Etotefrrels 70 IWhr (ImchlMlich I H«R«r Fort») ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii.,fochova a. Telefon sxtt. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, FRAG. U NT RALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK 15. Jahrgang Freitag, 18. Oktober 1835 Nr. 243 Knapp an einem Fey-Putsch vorbei Überraschende Kabinetts- Umbildung in Oesterreich Meldungen siehe Seite 2 Gegen Aegypten Große Vorbereitungen In Libyen Paris . Der Sonderkorrespondent desParis Soir" meldet aus Alexan­ drien , daß sich die italienische« Truppe« in Libyen entlang der Ägyptischen Grenze konzentrieren. In der Wüsten­gegend hinter der ttalienischen Grenze, würden Tanks, Flugzeuge, Autos und Maschinengewehre sowie Gasbomben und Muni­tion s v o r r ü t e angesammelt. T8g- lich treffe« dort neue Borrüte an Waf­fe« und Munition aller Art ein. Auf der Sgyptifchen Seite werden Sichernngsmaßnahmen durch- geführt und nach Mersamurah werden namentlich Flugzeuge transportiert. Auch Verstärkungen der ägyptischen Truppe« solle« auf dem Marsche sei«. Massaua wird fieberhaft befestigt Aus Suez meldet Reuter, daß der Hafen von M a s s a u a(in Eritrea ) von den Italie­nern mit großer Schnelligkeit zu einem gewal­tigen Flottenstützpunkt ausgrdaut werde. In den nördlich von Maffaua gelegenen Dünen sollen Batterien von 15-Zoll-Geschützen, die eine Reich­weite von annähernd 32 Kilometer besitzen, in ver­steckten Positionen errichtet worden sein. Die Bucht von Maffaua werde von vierzölligen Ge­schützen bewacht, die es mit Zerstörern und leich­ten Kreuzern aufnehmen können, und auf den strategisch wichtigen Inseln am Hafeneingang seien weitere Bier- und Sechszollgeschütze aufge- stcllt worden. Infolge dieser Befestigungsmatz- »ahmen sei der italienischen Streitmacht im Roten Meer eine gewaltige Kampf­kraft verliehen worden. Ferner seien zur Zeit etwa 500 italienische Flugzeuge und zahlreiche italienische U-Boote in Ostafrika und im Roten Meer versammelt. Negus befiehlt Guerilla-Krieg Addis Abeba . Der NeguS nahm Donners­tag ein« Parade von 50.000 Kriegern ab, welche in den letzten Tagen in die nbesiinische Haupt­stadt gekommen waren. Er wird in den nächsten Tagen nach D e s s i e abreisen, wo wahrscheinlich das Hauptquartier der abessinischen Armee ein­gerichtet werden wird. Der Negus hat als Oberstkommandierender der Armee eine Botschaft an die gesamten abessi­nischen Truppen erlassen, in der er seinen Sol­daten verschiedene Anweisungen erteilt. In der Botschaft heißt es: Ihr dürft niemals in Scharen bei­sammen bleiben, nützet vielmehr die Taktik desKleinkriegeS, seid geduldig und zerstreut euch. Beim Herannahen feindlicher Flugzeuge legt die weißen Kleider ab und er­setzt sie durch Khaki-Anzüge, damit ihr nicht leicht sichtbar seid." Berichterstattern gegenüber erklärte der Negus, die abeffinischen Militärabteilungen seien in Adua nicht geschlagen worden, sondern hätten lediglich den Rückzug angetreten. Dieses Zurückweichen vor dem starken italienischen Druck sei geplant gewesen. Die abessinischen Soldaten haben sich jetzt in den Bergen festgesetzt. Offen­sive, sagte der Negus, widerspricht allen unseren Grundsätzen und dem bereits seit langem ausge­arbeiteten Plan. Wir Ivarten die Vorbereitun­gen Italiens ab, bis sie sich entschließen, den An- griff gegen uns zu entfalten. Seligers fünfzehnter Todestag ... aber eines muß bleiben: diehisto- rische Aufgabe der Sozialdemo­kratie!", In seiner Schlußrede auf dem Karlsbader Parteitag, nach der großen leidenschaftlichen De­batte zwischen Sozialdemokraten und Kommuni­bebten Reden hatten sie zu rasender Begeisterung mit fortgerissen. Seligers Kampf hat die Gefahr, die ernste Gefahr abgewendet, daß die Mehrheit der Partei kommunistisch werde. Denn Seliger hatte den Arbeitern mahnend gezeigt, was damals von vielen leicht vergessen worden wäre: die qisto« romantik werden, führte er auf dem Karlsbader I kratie zurückgewonnen. Seine leidenschaftdurch« Parteitag einen so heroischen Kampf gegen den Bolschewismus und für die Erhaltung der Par­teieinheit. Einen heroischen Kampf! Denn der Mann, der in jenen heißen Tagen stundenlang am Red- sten, sprach Seliger diese Worte. Selbst wenn eS den Kommunisten gelänge, innerhalb der Partei die Mehrheit zu bekommen, bleibe die Aufgabe der Sozialdemokratie bestehen. Weil er klarer als viele andere, klarer jedenfalls als die dem Bol­schewismus Zugeneigten die ganz eigenartigen, besonderen Bedingungen des Arbeiterkampfes im Nationalitätenstaate sah, weil er sehr genau die wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse unseres Landes kannte und weil er in der Seele des Arbeiters lesen konnte wie kaum ein zweiter, sah er das Falsche der bolschewistischen Zielsetzung (das nächste Wort der Geschichte ist der erste Rätekongreß der Tschechoslowakischen Republik I") und das Scheitern der bolschewistischen Methoden voraus. Um die Arbeiter vor schwerstem Unheil zu bewahren, um zu verhindern, dckß sie Opfer der damals so üppig wuchernden Revolutions- Für die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie sehen sich in einer Anfrage an den Nationalver­teidigungsminister Machnkk dietschechisch en Sozialdemokraten.ein. Anlaß dazu bie­tet der Streik bei der Prager Rüstungs- f i r m a IaneLek: In der Anfrage wird der Minister aufgefordert, im Hinblick darauf, daß möglicherweise die Interessen des Staates in Widerspruch geraten zu jenen der Besitzer der Waffenfabriken, Maßnahmen zu treffen, um die Staatsinteressen zu wahren und einen Gesetzent- nerpult stand, war schwer krank, litt an einer Blutvergiftung. Entgegen dem Gebot der Aerzte, die strengste Ruhe des erkrankten Beines gefordert hatten, war Seliger nach Karlsbad gefahren. Er konnte doch die Partei in ihrer Schicksalsstunde nicht verlassen! Ein Schwerkranker schlug sich m heftiger Redeschlacht tagelang mit erbitterten Gegnern herum. Er hat gesiegt. Aber der Sieger konnte nur nach Hause zurückkehren, um zu sterben. Seliger hat im wahrsten Sinne des Wor­tes der Partei, der Parteieinheit, sein Leben geopfert. Und die Partei wurde drei Monate später doch gespalten! Also war das Opfer seines kost­baren Lebens vergebens gebracht worden? Nein! Denn Seligers Argumentation hatte tausende Arbetter überzeugt, für die Sozialdemo­wurf vorzubereiten, der die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie möglich machen, würde. Der Minister versprach, in der Sitzung des Wehraus­schusses vom 22. d. M. darauf zu antworten. Parlament am 23. Oktober L ck n p. Der Präsident der Republik hat durch Handschreiben vom 17. Oktober die Früh- jahrstagung der Nationalversammlung mit diesem Tage für beendet erklärt und gleichzeitig die bei­den Kammern zur Eröffnung der Herbsttagung für M i t t w o ch, d e n 23.O k 1 o b e r, nach Prag einberufrn. rische Aufgabe der Sozialdemokratie! Dafür allein, für seinen Kampf in Karlsbad und für seinen Opfertod, ist ihm die sudeten­deutsche Arbeiterklasse zu untilgbarem Dank ver­pflichtet. Aber Seliger war mehr als Führer im Kampf gegen den Bolschewismus. Er war damals schon seit Jahrzehnten der beste Journalist der sudetendeutschen Arbeiter und ihr feurigster Red­ner. Er war einer der großen Organisatoren der deutschböhmischen Arbeiter, Gründer der deutsch­böhmischen Landesorganisation, war den Arbei­tern Führer durch das Labyrinth der nationalen Streitfragen, während des Krieges Kämpfer um die Versorgung der Arbeiter mit Lebensmitteln und nach dem Kriege Führer im Kampfe um das Selbstbestimmungsrecht. Und war, als dieser Kampf verlören war, Gründer und erster Vor­sitzender der deutschen sozialdemokratischen Arbei­terpartei in der Tschechoslowakischen Republik. Und er war und deshalb liebten ihn die Arbeiter so sehr! Verkörperung der besten Tu­genden, war Verkörperung des Könnens und des Wollens der sudetendeutschen Arbeiter. Sein. Aufstieg vom unbeachteten Textilproleten zum weithinbekannten politischen Führer das war zugleich der Aufstteg der Arbeiter aus der Oede der Unwissenheit und dem Dunkel der Geschichts­losigkeit zu einer zielklaren, ihrer Aufgabe sich bewußten, mitbestimmend in die Geschichte ein­greifenden Klasse. Herrlich offenbarte sich an Se­liger die kulturelle Erlüsermission des Sozialis­mus. Denn der Sozialismus war es, der den jun­gen Textiler zu den Büchern geführt hatte. Der Sozialismus hatte seinem Leben Inhalt, seinem Tun ein Ziel gegeben. Der Sozialismus hatte in ihm jene Kräfte geweckt, deren bewußte Anwen­dung der sudetendeutschen Arbeiterklasse so große Dienste leistete. In Seliger, in ihrem Seff sahen die Arbeiter sich selber... Seit anderthalb Jahrzehnten ruht der Leib des größten sudetendeutschen Proletariers auf dem Schönauer Friedhöfe in Teplitz-Schönau . Geblie­ben ist uns als Vermächtnis des Unvergeßlichen die historische Aufgabe der So­zi a-l d e m o k r a t i e. In einer Rede, die die parlamentarische' Tätigkeit der deutschen Sozial- demokratte im tschechoslowakischen Parlamente eröffnete, hatte Seliger angesichts der Tatsache, daß damals deutsche und tschechische Sozialdemo­kraten einander noch recht fremd gegenüberstan­den, erklärt: In einem sind und bleiben wir doch einig: im festen Willen und Entschluß, die Freiheit der Arbeiterklasse und den Sieg des Sozialismus vorzu­bereiten! Die Freiheit der Arbeiterklasse jenes Maß von Freiheit, das sie innerhalb der demokratischen Republik besitzt, zu verteidigen, in­dem wir die Demokratie gegen den nachbarlichen und den inländischen Fascismus verteidigen es ist Erfüllung der historischen Aufgabe der Sozial­demokratie in einer bestimmten politischen Situa­tion. Und das ist auch, soweit das in solcher Situation möglich ist, Vorbereitung des Sozia­lismus. Erkennen wir das als die historische Auf­gabe der Sozialdemokratie in der Tschechoslowa- kei, diesen Staat als letzte demokratische Bastion im fascistisch gewordenen Mitteleuropa zu erhal­ten, ihn als demokratischen Staat für die Arbei­ter zu erhalten bis zur fascistischen Götzendäm­merung, dann handeln wir im Sinne des Ver­mächtnisses Seligers. Dann aber wissen wir auch die Antwort auf die Frage der proletarischen Ein­heit: Zusammenarbeit mit allen proletarischen Kräften, die sy wie wir die heuttge historische Auf­gabe des sozialistischen Proletariats dieses Staa­tes erkannt haben, die so wie wir rückhaltslos bereit sind, die Demokratie zu verteidigen, sie zu verteidigen im Interesse des gesamten europäischen Proletariats. Eine proletarische Einheit ist das, bei der nichts preisgegeben werden darf von den sozialdemokratischen Erkenntnissen und den sozial­demokratischen Grundsätzen. Jene Einheit des Erkennens, des Wollens und des Handelns, für die Josef Seliger vor fünfzehn Jahren die letzte große Schlacht seines Lebens schlug!