Nr. 255

SamStag, 2. November 1935

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Erdbeben in Nordamerika Ottawa . Freitag, kurz nach 1 Uhr Ortszeit, würde in Ostkanada ein Erdbeben verzeichnet. Erderschütterungen wurden in Toronto , Mon­ treal , Ottawa und an vielen anderen Orten be­obachtet. Das Erdbeben wurde gleichzeitig auch in zahlreichen Staaten der Amerikanischen Union längs der Ostküste des amerikanischen Festlandes am Atlantischen Ozean verspürt. In der Um­gebung New Jorks wurden zwei aufeinander- folgende Erschütterungen verzeichnet. Jede von ihnen dauerte etwa eine Minute. Auch in Fair- monte in West-Birginien wurden Erderschütte­rungen wahrgenommen; sie bewirkten in den öst­lichen Gegenden der Vereinigten Staaten ein« währe Panik unter der Bevölkerung, die bestürzt äuf die Straßen eilte.

Südpolexpedition per Flugzeug Santiago de Chile . Die beiden bekannten amerikanischen Flieger Hubert WilkinS und Lin­coln Ellworth verließen am Donnerstag mit ihrem ExpeditionsschiffWyatt Ears" den Hafen von Magallanes in Richtung des südpolaren Fest­landes. Sie beabsichtigen den Südpol im Flug­zeug zu erreichen.

Italien spart mit Papier . Der Sekretär der fascistischen Partei hat angeordnet, daß der bis­her regelmäßig alle 14 Tage erschieneneAnzei­ger des Rationaldirektoriums der fascistischen Partei" bloß in Fällen der äußersten Notwendig­keit ausgegeben werden soll. Auch die amtlichen staatlichen Bericht werden bloß in jenen Fällen zur Ausgabe gelangen, wenn dits unbedingt not­wendig sein wird. Stromkonsumentea-Streik. Freitag abends be­gann in Kladno ein Lichtstreik. Die Kaufleute, Ge­werbetreibenden und.die Restaurants verwenden in ihren Betrieben zum Zeichen des Protestes gegen die hohen Strchnpreise keinen elektrischen Strom, son­dern behelfen sich mit Kerzen, Petroleumlampen u. ä. Wie lange der Streik dauern wird, ist nicht bekannt. HitlerS Hofphotograph unter Hochverrats­verdacht. Der bekannte Photograph Heinrich Hof- nianu, der als Mitkämpfer Hitlers das Privileg hat, überall bei Feierlichkeiten, Aufzügen, Reden vsw. in der unmittelbaren Nähe Hillers zu pho« wgraphieren, hat, wie jetzt bekannt wird, gelegent­lich der letzten Manöver auch die modernen deutschenTanks photographiert und diese Bilder neben den nationalsozialistischen Leitungen auch englischen Blättern angeboten. Aus diesem Grunde ist gegen ihn rin Hochverratsverfahren eingeleitet worden, da­rrst auf Intervention Hitlers niedergeschlagen wurde. Kennst du das Land? In einer nationalsozia­listischen Bersammlung, in der Goebbels wieder ein­mal Deutschland alsLand der Lächelns" bezeich­nete, erscholl plötzlich ein Zwischenruf:Nein, Land des Röchelns I" Der Rufer wurde sofort verhaftet. Ltesfinieu kauft Baumwollstoff aus England. Auf der Börse von Dkanchester wurde angekündigt, daß die abessinische Regierung 8,800.000 Aards festen Baumwollstoff für die Armee in Lancashire bestellen werde. Das ist der größte Auftrag, den die englische Baumlvollinduftrie seit langem erhal­ten hat. Ihr Wert beträgt eine Viertel­million Pfund. 1600 Arbeiter werden an der Ausführung zwei Monate beschäftigt sein. Nach dieser Bestellung zu schließen, rechnet Abessinien mit einer langen Kriegsdauer. Richterinnen in der Türkei . Aus Istanbul wird gemeldet: Dreizehn Mädchen, Absolventin­nen der juridischen Fakultät, wurden auf Grund ein«s Beschlusses des Justizministeriums den Ge­richten in Istanbul zur Dienstleistung zugeteilt.

Schon fertig? * Ja, beim neuen Licht ging's rasch. Tatsächlich die Beleuchtung ist hier viel besser geworden. Es liegt an den neuen TungsramD Doppelspirallampen. Wieso? Sie geben viel mehr Licht und ver­brauchen dabei nicht mehr Strom. Der Zähler zeigt es. Tatsache? Tatsache!

TolKswirtsdiaM und Sozialpolitik

Fünf Milliarden Kronen Steuer­rückstände sollen gestrichen werden! Die Frage der Steuerrückstände beschäftigt zur Zeit eingehend die Handelskammern, die In­dustrie llenverbände und auch unser Finanz­ministerium. Die Steuerrückstände halten sich seit etwa sechs Jahren auf einer Höhe von rund fünf Milliarden Kronen. Sie betrugen im Jahre 1929 rund 4.927 Millionen Kronen, im Jahre 1934 noch 4.846 Millionen Kronen. Diese gewaltigen Steuerbeträge schulden dem Staate nicht die Arbeiter und Angestellten, sondern die Unterneh­mer der verschiedensten Kategorien. Je schwieriger nun die Finanzlage des Staates wird, je dringlicher er also auf die Ein­treibung dieser Schulden bestehen müßte, umso nachdrücklicher wird das Verlangen der Schuld­ner, ihnen diese aufgelaufenen Steuerrückstände zu erlassen. Wenn man auch nicht bestreiten wird, daß ein Teil dieses gewaltigen Betrages sich tat­sächlich aus der Notlage, in die zahlreiche Unter­nehmen durch die Krise gekommen sein mögen, erklärt, so ist andererseits aber auch nicht zu ver­kennen, daß viele der Steuerschuldner durchaus imstande gewesen wäre«, die Steuern zur rich­tigen Zeit zu bezahlen und daß sie auch heute noch ein Leben führen, das hoch über dem steht, bei dem der Arbeiter und Angestellte seine Steuern pünktlich entrichten mutz. Während das Finanzministerium an einem Gesetzentwurf arbeitet, der ihm wenigstens einen Teil der Steuerrückstände einbringen soll, unter­breitet der tschechoslowakische Jndustriellenver- band dem Ministerium einen Entwurf, in dem im erheblichen Umfang der generelle Erlaß der Steuerrückstände gefordert wird. Mit dieser Stellungnahme setzt sich der Jndustriellenverband in Widerspruch zu der Haltung der Handels­kammerzentrale, die sich gegen eine generelle Senkung der Steuerrückstände und gegen eine generelle Abschreibung der schuldigen Verzugs­zinsen ausspricht. Für diese Haltung wird gel­tend gemacht, daß eine generelle Steuersenkung die Steuermoral gefährden könne, da sie für die Nichtzahler wie eine Belohnung wirken müsse. Außerdem seien unter den Steuerschuldnern viele, die durchaus in der Lage seien» die Steuer­rückstände abzutragen. Es wird darum eine indi­viduelle Lösung vorgeschlagen, die die Garantie gebe, daß nur bedürftige Steuerzahler berück­sichtigt werden. Im Interesse der Gesamtheit der Steuer­zahler muß bei der Liquidierung der Steuerrück­stände unbedingt, gefordert werden, daß die

Schulden im weitestgehenden Umfange abgetra­gen werden. Ehe eine Senkung oder ein völliger Erlaß der schuldigen Steuern erfolgen kann, mutz eine genaue Prüfung der Verhältnisse des Schuldners trfolgen. Wenn es dabei zur Errich­tung von besonderen Kommissionen bei der Steuerverwaltung kommt, so muß unbedingt auf die Hinzuziehung von Arbeitervertretern bestan­den werden. Es darf nicht zugelassen werden, daß, während die Arbeiter und Angestellten dem Staate pünktlich di« Steuern zahlen, Unterneh­mer, denen es viel besser geht, als Steuerschuld­ner nachträglich noch vom Staate beschenkt werden.

Konzentration in der Schwerindustrie Die Fusion der Tatra werke mit der Ringhoffer-Werk P.-G. ist endgültig beschlossen worden. Die Bereinigung tritt mit rückwirkender Kraft ab 1. Jänner 1935 in Kraft. Seit längerer Zeit sind Verhandlungen im Gange, die eine Vereinigung drrKönigsfel- d«r und der Er st en Brünner Ma­schenfabrik zum Ziele haben. Die Bereini­gung wird besonders von der die Unternehmungen finanzierenden tschechoslowakischen Bank betrieben.

Kleine Wirtschaftsnachrichten Di« internationale Petroleumkonferenz, die in den letzten Wochen in New Jork getagt hat, ist ohne endgültiges Ergebnis zu Ende gegangen. Ob­wohl die Verständigung der Welt-Oelfirmen mit Sowjetrußland schon ziemlich weit gediehen ist, haben andere Gegensätze jetzt das Zustandekommen eines neuen Oel-Weltpaktes verhindert.

Mitteilungen aus de« Publikum. A»S den Laboratorien der TungSram- Werke trat die Wolfram-Glühlampe ihren Sieges« zug an. Der berühmte amerikanische Nobelpreis­träger Langmuir vervollkommnete sie aber durch die Gasfüllung und schuf auf diese Weise die moderne Glühlampe. Jetzt stellt die TungsramD" Deka- lumen-Serie mit Gasfüllung, dank der ein Licht­plus von 20 Prozent erreichbar ist, einen neuen großen Fortschritt dar. Diese gewaltige Verbesserung wird durch die neue Konstruktion der Lampen er­möglicht: statt des bisherigen Glühkörpers glüht nämlich in der Gasfüllung eine Doppelspirale. Diese beiden im Verein verbürgen die hervorragende Leistung der neuen TungsramD" Doppelspiral­lampen.

Deutsche Worte über Deutschland Deutsche Worte eines nicht unbekannten Mannes, seinen sehr zeitgemäßen Schriften entnommen. Eine kleine Auswahl nur, die leicht ergänzt werden kann: Neber den Wert der Partei Salon hat bekanntlich seinen Athenern ein Gesetz gegeben, daß bei Bürgerzwrsten jeder Bür­ger eine Partei ergreifen mutzte. Das liegt in der Menschennatur und dadurch wird Vernunft und Freiheitssinn lebendig erhalten. Bei uns ist überall das Gegenteil verordnet und dadurch wird Indolenz Md sklavische Verdumpfung geschaffen. Sehr klug; fast hätte ich gesagt: Sehr weise. Neber den Kadavergehorsam Unbedingter Gehorsam ist kein Gedanke unter vernünftigen Wesen. Wo mich jemand nach seiner Willkür brauchen kann, bin ich ihm keinen Gehor­sam schuldig; däs geht aus der moralischen Natur des Menschen hervor. And die Vernunft? Wen» die Menschen endlich vernünftig sein werden, wird die Erde vielleicht amMarasmus senilis" sterben. »eie, sich selbst Wenn ich die Welt ansehe, freue ich mich, daß ich keine Kinder habe. Denn was würden sie an­deres werden als Sklaven oder Hündlanger der Despoten? Freiheit und Vernunft gehören noch picht in unsere Zeit.

Gelehrte und Literaten Es ist nichts Ernsthaftes, daß nicht irgend­eine Afterphilosophie lächerlich gemacht, und nichts Lächerliches, das sie nicht ernsthaft behandelt hätte. Auf beides muß man gefaßt sein, sobald man die Haustür öffnet, b Der innere Feind Die meisten Regenten fürchten sich mehr vor den Staatsbürgern, als vor den äußeren Feinden; ein Beweis, daß die meisten Staaten schlecht ein-^ gerichtet sind. DrrFührer" Die Nation, welch« nur durch tinen einzigen Mann gerettet werden kann und soll, verdient Peitschenschläge. Wo- ein einziger Mann den Staat erhalten kann, ist der Staat in seiner Fäulnis kaum der Erhaltung wert. Recht und Ordnung Wenn etwa- hart bestraft wird, so beweist das gar nicht, daß es unrecht ist, er beweist blcnp daß es dem Vorteil der Machthaber nachteilig ist. Oft ist gerade die Strafe der Stempel der schönen Tat. Auch läßt es sich denken, daß einer moralisch eine Bürgerkrone verdient und gesetzlich gehenkt wird. Die deutsche Ehre Mit dem Degen kann man wohl zuweilen be­weisen, daß man N^ut hat, aber nie, daß man Ehre besitzt; oft geht daraus das Gegenteil her­vor. Ehre und Recht werden nur durch Vernunft

dokumentiert, nie durch Waffen. Es ist, als ob man eine Schurkerei mit einer anderen umstem­peln wollte. Ehre kann män mit den Waffen be­haupten, aber nie erwerben, da erwirbt man nur Ruhm oft das Gegenteil von Ehre. Bon den Söldnern Es kann in seinem Ursprung nicht leicht ein schlimmeres Wort sein, als Soldat, Söldner, Käufling, feile Seele; solidarius, glimpf­lich:D ukatenkerl. Die Sache macht die Ehre des Kriegers, aber ein Soldat kann als Soldat durchaus auf keine Ehre An­spruch machen. Es ist ein unbegreiflicher Wahn­sinn des menschlichen Geistes, wie der Name Sol­dat ein Ehrentitel werden konnte. Dir Wahrheit Wer reine Wahrheit zu reden wagt, sollte sogleich seinen Stockknopf mit Gift füttern. Bon der Gleichheit Daß di« Menschen von Natur gleich sind, kann so deutlich erwiesen werden als nur irgend­etwas, und wenn es nicht wäre, so müssen sie zur endliches» Schlichtung ihrer Händel und Ansprüche als gleich angenommen werden. Selbst die Sa­telliten der Despotie mit der Feder nehmen die ur­sprüngliche natürliche Gleichheit an. Der Beweis der Gleichheit kann am besten negativ geführt werden, so daß selbst der eiserne Despot sich da­von überzeugen wird. Es kann nämlich kein Mensch den anderen unbedingt willkürlich zwingen, ihm zu gehorchen, sein Knecht zu werden. Sobald man mir die sicher«, unfehlbare Möglichkeit des Despotenzwanges erwiesen hätte, wollte ich sogar

Itallenlscke Kolonialmethoden auch gegen Liberia angewendet London . Reuter meldet aus Monrovia , der Haupfftadt der Negerrepublik Liberia » daß nach, einer Erklärung des Außenministers von Liberia der italienische Vertreter T o m a s e im März d. I. der Regierung von Liberia einen fer­tigen Freundschafts- und Han­delsvertrag unterbreitet habe, durch den italienischen Staatsangehörigen gleiche Rechte wie den Bürgern von Liberia gewährt werden sollten. Als die Regierung von Liberia sich geweigert habe, den Vertrag zu unterzeichnen, habe Tomase so­fort das italienische Konsulat geschlossen und sei nach Rom zurückgckehrt. Seitdem sei jede Verbindung zwischen beiden Re­gierungen unterbrochen.

Hoover will wieder kandidieren Paris . Wie Havas aus Washington meldet, hat sich der ehemalige Präsident Hoover ent­schlossen, neuerdings bei der im nächsten Jahre stattfindenden Präsidentschaftswahl in den Ver­ einigten Staaten zu kandidieren. Er wird die Wahlkampagne bereits am 16. November mit einer großen Rede im Staate Ohio einleiten, die auch durch den Rundfunk verbreitet werden wird.

va§ Pflaster Wien. Bundespräsident Miklas hat dem Bundesminister Major Fey als ehemaligen Vize­kanzler das Grotzkreuz erster Klasse des Oester- reichischen Verdienstordens und dem Landes­hauptmann von Niederösterreich Josef Reicher als ehemaligen Bundesminister das Großkreuz des Oesterreichischen Verdienstordens verliehen..

Amnestie In Polen Warschau . Die Blätter bringen Einzecheiten über die Erlassung einer allgemeinen Amnestie in Polen und behaupten, daß bezüglich der poli­tischen Vergehen alle Strafen bis anderthalb Jahren gänzlich nachgelassen und Strafen. im Ausmaß von über anderthalb bis zu drei Jahren zur Hälfte herabgesetzt werden sollen.

Grace Moore in dem FilmDie Nacht der Liebe"

das Recht einräumen, obgleich nicht mit Recht, son­dern aüs Nptwendigkeit des unvernünftigen Schicksals. Aber wie will sich ein Mensch unbe­dingt gegen den anderen sicherstellen in seiner Willkür? Gegen physische Stärke braucht der Feind List mit Recht. Alles fft erlaubt, den un­befugten Beeinträchtige!: zu zerstören. Ein Knüt­tel, ein Stein, ein Gifthauch kann den Anmatzer in einem Augenblick töten. Wer sich nun den an­deren nicht rein unbedingt auf immer unterwerfen kann,_ ist mit ihm von einerlei, von gleicher, wenigstens'nicht von größerer Natur. Selbst die Mittel des Despoten gestehen diese Gleichheit ein. Sie mieten Trabanten, aber dieses Mieten zeigt die Gleichheit mit diesen Trabanten, von denen sie sich oft Abhängig genug machen müssen. Ein, Despot scheint an dem Experiment zu arbeiten, wieviel die Menschen in ihrer Wcgtverfung Narr­heit und Unsinn vertragen können; tvodurch er freilich nicht seine Weisheit zeigt. Sklaven und Tyrannen Faulheit und Dummheit und die aus beiden gemischte Furcht sind die Quellen des meisten Un« ftrgs, den Bosheit und Uebermut anrichtet. Wo keine Sklaven sind, kann kein Tyrann entstehen., Zeitgemäße Worte eines guten Deutschen , eines verbürgt Nichtjüdischen. Aber der Verfasser hatte das Glück, lange vor dem Anbruch des Drit­ ten Reiches zu sterben. Auch seine letzte Ruhe­stätte liegt außerhalb der Grenzen der neuen Tyrannei: in Teplttz-Schänau. Vieles aus den Schriften I. G. S e u m c s ist wieder zeitgemäß, aber wer kennt von Seume mehr als zlvei Sätze aus den; GedichtDer Wilde"?,