Seite 2 Samstag, 9. November 1935 Nr. 2S1 Henleinpartei selber die.Anzeige gegen zwei deutsche Spione erstattet habe. Mama, was ist ein Leutnant? Peters wird nächstens seinen Ascher Brotgeber fragen: Herr Führer, was ist Demagogie? Was ist Denunziantentum? Noch ein ganz fanatischer Demokrat ist vorzustellen: Herr Dr. Ernst Kundt, Leiter des Deutschpolitischen Arbeitsamtes. Heftig entrüstete er sich als Zwischenrufer, daß die österreichischen Arbeiter schlechte Demokraten waren, weil sie— man erblasse— am 12. Feber mit Maschinengewehren geschossen haben. Die Kanonen des Dollfuß gefielen ihm bedeutend besser, denn dagegen-hat besagter Kundt nichts einzuwenden. Er scheint ein Anhänger Ghandis zu sein und als Abwehr gegen Staatsstreich und Verfassungsbruch den Arbeitern nur Fasten und Beten zu erlauben. Herr Kundt mußte sich ziemlich deutlich von unseren Genossen sagen lassen, daß ihn seineZwischen- rufe zum Dollfußknecht stempeln. Und er steckte es ein. Dabei gab es eine nette Entschleierungsszene. Auf den Zuruf: So spricht der Leiter des überparteilichen Arbeitsamtes." machte Herr Kundt das Geständnis: „Das Arbeitsamt ist ja gar nicht überparteilich. Es heißt ja: Deutsch politisches Arbeitsamt." Aus berufenem Munde eine nicht uninteressante Bestätigung eines wohlbekannten Tatbestandes. Wir kennen Herrn Dr. Kundt allerdings noch aus einer Zeit, wo er besonderes Gewicht auf eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten legte. Das war vor dem 12. Februar 1933, dessen Helden ausgerechnet ein Herr Dr. Kundt aus Prag zu zensurieren sich erdreistet. Nächstens wird die Henlein -Fraktion im Prager Parlament mit Vollbärten antreten. Während sie sich bisher mit ihrer Jugendlichkeit brüstete, scheint sie nun auf ihr frühgealtertes politisches Profil zu pochen. Im Wortgefecht rief der Abgeordnete W o l l n e r dem Genossen H e e g e r zu: „Regen Sie sich nicht auf. Sie junger Kerl." Dabei ist Woiiuer netto zwanzig Jahre jünger als unser Heeger. Diese Anrempelung kam selbst den SdP.-Einpeitschern zu blöd vor. Die Herrn Kameraden wurden aus der Kampfzone herausgezogen und in die Bänke kommandiert, wie— mit Verlaub Hohes Presseamt— ABC-Schützen. Genosse Heeger wurde wegen des jugendlichen Eindrucks, den er im parlamentarischen Nahkampf auch bei seinen Gegnern erweckte, von vielen Seiten beglückwünscht. • Wem der Herr aus Asch ein-„Rechtsamt" gibt, dem traut er gewiß auch nicht eine bescheidene Stirn zu. Inhaber besagten Amtes, Abgeordneter und Spionen-Verteidiger Dr. N e u- wirt h, hatte Freitag keine leichte Nuß zu knak- ken. Er mußte vor dem versmnmelten Forum der Gesetzgeber als Anwalt des Abgeordneten Holub e auftreten, dessen kriminelle Vergangenheit von dem kommunistischen Abgeirdneten Köhler in schneidiger Attacke aufgerollt wurde. Dr. Neuwirth konnte nicht bestreiten» daß Klub- Kamerad Holube in Dortmund wegen Diebstahls verurteilt worden ist. Er berief sich— und hier verwechselte er das Haus mit dem Gerichtssaal— darauf, daß man einem abgestrafteü Dieb seine Vorstrafen nicht vorwerfen dürfe. Wer übrigens das geheiligte Recht der Henlein-Fraktion, in ihren Reihen kriminelle Elemente zu dulden, weiter streitig machen wollte, wurde von Dr. Neuwirth in seine Rede mit Selbsthilfe, also mit dem Faustrecht bedroht. Vorher hatte dieser vielseitige Herr aber verkündet, die besten parlamentarischen Sitten seien für die SdP. gerade gut genug. Zur Abrundung des Bildes wäre noch hin- zuzufügen, daß der Klubvorsitzende der Henlein - leute, Frank I, in einer der ersten Sitzungen seinen Gegner Ohrfeigen angeboten hat. Für diesen Herrn war ein solches Benehmen noch gut genug. Die Freitag-Ausgabe der„Zeit" schreit ihren Lesern ins Gesicht:„SdPgreift Paris. Seit der Eroberung Aduas meidet die italienische Heeresleitung einen zweiten größeren Erfolg. Zm Vordringen an der Nordfront wurde Freitag früh die Stadt M a k a l e in der Provinz Tigris kampflos besetzt. Die Abessinier hatte« sich, entsprechend der Ankündigung, daß sie um Makale keine Schlacht aufnehme« werden, zurückgezogen. Rach der Besetzung wurde der AeberlLufer RasGugsa zum Gouverneur der Stadt ernannt. Er und seine Anhänger wurden angeblich von der Bevölkerung begeistert begrüßt. Gleichzeitig mit der Eroberung Makales besetzten die Truppen des Generals Santini die zehn Meilen östlich von Makale gelegene Stadt Dolo. Vor neuen Schwierigkeiten „Echo de Paris" bemerkt, daß bereits jetzt die militärischen Operationen auf ein Terrain von 2000 bis 2500 Metern Seehöhe vor sich gehen und daß die Italiener immer mehr mit Terrainschwierigkeiten zu kämpfen haben. Die Abessinier benützten diese Schwierigkeiten zur Verschärfung ihres Systems des Kleinkrieges. «» Meldungen zufolge, die aus A d m a r a eingetroffen sind, haben italienische Militärab- teilungen, die die eritreische Grenze entlang des Flusses S e t i t a bewachen» diesen Fluß überschritten und gehen in der Richtung nach Süden vor. Der rechte Flügel der italienischen Armee hat den Bormarsch in der Provinz Amhara in der Richtung auf den Tanasee ausgenommen. Eroberung Gorahais Auch die Stadt G o r a h a i, die als Schlüssel der Verteidigungsstellung der Abessinier in der ganzen Provinz Ogaden angesehen wird, ist von italienischen Truppen eingenommen worden. B en es an". Mit rauher Faust etwa? Nein, aber immerhin in der Debatte, was dem Hen- leinjüngling wohl als große Heldentat dünken mag. In den Kampfpausen der letzten Parlamentstage sah man jedoch die Herrn Dr. Peters und Dr. Neuwirth eifrig uni den tschechischnationalsozialistischen Abgeordnten Dr. Stran- s k h bemüht, von dem bekannt ist,"daß er Dr. Benes nahe steht. Im Schweiße ihres Angesichts waren die beiden Neo-Femokraten wieder einmal-bestrebt, dem Abg. Stransky einzureden, daß die Heuleinpartei nur gegründet wurde, um alle Loyalitäts-Rekorde zwischen dem Nord- und Südpol zu brechen. Und Dr. Stransky machte dazu ein skeptisches Gesicht. Das Gesicht der Henlein -Wähler wird aber noch ganz anders ausschauen,, wenn sie einmal das Doppelspiel ihrer Führer erkannt haben. Die abessinische Armee verlor an der Südfront einen ihrer besten höheren Offiziere, len Kommandanten der Garnison in Daggabur in der Provinz Ogaden und ehemaligen Kommandanten in Gorahai G e r a z m a t sch A f e- werk, der den bei einem heftigen Bombardement Daggaburs durch schwere italienische Flugzeuge erlittenen Verletzungen erlag. Die Italiener warfen auf Daggabur über 1000 große Bomben ab, durch die viele Personen getötet und zahlreiche Häuser vernichtet wurden. Abessinischer Vorstoß an der Osadenfront? Harrar. Laut Nachrichten, welche hier eintrafen, deuten die an drei Stellen vorgenom- menen großen Konzentrationen der abessinischen Truppen darauf hin, daß in Ogaden bald eine abessinische Offensive einsetzen werde, obwohl m abessinischen Militärkreisen das Gegenteil behauptet wird. Entlang des Dschuba -Flusses rücken 40.000 Abessinier in Richtung Dolo vor. Eine andere Armee strebt in Eilmärschen nach Ogaden und eine dritte Armee in Stärke von 30.000 Mann wird bei'Diredaua zusammengezogen. 200.000 Mann Kerntruppen Hamburg. Mit dem Dampfer„Usambara " der Woermann-Linie ist auch einer der schwedischen Ausbildungsoffiziere, Oberleutnant N Y b- I o'm," nach Europa zurückgekehrt. Ryblom schätzt die Zahl der nach europäischen Richtlinien ausgebildeten abessinischen Soldaten auf 150.000 bis 200.000 Mann. Besonderer Nachdruck werde der Ausbildung der Garde gewidmet. Ihre Stärke habe vor dem Kriege etwa 5000 Mann betragen. Jetzt sei sie ganz bedeutend vergrößert worden. Die kaiserliche Garde, die nach europäischen Gesichtspunkten durchaus als wertvolle Truppe anzusprechen sei, sei bis jetzt noch nicht in den Kampf eingesetzt worden. Die Erfahrungen bei der Ausbildung der Truppen seien recht gut gewesen. Die Abessinier seien sehr intelligent und stellten sich in denkbar kürzester Zeit von ihren Donnerbüchsen auf die modernen Schußwaffen um. Sicherheit der Bevölkerung ein Objekt politischer Geschäfte? Durch eine Veröffentlichung des„Prävo, Lidu" wird zur rechten Zeit die Oeffentlichleit auf ein Projekt aufmerksam gemacht, welches die Erzeugung von Gasmasken— ein Unterneh-' men, welches für Hunderttausende im wahrste« Sinne des Wortes von lebenswichtiger Bedeutung ist— zu einem gewinnbringenden Geschäft für einige Personen mit guten politischen Verbindungen machen will. In dem ermähnten Artikel wurde vorerst nur auf die Tatsache hingewiesen, daß in diesen Tagen eine Gesellschaft gegründet werden soll, der zwar nur ein geringes Kapital zur Verfügung steht, deren Gesellschafter und Leiter es aber bereits verstanden haben, durch ihre nahe Zugehörigkeit zu führenden Menschen große Aufträge und noch größere Gewinne sicherzustellen. Die Stribrnh« Presse hat diese Mitteilungen dann noch ergänzt. Es handelt sich um die Aktiengesellschaft Fatra in Napajedl, welche eben ins Handelsregister mit einem Aktienkapital von einer Million XL(tausend Aktien zu 1000 XL) eingetragen wurde und die einen größeren Teil der Gasmasken liefern würde als auf alle-anderen bestehenden Firmen zusammen entfällt. Dem Vorstand der Gesellschaft gehören an: Dr. M i L u r a(ein früherer Minister, Präsident des Obergerichtes in Bratislava ), Dr. Paul Bücher, Advokat in Prag , Karl Svoboda(Oberdirektor der Agrarbank in Prag ), Dr. Karl Stränskh,(Advokat in Prag - Schwiegersohn des Kammerpräsidenten), Dr. Karl E n g l i s(der Sohn des ehemaligen Finanzministers und jetzigen Gouverneurs der Nationalbank). Diese unter Ausschluß der Oeffentlichkeft vorbereiteten und betriebenen Plän§ verdienen um so mehr eine gründliche Kritik und Kontrolle, als von fachmännischer und unvoreingenommener Seite gegen das Unternehmen die größten Bedenken geltend gemacht werden. Das Ministerium für nationale Verteidigung hat nach den ersten Veröffentlichungen ein Kommunique herausgegeben, in welchem vor allem erklärt wird, daß die Erteilung derartiger Aufträge aus Gründen der militärischen Sicherheit nicht öffentlich erfolgen könne und daß das Ministr* rium auch auf Kritiken und Warnungen nicht M der Oeffentlichkeit, sondern nur vor den zuständigen parlamentarischen:Stellen!' eingehen dürfe- wo der Minister für nationale Verteidigung öffentlich oder vertraulich Aufklärungen gebe» würde. Das„Prävo Lidu" stellt dazu in der Freitagnummer fest, daß der Zweck seiner Veröffentlichung darin bestand, an die zuständigen Stellen zu appellieren, soweit sie vertrauliche Warnungen nicht beachteten und in den Vorbereitungen zur Bildung dieser politischen Gesellschaft fortfuhren. Die Angelegenheit wird die nächste Sitzung des Wehrausschuffes des Abgeordnetenhauses beschäftigen. Italiener besetzen Makale und Gorahai 8 Der Lakai Verbekhoven Von Max Hochdorf „Nun denn, so schlag ich Ihnen vor, daß Sie sich hier sofort an meinen Tisch setzen und aufschreiben, bis in die kleinste Einzelheit, wie Sie sich die Sache denken. Wissen Sie, das ist besser, als wenn man nur so redet. Man muß astes schwarz auf weiß haben, gewissermaßen wie in einem Feldzugsplan. Meinen Sie das nicht auch? Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit. So lange zieh ich mich zurück, und wenn ich wieder komme Nun aber schleunigst an die Ar beit, mein Lieber, jede Minute Aufschub wäre ein Verbrechen." Der König schob den Lakaien zu seinem Schreibtisch. Er zwang ihn zum Niedersetzen. Verbekhove 1 gehorchte. IV. Die Stadt der Verrückten war eine Ortschaft, in der seit Menschengedenken die seltsaniste und heilsamste Menschenliebe gepflegt wurde. Vov grauen Jahrhunderten, so ging die Legende» floh ein adeliges Mädchen vor der Verfolgung eines wahnsinnig Verliebten. Sterbensmüd und verzweifelt, rettete sie sich zu einer Marienkäpelle an der Landstraße. Dort.warf sie sich vor der Jungfrau in die Knie, flehend, sie vor dem Ansturm des Mannes zmretten. Sie wurde erhört. Sie baute der himmlischen Mutter eine Dankkapelle, dazu Hütten in der Umgebung, in der sie bis zu ihrem seligen Ende alles Volk pflegte, das gemütskrank war. Zu der fürstlichen Irrenwärterin gesellten sich andere von gleicher Frömmigkeit und Geschicklichkeit, erfahren in der Kunst, kranke Seelen davor zu bewahren, daß sie in der Welt der Gesunden Schaden anrichteten. Seitdem vermehrte sich die Menge der treuen Menschenfreunde. Ganze Familien, schlichte Leute, Handwerker und Bauern, widmeten sich dem Dienst an den Wahnsinnigen. Die Kinder, die sie zeugten, wurden von Geschlecht zu Geschlecht in der nämlichen Wissenschaft und Kunst erzogen. Die kleine Siedlung wuchs zur Stadt der Wahnsinnigen. Von weit her wurden die Kranken dorthin gebracht. Sie lebten unter den Gesunden, als befänden sie sich nicht in einem vergitterten Siechenhaus, sondern in einem fried- lichen Bürgerheim.'Und.so war es auch. Sie aßen am Familientisch, zu Sauberkeit und Fleiß wurden sie angehalten. War in ihnen noch ein Körnchen Gesundheit, dann gedieh es unter der sorgsamen Pflege. Die» deren Geist nicht zur vollkommenen Zerstörung verurteilt war: gewannen die Selbstbeherrschung zurück. Selbst die offenbar Rettungslosen rafften sich noch eine Weile auf, weil sie getrieben vom unverwüstlichen Instinkt zum Guten, gleich gelehrigen Tieren, die Ordnung ihrer aufopfernden Wärter nachäfften. Im Hause des Zigarrenarbeiters Gooffens hatte der Lakai Verbekhoven Unterkunft gefunden. Er verriet nichts voU seinen Plänen. Was in seinem Inneren vorging, kein Sterbenswörtchen sollte davon über seine Lippen kommen. Er fühlte sich betrogen und genarrt. Sogar von seinem König. Und erst recht von seinem ganzen Volk.„So muß ich eben vollführen, was meine Sendung ist, aus eigener Kraft." Das sagte er sich. Aber er wüßte, daß sein Tag kommen würde. Er war gewiß, der Kaiser würde ihm nicht entschlüpfen, und er würde ihn treffen, so wie er es sich vorgenommen hatte. In einem Buch hatte er gelesen, daß der große Eroberer und Volksheld Oliver Cromwell niemals ein Ragout oder eine Pastete aß, um nicht durch verstecktes Gift getötet zu werden. Seitdem fürchtete Verbekhoven sich, daß ihm der König und das Volk mit ihm im Komplott durch Gift umbringen und so hindern würden, sein großes Werk zu vollenden. Seitdem hielt Verbeihoven stets Wacht, sobald Frau Gooffens bas Brot zu backen begann und Fleisch und Salat zu waschen. Da er sich still und ohne Aufsässigkeit benahm, die Wirtin lobte, sich sogar nützlich machte durch Kartoffelschälen und Rübenschaben, ließ man ihn in der Küche. So brachte Verbekhoven Spätwinter und Frühling hin. Er ging mit seiner Hausfamilie auf den Acher. Die Hausmutter türmte über seinem mächtigen Leib das hohe Federbett.„Bist Du zufrieden, Verbekhoven?" fragte sie ihn, wie man einen lieben Sohn befragt, der von einer weiten Reise heimgekehrt ist unb lange Ruhe und eine weiche Matratze braucht. „Danke, kleine Mutter," antwortete Verbekhoven, „es ist alles so hübsch hier, ich habe meiner Mathilde geschrieben, daß Ihr lauter Engel seid." Dann zog er die Uhr auf, die er auch zur Nacht um den Hals hängte, die goldene Uhr an der Haarkette, die war aus Haaren seiner Frau geflochten. Von zierlichen Goldschlangen wurde das Geflecht zusammengehalten. Das Berloque war ein in Silber gefaßter Zahn seines Sohnes Leopold. Selbst wenn es dunkel in dem Zimmer war, konnte Verbekhoven die Uhrzeiger ablesen. Er tat es oft in der Nacht, weil er doch nachsehen mußte, daß seine Tage weiter gingen, und daß niemand ihn daran hinderte, vorwärts zu denken, bis zu -er Stunde, da er den Kaiser zu treffen gedachte. „O, Du schlaue Frau Gooffens, dachte er,„Du bist auch im Komplott mit dem König. Aber ich bin schlauer als Du, Du hast gar nicht gemerkt, daß ich das Rattengift, das Du mir sicher in die. Meerrejtigsauce streuen wolltest, heimlich auf den Düngerhaufen geschüttet habe." Aber er sprach seine Entdeckung nicht laut aus, weil er schon längst herausgebracht hatte, wie leise Frau Gooffens schlief, wie sie beide Ohren durch die offene Tür selbst dann nach ihm spitzte, wenn sie tief schnarchte. In der Zeitung las Verbekhoven eine Nachricht, die ihn gewaltig aufregte. Der junge König hatte in seiner Hauptstadt eine Weltausstellung aufgebaut. Alle Völler der Erde hatten sich daran beteiligt und besonders das Volk des Kaisers. Es hatte eine ganze Stadt errichtet, ein Reich des Reichtums und des Glanzes, der Macht und der Schönheit, Maschinenhallen, in denen gezeigt wurde, was alles an Großem und Welteroberndem das Kaiserreich zu schaffen fähig war, an Musik und Malerei, an Spielzeugen, aber auch an Waffen und a« Transportmitteln. Im Hochsommer flammte die ganze Ausstellung auf. Das Kostbarste der Schauparade wurde zerstört. Aber ein Wunder geschah. An der Front des Palastes der Nationen hatte das Feuer vor der Fahne des Kaisers halt gemacht. Verkohlt waren alle übrigen Tücher der Hoheit, und in der Brise, die über die rauchenden Trümmer wehte, flatterte lustig allein das kaiserlicht Banner. Als Verbekhoven das las, konnte er nicht begreifen, daß Gott allein mit dem Kaiser gewesen war. Er folgerte daraus nur, daß er allein gegen den Kaiser sein müßte, um sein armes Volk zu retten. Aus Gram darüber, daß er den Kaiser nicht sofort treffen konnte, verfiel er in eine Gliederstarrheit, die ihn am ganze» Leib lähmte. Er verfluchte seinen Gott. Wollte er aufstehen, dann fiel er sofort wieder steif und starr auf das Bett zurück. Dottor Mattheus, der ihn besuchte, schüttelte mit dem Kopf. Er fühlte ihm den Puls.. Er horchte ihm die Brust ab. Verbekhoven wellte sichtlich dahin. Doch er war artig und fügsam. Er dankte für jede Freundlichkeit, die ihm angetan wurde. Nichts verlangte er als Zeitungen. Da niemand imstande war, in das Innerste seines Inneren hineinzuhorchen, so merkte niemand, wie Verbekhoven sich verstellte. Auf dem Bett des Kranken häuften sich Berge bedruckter Blätter. Er stöberte darin unermüdlich, bis er im Spätsommer las, daß der Kaiser selbst nach der Haupfftadt seines Königs kommen würde, um vor der ganzen Welt zu bezeugen, daß er der Mächtigste auf Erden wäre.(Fortsetzung folgt.)
Ausgabe
15 (9.11.1935) 261
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