlagen. Er sah einen Radfahrer unter seinen Wagen stürzen. Das Steuer nach rechts gedreht... mit aller Kraft ge­bremst... zu spät. Ein Aufprall, dann das Krachen splitternden Glases. Irma stieß einen lauten Schrei aus. Es war nichts", sagte er, sich umwendend, ich bin nur gegen eine Mauer gerannt." Er sprang ab. Ein Mann in Arbeiterklei­dung rappelte sich zwischen den Rädern hoch. Sie find nicht rechts gefahren", schrie Ju­lien ihn an. Der Radfahrer ballte die Faust. Kannst wohl nicht gucken, oller Mast­bulle?" Sie schimpften hin und her, während sich Zuschauer um sie versammelten. Julien zeigte einem Polizisten seine Pa­piere. Dann untersuchte er den Wagen. Die Kühlerhaube war eingedrückt, ein Rack» zerbrochen, alle Scheiben waren gesprungen. Irma saß auf der Böschung und klapperst mit den Zähnen.

Sie hatte gerade noch Zeit gehabt, ihr Ge­sicht in den Armen zu verbergen, dann war sie, mit dem Gefühl, der Wagen überschlage sich, hinauSgerollt. Wir müssen die Karre hier zürücklassen und zu Fuß nach Melun gehen", sagte Julien. Der Unfall war in einer Vorstadtstraße ge­schehen. Der Weg bis zur Garage erschien ihnen endlos. Julien mietete einen anderen Wagen. Obwohl sie in langsamem Tempo fuhren, beschwor Irma den Chauffeur, er solle nicht so rasen. 'Einer wie der andere", sagte sie.Ihr habt alle den Geschwindigkeitsfimmel." Ich hatte gar nicht so viele Kilometer drauf", versicherte Julien. Ich fahre jedenfalls nie wieder Auto." Als sie ankamen, stand die Türe weit offen. Solange war nicht da. Erst eine Viertelstunde später sah sie Julien ins Haus schlüpfen. Woher kommst du?" fragte er sie.Man kann uns das Haus auSräumen, das interessiert dich nicht." Ein schöner Tag! Die Kameraden konnten verrecken, er ginge nicht mehr zu ihrer Beerdi­gung. Er war dem nicht mehr gewachsen. Vor­hin, im Auto, wußte er wirklich nicht mehr, was er tat. Irma hatte recht, ihn anzuschnauzen. Aber es sttnnnte nicht, daß er betrunken war. Rur in Gedanken war er gewesen. Am nächsten Tage blieb Irma im Bett. Sie litt, wie sie sagte, an einem innerlichen Schmerz. Sie wiederholte sich, der Teck» liege immer auf der Lauer, wenn man reiste. Es wäre besser, sich nie hinauszuwagen und still und friedlich in Chapelle-sur-Seine zu leben. Nur zwei Schatten fielen noch auf ihre künftigen Tage. Vor der Ve­randa lag noch immer der Teich, in den man stürzen konnte. Sie bat Julien vergebens, ihn mit einem Geländer sichern zu lassen. ES würde, nach seinem Tode, das erste sein, was sie unter­nähme. Dann war die Erinnerung an Helene. Vrn ihr hoffte sie sich im Lauf der Jahre zu befreien.

Vorläufig mußte sie das Bild noch immer ansehen. Von Monat zu Monat verblaßte das Rosa des Gesichts, bleichten die Haare wie die einer Lebenden. Es kam ihr der Gedanke, daß ihre Tochter eines Tages in diesem Bett gelegen wäre und das Bild ihrer Mutter betrachtet hätte. Statt dessen war Helene tot, und sie lebte. Sie klopfte an das Holz des Nachttisches. Sie hatte das Glück gehabt, erst Alfred zu be­gegnen, dann ihren Mann zu finden. Er war gewiß nicht fehlerfrei, aber es gab schlimmere. Hatte sie nicht auch Glück gehabt, als der Un­fall so glimpflich ausgegangen war? Immerhin: der Tod hatte sie aufs Korn genommen. In Italien , als sie noch Kind war, hatte der Geistliche den tugendhaften Leuten das ewige Leben versprochen. Sie klammerte sich an diese Hoffnung. Aber hatte sie auch entsprechend ge­lebt? Sie hatte ihren Freundinnen geholfen, ihre Tochter aus dem Elend befreit.Ja", dachte sie, wenn es ein Paradies gibt, habe ich es mir ver­dient." Als Protestantin ging sie nie in die Kirche. Einmal hatte sie dem Pater Dcattre Geld gegeben für das geweihte Prot. Bei der Ge­legenheit hatte sie ihn ausgefragt, aber nicht die Stärkung gefunden, auf die sie gehofft hatte. Ein Trinker war«r, ein Mädchenjäger wie alle ande­ren Männer. Für Julien und seine Bande be­deutete ein lebendiger Hund mehr als ein toter Mensch.Man muß das Leben genießen!" war Papa Adams Devise gewesen. Und danach hatte er gehandelt. Und jetzt? Jetzt war er tot. Habe ich mein Dasein ausgenützt?" fragt« sie sich. Gewiß, sie besaß alles, was sich eine Fratz nur wünschen konnte. Aber sie zog sich nicht mehr an, ließ ihren Schmuck im Kasten liegen, und ihr Haus kannte sie zur Genüge. Uich wie hatte sie sich schinden müssen» um mit-wanzigtausend Franken von Boenos Aires zurückzukommen und sich die Situation zu erobern, die sst nun inne­hatte! .^Fortsetzung folgt.),