Seile 2Donnerstag, 31. Oktober 1935Nr. 253Danziger Wahlen von derOpposition angefochtenDanzig. Vor dem Obersten Gericht derFreistaht Danzig begann der Sensationsprozehbetreffend die Aufhebung der letzten Wahlen inden Danziger Landtag. Die Klage brachten alleDanziger Oppositionsparteien, nämlich die Sozialdemokraten, die Kommunisten, die Deutschnationalen und die Organisation der ehemaligenFrontkäinpfer ein; sie verlangt, daß die Wahlenin allen 447 Wahlkreisen aufgehoben werdey,während die Klage der Zentrumspartei die Aufhebung der Wahlen bloß in 50 Bezirken verlangt.In Verbindung mit diesem Prozeh wurden vonden Gerichtsbehörden fast 1000 Zeugen einvernommen. Die Klagevertreter führten viele Fällevon Gesetzesverletzungen bei den Wahlen seitensder Nationalsozialisten an.wäre wie dieser Wahlrechtskampf der österreichischen Arbeiter. Die Leitung dieses Kampfes warein Meisterwerk Victor Adlers.— Und wiekampfbegeistert waren die Massen I Hunderttausende, die auherhalb der sozialdemokratischen Organisationen standen, wurden mitgerissen. Gleiches Recht I Gleiches Recht I Es war zum unwiderstehlichen Verlangen der ganzen Arbeiterklasse, der Proletarier aller Nationen geworden.Und ein Jahr vorher hatten auf dem Salzburger Parteitag Seliger und Hillebrand Klagegeführt über die Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit der Arbeiter, die zu keiner Aktion aufzubieten waren I„Es läht sich", stellte Hillebrandfest,„nicht leugiien, daß wir bei jeder Aktion auieine Gleichgültigkeit stohen, die uns geradezu zurVerzweiflung treiben könnte!" Und seit Jahrenschon war das so gewesen. Bei den Wahlen imJahre 1901 hatte die Partei in ganz Böhmennur ein Mandat(die Arbeiter hatten nur dasMitwahlrecht in der fünften Kurie) behauptenkönnen! Und jetzt dieser Umschwung!Aber im Jahre 1905 war, als Folge derNiederlage Ruhlands im Kriege gegen Japan,im Zarenreiche die Revolution ausgebrochen. Imreaktionärsten Lande Europas hatten sich dieArbeiter erhoben! Wie muhte das die Zuversicht,den Glauben an die-Kraft des Proletariats auchin Oesterreich beleben! Schon die Märzfeiern unddie Maifeiern des Jahres 1905 sahen wieder sogrohe Massen wie seit vielen Jahren nicht, undim Sommer dieses Jahres flackerten überall, inallen Ländern» Kämpfe um das Landtagswahlrecht auf. Sie wurden besonders leidenschaftlichin Böhmen geführt. In Prag demonstrierten am24. September 40.000 Arbeiter, und an diesem'Tage sprach neben den sozialdemokratischen Führern auch Th. G. Masaryk zu den Arbeitern, undam 10. Oktober 80.000 bis 80.000. Der tschechische Genosse Steiner hatte mif einer gemeinsamen Landeskonferenz der tschechischen und deutschen Sozialdemokraten erklärt:„Wir müssenjetzt einen Krieg beginnen, der zeigt, dah uns derTitel einer revolutionären Partei gebührt!" Unddie Arbeiter haben diesen Krieg begonnen undsiegreich zu Ende geführt! Wohl gelang es damals nicht, die Landtagswahlreform zu erzwingen, aber doch die ungleich wickitigere Forderungnach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht fürden Reichsrat durchzusehen, sie durchzusetzen ineinem politischen Feldzug ohnegleichen.1904: die Arbeiter sind mutlos, hoffnungslos. Tief ist der Nationalismus auch ins Proletariat eingedrungen. Das Bürgertum jubelt: DieSozialdemokratie ist tot! I1905: die Massen find erwacht, sie kämpfenunter sozialdemokratischer Führung, siegen ineinem Kampfe, der fast zwei Jahre dauern sollte,gegen den zähen Widerstand der Bourgeoisie allerNationen.Lernt aus der Geschichte! Das Bürgertumwird nicht zu lernen bereit sein. Wieder einmalhält es die Sozialdemokratie, hall es den Marxismus für überwunden. Aber die Sozialdemokraten, die ihre Arbeitsbrüder unter dem Druckder Krise in Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeitversinken sehen, wissen, dah der Tag ihres Vormarsches wieder kommen wird! Heute gilt es, dieDemokratie, für die vor drei Jahrzehnten die Arbeiter kämpften und bluteten, zu verteidigen, damit sie morgen Waffen in neuen siegreichenKämpfen sein kann!11.000 jüdische Gefallene bei Goebbels"Wo warst Du« a s wir starben?“Der Erfolgder dänischen SozialistenKopenhagm.(E. B.) Neuwahlen in Dänemark lagen schon längst in der Luft. Die reaktionäre Opposition gegen die sozialdeinokratisch-bürgerlichrädikale Sammlungsregierung, die seit1929 die Verantwortung trug, hatte sie immerwieder gefordert. Als schließlich die Regierungsparteien, da die ewige Obstruktionspolitik derOpposition jede Regierungsinttiativc lahmzulegendrohte, den Fehdehandschuh aufnahm und durchdas Ausschreiben von Neuwahlen zum Vollstingauf kurze Sicht an das Volk appellierte, kam dasden Sabotagepolitikern doch etwas unangenehm.Das Wahlergebnis übertrifft alle optimistischenVoraussetzungen zugunsten der Regierungsfront.In zwölf Jahren konnte die Sozialdemokratieihre Stimmenzahl um 270.000 erhöhen. Jetztallein kamen nochmals 100.000 hinzu. Die Sozialdemokraten erhöhten ihre Mandatszahl von62 auf 68. Ihre Koalitionspartner, die Bürgerlich-Radikalen, konnten der prophezeiten Schwächung zum Trotz ihre Abgeordnetenzahl von 14halten. Von der Oppositton sind die kleinen Parteien: Rechtsbund, Kommunisten und DeutscheSchleswiger, mit 4— 2— 1 Mandaten stehen,geblieben. Die Konservativen werden fürderhinvon ihren bisherigen'27 Abgeordneten einen zuHause lassen müssen. Venstre erlitt die größteSchlappe. Das Mehrheitsverhältnis ist für dieRegierung ganz eindeutig: 82 zu 68, früher wares 78 zu 73.Diese Wahl war mehr als die schemattscheErneuerung des Parlaments: die große zentraleFrage war eine Bollsabstimmung über die Wirtschafts- und Sozialpolittk der Regierung. Inerster Linie galt der Kampf der staatlichen Valutazentrale und der Import- und Wirtschaftspolitik, die an sie geknüpft ist. Der aktuelleGrund, weshalb die Regierung den Reichstagauflöste, war ja, daß die Konservativen und dieBenstraleute ihre Mitwirkung an der Erneuerungder im Dezember auslaufenden Valutagesetz-gebung verweigerten. Die Valuta- und Importregulierung war infolge der besonderen Strukturder dänischen Wirtschaft und der Unsicherheit derinternationalen Handelsbeziehungen notwendiggeworden. Die Valutazentrale dient dazu, denImport auf die Länder zu verteilen, die den dänischen Export aufnehmen, gleichzeitig wie sie denKronenkurs sichert und die einheimische Produktion stärkt. Und sie hat ihre günstigen Auswirkungen auf das dänische Wirtschaftsleben nichtverfehlt. Man kann damit rechnen, daß die Balu»tazentrale direkt 20.000 Arbeiter in erneute Beschäftigung gebracht hat. Im ganzen ist die Anzahl der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in Industrie und Handwerk in den dreiJahren seit der letzten Wahl um 75.000 von215.000 auf 290.000 gestiegen. Der Prozentsatzarbeitsloser Gewerkschaftler sank von 44 Prozentauf 14.5 Prozent. Dazu kommen die Maßnahmen der Regierung auf anderen Gebieten: Wohnungsbau, Bewilligungen zu öffentlichen Arbeiten, Grundverbesierung usw., die in drei Jahrenrund 500 Millionen Kronen konsumierten.Die Regierung Stauning kehrt unerwartetgestärkt ins Bolksting zurück. Wichtig ist die all«gemeinpolitsche Folge des Vertrauensvotums desdänschen Wählers: nachdem sie eine solche Abfuhrerlitt, kann die Opposition nicht länger die Linieder Sabotage und Obstruktion beibehalten. DasLandesting wird seine Farbe wechseln müssen. Imanderen Falle haben die Wahlen des nächstenJahres zum LandeSting selbst erneut ein deutliches Wort zu sprechen. Erst dann wird daS Landzur polittschen Ruhe kommen, die ein Konstruktionsfehler in seinem politischen Gefüge es solange nicht finden ließ.61Roman von Kugene DabltBerechtigt« Uebertragung au«dem Französischen von Bejot»Ich mutz nsir einen anderen Platz suchen",dachte er,„mir platzt bald der Schädel."Doch er rührte sich nicht. Er sagte sich auch,daß er weiterarbeiten müsse. Und keuchte nur, alsersticke er. Die Luft war fast nicht mehr atembar;e» war, als hätt^ eine Feuersbrunst gewütet. Erlehnte sich in den Sessel zurück. Der Himmel warwieder wolkenlos. Cs würde nicht regnen. Erversuchte, sich zu bewegen, hob einen Arm, streckteein Bein aus und stöhnte.„Ich muß noch«in Gläschen trinken," dachteer,„sonst werde ich immer schlapper."Die Flasche fiel ihm aus der Hand. DieBäume schwankten. Und vor den Augen hatte erFlecke, wie er sie schon öfter gehabt hatte. Nur,daß sie in rasender Geschwindigkeit umeinanderwirbelten. Er riß sein Hemd auf und verrenktesich fast den Mund, um leichter zu atmen. Dannverspürte er einen stechenden Schmerz im Hinterkopf. Die Glut dieses Augusttages brachte ihnum. Er machte eine Bewegung, als wolle er aufstehen, fiel zurück, wollte rufen, konnte aber nurnoch lallen. Sein Geld! Das Geld, das unterzwei Steinen im Kamin lag... niemand würdees finden. Eine furchtbare Gewalt warf ihn hinund her, dann neigte sich sein Kopf auf dieSchulter. Sein Gesicht war purpurrot, von denLippen floß Speichel, die Augen trübten sich. Aufder bloßen Brust schimmerte ein Lichtfleck...Langsam senkten sich Schatten auf den Teich.»Hinter dem Gebüsch tauchten Solange undihre Geschwister auf. Sie schlichen sich vorsichtignäher und sahen, daß Julien mit angezogenenBeinen, seltsam steifen Armen, zur Seite geneigtem Kopf und weit offenstehcndem Hemd im Ses»„Er hält Mittagsruhe," erllärte Solange.„Gebt mir die Hand."Als sie vor der Tür standen, wandte sich di«Keine Schwester noch einmal nach dem dicken■ VILLA OASEOder: DIE FALSCHEN BORGERIKeiner von ihnen hatte etwas Dauerndesgeschaffen. Er war fast allein noch da, um dieErinnerungen zu hstteniEin zweites Glas Kognak trank er schluck weise aus, dann versank er- wieder in seineTräumerei. Bor einem Jahr lag Irma hier anseiner Seite. Jetzt war-die Stelle leer.Es war gewitterschwül gewesen wie heute,und Irma hatte über die Hitze geklagt. Aber siewaren zufrieden, trotz den kleinen Beschwerden.Mit leiser Stimme murmelte er vor sich hin^„Man wußte nicht, was kommen würde.Noch vor einem Monat dachte ich nicht daran, dieVilla Oase zu verkaufen."Niemand kannte sein Schicksal. Er so wenigwie die anderen. Er hatte geglaubt, die Stufen leiter emporzusteigen, indem er geschäftliche Er folge hatte. Aber im Grunde hatte er sein Lebenan ein falsches Ideal verschwendet. Er hätteArbeiter bleiben sollen wie sein Bruder Charlesund Berthes Mann. Nun, er würde ihnen seinVermögen hinterlassen. Dann hätten sie den Be weis, daß er seine Herkunft nicht vergessen hatte.Er ließ die Arme hängen und sank in sich zu«sammen. Seine Blicke wanderten über das bläu-! sel saß und sich nicht rührte,sich schimmernde Laub der Blätter, das dürre IGras, die metallisch glänzende Oberfläche des iTeiches. Ein Sonnenstrahl tastete von seinen IAnien bis zur Stirn» IMann und flüsterte:„Er hat uns ja nicht ge^fressen."Dann ging sie ins Haus und wusch das Geschirr ab. Seit Sonntag war Julien schlechterLaune. Sie wollte, daß er alles in Ordnungfand, wenn er. wie gewöhnlich, um vier essoas zutrinken wünschte. Sie säuberte auch die Küche undhieü nur zuweilen inne, wenn sie draußenSchritte zu hören glaubte. Aber sie wurde fertig,ohne daß er kam. Der Herr war verrückt, daß erin dieser Hitze arbeitete. Sie würde ihm eine Erfrischung hinausbringen.Sie ging auf den Fußspitzen und ließ keinAuge von dem Glas, das sie mit der Hand um-klammerte. Er kurz vor dem Ziele hob sie denKopf und sah ihren Herrn noch immer an dergleichen Stelle: Heute schlief er besonders fest!Dann fiel ihr Blick auf die am Boden liegendeKognakflasche. Er hatte sich betrunken. Sie stellteihr Glas hin und schrie:„ES ist sechs. Wachen Sieauf. Hören Sie?"Schließlich bückte sie sich, um sich zu vergewissern, ob er wirklich schlafe. Sie sah ein unkenntliches Gesicht, schmerzverzerrt und blau an-gxlaufen.„Herr Julien..." stammelte sie.Sie starrte auf den Teich, der nun im Dämmer lag, und hörte den Schrei eines Bogels. Dieselbe Angst, die sich an Irmas Sterbetag ihrerbemächtigt hatte, preßte ihr das Herz zusammen.Fröstelnd, schritt sie rückwärts zur Türe.Auf der Schwelle blieb str keuchend stehen.Leer, schweigend, geheimnisvoll hinter den geschloffenen Läden hob sich die Villa Oase vomdunllen Himmel ab. Die Bäume waren schwarzwie auf einerN abendlichen Friedhof. Und dielange, traurige Mauer verbarg einen Toten.Hilferufend eilte sie davon. i!IEnde. ,iDementierte SensationenBerlin. Amtlich wird mitgeteilt: Die vonder Wiener„Stunde" verbreitete Nachrichtüber die Verhaftung eines Herrn aus dem Bürodes Botschafters von Ribbentrop und die darangeknüpften Bemerkungen sind eine völligeErfindung des genannten Blattes. Der betreffende Herr ist nach wie vor im Dienst.Verteilung der Referate im böhmischen Landesausschutz. Der neugewählte böhmische Landesausschuß hieü am 80. Oktober eine Sitzung ab,in der die Referate folgendermaßen verteiltwurden: Finanzen: Dr. Kubista, Bezirks- undStraßenangelegenheiten: Krouzel, Gemeindean-gelrgenheiten Machäkek, Schule und Kultur:Hlavath, Soziale Fürsorge: Dr. Füffel, Krankenhäuser: Smejkal, Landesanftalten in Oporan,Zwickau, Radlic und Armenwesen: Keil, Landeserziehungsanstalten und Tuberkulose-Heilanstalten: Ksander, Irrenanstalten: Hejnic, Gewerbe:Petrovickh, Landwirtschaftliche Schulen, Flußregulierungen und Elektrifizierung: Kypr, Landesgüter und landwirtschaftliche Subventionen:Kaiser.— Gleichzeitig beschloß der Landesaus-,auSschuß, den Budgetausschuß der LandeSvertre-tung für den 8. November einzuberufen und diesem den Landesvoranschlag für 1936 vorzulcgen.Der früher« RmttiuS Liriari, dessen seinerzei-ttgeS Wirken in Prag keinesfalls den ungeteilten Beifall der Regierungsstellen und der Oeffentlichkelifand, wurde nunmehr nachträglich mit dem Ordendes Weißen Löwen erster Klasse ausgezeichnet.Offenbar soll damtt zum Ausdruck gebracht werden,daß die damaligen Differenzen nunmehr mit demAbschluß deS moduS vivendi und der Ernennungeines neuen Nuntius endgültig bereinig!sind und keine wie immer- geartete Verstimmungzurückbleibt.