Einzelpreis 70 Heller(•hMchllaSlich S Heller Porto)ZENTRALORGANDER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEIIN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIKIRSCHUNT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii.,fochova tr. TELEFON 0077.HERAUSGEBER» SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR» WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR» DR. EMIL STRAUSS. PRAG.15. JahrgangMittwoch, 6. November 1935dir. 258Konsequente VölkerbundpolitikBeneS-Exposä der Tschechoslowakeiüber die internationale Lase und den abessinischen KonfliktPrag. Da- Abgeordnetenhaus hatte gestern einen seiner großen Tage. In Erwartungde- großen Lageberichte- de- Außenministers Dr. Benes waren sowohl die Ministerbank als äuchdie Bänke der Abgeordneten voll besetzt. In den Logen und auf der Galerie wohnten der Sitzung zahlreiche Diplomaten. Journalisten und andere Besucher der Sitzung bei— unter ihnenauch der Gesandte Jan Masaryk, der Sohn des Präsidenten.Als die einleitenden Formalitäten erledigt waren, kam Dr. Benes, besten Rede auch imRundfunk übertragen wurde, zu Wort. Wohl kaum hat noch ein Außenminister in einer heikleren Situation gesprochen und keiner dürfte sich mit größerer Geschicklichkeit seiner schwerenAufgabe entledigt haben. Ohne nach irgend einer Seite einen verschärfenden Anstoß zu geben,arbeitete Dr. Benes die Linie der europäischen Friedenspolitik scharf heraus und zeigte sich alsguter Anwalt und mutiger Bekenner der Völker bundidee. Was er an die Adresse Italiens,Deutschlands, Polens und Ungarns sagte, war gut abgewogen und von anerkennenswerterFestigkeit. Benes hat die Sache seines Landes und des Friedens in glücklicher Form vertreten.Bezeichnend war die Berlegrnheit der Kommunisten. Als Benes ftine Bündnispolitik mit derSowjetunion in ihrer ganzen großen Bedeutung darlegte, wagte die kommunistische Fraktionkein Wort des Zwischenrufes und keine Geste des Bei'ulk s. So wurde offenbar»daß die KPE mit ihrer ebenso wortreichen wie negativen Oppositionen neben den großen Entscheidung dieser Zeit herläuft und dabei noch in engste Nachbarschaft mit der äußersten Rechten gerät,di- im Abgeordnrtrnhause ebenfalls die Ausführungen Dr. Benes' mit eisigem Schweigen aufnahm.Rach einer Einleitung, in der er an den Ernstder derzeitigen internationalen Situation erinnerte,rekapitulierte Dr. Benes zunächst die Ereignisse desJahre- 1SSS bis zum italienisch-abessinischen Konflikt, wobei er insbesondere darauf hinwies, daß inden Verhandlungen über die europäische Sicherheitbloß ein Teil des Projekte- verwirklicht werdenkonnte, nämlich da- Abkommen über den gegenseitigen Beistand zwischen der Sowjetunionund Frankreich, bzw. derTschechoslo-wakei. während die Verhandlungen über denO st p a k t bewiesen, daß Deutschland und Polenden Abschluß des gegenseitigen Beistandspaktes ablehnen. Die Tschechoslowakei bleibt weiter wie dieübrigen Staaten der Kleinen Entente eine Anhängerin des Donau-Pakte-und hält dessen Hindernisse nicht für so groß, als daßdie Verhandlungen nicht weitergeführt und schließlich erfolgreich abgeschlossen werden könnten.Der Italienisch-abessinische< KonfliktDer. Benes gibt dann eine Uebersicht über dieEntstehung und Entwicklung des italienisch-abessinischen Konfliktes von den ersten Grenzzwischenfällen bis zur Plenarsitzung des Völkerbundes vom8. bis 11. Oktober, in der Aälien als Angreifererklärt und Sanktionen angeordnet wurden. InVölkerbundkreisen wird dieser erste Versuch der Geltendmachung wirtschaftlicher Sanktionen im großenund ganzen als erfolgreich angesehen.Leber die praktische Durchführung und über ihr tatsächliches Ergebnis wird man sich erst später äußernkönnen. Aber bereits heute kann man sagen, daß derVölkerbund zweifellos gefestigterscheint.Daneben wird zwischen den drei westlichenGroßmächten angestrengt über die Lösung des ganzen Konfliktes im Wege des Einvernehmens verhandelt, wobei namentlich der französische Ministerpräsident Laval unermüdlich nach Wegen zumFrieden sucht. Die TschechoslowÄei würde eS mitgrößter Freude begrüßen, wenn ihm dies gelänge.Es wird dies aber sehr schwierig sein-Die tschechoslowakische Regierung verfolgt dieErgrbniffe dieser weitreichende« Ereignisse mitgrößtem Emst, mit größtem BerantworMngS-bcwußtscin und mit entsprechender Zurückhaltung; mit Rücksicht auf ihr gutes Verhältnis zuItalien, aber auch im vollen Bewußtsein ihrerVerpflichtung« gegenüber dem Völkerbund, gegen die sie sich niemals versündigen wird.Englands neue PolitikAus der Geschichte des ganzen italienischabessinischen Konfliktes hob Dr. Benes insbesonderehervor, daß die italienische Regierung anscheinendweder erwartet habe, daß sich England so entschiedenhinter die Durchführung aller aus dem Völkerbundpakt erfließenden Verpflichtungen stellen wird,noch daß der Völkerbund nach den Mißerfolgen inAsien und in Südamerika in der Lage sein werde,gegen Italien eine größere Aktion zu unternehmen.Er hob die historische Bedeutung der Rede deS englischen Außenminister- vom 11. September hervor,in der Sir H o a r e, ein alter Freund der Tschechoslowakei und Masarhk-, al- Richtlinien für die britische Außenpolitik den Völkerbund, dieinterna tionaleZusammenarbeitzum Schutz der kleineren Staaten und denallgemeinen Frieden für alle inkollektiver Zusammenarbeit bezeichnete.Genf habe augenblicklich begriffen, daß dieseDoktrine. falls sie in die politische Praxis eingeführt wird, eine neue Mase in.der Geschichte desVölkerbünde- bedeutet. Alle hätten, abgesehen vondem Konflikt mit Abessinien, begriffen, daß hier dererste große Präzedenzfal für dieGeltendmachung der Sanktionen eintritt, der weittragende Bedeutung für die ganze Entwicklung dereuropäischen Politik haben kann.Au- den Genfer Verhandlungen kann- manweitere Schlüffe für künftigeKonfliktsfälle ziehen. Innere Sicherheitsmaßnahmen, wie z. B. die Mobilisierung, können von den Staaten und Mitgliedern des Völker-Ein amtlicher Kommentar besagt hiezu:Die Verhandlungen über die Rekonstruktionder Regierung auf Grund des Borschlages derRepublikanischen Partei, daß die durch das Ableben Bohumir Bradäö' freigewordene Stelle desVorsitzenden des Abgeordnetenhauses durch denVorsitzenden der Regierung Jan Malvpetrbeseht werde, führte zu einem Uebereinkommen,dessen Ergebnis der Rücktritt des Vorsitzendender Regierung Malvpetr von seinem Amte war,der seine Demission dem Präsidenten der Republik am Dienstag, dem 5. November, mitteilte.Der Präsident der Republik nahm die Demission an und gab darüber ein Handschreibenaus.DaS zweite Ergebnis der Beratungen allerbeteiligten Faktoren war der Vorschlag, daß zumVorsitzenden der Regierung der Minister fürLandwirtschaft Dr. Milan H o d j a ernanntwerde. Der Präsident der Republik nahm auchdiesen Vorschlag an und gab auch darüber einHandschreiben aus.Der neue Vorsitzende der Regierung DoktorMilan Hodza wurde nicht von der Leitung desLandwirtschaftsministeriums enthoben, so daß erweiterhin in dieser Funktion verbleibt.Kurz nach halb 5 0 Uhr kam Dr. Hodja«achLänv, wo er den vom Art. 73 der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Eid in slowakischerSprache in die Hand des Präsidenten der Republik ablegte.Rach Ablegung deS Gelöbnisses verblieb derPräsident der Republik mit dem Vorsitzenden derbundeS durchgeführt werden, sie verletzen nichtdie Verpflichtungen aus dem Pafte. die Sanktionenfolgen jedoch automatisch nach der Konstatierung des Angreifers; über sie entfcheidet jederStaat allein und individuell.Die französisch-britischen Verhandlungen wieauch die Präzedenzfälle und die Folgen des Artikel?16 sind auch für uns von großer Bedeutung, sie tangieren auch unsere Sicherheit und wir haben anihnen ein vitale- Interesse. Esliegt im Interesse Europas und des allgemeinenFriedens, daß sie von vollem Erfolg begleitet seien.Unsere Beziehungen zu Italien:Dr. Benes betonte neuerdings, daß wir an demKonflift weder direkt noch indirekt interessiert sind.Soweit in ihn direkt oder indirekt eingegriffenwerde, wird dies nur auf Grundlage unsererMitgliedschaft im Völkerbund geschehen. Seit dreiJahren haben sich unsere Beziehungen zu Italiendermaßen gestaltet, daß sie freundschaftlich waren und find. Der Donaupackt sollte zwischenuns und Italien in gewissen Richtungen sogar einAllianzverhältnis schäften. Auch dieheutigen Ereignisse ändern nichts an unseremWunsche, daß der Friede sobald als möglich, wiederhergestellt werde und daß wir mit Italien erfolgreichdas abschließen können, was wir so erfolgverheißendim letzten Jahre begonnen haben. Freilich, diePolitik und die Prinzipien des Völkerbundes können und werden wir niemalsverlassen.Wir werbe«— ebenso wie die anderen Staate« der Kleinen Entente— konsequent die Genfer Politik durchführe«, in daS Meritum deSRegierung kurze Zeit in freundschaftlichem Gespräche.Bor der außerordentlichen. Sitzung des Ministerrates am Dienstag abends fand eine Beratung des Kollegiums der politischen Ministerstatt, in welcher der Vorsitzende der RegierungMalypetr und Minister Dr. H o d i n Bericht über ihre wiederholten Verhandlungen nfttden Vertretern aller koalierten Parteien erstatteten. Die politischen Minister nahmen dieseBerichte mft einmütiger Zustimmung zurKenntnis.Hierauf gab in der Sitzung des Ministerrates der Vorsitzende der Regierung JanMalvpetr einen Bericht über sein Ansuchenum Enthebung von feinem Amte und verabschiedete sich von allen Mitgliedern der Regierungunter aufrichtigem Dank für alle ihre Unterstützung und Mitarbeit in der Periode seinerdreijährigen Tätigkeit in der Funktion deS Vorsitzenden der Regierung.Der Stellvertreter des Vorsitzenden der Regierung, Eftenbahnminister B ech yn k sprachim Namen aller Regierungsmitglieder dem Vorsitzenden der Regierung Malvpetr den herzlichenDank für die umsichtige Führung der Rrgie-rungsansclegrnheitrn im Geiste der loyalenKoalitionszusammenarbeit aus.„Sir haben dieRegierung", sagte Bechvnö»„in den kritischestenJahren der Republik geleitet; es wird wohl allgemein anerkannt werden, daß. Sie die- mitj Erfolg getan haben."Dr. Hodza ernanntEr bleibt vorläufig auch LandwirtschaftsministerPrag- Das Amtsblatt der Tschechoslowakischen Republik verlautbartzwei Handschreiben des Präsidenten der Republik vom 5. November 1935,durch welche der bisherige Vorsitzende der Regiernng Jan Malhpetrauf sein Ersuchen von seinem Amte enthoben und gleichzeitig Land»Wirtschaftsminister Dr. Milan Hodja zum Vorsitzende« der Regierung ernannt wird.Konfliktes werden wir nicht eingreifen, aberstrikte das tu», was die Genfer Institution beschließen wird. Wir wünschen, daß Englandund Frankreich sich in allen für dieweitere Entwicklung Europas wichtigen Fragenvollkommen einigen, und wir werden unter allenUmstände«^ mit diesen beiden Staaten gemeinsamVorgehen.Zu SowietruBland:Dr. Benes berührte vor allem dar Verhältniszur S o w j e t union. Er sprach sein Bedauern darüber au-,, daß e- nicht möglich war, daSfreundschaftliche Einvernehmen mit Polen,welches die Tschechoflowakei Polen bereits früherangeboten hatte, sowie daS Projekt des OstpakteSvor der Untszeichnung des definitiven Abkommens mit der Schijetunion zu verwirflichen. Er konstatierte, daß der Vertrag mit der Sowjetunionkeine geheimen noch sonstigenZusätze habe und daß er speziell gegen keinenStaat gerichtet sei. Als eine Ergänzung des Völ-Die Ernennung Hodjas wird am Mittwo»hin beiden Häusern bekanntgcgeben werden. Zueiner eigenen Regierungserklärung soll eS n i ch tkommen, da Hodja in der Durchführung des bisherigen Regierungsprogrammes fortfahren wird.Am selben Tag wird auch die Wahl MalyprtrSzum Parlamentspräsidenten vorgenommen unddie bisherigen Vizepräsidenten in ihrer Funktion bestätigt werden.*Das„Prävo Lidu" berichtet hiezu weiters,daß Malypetr am Nachmittag in der. Konferenzder politischen Minister und abends im Ministerrat seinen Wunsch wiederholte, seinen Postenschon jetzt anläßlich der. Wahl des Vorsitzendendes Abgeordnetenhauses verlassen zu können. Erhabe auch ausführlich und mit absoluter Aufrichtigkeit die Ursachen dargelegt, die die Agrarpartei zur Stellung dieses Antrages führten, derdurch eine Indiskretion vorzeitig an die Oeffent«lichkeit gelangte. Es wurde auch festgestellt, wieeS zu dieser Indiskretion kam, und den leitendenFaktoren der Koalition über das Ergebnis dieserUntersuchung Bericht erstattet. Die politischenMinister, die inzwischen auch mit den engerenPräsidien ihrer Parteien verhandelten, beschlossen daraufhin, den ZwisHenfall damit als erledigt zu betrachten.'Weiters wurde beschlossen, daß der neueMinisterpräsident vorläufig auch die Leitung desLandwirtschaftsministeriums behalten solle. Eswerde sich jedoch nur um eine kurzeZeit handeln. Der neue Ministerpräsidentwerde in einigen Tagen dem Präsidenten dieErnennung eines Mitgliedes des agrarischenAbgeordnetenklubs zum LandwirtschaftsministerVorschlägen. Mit Rücksicht darauf, daß es überdiese Dinge in der Koalition zu einer völligen Einigung kam, dürfte dies der Abgeordnete Dr. Zadina fein, der von den Agrariern zugleich mit Hodza vorgeschlagen wurde.DaS„Prävo Ädu" erflärt, daß dieser Zwischenfall nach der formalen Seite hin einegute Sch u l e sein werde, die im öffentlichenInteresse absolviert werden mußte.