Nr. 251

Sonntag, 27. Oktober 1935

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Erholungsheim Hirsch berg am See Ein vorvttbttthes Wer« derArvetterfürforge"

Drei Jahre Ein Sontmer ist wieder zu Ende, und für einige Zeit wird das Erholungsheim des Vereines Arbeiterfürsorge" seine gastlichen Pforten schließen.. Drei Jahre sind um; es kann nun schon von Erfahrungen gesprochen werden. Von guten Er­fahrungen, über die sich alle freuen dürfen: Schöpfer, Leiter und Verwalter des Heims, die Funktionäre derArbeiterfürsorge", die ihr Werk zu gutem Gedeihen sich entwickeln sehen, vor allem aber die Kinder und Jugendlichen, denen es eine Stätte wohltätiger Erholung gewesen ist, und mit ihnen deren Eltern und Betreuer. Das weiße Haus am See Im Oktober 1932 konnte mit dem Bau des Heimes auf dem erworbenen Grund begonnen werden. Ein. schönerer Platz ist kaum denkbar. Am waldigen Seeufer, zwischen den sonnigen Strandbädern von Hirschberg und Thammühl, von beiden je eine Viertelstunde Gehzeit entfernt, liegt das Heim in friedsamer Stille, der Mor­gensonne zugewendet. Weitz leuchtet es über den See, zum jenseitigen Waldufer hinüber, wo der Waldkamm des Kummergebirges, die Pyramide der BornaybergeS, der Jnselklotz desMäuse- schlosses" sich im wellig zitternden Wasser spiegeln. Im Juni 1933 konnte das Heim die ersten Gäste aufnehmen. Nun hat es schon drei Sommer Imtg seiner Bestimmung gedient, und seine mit allem Vorbedacht getroffene Einrichtung hat sich ausgezeichnet bewährt. Im Untergeschoh, das sich breit gedeckt nach der Seeterrasse öffnet, sind außer der Wäscherei, der Warmwasserheizanlage, der Hausmeister­wohnung und den Schlafräumen für das Wirt­schaftspersonal auch die Waschräume unter­gebracht, in denen nach dem Spiel am Strand und nach Ausflügen Badezeug, Ueberkleider, Schuhwerk gereinigt, getrocknet und in eisernen Schränken abgelegt und Fuß- und Duschbäder genommen werden; mit schmutzigem Schuhwerk darf das Heim selbst nicht betreten werden. Im Erdgeschoß liegen die Zimmer für die Verwaltung und die Küche mit den Vorrats- unj>|

Wirtschaftsräumen. Ueber die ganze Seefront des Heimes aber erstreckt sich der große Speisesaal, der zugleich als Tagesaufenthaltsraum dient. Seine lange, helle Fensterreihe blickt zwischen Bäumen hindurch nach dem See. Und aus dem Saale tritt man auf eine ebenso lange, breite Terrasse mit Tischen und Stühlen in strahlender Vormittagssonne, in kühlem Schatten von den heißen Stunden an bis zum Abend. Im ersten und zweiten Geschoß und in zwei Turmzimmern befinden sich die Wohn- und Schlafräume für die Fnsaffen, freundliche zwei- bettige Zimmer, in denen man gleich wohnen möchte, und mehrbettige Räume, alle hell, durch­flutet von Lust und Sonne, in zarten, lichten Farben gehalten, ausgestattet mit Weißen Betten, Weißen Schränken und Tischen, mit fließendem Kalt- und Warmwasser in allen Räumen. Wie Prinzessinnen.. .Wie Prinzessinnen schlafen wir in wei­ßen Betten!" schrieb ein kleines Mädchen begei­stert nachhause. Und daß die Wasch- und Bade- kaume in jedem Geschoß mit Wandspiegeln auS- gestattet sind, erregt die Freude besonders der fleinen Hilden uyd Truden und Marien Evas allesamt. Die Jungen aber stagen:Ist auch ein Fußball da?" Ja, Fußbälle und Handbälle und Spielplätze, einer für die Ballspieler und einer für alle am Strand, und Wasierschaukeln und Ruderboote. Auch Zimmerspiele, Schach, Dame, Halma.- alles ist vorhanden. Wer aber dem Heim noch Spiele und Spielgerät schenken will

bitte, Bedarf und dankbare Benützer sind da. Und ihr gebt es für eure Jugend. Auch die nach der Seeseite gelegenen Schlaf­räume des ersten Geschosses öffnen sich nach einer Terrasse mit freiem, Blick über den See, den man

sogar vom Bett aus genießen kann. Natürlich sind die Ziinmer mit dem Seeblick die begehrte­sten. Aber auch die rückwärts gelegenen Schlaf­räume sind schön. Die großen weißen Fenster sind erfüllt von sonnigem Kieferngrün mit gold­braunem Geäst, in dem die Eichkätzchen turnen und Meisen wispern. Neben den Turmzimmern führt eine Tür nach der sonnigen, mit Lattenrosten gedeckten Liegeterrasse auf dem Dache, von der man den freiesten Blick über den ganzen See hat, von

Thammühl bis zum blauen Doppelgipfel der Bösig über den Wäldern um Hirschberg. Kinder als Feriengaste Gedacht war daS Heim als Erholungsstätte für erwerbstätige Jugendliche, die von den Be­zirksvereinen derArbeiterfürsorge" im Einver­nehmen mit den zuständigen Krankenvcrsiche- rungsanstalten hergeschickt werden. Es gah bisher kein derartiges Erholungsheim, und daß es die Arbeiterschaft gewesen ist, die das erste Jugend­erholungsheim in der Republik geschasten hat, darf sie mit Stolz erfüllen und muß ihr die An­erkennung aller an sozialer Fürsorgearbeit inter­essierten Körperschaften sichern. Natürlich gibt es auch Gegner, die mit verstecktem Neid das schöne Heim im Besitz der Arbeiterschaft sehen. Aber auch das ist schließlich eine Anerkennung. Leider hat die Krise mit ihren bösen Folgen das Vorhaben der Schöpfer dieses Heimes ge­schmälert. Es fehlt allerorteman Mitteln, um das Heim während des ganzen Sommers mit er­holungsbedürftigen Jugendlichen zu belegen, ob­wohl gerade infolge der Krise die Zahl der Er­holungsbedürftigen nur noch größer geworden ist. Um das Heim trotzdem voll auszunühen, wurden schon von 1933 ab während der Schul­ferien auch Kinder dort untergebracht, die nach den Vorschlägen der Schulärzte ebenfalls von den Bezirksvereinen derArbeiterfürsorge" entsen­det werden. Auch im Heim werden sie ärztlich un­tersucht und überwacht, aber ärztliche Behand­lung kann nicht gewährt werden. Kranke Kinder können im Heim keine Aufnahme finden, und in

Erkrankungsfällen ist nur die lleberweisung an eine Krankenanstalt möglich, denn das Heim ist ein Erholungsheim und kein Krankenhaus. Dank dieser Vorsicht ist bisher die Einschleppung von Krankheiten verhindert worden.

Geprüfte Schulfchwestern betreuen die Kin­der während der ganzen Dauer der Ferienaktio­nen, so daß für die Wohlfahrt. und pädagogische Beaufsichtigung der Kinder bestens gesorgt ist. Blutarmut , Körperschwache, Unterernährung In fast allen Fällen, sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen lauten die ärztlichen Befunde auf allgemeine Körperschwäche(Asthe­nie), nervöse Schwäche, Blutarmut(Anämie) und Unterernährung. Unterernährung ein bitteres Wort. Es ist das Signum industrieller Notstandsgebiete, Die ärztlichen Befundbogen sind Dokumente sozialen Elends. Hinter den sachlichen Angaben verbergen sich oft erschütternde Verhältnisse. Da ist zum Beispiel ein junger M<»nn, 22 Jahre alt, mit alle.» Merkmalen körperlicher und geistiger Schwäche, gezeichnet, bleich, schwächlich, schmal, mit einem, knöchernen Kopf auf dünnem Hals. Er wiegt bei 154 Zentimeter Körpergröße nur 43 Kilogramm.Unterernährt, blutarm, all­gemeine Körperschwäche" hat der Arzt auf den Befundbogen geschrieben. Dieser junge Mann mit dem gebeugten Rücken eines Greises und der dün­nen Stimme eines Kindes arbeitet' in einer Glasfabrik. Dort trägt er die noch glühend hei­ßen Flaschen vom Glasbläser zum Kühlofen. Alle zehn Minuten muß er für Augenblicke an die frische Lust gehen, sonst hält er es bei seiner Schäche nicht aus. Es ist eine Arbeit in zehren­der Hitze, bei der viel getrunken wird. Siebzig KL verdient er in der Woche. Da­von ernährt er seine Mutter und einen dreizehn- jährigen Bruder.Unterernährt..." Dankbar nimmt er das Geborgensein im Heim hin.Ja, Herr". Das ist seine leise, ,be- scheidende Antwort auf alle Fragen.Ja, Herr, es ist sehr gesund hier; und schön." Mit arg­losen Kinderaugen blickt er auf den blanken See. Bei den Mahlzeiten nimmt er gern, was andere übrig lassen. Semmeln nimmt er. mit hinauf.Aber,. mahnt die Verwalterin,

nicht etwa im Schranks verkommen'lassen!" Still, schaut er auf.«Kein,' Frau'", beteuert er leise.. Immer hat er ein Buch chei sich..Uyd.im­mer, ist es ein Märchenbuchs ein Bilderbuch'für Kinder. Mit Hingabe holt er diese. Lektüre nach, zu der ihm eine trübe Kindheit, nicht Zeit Ifeß und die jetzt seiner geistigen Aufnahmefähigkeit entspricht,Was lesen Sie denn da Schönes:?" Till Eulenspiegel , Herr", sagt er freudig. Niemand tut ihm etwas zuleide; von allen wird er freundlich und hilfsbereit betreut das ist erfreulich festqustellen.Schau, er bekommt rote Backey I" konstatiert väterlich ein Fünf- ^kminhriger. Einige Jugendliche, aber erboten M'ogar, zwei, drei Tage früher: nach Hause zu Zähren, damit für die an ihnen ersparten Kosten Her arme Kerl noch einige Tage länger im Heim bleiben könne/ Ein neues Sommerheim Während der Ferienmonat« 1934 wgren 170 Kinder und. während der übrigen Zeit 287 Jugendliche im Heim untergebracht. Die Etfah- rungen, die mit den Kinderaktionen gemacht wur­den, ermutigten zur Erweiterung. Aber es fehlte an Raum. Also galt es zu bauen. Im Frühjahr 1935 wurde mit. der Errich­tung eines neuen Unterkunftshauses begonnen. Von Ostern ab wurde ein Jugendarbeitslager im Heim eingerichtet, dessen Teilnehmer kn vier Ab­teilungen, dreimal je zwei Wochen und einmal drei Wochen, zusammen also neun Wochen lang mit den erforderlichen Planierungsarbeiten, und mit der Herrichtung der Spielplätze beschäftigt waren. Es waren arbeitslose Jugendliche, die vom Sozialistischen Jugendverband dem Lager zugeteilt wurden. Fünf Stunden täglich arbei­teten sie; die übrige Zeit stand für Kurse und für freie Beschäftigung zur Verfügung. Di« Ko­sten deS Arbeitslagers im Betrage von 45.000 KL hat der VerbandArbeiterfürsorge" übernom­men. . Im Mai war der an einen Unternehmer vergebene Bau des Sommerheims fertig. Mit der gesamten Einrichtung, hat.er 130.000 KL .gekostet.,.... v--. Umrahmt von Grün, in die sonnige Lich­tung dicht a: See gestellt, leuchtet es mit seinen gelb lasierten. Holzwänden, mit weiß und rot gestrichenen Fenstern und grünen Fensterläden freundlich und einladend. Innen, im hellen Mit« telvaum hinter Glastüren und in den beiden Schlafräumen rechts und links ist alles weiß, die Betten und die mit Ultratex-Platten verkleideten Wände. Durch den Bau des Sommerheims hat nun das Heim 52 Betten mehr zur Verfügung, so daß jetzt im äußersten Falle 142 Betten belegt werden können. Im Juni dieses Jahres beherbergte das Heim 85 Bergarbeiterkinder aus dem Trautenau» Schatzlarer Bergrevier, die von. den Schulärzten als besonders erholungsbedürftig befunden und schon vor den Ferien für eisten> Monat länger vom Schulbesuch befreit wurden. Nach dieser Sonderastion fanden dann, in den'Ferienmonaten Juli und August 270 Kinder aus den Nötstandststbieten des deutschen Berei­ches, in zwei Abteilungen zu je 135 Kindern für je einen Monat Aufnahme im-Heim. Trotz der Erweiterung hat es sich aber immer noch als zu klein erwiesen. West über 500 Anmeldungen lagen vor so groß ist die Not; aber, leider nur die Hälfte konnte bedacht werden. (Fortsetzungfolgt.)

Man ißt an kleinen Tischen..

>"' Das neue Sommerheim

Das weiße Hans am See