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Freitag, 13. Dezember 1935

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tfudetendeutscfier Zeitspie&et Die Demokratie für die Arbeitfloten Die Hilfsaktion In diesem Winter

Eine von der tschechischen Sozialdemokratie herausgegebene Korrespondenz enthält eine Zu- sammenfassung der für die Arbeitslosen getrof­fenen staatlichen Maßnahmen abgesehen von 1,. der Arbeitslosenunterstützung für organisierte Gewerkschafter(Genter System). Daraus wird ersichtlich, in welch umfassender Weise für die Opfer der Krise gesorgt wird. Die staatliche Berköstigyngsaktion für Ar­beitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosen­unterstützung nach dem sogenannten Genter System haben, wird so wie bisher durchgeführt werden, d. h. alle Arbeitslosen erhalten eine Zu­teilung aus dem Fonds der staatlichen Verkösti­gungsaktion, und zwar Familienernährer im Werte von 20 Xc, Ledige 10 wöchentlich. Die Milchaktion für Kinder der Arbeits­losen und kurzarbeitenden Familienväter wird sich auf Kinder bis zu 14 Jahren beziehen, und zwar per einen halben Liter Milch täglich. Die Milch erhalten die Kinder der Arbeitslosen ohne Rücksicht darauf, ob der Ernährer irgendeine Ar­beitslosenunterstützung erhält oder nicht. Die Brotaktion wird in den Bezirken mit der größten Anzahl der Arbeitslosen durchgeführt werden. Personen, die in diesen Bezirken in die staatliche Aussveiseaktion eingereiht sind, erhalten soweit sie Familienväter sind, wöchentlich zwei Laib Brot zu 1 Kilogramm, Ledige einen Laib. Alle diese drei Arten von Hilfsaktionen werden ununterbrochen und regelmäßig ohne Beschrän­kung durchgeführt. Die Kohlenzuteilung wird arbeitslosen und kurzarbeitenden Familienvätern als einmalige Winteraushilfe gewährt werden. Für die bedürf­tigsten Arbeitslosen wurden 1900 Waggons Kohle gewonnen, die in der nächsten Zeit zugeteilt wer­den sollen. Ein Weihnachtsveitrag für die von der Not besonders betroffenen Personen und Kinder wurde im Umfange von 8,000.000 XL, und zwar in dem Ausmaße, daß Familienvätern mit ein oder zwei Kindern Ausspeiseanweisungen im Betrage von

Hydra gegen den Antisemitismus Ministerpräsident Dr. H o d Z a empfing Donnerstag die Abgeordneten Dr. Goldstein und Dr. Kugel als Vertreter der Jüdischen Partei, um ihre Versicherung entgegenzunehmen, daß die Partei zu loyaler Mitarbeit an der Kon­solidierung des öffentlichen Lebens im Staate entschlossen ist. Der Ministerpräsident antwortete dahin, er lehne d e n R a s s e n a n t i s e m i t i s- mus ab und stehe auf dem Standpunkt der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, was aus der Demokratie und dem strikten Einhalten der Minderheitenrechte als Konsequenz des freisin­nigen Geistes der tschechoslowakischen Nation und der internationalen Rechtsverpflichtungen resul­tiere.

Oskar Wilde und der Sozialismus ».... Heute ist ein einzelner Mensch Eigen­tümer einer Maschine,'die die Arbeit von 500 Menschen tut. 500 Menschen/ sind infolgedessen beschäftigungslos, und da man ihre Arbeit nicht braucht, sind sie dem Hunger preisgegeben. Wäre jedoch diese Maschine das Eigentum aller, so hätte jedermann Nutzen davon. Jetzt verdrängt die Maschine den Menschen. Unter richtigen Umstän­den wird sie ihm dienen." Diese Sätze aus dem Beginn des Maschi- Uen-Zeitalters stammen nicht aus den Betrach­tungen eines Theoretikers der Wirtschaft, auch uicht aus dem Buch eines Vorkämpfers für den Sozialismus, sondern aus der Feder des Dich­ters Oskar Wilde , der durch seine Lustspiele, den RomanDas Bildnis des Dorian Grey" und »Salome" weltberühmt geworden ist. Aber der Dichter, der in England jahrelang den größten Erfolg hatte, bis er das Opfer eines Skandal­prozesses wurde, hatte eine andere, ernstere Seite, die ihn ebenfalls zur literarischen Auseinander­setzung mit der Wirklichkeit zwang. Er hat einen schönen EssayDie Seele des Menschen im So­zialismus" geschrieben, dem die vorstehenden Sätze entnommen fiyd und in dem er als einer der ersten Schriftsteller seiner Zeit versucht, die neuen Wirtschaftlichen Reformen» die ein neues 8eitalte?uns bringen muß, mit dem Glücklich­ster des einzelnen, mit der Seele des Indivi­duums in Einklang zu bringen. Oskar Wilde sagt in diesem Essay:Die tvahre Vollkommenheit des Menschen liegt nicht in dem, was er hat, sondern in dem, was er ist," Und ferner:Es ist unsittlich, das Privateigen- tum dazu zu benutzen, die furchtbarem Uebel nur dorübergehend zu lindern, die eben jenes Privat- eigentum erst erzeugt hat."

20 XL, für drei Kinder 30 XL und für vier oder mehr Kinder 40 XL zugeteilt werden. Bekleidungsaktion. Für die Bekleidung von Kindern arbeitsloser Eltern wurde für den Win­ter der Betrag von 3,000.000 XL bewilligt. Die staatliche Ausspeiseaktion für Kinder im Winter. Als außerordentliche Zuteilung für be­sonders beachtenswerte Fälle wurden im ganzen 3,000.000 XL gewährt. Ein außerordentlicher Beitrag im Betrage von 5,000.000 XL für die s o z i a I e F ü r- sorge jener Gemeind en, wo die regel­mäßige Dotation infolge der besonderen Berhält- nisse und der außerordentlich großen Anzahl der Arbeitslosen nicht genügt, wird in den ärgsten Wintermonaten außer den angeführten, regel­mäßigen Unterstützungen ausgezahlt werden. Die Roternährungsaktion der Winterhilfe wurde Heuer besonders erweitert. Außer der Kar­toffelaktion im Herbst wird noch eine Reihe wich­tiger Lebensbedürfnisse zugeteilt werden. Die Regierung bewilligte zu diesem Zwecke einen Be­trag von 54,000.000 XL. Arbeitslose in den am meisten betroffenen Gebieten, soweit sie in die staatliche Ausspeiseaktion eingereiht sind, ferner jugendliche Personen von 16 Jahren an, sofern i r der Familie der Ernährer nicht ständig beschäf­tigt ist und Arbeitslose, die zwar die Unterstützung nach dem Genter System erhalten, wo jedoch der Staatsbeitrag nicht höher als die Zuteilung der Ausspeiseaktion ist, ferner Saisonarbeiter, soweii sie nicht mehr als drei Monate ununterbrochen gearbeitet haben, erhalten Lebensmittel wie folgt zugeteiü: a) Fett: Familienväter 1 Kilo, Ledige ein halbes Kilo monatlich, b) Mehl: Familien­väter 10 Kilo, Ledige 5 Kilo einmal, c) Zucker: Familienväter 3 Kilo, Ledige 2 Kilo einmal, d) Graupen: Familienväter 5 Kilo, Ledige 3 Kilo, e) Malzkaffee: Familienväter 2 Kilo, Ledige 1 Kilo. Kartoffelzuteilungen werden, neben den be­reits verteilten Mengen, wahrscheinlich wieder­holt werden, so daß die Lebensmittelnotaktion eine ausgiebige Hilfe wenigstens in der ärgsten Not bedeuten wird.

versardelterdedatte Im englischen Unterhaus Im englischen Parlament fand Mittwoch eine Aussprache über den drohenden Bergarbei­terstreik statt, in der es zu scharfen Auseinander- setzuygen kam. Im Unterhaus brachte das Oppo­sitionsmitglied W a t k i n s einen Antrag ein, in dem das Unterhaus zu der Erklärung aufgefor­dert wurde,daß die englischen Bergarbeiter zu ihrer Forderung nach einer sofortigen allgemei­nen Lohnerhöhung berechtigt seien". Der Antrag wurde mit 179 gegen 157 Stimmen ab­gelehnt. Im Oberhaus richtete Lordsiegelbe­wahrer Londonderry, selbst großer Berg­werksbesitzer, eine Mahnung an die Kohlenver­braucher und die Kohlenhandelsfirmen, sich für die Erzielung eines angemessenen Lohnes für die Bergarbeiter, zu dem diese berechtigt seien, ein­zusetzen.

Man versteht nach diesen Sätzen, warum die englische Gesellschaft, deren Liebling Wilde eine Zeitlang gewesen war, so plötzlich von dem Manne äbrückte, der ihrem Snobbismus und ihrer heuch­lerischen Wohltätigkeit so furchtbare Wahrheiten entgegenschleuderte. Seine Zeitgenossen versuch­ten, ihn ganz zum mondänen Lustspieldichter, zum Verfasser unzähliger, gewiß geistreicher und paradoxer Aphorismen zu stempeln, um dadurch die ihnen unangenehmen Klänge zum Schweigen zu bringen. Aber unsere Zeit, die daran krankt, daß manche Prophezeiungen Wildes trotz seiner Warnungen in Erfüllung gegangen sind, sollte sich des unbekannten Oskar Wilde erinnern, der sein Bekenntnis zur Menschheit gegen seine Klasse und gegen seine Zett in diesem schönen Essay nie­dergelegt hat. Denn Oskar Wildes Bekenntnis zum So­zialismus ist nicht etwa wie man vielleicht nach dem Wild, das man uns von dem erfolgrei­chen Lustspieldichter gemacht hat, annehmen könnte das Werk einer zufälligen Begegnung, einer Laune, sondern es kommt aus der tiefen Verwurzelung mtt den Leiden des Volkes. Oskar Wilde war Irländer, und seine Mutter, die unter dem Namen Speranza(die Hoffnung) revolu­tionäre Schriften verfaßte, erzog ihren Sohn in der Atmosphäre des irischen Freiheitskampfes. Dieser Freiheitskampf der Iren war aber, sett- dem durch die Emanzipation der Katholiken das religiöse Moment fortgefallen war, weniger ein nationaler als ein sozialer Kampf. Die Irländer empörten sich nicht nur gegen die fremde Regie­rung in ihrem Lande, sondern vor allem gegen die wirtschaftliche Bevorzugung der Produkte des industriellen England, das jahrhundertelang das irische Handwerk zugunsten der englischen Fabrik­ware ruiniert hatte. Die Bauern hatten ihre ein­zige Kuh oft nur zu dem Zweck, die Steuern an England zu bezahlen, die willkürlich und unge­recht hoch waren. Das war die Atmosphäre, in der der junge Wilde aufwuchs.

Durch Betriebsstillegung ein Mlllionenvermösen So unwahrscheinlich die Ueberschrist llingt, sie beschreibt doch nur einen wirllichen Vorgang. Als vor Monaten nach einem heftigen Abwehr­kampf der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften die Spiegelglasfabrik in Holleischen stillgelegt wurde, verloren Hunderte von Arbeiterfamilien ihre Exi­stenzgrundlage. Nur ein Keiner Teil der früheren Arbeiter und Angestellten konnte wieder in Be­schäftigung gerächt werden, die übrigen sind ar­beitslos geblieben und die geringe Abfindung kann sie nicht vor der Verelendung retten. Aber da ist einer, der dem Arbeiterkampf gegen die Betriebsstillegung mit mißvergnügtem Gesicht zugesehen hat. Er früher einmal Direktor in der Spiegelglasfabrik, ging dann aber als Direkwr zu einer großen Glashandelsfirma. Den­noch ließ er sich von der Holleischener Fabrtt jährlich 75.000 Kronen Pension zahlen. Da er in seiner jetzigen Direktorstelle sicher weit über 100.000 Kronen jährlich Gehalt hat und außer­dem noch belgischer Honorarkonsul ist, verfügt der Mann über ein na sagen wir gräfliches Einkommen I Dennoch war er nicht zufrieden. Er wollte, wenn es ginge, mit einem Schlage ein neues Millionenvermögen erwerben. Er hatte seinen Vertrag mit der Spiegelglasfabrik Holleischen, und da stand drin, daß ihm im Falle der Liqui- datton des Unternehmens eine angemessene Abfin­dungssumme auszuzahlen sei. Herr Konstantin Pierre, so heißt der Direktor, fand 980.000 XL für angemessen, Kagte auf die Zahlung dieser Summe beim Prager Arbeitsgericht und erhielt sie zugesprochen! So ist der Herr Direktor durch die Betriebs­stillegung»die für die Arbeiter die Vernichtung ihrer Existenz zur Folge hatte, plötzlich zu einem neuen Millionenvermögen gekommen. So gibt es wenigstens einen, für den sich die Betriebsstille­gung gelohnt hat.

Von den Kämpfen in China Bei Tsingtau hatten sich Anhänger der nord­chinesischen Autonomiebewegung erhoben. Der Gouverneur der Provinz Schantung meldet jetzt der Zentralregierung, daß es ihm gelungen ist, nach zweitägigen Kämpfen die Bewegung zu un­terdrücken. Die Führer der Bewegung seien hin­gerichtet. 250 Teilnehmer der Revoüe seien ge­fangen genommen worden.

Außerdem wurden gerade in jener Zeit die alten, sogenanntenBreha-Tafeln" ausgegra­ben, auf denen die Gesetze Irlands in vorgeschicht­licher Zeit ausgezeichnet waren. Diese Breha-Ge- setze, mehr als dreitausend Jahre all, zeigten, daß schon damals in Irland eine Regelung in Kraft gewesen war, die allen Arbettern ein Anrecht am Ertrag ihrer Arbeit sicherte und das Land für alle Zeiten unter die Einheimischen aufgetellt hatte. Nur mit großer Mühe war es gelungen, diese vorgeschichtlichen Gesetzestafeln zu entziffern, denn die Inschriften waren nicht in jener gäli­schen Sprache gehalten, die heute eine nationali­stische Regierung alsUrsprache" an die Stelle des Englischen gesetzt hat, sondern in einer noch viel älteren, verschollenen Sprache, und nur durch gälische Randbemerkungen konnte man Rückschlüsse ziehen. Diese Entdeckung mußte den jungen Wilde, wie alle seine Landsleute, aufrütteln, besonders wenn man diese vorgeschichtliche Wirtschaftsform mit dem Hochkapitalismus des 19. Jahrhunderts verglich, wie ihn die Engländer in Irland einge­führt hatten. Und dies Bestreben, das Los des Volkes zu ändern, hat er in seinem ganzen spä­teren Leben nicht verleugnet. Mehr als einmal hat man das puritanische Empfinden des englischen Volkes als Vorivand benutzt, um unbequeme irländische Rebellen ins Gefängnis zu werfen, und man darf wohl anneh­men, daß die politischen Ansichten Wildes der Gesellschaft gefährlich vorkamen, da sie ihren ge­feierten Liebling so plötzlich fallen ließ. Am 30.^November waren 35 Jahre vergan­gen, seitdem Oskar Wilde einsam in der Pariser Verbannung starb. Seit kurzer Zeit werden seine' Lustspiele in England wieder aufgeführt. Man hat ihm also verziehen. Was man ihm aber nicht verziehen hat, ist sein Bekenntnis zum Sozialis­mus, und man hat dies wichttge Werk totzu- schloeigen versucht. Leider nicht ohne Erfolg! K. R-

Bank an den Chefredakteur Heute scheidet unser Chefredakteur, Genosse Wilhelm Nießner, aus unserer Mitte in den Ruhestand als Journalist. Es ist nicht unseres Amtes, an dieser Stelle zu bescheinigen, was Genosse Nießner(der inner­halb und außerhalb des Parlaments für die Be­wegung tätig bleibt und dies hoffentlich noch recht lange) in mehr als vier Jahrzehnten journalisti­scher Arbeit für die Partei geleistet hat. Wohl aber ist es uns Herzenspflicht, dem Kollegen Nießner, der die nahezu fünfzehn Jahre seit der

Gründung desSozialdemokrat" an dessen Spitze stand, auch öffentlichen Dank für all das zu sagen, was er uns, in diesem engeren Wirkungsbereich, gegeben und gelehrt hat. Wir brauchen darüber schon deshalb nicht allzuviele Worte zu machen, weil wir uns dazu vor unlanger Zeit, als Nießner seinen sechzigsten Geburtstag beging, geäußert haben. Und es ist also heute, da Nießner zum letzten Male redak­tionsdienstlich in denSozialdemokrat" kommt, vor allem eines zu wiederholen: Nießner ist der charakterfesteste, ruhigste und vornehmste Kollege, den je eine Redaktion als ihren ersten Mann sich .wünschen konnte. Die prachtvolle Noblesse seines Wesens und die immense menschliche, politische und journalistische Erfahrung seines Lebens waren in den einundeinhalb Jahrzehnten unseres Zen­tralorgans dessen Grundakkord, das sichere Fun­dament, auf dem wir unfern Teil für die. Ge­samtausgabe des sudetendeurschen sozialistischen Proletariats beizusteuern versuchten. Von Nießner haben wir gelernt, Aufwallungen des Gefühls, des journalisttschen Temperaments unter allen Umständen immer erst vom Verstand, von ruhiger Erwägung kontrollieren zu lassen, vor der Be­urteilung alles Geschehens und seiner journalisti­schen Darstellung stets erst rückwärts und vorwärts zu blicken, nötigenfalls auf Kosten der Fixigkeit oder der Erstmaligkeit, geschweige denn einer be­stechenden Pointe, sachlich zu bleiben, dem Geg­ner, wo immer es nur ging, menschlich, persönlich nicht nahezutreten und selbst im erbitter.sten Kampf der Würde nicht zu vergessen. Und um so selbswerständlicher war esunter" Nießner, daß seine Persönlichkeit innerhalb des Redaktionskreises eine Sphäre des Höchstmaßes von Kollegialität und Ausgeglichenheitizu schaf­fen wußte. Nicht etwa, daß da die Temperamente verkümmerten. Nein, Nießner selber ließ, so wie zuweilen auf der Rednertribüne, so auch oom Stuhl des leitenden Redakteurs aus, sein Tem­perament, seinen Willen, seine Energie frei spie­len, wenn es ihm notwendig erschien. Und datum verstand er es auch, wenn einmal ein anderes Temperament sich kräftig regte. Aber nur ganz selten ging es unter Nießner in der Redaktion laut" zu; ganz selten; und niemals, sellsst wenn die Meinungen gegeneinander platzten, anders, als unter ernsten Männern, die sich durch Nuancen in der Urteilsbildung nie auch nur zwei Schritte von einander entfernen. Selbstbeherrschung lern­ten wir Jüngeren von Nießner, und die Kunst, in sich und um sich immer wieder Ausgleich zu schaffen. Wenn man auf irgendeinen in unserer Ar­beiterbewegung führenden Menschen die Bezeichn nungGentleman" anwenden darf, dann auf Nießner. Er war es, was insbesondere das Funktionieren seiner verantwortlichen Stellung nach außen hin anlangt, bis zur letzten Konse­quenz. In den fünfzehn Jahren der Tätigkeit, die er nun aus gesundheitlichen Rücksichten auf­geben muß, gab es nicht einen einzigen Fall, in dem er die Gesamtkollegenschaft wie den einzelnen als Charakter enttäuscht hätte, wenn es um Soli­darität ging. Sozialistischen Korps­geist könnte man. nennen, was Nießner in dieser Hinsicht der Redaktion hinterläßt. Und deshalb sehen wir bewegten Herzens ihn scheiden. Einfach, ohne Grund und ohne Mög­lichkeit der Uebertreibung denn Persönlichkeits­kult hat bei uns keine Stätte sprechen wir die- en Abschiedsgrutz so aus, wie wir ihn empfinden. Daß wir ihn nicht ve'geffen werden, ist kein«