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1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEM SOZIALDEMOKRATISCHEM ARBEITERPARTEI IM DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .
15. Jahrgang
Donnerstag, 31. Oktober 1935
Nr. 253
Roter   Oktober Der Beginn des österreichischen Wahlrechtskampfes
Makale geräumt Abessinier leisten noch keinen Widerstand Paris  . Nach Meldungen von der abessini- schen Nordfront legten die italienischen Abteilun­gen ein Drittel der Entfernung von Adua nach Makale zurück und gehen längs des Flusses Karei vor. Die Eingeborenen­reiterei unter General Santini erreichte am Dienstag das Höhenplateau 15 Meilen östlich von Adagamas. Dieses zieht sich 50 Meilen weit ent­lang der Gebirgskette vor Makale dahin. Die Italiener sind sichtlich bemüht, Makale durch einen Flankenangriff und nicht durch «inen Frontalangriff zu erobern. Italienische Meldungen, wonach Makale be­reits von den italienischen Truppen erobert wor­den sei, entsprechen, wie auf abessinischer Seite versichert wird, nicht den Tatsachen. Man hält es hier aber nicht für ausgeschlossen, daß die Italie­ner Makale in Kürze erreichen, da das Borge­lände und die Stadt selbst von den abessinischen Truppen befehlsgemäß geräumt wurden. Die abessinischen Truppen konzentrieren sich im Nordosten. Das abessinische Oberkommando ist aber hinsichtlich der weiteren Taktik nicht ein­heitlicher Ansicht. Einige raten zu einer baldigen Offensive und auch die abessinischen Soldaten sollen ungeduldig den Kampf erwarten, andere aber neigen der Ansicht des Negus zu, daß man Makale nicht verteidigen und daß Abessinien seine abwartende Taktik beibehalten und die italienischen Truppen tief ins Innere des Landes eindringeti lassen solle. Abessinischen Meldungen zufolge hat die Zahl der Toten auf Seite der Abessinier 1000 nicht überschritten. Wie von der Somalifront berichtet wird, ist dort ebenfalls eine lebhafte militärische Tätigkeit zu verzeichnen. Die Somali-Front hat gegen­wärtig etwa folgenden Verlauf: Gerlogubi Schelaiwe Goderai Uet Ual Adai. Nach abessinischen Meldungen macht sich bei den stalienischen Truppen an der Südfront der Was­sermangelstark bemerkbar und be­einträchtigt die Truppenbewegungen. Wie es scheint, konzentrieren die Abessinier ihre Kräfte zum Angriff auf dem rechten Flügel der italienischen s^ront im Talgebiet des kleinen Flusses Setit, wo sich die italienischen Truppen gegen einen allfälligen Angriff fest verschanzen. An der Ogaden-Front stehen die Abteilun­gen des Generals Graziani nunmehr vor G o- r a h a i, dessen Fall in Bälde erwartet wird, da die Festung schwach geschützt ist. In Harrar   liegt eine starke Besatzung unter dem Kommando des Stammhäuptlings Amde. Harrar und Didschiga, durch welche Straßen sichren, auf denen Waffen und Munition von Britisch-Somaliland   transportiert werden, und die gleichzeitig die Bahn nach Dschibutsi von der Südseite her schützen, sollen um jeden Preis ge­balten werden, damit die Versorgung der abes­sinischen Truppen nicht unterbrochen werde.
Welch herrlichen Zeiten der Fascismus die Volksmassen entgegenführt, dafür ist ein Beweis der wachsende Nahrunqsmittelmangel, der in Deutschland   schon seit einigen Wochen, in Italien  seit kurzer Zeit eingetreten ist. Seit Wochen müssen die Frauen in den deutschen   Städten Schlange stehen, damit sie ein halbes Pfund But­ter bekommen und zu diesem Buttermangel tritt nun noch der Fleischmangel. So hat der Leiter des Gaues Saar-Pfalz  , Bürckel, angeordnet, daß bis auf weiteres Mitglieder der NSDAP   und ihre Familien, die dem Beamtenstand angehören, am Mittwoch und Freitag kein Fleisch und keine Butter essen dürfen. An alle übrigen Volksgenossen er­geht der Appell, sich diesem Vorgehen anzu­schließen. In Italien.  hat die Regierung den Fleischverbrauch herabgesetzt, und zwar müssen
Vier Henlein-Männer verhaftet! B ö h m.. L e i p a. Wie wir erfah­ren, wurden am Samstag in Deutsch- Gabel vier Mitglieder der SdP. ver­haftet und dem Gerichte eingeliefert. Anter den Verhafteten befinden sich der Ortsleiter von Deutsch-Gabel und der Gebietswerbeleiter dieser Partei. Aeber den Grund der Verhaftung konnte nichts in Erfah­rung gebracht werden.
Mittwoch vormittags befaßten sich bereits die politischen Minister mit dieser Angelegenheit. Naturgemäß müssen sich erst die einzelnen Koali­tionsparteien mit diesen Vorschlägen intern aus« rinandersetzen und ihre Zustimmung erteilen, be­vor die beantragte Aenderung ihre verfassungs­mäßige Durchführung finden kann. Voraussicht­lich werden darüber einige Tage vergehen, denn tzje sozialistischen   Parteien und auch die tschechi- scken Volksparteiler hegen gegen eine Kabinetts­rekonstruktion in diesem Augenblick gewisse Be­denken, die erst geklärt werden müssest. Diese Bedenken richten sich keinesfalls gegen Re neu in Vorschlag gebrachte:. Personen, sondern entspringen lediglich dem Wunsch, daß in der gegenwärtigen Zeit kein Wechsel in der Person des Ministerpräsidenten stattfinde, son­dern daß Malypetr, der es stets verstanden hat, die Zusammenarbeit der Koalitionsparteien unter Ausgleichung der gegenseittgen Interessen nach Möglichkeit reibungslos zu gestalten, das von ihm
an jedem Dienstag die Fleischerläden über­haupt geschlossen bleiben, während am Mittwoch nur besondere Sorten von Fleisch verkauft werden dürfen. In den Hotels und Gastwirtschaften wird det Fleisch­verbrauch eingeschränkt. Man kann aus dieser Entwicklung erkennen, daß der Fascismus die Wirtschaft ruiniert und daß er sich überhaupt nur noch fortfretten kann, indem er das Proletariat verelendet. Auch Milchnot In Deutschland  Berlin  . Der allgemeinen Versorgungslage mit Milchfetten Rechnung tragend, hat der Vor­sitzende der wirtschaftlichen Vereinigung der deut­ schen   Süßwarenwirtschaft bis auf weiteres die Herstellung von Milchschükolade verboten.
Nun aber ist der große Augenblick gekom­men, wo es des Ansporns aller Kräfte bedarf!" Dr. Wilhelm Ellenbogen  , Berichterstatter überDie österreichische Krise und das Wahl­recht" auf dem Gesazntparteitage der österreichi­schen Sozialdemokratie, der in Wien   versammelt war, hatte eben es war am 31. Oktober 1005 diesen Satz gesprochen, als dem Redner ein Telegramm überreicht wurde. Ellenbogen begann, seine Rede unterbrechend, das Telegramm zu le­sen, las es dann mit vor Erregung zitternder Stimme laut vor:
vor dem neuen Parlament entwickelt^ Arbeits­programm auch selbst zur Durchführung bringe. Ein Wechsel in der Leitung der Regierung er­scheint nicht nur aus außenpolitischen Gründen, sondern auch mit Rücksicht auf die innerpolitische Situation im gegenwärtigen Augenblick nicht opportun.' Malypetr hat dem Krifenbekämpfungs- programm seiner Regierung, dessen Durchführung im Gang ist oder unmittelbar bevorsteht, und den ganzen komplizierten wirtschaftspolitischen Ver­handlungen, die um das Budget, die Zinssenkung, die Frage der Konvertierung der Staatspapiere etc. seit langem geführt werden, unleugbar eine gewisse persöhnliche Note gegeben, so daß sein Rücktritt dem glatten Ablauf all der im Gang befindlichen Aktionen hinderlich sein müßte. Die Uebernahme des.Parlamentspräsidiums durch Malypetr, so ehrenvoll seine Wiederbetrauung mit diesem Amt für ihn jedenfalls wäre, könnte doch nicht als ausreichende Begründung dafür dienen, daß all diese Arbeiten der Regierung verzögert werden, bis der neue Premier sich in die gewiß nicht leichten Pflichten seines neuen Amtes gänzlich eingearbeitet hat/" Der vorgeschlagene Nachfolger Malypetrs, Dr. H o d Z a, ist zweifellos ein Mann von gro­ßen Qualitäten, dessen moderne Auffassungen über agrarische Planwirtschaft auch auf soziali­stischer Seite auf großes Interesse stoßen. Auch als Politiker hat Hodza   eine Schule hinter sich, die ihn zweifellos für die Leitung eines Kabinetts qualifiziert. Auch Dr. Z a d i n a ist als tüchtiger Fachmann für landwirtschaftliche Fragen in wei­len Kreisen bekannt und hat bisher in dex Ver-. teihigung der engeren Standesintereffen seiner Wählerschaft unzweifelhaft viel geleistet. Ist der peilen Regierung müßte er allerdings unter Be­weis stellen, daß er auch das in Lieser Stellung doppelt notwendige Verständnis für die Inter­essen der nichtagrarischen Bevölkerungsschichten aufzubringen vermag. Nicht umsonst hat Mi­nister Bechyni kürzlich in einem Artikel dar­auf hingewiesen, daß heute die Landwirtschaft durch Regierungsmaßnahmenj vor dem Aergsten bereits geschützt ist und nunmehr die Existenz­probleme der übrigen Bevölkerungsschichten einer befriedigenden Lösung zugeführt werden sollten!
Der Zar hatte am 30. Oktober ein Mani­fest erlassen, das dem russischen Volke Verfassung und allgemeines Wahlrecht verhieß! Ein paar Minuten der Stille. Stille der Ueberraschung, des Staunens, der Ergriffenheit. Dann stürmen Jubelrufe durch den Saal, jauch­zende Hoch!-Rufe auf die russische Revolutton und das allgemein«' Wahlrecht. Die tschechischen und polnischen Genossen erheben sich und singen, kampfbegeistert, dieRote Fahne". Die deutschen  Genossen haben stehend, von gleicher Erregung erfaßt wie ihre flawischen Freunde, deren Trutz- und Kampflied angehört. Nun, da es verklun­gen ist, singen sie und Tschechen   und Polen  stinimen mit ein das unsterbliche Revolu­tionsliedMarseillaise  ". Und dann fliegen ver­einzelte Rufe auf:Auf die Straße!" Und bald ist es der Ruf aller:Aus die Straße!" Schon ist es in den Wiener   Fabriken bekannt gewor­den, daß der Zar den Russen gegeben hat, was seit vielen Jahren Kampfziel der österreichischen Arbeiter ist: das allgemeine, gleiche Wahlrecht. Und schon sammeln sich die Arbeiter zum Marsch in die innere Stadt  .. Am Abend des 81. Oktober 1005 demon­strieren fünfundzwanzigtausend Arbeiter auf der . Ringstraße, vor Burg und Parlament. Am 2. November marschierten im Anschlüsse an eine gewaltige Versammlung in den Sophien- sälen im dritten Bezirk viele tausend ,Arbeiter über die nächtliche Ringstraße. Polizei tritt ihnen entgegen, stürmt auf sie ein. Neunzig Arbeiter werden verwundet. Am 3. November berichtet dieArbeiter- Zeitung  " von diesem Ueberfall der Polizei auf die Arbeiter und fordert txuf, am 5. Novem­ber, einem Sonntag, wieder auf der Ringstraße zu sein! Und am 5. November sind viele zehn­tausend auf der Ringstraße, zu jedem Kampf entschlossene Arbeiter, bereit, der Polizei, wenn es sein mußte, eine Verzweiflungsschlacht zu lie­fern. Aber diesmal wird die Polizei nicht einge­setzt. Aber in Prag   kommt es am 4. November zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Wahl­rechtskämpfern und Polizei. Dreißig Arbeiter werden verwundet. Am folgenden Tage erneuern sich die Kundgebungen, erneuert auch die Polizei ihre Angriffe auf die Arbeiter, und diesmal wer­den fünfzig Demonstranten verwundet, darunter zwei schwer. In der Bergmanngasse wird ein junger Mann getötet. Auf dem Karlsplatz werden Barrikaden gebaut, in der Ferdinandstraße kommt es zu einer Sttaßenschlacht zwischen Dragonern und Arbeitern und wieder gibt es viele Ver­wundete... Aber der Wahlrechtskampf der österreichi­schen Arbeiter ist durch keine Polizeiaktion, ist nicht durch das Einsetzen des Militärs, ist durch keine Regierungsmaßnahme mehr zu ersticken. Die Erregung der Massen wächst, ihre Kampfbe­geisterung steigt. Kaum ein Tag ohne Massenver­sammlungen, ohne Demonstrationen! Höhepunkt der Kundgebungen, die größte politische Kund­gebung der. Wett bis zu jenem Tage(erst nach dem Kriege überboten durch gewaltigere) war der Aufmarsch am 28. November, dem Tage des Zusammentrittes des Parlamentes. In Wien  marschierte eine Viertelmillion auf, in Prag   wa­ren es 150.000, in allen größeren Städten Zehn­tausende. Der Ministerpräsident kündigte an die­sem Tage die Einbringung einer Wahlreform­vorlage an. Im Februar löste er seine Zusage ein. Aber es dauerte noch viele Monate lang, bis aus der Vorlage«in Gesetz wurde, erst am 26. Jänner des Jahres 1907 konnte der Kaiser das Gesetz über die Reform des Wahlrechtes sanktio­nieren. Mehr als ein Jahr hindurch blieben die Arbeiter in Kampfbereitschaft, fanden sie sich im­mer wieder zu Massenkundgebungen zusammen, und im Sommer 1906 mußten sie sogar schon den Generalstteik in Erwägung ziehen. Dreißig Jahre sind es heute, daß vom da­mals tagenden Gesamtparteitag der österreichi­schen Sozialdemokratie er war zugleich der letzte! die Parole zu einem politischen Kampfe ausgegeben wurde, der das Antlitz Oesterreichs  änderte. Es gibt in der neueren politischen Ge­schichte kaum einen zweiten Massenkampf, der so geschickt, so klug, so umsichtig geleitet svorden
Fascismus bringt Hunger Helschnot In bnntscnianei und Italien  
Umbildung der Regierung von den Agrariern rorgesdilagai Malypetr Kammerpräsident/ Dr. Hodza Ministerpräsident Dr. Zadina Landwirtschaft Prag  . Der engere Vorstand der Agrarpartei hat am Dienstag ein» stimmig beschlossen, ans die dnrch den Tod Bradats freigewordene Stelle des Vorsitzenden des Abgeordnetenhanses den derzeitigen Ministerpräsiden­ten M a l y pe tr zu kandidieren und für die Stelle de- Ministerpräsidenten den bisherigen Landwirtschaftsminister Dr. Milan HodZa  , als Landwirt­schaftsminister den Abgeordneten Dr. Zadina vorzuschlagen. Der erwei­terte Vorstand hat diesen Beschluß nach dem Referat Barans einstimmig genehmigt und dem engeren Vorstand die Vollmacht für die eventuelle Lösung aller aus diesem Beschluß entspringenden Fragen erteilt. Rach einer amtlichen Meldung war Ministerpräsident Malhpetr am Mittwoch nachmittags bereits in Länh, um den Präsidenten der Republik von dieser neuen Situation in Kenntnis zu setzen.