Nr. 255
SamStag, S. November 1835
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Um die Resierunsbilduns Gegen überstürzte Beschlüsse Prag . Die Koalitions-Verhandlungen über die von den Agrariern geforderte Umbildung der Regierung wurden auf Montag vertagt. Das „P rävoLidu" meldet offiziell, daß die Parteileitung der tschechischen Sozialdemokraten beschlossen hat, den politischen Unterhändler der Partei(Bechyne) zu beauftragen» er möge den Ministerpräsidenten Malypetr ersuchen, aus seinem Po st en zu bleiben und diese Probleme so lange zu vertagen, bis das Budget und die damit zusammenhängenden Gesetze parlamentarisch erledigt und so wenigstens die nächsten Punkte des Regierungsprogramms erfüllt sind. Auch das nationalsozialistische„§ e s k i Slovo" tritt dafür ein, daß die Verhandlungen nicht überstürzt geführt werden. Jede Aenderung in der Person des Ministerpräsidenten erfordere sorgfältige Erwägungen der Parteien. Auch im klerikalen Zentralorgan„Lidovt Listy" wird die Ansicht vertreten, daß die Verhandlungen k e i n e n so raschen Verlauf haben werden, wie man im ersten Moment glaubte. Jeder Antrag einer Koalitionspartei müsse erst innerhalb der Koalition verhandelt werden und dann erst könne dieser Antrag in einen Antrag der Koalition, bzw. in den Ausdruck ihrer Zustimmung umgeformt werden. • Der„V e n k o v" erklärt dagegen, der Vorwurf der vorzeitigen Publizierung der vorgeschlagenen Aenderungen im Kabinett könne die Agrarpartei nicht treffen. Die Publizierung sei aus den Reihen der übrigen Koalitionsparteien heraus erfolgt und nachher sei es selbstverständlich gewesen, daß auch die agrarische Presse sich nicht in Stillschweigen hüllen konnte. Die vorgeschlagenen Aenderungen bc- .deuten nach dem„Venkov" durchaus keine Kräfteverschiebung innerhalb der Koalition oder in bei Regierung. Die Koalition bleibe Koalition und das von Malypetr vorgetragene Programm bleibe auch weiter das Programm der Regierung. Sollte es bis zum nächsten Dienstag zur Umbildung der Regierung kommen, so würde nicht einmal eine neue programmatische Regierungserklärung abgegeben werden. Die Entscheidung des Präsidiums der Agrarpartei bleibe für die Partei verbindlich, und wenn die übrigen Koalitionsparteien daran etwas ändern wollten, so würde eine neue Situation entstehen und neue Verhandlungen erforderlich sein. Es sei die feste Absicht aller verantwortlichen Faktoren der Agrarpartei, die Verhandlungen nicht überflüssig zu verlängern und die Situation zu klären.
Ausweis für den Monat Oktober (Die erste Zahl bedeutet Parteifonds, die einge« klammerte Wahlfonds.) Bodenbach 4000(1000) KC, Brünn 1200(300) KC, Karlsbad 5080(1270) KC. Landskron 400(100) Kc, Pilsen -Bud- tveiS 800(ISS ) KC, Prag 560(140) KC, Preßbnrg 155(37) KC, Reichenberg 400(100) KC, Sternberg 2400(600) KC. Teplitz -Saaz 2800(700) KC, Traute n au 800(200) KC, Trapp au 1440(860) KC.
Das konzentrische Manöver
Makale—Gorohai als Angelpunkte der Operation Im Norden und im Süden Abessiniens hat die italienische Vormarschbewegung mit neuer Kraft eingesetzt. In der Provinz O g a d e n scheinen die klimatischen Schwierigkeiten soweit überwunden, daß die Tanks und Askaris des Generals G r a z i a n i zum Angriff auf Gorohai, den Schlüssel der abessinischen Stellung im Süden, schreiten konnten. Ob Gorohai schon erobert ist, läßt sich zur Stunde nicht mit Bestimmtheit sagen, da nur unbestätigte Meldungen vorliegen. Wenn die Italiener das brunnenreiche Gorohai haben, werden sie über eine Wasserbasis verfügen, dir ihnen einen raschen Vormarsch gegen Sassabene in der Richtung auf Djidjiga und Harar ermöglichen wird. Damit gewinnt der Vorstoß von Süden für die Abessinier den Charakter einer ernsten Gefahr und die Frage wird akut, wann W e h i b P a s ch a sich entschließen wird, die Italiener anzugreifen, oder sich ihnen zu stellen. Es liegt nahe, daß er die italienischen Kolonnen, sobald sie an der Gebirgsschranke von Harar zum Stehen kommen, aus westlicher Richtung flankierend an greifen wird...Jedenfalls' stehen, starke abessinische Kräfte in der Provinz Sidamo bereit. Im Norden sollen die Italiener das nicht verteidigte Makalle erreicht haben, im Osten im Vordringen nach der Provinz Danakil und in der Richtung der Seen sein, die zwischen dem Steiil- abfall des Hochgebirges und der Grenze von Eri trea liegen. Der konzentrische Angriff B a d o g- l i o s schreitet also fort.. Die beiden Greifer der Zange nähern sich langsam dem Punkte, an dem sie di« Hauptmacht der Abessinier fasten könnten. Man darf allerdings nicht vergeffen, daß sich die Operation auf einem so ausgedehnten Kriegstheater entwickelt, daß die italienischen Kolonnen von Makalle zum Musa Ali und von da nach Gorohai immer noch in Distanzen von 250 bis
der Italiener 300 und 600 bis 700 Kilometer voneinander entfernt sind. Auch wenn die Südarmee Djidjiga ünb die Ostarmee die Seen erreicht, die Nord- armee noch weiter über Makalle ins Gebirge vordringt, werden die drei Armeen je 200 bis 250 Kilometer weit voneinander stehen. Dennoch zeigt sich hier von fern die Möglichkeit einer Riesenschlacht aus der Linie Gondar—-Sokota— Tschanka, also in einer rund 650 Kilometer langen Front, die bei Sokota rechtwinklig nach Westen abgebogen wäre, auf der die Italiener aber immerhin schon mit allen drei Armeen ineinandergreifend operieren könnten und den Abessiniern den Vorteil der inneren Linie geraubt hätten. Es wäre in Riesendimensionen ein neue s K ö- n i g gr ä tz. Der Negus dürfte, um das zu vermeiden, nicht in den Fehler Benedeks von 1866 verfallen, der sich nicht rechtzeitig zum Angriff mit versammelten Kräften auf einet; der getrennt marschierenden Gegner entschließen konnte. Natürlich haben die Italiener, ehe sie diese? Ziel erreichen, ungeheure Terrainschwierigkeiten zu überwinden; wahrscheinlich werden sie, mindestens im Süden, noch vorher zu einer großen Schlacht gestellt werden. Im allgemeinen ist die Kriegslage trotz dem italienischen Erfolge von Gorohai, der wichtiger ist als der von Makalle, für die Abessinier nicht so ungünstig, wie die italienischen Siegesmeldungen es darftellen. Noch haben von mindestens 700.000 Abessiniern keine 70.000 im Kampfe gestanden. Noch sind die Elitetruppen nicht eingesetzt worden und noch keine modernen Waffen. Wenn es dem Negus gelingt, die Entscheidung
über die Jahreswende hinauszuziehen und inzwischen Flugzeug« und moderne Geschütze, vielleicht auch Tanks zu erhalten, so wird er in den entscheidenden Wochen vor der neuen Regenzeit den Italienern als taktisch sehr gefährlicher Gegner entgegentreten können, wo immer er sich stellen wird.> * Italienische Verlustliste Rom . Die italienische Presse veröffentlichte Freitag eine amtliche Totenliste der im Oktober in Afrika verstorbenen Soldaten und Arbeiter. Diese Liste weist lediglich fünf im Gefecht gefallene Italiener auf, die Verluste der Eingeborenentruppen sind hierin nicht eingeschloffen und werden bisher nicht angegeben. Im ganzen sind in den letzten zehn Monaten 193 Soldaten und 198 in Afrika beschäftigte Arbeiter durch Krankheits- und Unglücksfälle verstör- b e n, davon zehn Arbeiter seit Kriegsbeginn. * Aus Gorahai wurde einer der Häuptlinge des Somali -Stammes Ahmed Hassi zusammen mit 12 anderen Somalis in Fesseln nach Harar gebracht. Es wird ihnen zur Last gelegt, zugunsten Italiens Ausspähe rdienste versehen zu haben. Die Lage in Gorahai ist unklar. Ein italienischer Offizier» der einen Tank verließ, um sich bei einem Brunnen zu erfrischen, wurde in Dolo im Ogadener Gebiet gefangengenommen und nach Addis Abeba gebracht.
Die Friedenssäule
„Dieser Stein müßte weg, der verschandelt das ganze Monument../'
Die Frage des Iwan Laputin Jeden Abend gegen halb sieben Uhr brachte man die russischen Kriegsgefangenen, die tagsüber in der Umgebung von Montmedy beim Straßenbau beschäftigt wurden, in die Festung zuriick. Gleich hinter dem Tor durften sie wegtreten und dann bis acht Uhr innerhalb der Wälle frei herumlaufen. Denn es war ja schon lange Friede mit Rußland . Im Laufichritt verschwanden sie m der Unterwelt ihrer Kasematten, stürzten gleich wieder mit Kochgeschirren und alten Töpfen heraus und erfüllten die paar Festungsgebäude, in denen deutsche Truppen lagen, mit ihrem Hunger. Sie bettelten um Brot oder Reste von Mittagessen und gaben dafür kleine verzierte Aluminiumringe, Bastschuhe, Schnitzarbeiten und andere nette oder nützliche Kleinigkeiten, die sie in den Nächten verfertigten. Halb froh, halb betrübt zogen sie ab, wenn sie einen Kochgeschirrdeckcl Suppe oder ein Stück trocken Brot gegen viele Stunden verlorenen Schlafs eingetauscht hatten. Festtage waren für sie, wenn di« Deutschen Graupen oder Steckrüben- dörrgemüse bekamen, denn dann waren die Abfall« süsser nicht ganz leer. An einem Abend klopfte es, einer von den armen Kerlen trat herein und blieb schüchtern a-> der Tür stehen. „Nun?" „Mechten der Herr nicht kaufen Kasten, kleinen Kasten, und geben mir dafier zwei Kummitz- brote?" '»Zeige mal!" Er kam an meinen Tisch und zeigte mir ein Holzkästchen, reizende Jntarfia-Arbeit. Da ich eS ziemlich lange schweigend betrachtete, begründete er: »Wird schon nicht sein zu viel, zwei Kum- niitzbrote? Wo ich habe gearbeitet damit sehr
lange. Aber wenn Sie mir mechten so gut sein zu geben eins mit ein halbes? Bei mir ist Hunger so groß!" Zufällig hatte ich nicht einen Bisten Eßbares da, kannte hier oben auch niemand, von dem ich ein Stück Brot hätte borgen können. Und in der Kantine gab es nur Schuhkrem, Hosenknöpfe, Zigaretten, Briefpapier und eine Flüssigkeit, die böse Sarkasten als Bier bezeichneten. So blieb mir weiter nichts übrig, als den Rusten fortzuschik, ken mit dem Versprechen, ihm morgen etwas Suppe mitzubringen; umsonst sollte er sie haben Da ich mit unserem Küchenunteroffizier gut stand, ließ ich mir am nächsten Tag mein Kochgeschirr nochmals füllen, es gab Salzkartoffeln mit Konservengulasch. Skeptisch steckte am Abend mein Rüste den Kopf ins Zimmer: »Vielleicht Sie haben ganz vergesten an mich?" „Nein, Kamerad Rußki. — Sag mal, wir heißt du eigentlich?" „Iwan Laputin." „Also, Iwan, hier/hast du ein bißchen Esten. Daß du mir aber ja heute noch das Kochgeschirr wiederbringst! Hörst du?" „Oh, dank schen. dank scheu, ich werde bringen sauber in zehn Minuten." Zufrieden trollte er sich hinaus. Nach zwei Minuten war er wieder zurück, enttäuscht: -„Sie haben schon erwischt falschen Kochgeschirr, sink drin Kartuffeln mit viel Fleisch, ganz voll!"’' So mißhandelt waren Menschen worden, dah sie nicht mehr zu glauben wagten, es könnte ihnen jemand ein Kochgeschirr mit Kartoffeln und viel Fleisch ganz voll schenken.■*— Ich versicherte ihm, daß ich mich durchaus nicht geirrt hatte. Er begriff, erstaunt:„Fier mich?"— sauste davon und kam wieder mit dem Jntarsiakästchen:«Sie werden nehmen. Sie wer
den schon misten nehmen von Iwan Laputin!" Iwan Laputin wurde mein Freund. Jeden Abend besuchte er mich; wertvolles, seltenes Erlebnis eines guten, treuen Menschen schenkte mir Laputin. Ich hatte ihn sehr gern. Eines Nachts— ich hatte bald herausge- kriegt, wie es anzustellen war, daß er nicht um acht beim Verlesen in den Kasematten zu sein brauchte j— eines Nachts saßen wir zusammen auf der Festungsmauer und schauten nach Süden, nach der Front. Dort, wo ein brüllendes, rotgelb zitterndes Lichtband gleich einem titanischen Menetekel Himmel und Erde trennte. „Bruno!"— endete Iwan unser Schweigen—„Bruno, mir will sich war fragen von dir. In 1917 in Herbst, sie haben gebracht mich aus Gefangenlager zu Bauer, kleinen, mit zwei Franzußki zusammen, zu helfen auf Landwirtschaft. War sehr schen dort. Ist nicht mehr gewesen Unteroffizier, was uns steßt immer mit Knarre in Ricken und schimpft:„Lauseschwein rußki stinkst!" Kennen wir dafier»wenn sie haben gegeben die Deutschen uns in Gefangenlager achtzehn Wochen nicht Wasser, abzubaden Kerper? Nu, war sehr schen bei kleine Bauer. An Tag wir haben gearbeitet mit in Feld. Und er hat gegeben uns zu esten sich satt, und feines Bett ist gewesen, warm und so weich, ooh! An Abend sie haben gelaffen uns kommen in Stube, und sie haben gesprecht mit uns wie mit Freinde. Junges Techterle ist gewesen, zehn Jahre, sie haben ihr geheißen Trudelche. Immer ist gekommen Mädel bei mich und hat gesessen sich auf meine Knie, und wir haben gespielt einer mit andere miteinander. Warerp sehr gute Leite. Und gesungt hab ich auf russisch, alle Lieder, wir haben gejungt auf Wolga , auf Floß frieher. Mir mußte immer so traurig sich denken dann nach Na» djeschda, Schwesterle meine kleine. Wird fahren.
immer noch auf Floß, ganz ganz alleine mit fremde Leite, und wird haben Herz sehr krank mit Sehnsucht nach Iwan... Sie haben geliebt alle zu Heren Lieder auf russisch, und Frau hat geschenkt fier mich Bala- laiku, Freide große! War einmal Abend— weiß ich noch wie gestern— Mädel ist gekommen von Jeben Klavier in Stadt mit Hunger wie Wolf, und kalt ist gefriert draußen schrecklich. Wie sie hat ausgegesten satt, sie hat gesessen sich auf meine Knie und Hai gehuschelt sich bei mich. Und dann hat sie gefragt von mir: „Onkel Iwan, wie heißt: mir friert?" „Ja mjorsnu" ich hab gesagt Antwort „Und: ich hab Hunger?" Heißt: mnje jeftj chotschytsa." „Ich hab Durscht?" „Mnje pjitj chotschytsa." Sie hat genommen Kopf von mir'und hat gegeben Kuß auf Mund, und sie hat gefragt: „Sag pa rußki: Ich hab dich lieb!". „Ja tjibja ljubljul" ich sage uitd hab ge« kißt ihr auf kleines Mindchen, wie Nadjeschdu frieher, dutzen dmal. So liebes Mädel war. Nu, ist gegangen Trudelche in Stadt ir Schule an anderen Tag wie immer. Wie ist geworden Mittag, sie bringen ihr, und ist gewesen tot. Hat gehabt ab Beine, weil kommt Flieger franzußki, hat geschmiffen Bombe, trefft gerade tot das kleine Mädel. Alter Soldat ich, hab sich geweint Tränen wie Kind, Franzußki beide auch. Arme gute Trudjuschka! Nu, ich mechte fragen von. dich, ne von dir, Bruno, warum schießen tot Menschen einer anderen? Wo doch ist Hunger und Durscht uns kalt und Liebe in Seele immer daSselbes, bloß wieder anders? Mir kann sich nicht verstehen. Rußki sagt so und Deitsche so und Franzußki noch warum!" Bruno Doge l.