IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TXGLICH FRÜH. REDAKTION UND VERWALTUNG FRAG XII., FOCHOVA«L TELEFON 0077. HERAUSGEBER« SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR « WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMIL STRAUSS , FRAG. (IntchlMlldi 5 H*H«r F*lM| 15 Jahrgang Dienstag, 26. November 1935 Nr. 275 Werte und Taten Sonntag hielten sowohl Starhemberg als auch SnidariL wieder große Bersöh- nungsreden, in denen sie die Arbeiter zur Mit­arbeit am Staate einluden und von der Liqui­dierung des Feber sprachen. Starhemberg verstieg sich soweit, die»Kämpfer in der Schutzbund-Uni­form" förmlich zu feiern. Auch sie hätten für die österreichische Idee gekämpft. Er drohte dann den Nazis für das Jahr 1936 mit großem Aufräu­men. Die Rede enthielt auch scharfe Wendungen gegen die Kapitalisten. Wir haben kürzlich auf die Hinter­gründe der neuen Politik Starhrmbergs hin­gewiesen. Sie sind vorwiegend finanzieller Natur. Mit den Taten des österreichischen Regimes stehen die schönen Worte übrigens dauernd in flagrantem Widerspruch. Das beweisen die fol­gende» Urteile von neuem. Schutzbundurtell nur unwesentlich gemildert Wien.(Tsch. P.-B.) Das Oberste Ge­richt hat die Nichtigkeitsbeschwerde des Staats­anwaltes im Prozesse gegen die Führer des Re­publikanischen Schutzbundes verworfen und das Strafausmaß beim Major im Ruhestande Eif­ler von 18 Jahren schweren Kerkers a» f 1 4 Jahre und beim Hauptmann Löw von 15 auf12 Jahre herabgesetzt. Das Urteil gegen die übrigen Angeklagten wurde bestätigt. * Klagenfurt.(Tsch. P.-B.) Nach mehrtägiger Verhandlung wurde Samstag abends im Hochverratsprozeß gegen 15 Kärntner Sozial- revolutionär«, welche die Gründung einer neuen sozialistischen Organisation versuchten und Pro- dagandaflugblätter und Zeitschriften verbreiteten, das Urteil gefällt. Die ehemaligen Führer der sozialdemokratischen Gewerkschaftsorganisationen Soffner, Arnold und K o m p o s ch erhiel­ten vier, bczw. drei Jahre schweren Kerkers. Schacht druckt Darre an die Wandl Berlin (F. K.) Die verfehlte Politik des Ernährungsministers Darri hat eine neue Macht st eigerung Schachts zur Folge gehabt. An Schacht werden seit Wochen und be­sonders im Augenblick, so erhebliche Devisenanjor- derungen für die Beschaffung von Nahrungsmit­teln im Auslande gestellt, daß er sie auch bei Be­nutzung der schwarzen Fonds unmöglich alle er­füllen kann. Zwischen Schacht und Darri ist es in der letzten Zeit zu beträchtlichen Differenzen gekommen und man behauptet in gut informierten Kreisen, daß es wieder einmal einU l t i m a- tum" Schachts gegeben habe. Er forderte in einer Kaüinettsbesprechung die Kontrolle des Er­nährungsministeriums durch einige von ihm zu bestimmende Vertrauensleute. Darri opponierte scharf, aber eS half ihm wenig. Nicht einmal die Feststellung der gewiß nicht zu bezweifelnden Tat­sache, daß er der einzige und letzte Minister ~ sei, der aus der Partei gekommen ist und der in wirtschaftlicher Hinsicht»och einigen Einfluß besitze. Es half ihm auch die Drohung nichts: Was wohl die Parteigenossen zu einer solchen Kon­trolle seines Ministeriums sagen würden, die'ohne- hin schon wütend über die Vormachtstellung deS Großkapitals in der Regierung seien. Ob es Schacht gelingen wird, die von ihm im Ernäh­rungsministerium angestrebte einflußreiche und kontrollierende Stellung zu erhalten, scheint bei dem Widerstand der Partei-Nazis und bei der unbestimmten Haltung Hitlers noch zweifelhaft zu sein. Praktisch freilich übt Schacht eine Diktatur über Darrs schon setzt aus. Sest rund zwei Wochen sitzen seine Beauftragten in Darris Amt und prüfen dort, wie weit die Führung des Ernäh­rungsministeriums. und der Minister über die wirklichen Verhältnisse in der Landwirtschaft i nd der Ernährnngswirtschaft informiert sind. Das bisher vorliegende Urteil soll vernichtend sein. Man behauptet, daß 4 0 0 M i l l i o n e n M a r k notwendig sind,»m die Ernährung des Vol­kes im Winter und Frühjahr einigermaßen sicher- zustellen. Wenn auch eine offene Diktatur von Schacht über Darr« vermieden werden sollte, weil Darrs sonst zurücktreten würde, so bat die Lebens» Mittelnot doch Darrs praktisch dem Beherrscher der deutschen Devisenbestände Schacht unterstellt. Um die Naphtha-Sanktion Amerika fUr Verschärfung Laval bremst schon wieder Sitzung verschoben Genf . Der Vorsitzende der Sanktionskon­ferenz, der portugiesische Gesandte Baseon- e e l l o s, beschloß, die Sitzung des Achtzrhner- ausschusses, der am 29. November zusammentre­ten sollte, zu verschieben. Es geschah dies auf das ausdrückliche Ersuchen Lavals, der bei den weitere« Verhandlungen über die Sanktionen persönlich anwesend sein will und der aus innerpolitischen Rücksichten die­ser Tage von Paris nicht abkommen kann. Im Zusammenhang mit dieser Entschließung wird auch eine Verschiebung der Arbeiten der anderen Ausschüsse der Sanktionskonferrnz in Erwägung gezogen. An amtlichen Stellen in Genf wird ver­sichert, daß die Verschiebung keine politische Ursache hat. Tatsache ist jedoch, daß sich die wie­derholten Unterredungen Lavals mit dem italie­nischen und englischen Botschafter in den letzten Tagen mit dieser Verschiebung befaßten. Die Sit­zung des KoordinationsausschuffrS hätte sich nämlich über weitere Sanktionsmaßnahmen und insbesondere über dieEinführungdeS Embargos ans Petroleum äußern sol­len. Laval ist aber der Ansicht, daß eine Ver­schärfung der Sanktionen gegen Italien d i e politische Spannung verschlim­mern würde,«nd strebt neue Brrföhnungsver- handlungen mit Italien an. Einige Genfer Korrespondenten kündigen an, daß Italien mit dem Austritte aus dem Bölkerb u nde antworten würde» wen« die Sanktionen gegenwärtig verschärft und inS- besonders ein Embargo auf die Einführung von Petroleum geschaffen würde. Paris . Die französischen.Blätter befassen sich mit Gefühlen der Besorgnis mit den Aus­sichten des vorgesehenen Embargos auf Naphtha für Italien . Dieses Verbot der Naphthaeinfuhr, schreiben die Blätter, werde kein anderes Ergeb­nis haben, als daß es Italien in Ver­zweiflung bringt, das so einen der wich­tigsten Faktoren seiner Aktion verliere wird, und werde die Hoffnung auf ein mögliches Einverneh­men in weite Ferne rücken. Auch Baumwolle? Washington. Staatssekretär Hüll deutete an, daß zu den bisherigen Produkten, die aus dem Titel.der Sanktionen nicht nach Italien aus­geführt werden dürfen, d. s. Naphtha, Kupfer, Stahl und Eisen, wahrscheinlich auch Baum­wolle hinzukommen wird. In der letzten Zeit ist nämlich eine große Zunahme der Lieferungen von Rohbaumwolle nach Italien zu beobachten. Als weitere Maßnahme hat das Schiffahrts­amt den Verkauf von alten amerikanischen Schif­fen für Berschrottungszwecke nach Italien verboten. na Japans Vorstoß In China Ausrufung des Staates Nordchina Peiping. Wie die Agentur Rengo m eldet, proklamierte der Generaladministrator der demilitarisierten Zone in Rordchina, I in j uken, die Unabhängigkeit dieser Zone. Die neue Regierung nennt sich autonomer antikommunistischer Ausschuß für Tschitung(das öst­liche Hopei). Tie neue Regierung hat von der Stadt Tungtschau aus ein Rundtelegramm an die Häupter der fünf Nordprovinzen gesandt/in dem sie diese unter scharfen Angriffen auf die Nanking-Regierung«nd die Koumintang auffordrrt, an der neuen Unabhängigkeitsbewegung teilzunehmen. Das Ziel einer völligenTrennung von Nanking wird nunmehr offen zugegeben. Die Bewegung stützt sich vornehmlich aus zwei Organisationen, die ihren Sitz in der japanischen Konzession in Tient­ sin haben. Bei der einen handelt es sich um die von dem Japaner Kojischo organisierte Friedensgesellschaft", bei der zweiten um die Vereinigung zur Beschleunigung der Volfs- autonomie für Nordchina". BeideOrga« nisationen stehen den japani­schen Trupven sehr nahe. Chinesisches Militär unterwegs Der Oberstkommandierende des Militär­bezirks Peiping- Tientsin, General S u n g- tscheyuan, hat, wie die AgenturRengo" meldet, sofort nach der Erklärung der Selbstän­digkeit von Lst-Hopei drei Kompagnien Infanterie nach Tungtschau, der Haupt­stadt des abgefallenen Gebiets, gesandt. Japan protestiert Di« japanischen Militärbehörden haben ge­gen diese Maßnahme unter Berufung auf den Waffenstillstand von Tangku, durch welchen den chinesischen Truppen das Betreten der entnnlita- risierten Zone untersagt wurde, Protest ein­gelegt. Auch Tientsin besetzt Einer japanischen Meldung zufolge haben Anhänger der nordchinesischen Selbständigkeitsbe­wegung auch in Tientsin eine Anzahl wih- tiger Gebäude in Besitz genommen. Am Montag früh bemächtigten sie sich, offenbar auf Grund eines verabredeten Planes, der Gemeindebüros und des Polizeipräsidiums in der Ehinesenstadt sowie der Büros der Peking -Mnkden-Eisenbahn. In Tientsin ist am Sonntag der Belagerungszu­stand erklärt worden. Bilanz des Dritten Reiches Der.Manchester Guardian" zieht fol­gende Bilanz der Leistungen des Dritten Reiches :".'- Wenn wir versuchen, zu entdecken, was die Nazis eigentlich geschaffen haben, können, wir nichts ermitteln, was positiven Wert hätte. Sie behaupten, Deutschlands Einheit geschaffen zu haben; sie war bereits geschaffen worden. Soweit die Nazis eine neueEinheit" geschaffen haben, gründet sie sich auf ihken Terror." Sie behaupten, dem Parteisystem ein Ende bereitet zu haben, aber sie haben die absolute Herrschaft einer Par­tei errychtet. Sie behaupten, das'Verbrechen zu­rückgedrängt zu haben, aber sie. haben ihre eige­nen Reihen mit denen angefüllt, deren Verbrechen, nachdem sie begangen tvaren, legalisiert wurde». Sie verkündeten öffentlich ihren Haß gegen hu­mane Gefühle, und hier sind ihre Behauptungen einmal wirklich begründet. Ihre polittsche Justiz ist eine Art organisierte Lynch-Gesetzlichkeit ge­worden und jeder einzelne der großen Fortschritte, die in der Republik im Gefängniswesen und in der Behandlung der Angeklagten erreicht worden waren, ist von ihnen zertrümmert worden. An wirtschaftlichem Aufschwung hat die Nazi-Revo­lution nichts gebracht. Seit Jahren waren di« Preise nicht so hoch, die Löhne nicht so niedrig und die Nahrungsmittel nicht so beschränkt, wie jetzt. Aber einen Erfolg haben die Nazis: sie haben Deutschland wieder ausgerüstet, lind dcks ist ein schwarzer Zukunftsausblick für ganz Europa . Denn immer ist nötig, sich die Umrisse der Zu­kunft dadurch vor Augen zu halten, daß man sich daran erinnert, wie die Nazis im Innern Deutsch­ lands herrschen, wo sie tun können, was sie wollen; sich vor Augen zu haltens wie sie das eigene Volk behandeln, wie sie selbst die Harm­losesten und Hilflosesten behandeln und wie sie ganz Deutschland zu ihrem Instrument gemacht haben. DloAadc ohne Krieg Dank der Wirtschaftsführung, wie sie sich unter dem braunen Regime teilsprogramm­mäßig", teils zwangsläufig entwickelt hat, sieht sich Deutschland in eine Situation hineingewirt- schastet, die seiner Lage unter der Blockade wäh­rend des Weltkrieges verzweifelt ähnelt. Die Lebensmittelknappheit hat längst auf­gehört, einevorübergehende Erscheinung" zu sein. Sie ist eine dauernde Not geworden mit der Tendenz zu wachsender Verschärfung. Ganz ähnlich wie während des Krieges sieht sich jetzt das Regime zu Rationalisierungsmatznahmen gezwungen. Wenn die Zahl der Schweineschlach­tungen durch behördliche Vorschriften auf 80, dann auf 70 Prozent herabgesetzt wird, in der Praxis aber noch weit darunter sinkt, wenn die Schlagsahneerzeugung um 40 Prozent gedrosselt, die Herstellung von Sahneschokolade überhaupt verboten, die Erzeugung von kondensierter Milch eingeschränkt wird, wenn der Verbraucher wegen eines achtel Kilos Butter stundenlangSchlange­stehen" muß und er dann gar noch leer ausgeht, wenn er wochenlang kein Scheibchen Speck erhält, wenn er dafür aber in der Zeitung liest, daß die Marmeladeverbilligungangestrebt" wird so weiß der Verbraucher, was es geschlagen hat. S o vergessen ist die Kriegszeit noch nicht, daß man nicht mehr wüßte, was eineButter-Schlange" zu bedeuten hat. Und wenn auch der Verbraucher vorläufig noch vor den bunten Lebensmittelkarten offiziell verschont bleibt, so bekommt er doch die Wirkungen der Rationierung schon deutlich genug zu spüren. Wenn beispielsweise in der Butter­versorgung die Belieferung der Kleinhändler durch die Großhändler und Molkereien auf höhe­res Gebot derart gedrosselt wird, daß der Klein­händler sich gezwungen sieht, den Verkauf der viel zu knappen Butterlieferungen an seine Stammkundschaft durch Kundenlisten, durch Aus­weise mit dem Firmenstempel, durch ein vielge­staltiges und recht willkürliches privates Karten« und Markensystem zu regeln, so ist das eher noch schlimmer als eine allgemeine und öffentliche Verteilung von Butterkarten, weil auf diesem Wege der Unbemitteltere, der nicht zahlungs­fähiger Stammkunde eines bestimmten Geschäfts sein kann, überhaupt keine Butter bekommt. Aehnlich ist es aber auch bei anderen Lebensmit­teln. In den Großstädten können die Verbraucher oftwochenlangkeinenSpeckbekom« men. Aus sächsischen Städten erfährt man, daß sogar minderwertiges, stark mit Talg durchsetz­tes Fett nur viertelpfundweise an Stammkunden abgegeben wird./ Aehnliche Berichte kommen aus Schlesien , aus dem Rheinland , aus Norddeutschland. Sogar in Bayern herrscht fühlbarer Mangel an But­ter, Butterschmalz, Eiern, Schweinefleisch und auch an Seife; in einzelnen bayri­schen Gebieten geben die Bäue­rinnen ihre Erzeugnisse be­reits lieber für Seife als für Geld h e r. In Berlin differierte nach den offiziellen Marktberichten der tägliche Schweineauftrieb zwischen 15.816 Stück im Juli und 2123 Stück im Oktober dieses Jahres. Hamburg verzeichnet Schwankungen von 1006 Stück auf 157 Stück binnen vier Oktobertagen. In. Kiel betrug eben­falls nach offiziellen Berichten der Schweineauf­trieb am 8. April d. I. 1303 Stück, am 2. Ok­tober aber nur 19 Stück I Solange nicht das Regime sich zu einer radikalen Rationierung entschließt vor der es aber wegen ihrer Unpopularität noch zurück­schreckt, Hilst sich jeder, so gut oder so schlecht er kann. Es gibt in Deutschland wie­der Ham st er« r, Schleichhändler und Wucherer wie im Kriege. Die Groß­städter fahren wieder Sonntags aufs Land und kaufen, was sie ergattern können wie im Kriege. Nicht viel besser als auf dem Lebensmittel« markte liegen die Verhältnisse in der Rohstoff­versorgung. Es erinnert schon recht sehr an die Ersatzwirffchaft der Kriegszeit, wenn die Landes« bauernämter von Schleswig-Holstein , Pommern und Brandenburg in jüngster Zeit angeordnet haben, daß alle Schilfkolben für die Baumwoll« und Kunstseidenindustrie und als Polstermaterial gesammelt werden müssen. Vor einem Jahre wurde auf allen Bauerntagungen zurErzeu« gungsschlacht" im Flachsbau aufgerufen. Vom Rohstoffmangel mancherlei Art wird auch die deutsche Rüstungsindustrie betroffen. Darauf wie auch auf zunehmende FinanzKrungs-,