Seite 2
Mittwoch, 18. Dezember 1935
-kr. 294
Daß aber auch ein so wenig glanzvolles Amt wie das eines Präsidenten der Französischen Republik Bedeutung erlangen kann, erwies sich in verhängnisvoller Weise 1913, als durch eine taktische Ünklugheit der grundsatzstarren Linken Poincäre statt des friedlich gesinnten P ams gewählt wurde. Poincäre hat nichts versäumt, um seine Präsidentschaft mit der blutigen Gloriole des Krieges zu zieren. Mer welche Macht immer man dem Präsidenten einräumte, ob man sich bei seiner Wahl an die st a r k e n Männer oder an reine Repräsentationsfiguren hielt»immer hat es sich als nötig und richtig erwiesen- ein politisches Amt einem politisch erfahrene.. Menschen anzuvertrauen. Die Deutsche Republik, die von diesem Brauch 1925 abwich, weil die Nation sich für den plebiszitären Gedanken der Weimarer Verfassung nicht reif erwies, hat den Fehltritt mit ihrer Existenz bezahlt. Der Präsident eines Staates kann kein bloßer Außenseiter der Politik sein, wenn er nicht zur Puppe in den Händen einer Kainarilla werden will. Er muß politische Erfahrung, ein volitisches Urteil, er muß unter Umständen das Geschick zur Lösung verworrener politischer Verhältnisse besitzen. Die Tschechoslowakei war 1918 in der glücklichen Lage, in Präsidenten M a s a r y k e in e Persönlichkeit zu besitzen, die wie keine zweite geeignet war, als Staatsoberhaupt einesdemokratischen Staates zu fungieren. Die dreimalige Wiederwahl bestätigte die Einsicht der Nation, für die Masarhk der Präsident schlechthin war. In ihm vereinigte sich die sittlich und geistig große Persönlichkeit mit dem politisch erfahrenen staatsklugen Manne, er war gleichermaßen R e p r ä s en tant der Ngtion, den die ganze Welt kannte, wie er der Nation wiederum di? Kenntnis der Welt, der großen Nachbarvölker und ihrer Kulturen vermitteln konnte. So gab es, solange Masaryk bereit war, an der Spitze des Staates zu verbleiben» keine Präsidentenfrage. Präsident Masaryk hat, als er sein Amt in die Hände des Ministerpräsidenten zurücklegte, seinen Schüler und Mitkämpfer Dr. B e* ne» als seinen Nachfolger empfoh- l e n. Auch diese Empfehlung, so unvorstellbar sie in. einer Republik wie Frankreich wäre, wirkt in unseren Berhältttiflen und aus dem Munde des Präsidenten-Befreiers als organischer Abschluß seiner großen Laufbahn. Das Volk hätte es nicht verstanden, wenn der zurücktretende Präsident
La alle Kolporteure und Abonnenten! Anläßlich der Weihnachtsfeiertage wird unser Blatt früher gedruckt, so daß die Nummer vom Mittwoch, de« 25. Dezember, bereits um acht Ahr früh in allen Orten ist. Die Donnerstagnummer vom 26. Dezember und die Freitagausgabe vom 27. Dezember entfältt, so daß die nächste Ausgabe erst am Samstag, dem 28. Dezember erscheint.
über dies« Schicksalsfrage geschwiegen hätte. Ein Mann von der unbestrsttenen Autorität Masaryks mußte sprechen, sein Schweigen wäre die Verweigerung eines Rates gewesen, auf den das Volk ein Recht zu haben meinte. In der Empfehlung Dr. Benes' aber trifft sich wieder in einzigartiger Weise das Urteil des Befreiers der Nation mit dem aller Kreise, die an der Tradition festhalten wollen, die mit der Präsidentschaft Masaryks begann. So kurz der Zeitraum von 17 Jahren für die Geschichte von Staaten und Völkern scheint, so unverwischbar haben diese 17 Jahre der Präsidentschaft Masaryks sich in die Geschichte, nicht nur unseres Staates, sondern des Kontinents, ja des Erdballs selbst, eingegraben. Sie haben auch für das Präsidentschaftsamt eine Tradition begründet, mit der man nicht ohne Gefahr für die ruhige und friedliche'Entwicklung des Staates brechen dürste. Diese Tradition fordert, daß an die Spitze der Republik ein Mann trete, der als Persönlichkeit das Durchschnittsmaß überschreitet, der die Welt als Repräsentanten der tschechoslowakischen Nation und der Masarykschen Staatsidee kennt, ein Mann, der g e i st i g und sittlich das Format eines wirklichen Führers hat. Diese Tradition fordert aber auch, daß dieser Mann ein P o l i t i k e r fei in jenem höchsten Sinne, daß er um den Stoff und ym die Form geschichtlichenWirkenSBescheid weiß. Wenn in einem zweiten Manne des tschechoslowa- kischen Volkes nach Masaryk diese Bedingungen vereinigt sind, so ist eS Dr. Edva rdBenes. Auch er kommt, wie Masaryk , von der Wissenschaft und hat als Wissenschaftler einen Namen. Auch er gehört schon heute wie Masaryk der Welt, die ihn schätzt und an der er gebaut hat als einer der hervorragendsten Gestalter der letzten Jahrzehnte. Auch er steht durch seine Taten und durch seinen umfassenden Geist, durch seine noble Haltung in allen Auseinandersetzungen innerstaatlicher oder europäischer Natur über den Parteien, ist ein wahrer Staatsmann und ein wahrer Volkskandidat. Aber auch er hat sich diesen Ruf nicht erworben, indem er abseits der Politik und des pulsierenden Lebens stand, sondern als tätiger Politike r, als ein Mann, der in der politischen Sphäre gleichermaßen daheim ist wie im Reiche des Gelehrten. Wir haben als D e m o k r a t e n, wir haben als Angehörige der deutschen Minderheit jm Staate, wir haben als S o z i a l i st e n und Europäer viele Gründe, für Dr. Benes zu stimmen. Aber auch wenn wir diese Gründe schweigen ließen und uns nur fragten, wer unter allen, die das Amt des Präsidenten überhaupt ausfüllen können, ist vor allen berufen, auch wenn wir nur gestagt hätten, wer im Sinn der von Masaryk geschaffenen Tradition erwählt werden muß, von der Prager Burg aus den Staat zu führen, so hätten wir Dr. Benes nennen müssen. Die Empfehlung Masaryks schließt diesen Kreis. Für andere Staaten mögen andere Bedingungen der Auswahl gelten, in anderen Verhältnissen mag man die Wahl haben zwischen stärkeren und schwächeren Persönlichkeiten, Führern und bloßen Repräsentanten, Politikern und Außenseitern der Politik. Wo Masaryk wirst«, kann weder ein reiner Parteimann, noch ein unpolitischer Outsider, weder ein Schatten, noch ein bloßer Namen zur Nachfolge berufen sein. Hier kann nur gewählt werden, cher durch Tradition, Persönlichkeit und durch den Willen des Volkes längst zur Nachfolge berufen war. Und das scheint nicht nur uns, sondern wohl der Mehrheit der Verantwortlichen Dr. EhvardBeneSzu sein!
Der Wladislaw-Saal, in dem heute der feierliche Akt der PrBsidenten-Wahi stattfindet
Die Anordnung des Wladistaw-Saales ist an und für sich dieselbe, wie bei der Wahl im Jahre 1934. An der östlichen Seitenwand erhebt sich die Tribüne ÄeS Präsidiums, wo die beiden Vorsitzenden der Nationalversammlung und etwas tiefer die Vorsitzenden-Stellvertreter der beiden Kammern sitzen. Unterhalb der Vorsitzenden-Tribüne steht ein Tisch mit einem Pult, der für die Ablegung des Gelöbnisses des neugewählten Präsidenten der Republik bestimmt ist. Vor dem Präsidium steht«ine Reihe Sessel für die Mitglieder der Regierung. Dahinter sind die Sitze für die Mitglieder der Nationalversammlung angeordnet. Der rückwärtige erhöhte Teil des Wladistaw- Saales ist für das Publikum Vorbehalten. Die ersten Sitzreihen sind für die Familie des Präsi, deuten der Republik , für das diplomatische Korps und sonstige hervorragende Gäste bestimmt. 192 Sitze find für die Journalisten reserviert, der Reit für das breitere Publikum. Auf der Galerie gibt eS im ganzen 750 Sitzplätze und 66 Stehplätze. Der Saal ist einfach, aber festlich ausgestattet, wobei namentlich die Beleuchtung besonders wirksam sst, die zum Teil an den Fenstern des Saales befestigt ist. Da? Licht wird indirekt nach oben auf das prachtvolle Gewölbe des Saales geworfen. Ueber die Nebenräumlichkeiten wurden fast durchwegs andere Dispositionen als bei der letzten Präsidentenwahl getroffen. Es fällt vor allem auf, daß nicht weniger als d r e i große Räume, und zwar die sogenannten Appellationen und die ehemalige böhmische Hofkanzlei, wenigstens notdürftig dazu ausgestattet find, eventuell auch noch zwischen den einzelnen Wahlgängen als Beratungszimmer der Parlamentspräsipien oder auch einzelner Klubs zu dienen. Bei der letzten Wahl wäre dies vollkommen überflüffig gewesen, da ja Masaryks Wahl ganz eindeutig feststand. Heute muß man damit rechnen, daß zwischen den einzelnen Wahlgängen eben» well längere BeratungSpausen sein werden. - Als Rezepttonssaal für das neue Staatsoberhaupt ist ein Keiner Raum auf der rechten Seite der sogenannten Reiterstiege vorgesehen. Jm ehemaligen
Siändesaal, in welchem bei der letzten Wahl Masa ryk begrüßt wurde, steht digsmal ein langer Tisch, auf dem das Dokument über den Wahlatt unterzeichnet werden wird. Große technische Schwierigkeiten verursachte die Installierung der Heizung, die in kaum mehr als vierzehn Tagen durchgefnhrt werden mußte. Die Heizanlage befindet sich auf dem Gang im dritten Stockwerk des anschließenden theresianischen Traktes und ist zum überwiegenden Teil schon definitiv ausgeführt. Sie erfolgt durch elektrisch vorgewärmte Lust, welche gefiltert, gereinigt, auf den entsprechenden Feuchtigkeitsgehalt gebracht und dann durch elektrische Heizkörper auf die entsprechende Temperatur erwärmt wird. Diese Anlage hat eine Kapazität von nicht weniger als 700 Kilowatt. Jm Sommer ist es auch möglich/ die Luft im Bedarfsfall abzukühlen. Die warme Lust wird durch Betonröhren, die auf dem Dachboden des WladiflawsaaleS in das Gebälk frei aufgehängt werden mußten, da man das herrliche Gewölbe des Saales nicht weiter belasten durfte, zu sechs großen Oeffnungen zu beiden Seiten des Saales geleitet, die unauffällig über den Fenstern angebracht sind; ein Teil des heißen Luftstroms wird zur sogenannten Reiterstieze geleitet. Die Lustzir- kulatton besorgen drei große Ventilatoren, di« pro Stunde 83.000 Kubikmeter heiße Lust in den Saat- treiben können. Die Anordnung der Tribünen im Saal mit der Front gegen die Schmalseiten ist lediglich provisorisch. Bei der definitiven Adaption des Saales für die kommenden Präsidentenwahlen soll die Tribüne an der nördlichen Läng-Wand des Saales angebracht und die Tribünen an die beiden Seitenwände verlegt werden. veklsssuns alter öffentlichen Gebäude Prag . Amtlich wird verlautbart: Anläßlich der Wahl des Präsidenten der Republik sind auf allen staatlichen Gebäuden im Bereiche der ganzen Republik Staatsflaggen und Fahnen am Mittwoch, dem 18. Dezember, von 8 Uhr bis 20 Uhr des gleichen Tages aufzuziehen.
Roman von Karl Stym
„Auf Wiedersehen, mein Mädchen!“ Die alte Schiererin gibt mir für ihren Jungen warme Woll* socken mit. Ihr Karl hat immer so kalte Füße. Ein Knirps, kaum hüftehoch, reckt sein mageres Körperchen und sagt mit altweisem Gesicht, ich solle seinem Vater ausrichten, zu Hause sei ein„neues“ Brüderchen angekommen. Wir gehen einer nach dem andern in den Berg. Dabei kommt mir ein komischer Vergleich: Das Mundloch liegt am Ende eines sackgassenartigen Einschnittes. Links und rechts und vorne fallen steile Hügelhänge ein. Würde ein Mensch hier hereingesetzt, so könnte er sich nur auf eine Art vor seinen Verfolgern retten; durch den Berg! Auch wir sind Gehetzte. Wir gehen aber freiwillig in den Berg und bleiben so lange drinnen, bis es unser Feind aufgibt, uns zu hetzen und mit guter Absicht herausholt. Die Frauen und Kinder rufen nach: „Aushalten!— Wir warten!“ Unsere Schritte sind stark und voll Zuversicht. Ja, wir wollen! Für unsere Frauen, Mädchen und Kinder. Und der Welt wollen wir zeigen, daß wir keine Bagatelle sind, die man so mir nichts dir nichts zur Seite schieben kann. In hundert Metern vom Mundloch versperrt uns eine Barrikade den Weg. Übereinandergestapelte Wagen füllen die Strecke aus. Die Ulme sind davor um einen Meter weiter aus- einapdergetrieben. Für die Streikposten. Dieser Teil der Strecke ist geladen. Mit zehn fünfpptronigen Schüssen. Das ist für den äußersten Fall. Hoffentlich kommt es nicht dazu. Die erste Nebenstrecke ist eine„Blinde“ und dient jetzt
als Streiklager. Es herrscht fröhliche Stimmung. Nichts deutet daraufhin, daß es sich hier um einen Kampf um Bestehen oder Nichtbestehen handelt. Einige spielen Karten, andere singen und wieder andere erzählen sich Witze. Dieses Bild wiederholt sich noch einige Male, bis wir am„Ort“ sind. Hell und ich zimmern das Oberflöz aus, weil keine Wagen da sind und die Förderung steht Lorett kommt heute nicht Wirklich, sein Schutzengel ist doch kein Schusterjunge, sonst hätte er ihm nicht soviel Weisheit in die abstehenden Ohren geflüstert Wäre er hier, so könnte er schließlich doch mal zu langsam sein mit dem Ausweichen. Um halb vor sechs gehen wir ins Westfeldstreiklager. Übermütige Ausgelassenheit empfängt uns. Böhling ist wieder einmal im richtigen Fahrwasser. Um den dicken Schädel hat er nach Stubenmädchenart ein rotblaues Taschentuch gebunden und ein gleiches um die Mitte. Er dreht sich zierlich wie ein ausrangierter Küchendragoner und kocht Tee. Dazu reißt er so fürchterlich derbe Witze, die jedem weniger Abgebrühten das Blut ins Gesicht jagen müßten. Für uns jedoch ist das eine übliche und angenehme Unterhaltung. Nachdem er mit dem Tee fertig ist, stellt er sich breitbeinig vor uns auf, als sei er, weiß Gott , was für ein Wohltäter. „Nur immer'ran, meine Herrschaften! Nur immer'ran! Hier wird das beste Gesöff gebraut! Nur'ran!— Für Kohlenbarone kostet es zwei Ohrfeigen, für Soldaten die Hälfte, für Kinder gar nichts und für Streikende das bloße Aussaufen! Nur immer'ran! Nur'ran!“ Der Tee wärmt bis in die Zehenspitzen hinab. So schlecht ist’s eigentlich gar nicht hier herinnen und urgemütlich! „Ich wünsche auch Kokosbusserln dazu“ meckert Uhu. „Bitte seeehr!“ Und schon hat er Böhlings Kehrseite vor der Nase. Ob Böhling an sein schwerfälliges Mädchen denkt, dem er ein Kind gemacht hat?— Ich glaube kaum. Aber es ist gut, daß er Witze macht. Im Lachen können wir vergessen, daß wir um eine sehr ernste Sache hier sind.
Ich gehe schlafen, das heißt, ich hole mir ein Wagenbrett und lege mich darauf. Aus dem Schlafen wird lange nichts. Und als ich daran bin einzuschlafen, ist mir so kalt, daß ich gerne wieder aufstehe. Ich nehme aus meinem Bucksack die Wollsocken des Schierer Karl und gehe mit Hell auf Inspektion. Die Nachtschicht hat im Zigeunerwechsel ihr Lager. Die Strecke ist kreuzgezimmert und sieht aus wie ein gequetschtes Kirchenschiff. Die Lichter, an den Kappenmitten hängend, verstärken diesen Eindruck. Auch in den Gesichtern liegt eine dämmrige, büßerähnliche Bleichheit Die hier sind schon sechzehn volle Stunden in der Grube, ohne Schlaf und in nassen Kleidern. Dazu zieht es hier ganz niederträchtig. Man muß aber im Zug bleiben, um nicht zu allem auch noch Schädelbrummen zu kriegen. Am obersten Ende des kirchenähnlichen Lagers, gleichsam als ewiges Lieht, sitzt Dießler. Er ist wohlauf, das heißt, er ißt „Fast wie am Monte(Arnone! Nur hat’s dort auch am Fressen gehapert!“ Dabei sieht er liebevoll auf die säuberlich abgenagten Knochen eines halben Schweinskopfes. Es ist ein Bätsel, wo dieser Mensch hinfrißt. Er ist zwar sehr lang, dafür aber dürr wie ein englisches Windspiel. Schamback ist nicht da. Ich frage Dießler darnach. Der ist verlegen. „Er hat solange herumgeredet, bis es mir zuviel wurde!“ „Was hat er gesagt?" will Hell wissen. „Lauter Blödsinn!—Wir hätten mehr auf ihn hören sollen, dann brauchten wir jetzt nicht darmdörren. Du hättest die ganze Schuld, usw. Schließlich mußte ich ihn verhauen!“ „Schon lange?“ „Etwas vor euch!“ Hell flucht nicht sehr anständig und läuft gegen den „Nagele-Sehacstt“. Ich rufe laut: „Schierer Karl!“ um die Socken anzubringen. «Der schläft da!“