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Mittwoch, 25 Dezember 1835
Nr. 300
Soeben ist ttttitr dem Titel„Bolt und A r b e i t» r" im Berlage Enge» Prager eia Buch de- Genossen Wenzel Jaksch er» schienen, in dem der Verfasser die Aufgaben d»S Sozialismus in unserer Zeit zu umreißen sucht. Au- dem Vorwort diese- Buche- stammt da- nachfolgende Stück: Gegen den Kapitalismus ist der Sozialis« mus als nienschlicher Ordnungsbegriff aufge» standen. Die Kraft der europäischen Arbeitermassen, die der Sozialismus mobilisierte, reicht« indes nicht aus, den Machtvorsprung des Kapitalismus und seiner Hilfsmächte einzuholen. Ln den krisenhaften Erschütterungen der Nachkriegszeit entstand in den schwerstgetrofsenen europä ischen Ländern ein Vakuum. Der Kapitalismus hatte nicht mehr, der Sozialismus besaß Noch nicht die Kraft, bas aus den Fugen geratene Völkerdasein in Ordnung zu bringen. Da schob sich der Faschismus als Ordnungsmacht ein» Als Ordnungsinacht konnte er in Italien und Deutschland siegen. Die Methoden des Spätkapitalismus hatten ihm den Weg geebnet. In den rationalisierten Betrieben vollzieht sich die Niederwalzung der freien Persönlichkeit. Er erzeugt den Schwemmsand eines haltlosen und ausgestotzenen Randvolkes, welches jedem Gewaltregime seine Söldnerhausen liefert. Der Faschismus vollendete die WehrloSmachung des Menschen. Die Prügelmethoden in seinen Gefängnissen und Verbannungslagern sind nur die konsequente Anwendung eines Prinzips, das Männerstolz und Menschenwürde ausrotten mutz, um leben zu können. Ln der Praxis der Diktaturen bröckelt die idealistische Schminke der faschistischen Bewegungen ah. Der Faschismus wurde durch national- revolutionären Mythos und durch antikapitallstifchs Gefühlsrevolten emporgetragen. Deutschland liefert ein klassisches Beispiel dafür. Der deutsche Nationalsozialismus ist angeblich ausgezogen, den Materialismus des 19. Jahrhunderts zu überwältigen. Er selbst ist aber nur ein Werkzeug dieses Materialismus, indem er die letzten menschlichen Schranken gegen die Mechanisierung des Daseins niederreißt, dem Krieg der entfesselten Technik gegen den Menschen freie Bahn schafft. Aus der versprochenen Ueberwindung des Kapitalismus wurde eine Militarisierung der kapitalistischen AuSbeu* tungsmethoven. Immer schwieriger wird eS für die nationalsozialistischen Machthaber, die Fission ihrer Ordnungsmission aufrecht zu erhalten. Die sozialistischen Verheißungen. mit denen ihr« Vormapschstratzen gepflastert waren, sind ihnen hart auf den Fersen. All die Lästerungen, welche die Ideologen des Nationalstzialis- mus gegen den angeblichen Materialismus der sozialistischen Arbeiterbewegung geschleudert haben, prallen im Hohngeiächter der enttäuschten Gefolgschaften auf ihre Urheber zurück. Das Wort S o z i a l i s m u s hat wieder einen so guten Klang, daß es seine Todfeinde um so öfter in: Munde führen müssen» je größer ihre tödliche Verlegenheit wird. Der Nationalsozialismus verdankt feinen Sieg, den er entscheidend iM gefühlsmätzigen Bereich erfochten hat, derBisioneineSanti- kapitalistischen, an t i m a t e r i a l i- frischen Dritten Reich-. Und seinen
tausendjährigen Herrschaftsanspruch begründet er nicht zuletzt auf die Erwartung, daß ritt ohne Meinungsfreiheit und geistige Austauschmöglichkeit dahinvegetierendes und durch totalen Terror atomisiertes Siebzigmillionenvolk nicht mehr die Kraft aufbringen werde, falschen Verheißungen echte Erwartungen entgegenzusetzen und sich ein Zukunftsbild jenseits des Nationalsozialismus zu zimmern. Die faschistischen Despotien leben davon, den Keim jeder möglichen Nachfolge nicht nur physisch zu zertreten, sondern sich auch in der geistigen Beeinflussung als da- kleinere Uebel gegenüber allen anderen geschichtlichen Eventualitäten anzupreisen. Indem sie auf ein chaotisches Ende zusteuexn, drohen sie unaufhörlich mit dem Chaos, das nach ihnen eintreten wird. Vor keinem Gedanken zittern die Tyrannen mehr als vor dem, daß die Opfer ihrer Herrschaft über die Tage dieser Herrschaft hinauSdenken könnten. Wehe ihnen, wenn sie einmal als vergängliche Geschöpfe vergänglicher Machtverhältnisse erkannt Werden! Wehe ihnen, wenn die Ttzrannifterten aufhören, in stumpfer Resignation zu leben, wenn sie die Lockung deS revolutionären Wagnisses ergreift und wenn selbst Schergen und Kerkermeister auf den Gedanken kommen, daß eS schönere Aufgaben gibt als Scherge zu sein! D i e bildhafte Vorstellung des besseren Morgen ist unerläßlich zum Gelingen jeder freiheitlichen Erhebung. So ist die geistige KampfeSaufgabe zweifach gestellt. Die Kulisse des faschistischen Ordnungs- betriebeS mutz weggeräumt werden und ein neuer Ordnungsbegriff ist im Bewußtsein der Volksmassen aufzurichten. Aus dem Chaos zur Ordnung— das ist die wahre Problemstellung in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus, Wobei es die Aufgabe seiner Ueberwinder ist, eine möglichst blutvolle und lebendige Vorstellung zu
erwecken,, daß freie Menschen ihr Leben schöner und sinnvoller gestalten können als die numerierten menschlichen Bestandteile einer starren Gewaltherrschaft. Daraus erwächst dem marxistischen Sozialismus eine neue Mission. Seine analytische Aufgabe ist vollendet, nun beginnt die synthetische; nun hat er als verbindende Kraft zu wirken. Weil der Spätkapitalismus die Niederwalzung der freien Persönlichkeit vollführt und weil der Faschismus sein Dasein von der Atomisierung der Nation fristet, müssen ihre Gegner um die Würde des freien Menschen streiten und ihm höhere Ziele nationaler Gemeinschaftsarbeit setzen. Am Beginn der sozialistischen Bewegung war es unumgänglich, den Arbeiter als Klasse zu organisieren und ihm das Bewußtsein seiner eigenen Interessen einzuhämmern. Diese Aufgabe wird immer neu gestellt sein, solange der Arbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft um Brot und Menschenrecht kämpfen mutz. Di« Gegenwart verlangt aber mehr. Innerhalb der werktätigen Volksmassen, der körperlich und der geistig Schaffenden ist an diesem geschichtlichen Wendepunkt das Verbindende, das Gemeinsam« nicht nur agitatorisch zu bewnen, sondern auch in gemeinsame soziale Tat umzusetzen. Der Ruf des VII. Kommunistischen Weltkongresses nach der Schaffung von werktätigen Volksfronten mochte taktisch gemeint sein, als Markierung eines Umweges zum unveränderten Ziel dtr Diktatur pes Proletariats. Vielleicht liegt ihn: darüber hinaus doch ein Stück Einfühlung in die europäisch« Situation zugrunde. Wie dem auch fei: der freiheitliche Sozialismus hat ohne Hintergedanken und Einschränkungen die Pflicht zu erfüllen, die sozialistische Idee auf das ganze weite Feld des werktätigen Volksdaseins zu streuen und jene Kräfte zusammenzuschlveitzen, die Nicht nur den Faschismus machtmätzig abläsen, sondern an seine] Stellt tin Werk setzen können, wie es der größte deutsche Dichter sehnend ahnte: Solch ein Gewimmel möcht' ich seh'«, Auf freiem Grund mit freiem Volke steh'n!
„Mutter, wo ist der Weihnachts- Mann?“—„im Konzentrationslager, mein Kind.“
„Das Collier ist schön, aber die aparte Gasmaske ist moderner.“
Mussolinis patentierter„Kultur-Weih nachtsbaum”.
Landstreicher Legende Von Sonka. Noch einmal rufe ich dich an, weil ich dir schott so ost begegnet bin auf der großen Landstraße meines Leben-, dir, Genosse, dir, Freund, dir, Bruder, dir, Kamerad, dir, Bürger, dir, Mitmensch, noch einmal rufe ich dir zu, nicht Genosse, nicht Freund, nicht Bruder, nicht Kamerad, nicht Bürger, nicht Mitmensch» nrch einmal halte- ich dich an: Mensch! Erkennst du mich? Ja, ich bin der, welcher kommt mit dem Siern itn Haar, immer wieder kommt, wie ein Bettler, aber geschmückt mir Löwenzahn schreitet durch die Straßen der Stadt, wie ein Narr. Weißt du Nicht mehr, ich ruhte sehr müde am Neptunbrunnen in Florenz aus und Kinder brachten mir Fische und Brot, weil ich hungrig war, und alle Bettler der Gegend atzen von meinem Hunger und wurden satt, ohne zu betteln. Kennst du mich nicht? Verblaßte das Wunder in deinem Herzen, das geschah, als du deine» wütenden Hund auf mich hetztest, der sprang mich yn mit gefletschten Zähnen und ward zum Lämmlein, als er mich erreichte: er leckte meine Hände. Erinnere dich, daß du gestorben währst an jenem Tag. da du verlassen warst von Gott und Menschen. Ich schwieg und sah dich am Aus meinem Schweigen wurde dir das Leben. Ich habe mich an dich verschenkt, Verbrecher im Gefängnis, an dich, Todkranker im Spital, an dich, Obdachloser im Asyl, an dich, de- Mädchen- von der Strotz«, an dich und dich und dich, ich habe mich verschenkt mit Blick untz Gegenblick und Meiner Hand in deiner Händl die ich umfaßt«. Jetzt kennst du mich: Und deine Maske wird nicht auSlöschen Mein Gesicht, das sich verschenkt, verschenkt, verschenkt, sieh mich nur an! und schon hast du ein Herz und ein Gesicht. Noch einmal rufe ich dich an, weil ich die schon so oft begegne,! hin auf der großen Straße meines Lebens, dir, Genosse, dir, Freund, die, Bruder, dir, Kamerad, dir, Bürger, dir, Mik- mrnsch, noch einmal ruse ich dir zu, nicht Genrsse. nicht Freund, nicht Bruder, nicht Kamerad, nicht Bürger, nicht Mitmensch, noch einmal halte ich dich an, dich ganz umfassend: Mensch.
Peter Rosegger und der Nationalismus Die Stadt Aussig führt seit zehn Jahren eiNen Kampf um einen Namen. Der Stadtrat hatte beschlossen-, einer Gärtenanlag« den Namen„Rosegger-Park" zu geben, die politische Verwaltungsbehörde aber hatte dies« Bezeichnung mit dem Hinweis darauf Untersagt, daß der Name Rosegger „an eine Person erinnere, die der tschechoslowakischen Nation feindlich gesinnt gewesen" sei. Nun wurde— wie berichtet— der Prozeß zugunsten der Stadt Aussig zwar entschieden, aber die Zustellung des Bescheides an die Stadtgemeinde verzögert. Bürgermeister Genosse P ö l z l hat deshalb einen Brief an di« LandeSbehövde gerichtet, in welchem er darauf hinweist, daß Peter Rosegger rin Dichter und Apostel der Humanität nicht nur für das deutsche Volk, sondern für die ganze gesittete Welt war. Nichts Endgültigeres und nichts Aktuelleres kann zu dieser Frage gesagt werden, als was Peter Rosegger selbst—»als habe er die Schmach der Terror-.Volksgemeistschaft" voraus-' geahnt•— gesagt hat. Wir zitieren diesen denkwürdigen Aufsatz au- der Wiener „Arbeiter- Zeitung " vom 29. Jänner 1909: Man kennt sie ja gar nicht auseinander! Die Leute verschiedener Nationalitäten, die in unserem Lande seit Jahrhunderten beisammenwohnen und alteingesessenes Heimatsrecht haben— sie sind ja alle gleich. Nein, gleich nicht, Der Rang unter
scheidet. Die Kaste unterscheidet. Die Bildungsr unterschied« sind groß. Die Klassen unterscheiden weitmehr als dieRas- sen, die sich längst gemischt haben. Ein deutscher Bauer und ein windischer Bauer stehen sich näher als ein deutscher Bauer und ein deutscher Großstädter. Was Lebenshaltung und Gesinnung anlangt. Mancher Deutsche unterscheidet sich mehr von seinem leiblichen Bruder als vom Nachbar, der jenseits der Sprachgrenze wohnt.— WelcheinUnglück, dieser Nationalitätenkrieg, den wir erleben, der unser Leben so sehr verroht, verbittert, so wi'rdelos macht! Nachdem wir längst darüber einig waren, daß die Menschen an sich gleich sind, daß bei den europäischen Bewohnern der Unterschied ganz wo anders liegt als in der Abstammung, ist jetzt diese schreckliche Zeit gekommen. Jenes Jahrhundert der Humanität mit seinen großen Geistern und Lehren—7 ist es denn ganz für uns verloren gegangen? Die Rassel Das Blut! Wer von uns kaust sagen: Mein Blut ist rein slawisch! Oder; Es ist rein romanisch! Wenn man unser« Blutstropfen chemisch daraufhin untersuchen könnte— das würde kuriose Ueberraschungen geben. Also bleibt nur die Verschiedenheit der > Sprachen übrig, wie sie sich, ich möchte sagen, mehr zufällig in den Landstrichen erhalten haben. Ist es nicÄ größtenteils ein Buchstabenkrieg, der da mit ost wahnwitziger Grausamkeit geführt tviro? Der deutsche und der Hündische Bauer verstehen sich nicht. Richtig. Aber verstehen sich der deutsche Bauer und der deutsche Großstädter? Verstehen sich der deutsche Sozialdemokrat und der deutsche
Aristokrat? Verstehen sich der deutsche Katholik und der deutsche Protestant? Sie verstehen sich vielleicht sprachlich, aber nicht sachlich. Lieber Himmel, wenn alle, die auf dieser Welt sich nicht verstehen, sie gegenseitig ausrotten wollten, so bliebe schließlich nur einer übrig. Und auch der müßte sich'abtun, weil er sich ja selbst nicht versteht. In unserer Sache wiederhole ich, baß der deutsche und der slawische Bauer über die Sprachgrenze hinweg vermöge ihrer ähnlichen Lebensführung sich besser verstehen, al- der altständige deutsch« Bauer und der moderne deutsche Städter. Im großen sind die Interessen unserer Menschen und Völker gegenseitig. Die wirklichen Konflikte aber liegen im Wirtschaftsleben, und zwar innerhalb eines.Voltes so gut al- zlvi- ! scheu verschiedenen Völkern. Wozu also dieser Kampf um die Sprachen? Es ist ein rein theoretischer, ein unnatürlicher, ein frevlerischer Krieg. Aehnliche Gedanken quälten mich in den Tagen der Nationalitätsrevolten in unseren österreichischen Städten. Ich bin der Ueberzeu- gung, daß solche Gedanken an sich richtig sind, aber auch, daß die Sache nicht so einfach liegt. So überaus vertoerflich der Nationalitätenkrirg ist— wir haben ihn einmal, wir müssen mit ihm rechnen. Das eine Volk hat angefangen mit der Eroberung, das andere muß sich ipehren. sind wehrt sich natürlich vor allem um seine Sprache, dieses tour« Gefäß unsere- geistigen Leben-. Man meint aber, ein Kulturstaat mühte e- doch zuwege bringen, daß jedem seine Muttersprache gesichert bleibe. Und man meint, die Leute sollten doch so vernünftig sein, auch die Sprachen der Nachbarn
zu lernen, ohne zu befürchten, daß dadurch ihr angestammtes Blut zugrunde geht! Der Krieg um die geistigen nationalen Güter. dar wäre etwas! Aber auf dieser"moralischen Höhe stehen unser« nationalen Kämpfe- nicht. Niedrige I n t e r es s e n k ä m p'f e sind es, von persönlichen Feindseligkeiten werden sie geleitet; Eitelkeit und Ehrgeiz der Parteiführer spielen Mit. Ein Werk der Verführung ist größtenteils dieser Kampf. Mit Schlagworten aujgewiegelt wird die Menge, die sich weiß Gott was Heldenhaftes dabei dünkt, wenn man anderssprachige Mitbürger mit Steinen bewirft und ihre Häuser demoliert. Der hohe Sinn, der im treuen Schutze des angestammten Volkstums liegt, bleibt der fanatische 1 Menge verborgen—- ist ihr auch ganz gleichgültig. Soll denn das nun ewig so fortgehen? Tenn was man heute will, ist nie und nimmer durchführbar: die Abgrenzung der Völker, damit dann Friede seil Um diesen Frieden zu erlangen, ewiger Krieg! Ist das nicht widersinnig? Aber es gibt Leute, die wollen den Kampf um jeden Preis. Der Kampf stähle und adle den Menschen, sagen sie. Gut; dann sollen sie ja froh sein, daß immer heftige Feinde gegeu sie aufstehen; sie könnten mit diesen Feinden munter ringen, aber ohne Haß, ohne Rachgier, vielmehr mit Achtung, ja sogar mit Liebe, zum Gegner, der ja das ist und tut, waS sie wünschen und nicht entbehren können. Nein, allen Ernstes, ich mutz eS offen sagen: die Treu« zum eigenen Volk habe ich mir ander- gedacht. Was ist das für ein Nationalismus, der immer darauf aus ist, dem eigenen Volke unter anderen Völkern Feinde zu machen?!