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Samstag, 28. Dezember 1935

bedeutet. Die Beherrscher des Dritten Reiches , Probleme seiner Innenpolitik nicht einer hal- eimwehrdiftatur und ihre Eins fonnten sich nicht einmal dazu entschließen, für bie ben, sondern einer ganzen Lösung zugeführt gliederung in die europäische Dauer des deutschen Weihnachtsfestes" das Prü- werden. Diese ganze Lösung heißt: Befrei Friedensfront. Je früher das blutig­geln in den Konzentrationslagern zu verbieten. ung der österreichischen Arbei sinnlose Experiment des flerikalen Ständefaschis­Gerade vor den Feiertagen wurden im Reiche terschaft von den Fesseln der mus liquidiert wird, desto besser für Europa . unter der Arbeiterschaft wieder zahlreiche Berhafs tungen vorgenommen, um die grollenden Massen einzuschüchtern.

Prüft man die politischen Hintergründe diz­ses letzten Schrittes der österreichischen Regie­rung, dann wird eine Reihe von zusammenhän­genden Ursachen sichtbar. Unstreitbar hat sich das demokratisch- sozialistische Ausland um die Frei­laffungen große Verdienste erworben. Die poli­tische und gewerkschaftliche Internationale, an ihrer Spize die englische Arbeiterbe= wegung, haben nie aufgehört, das Weltge= wissen für die Opfer des Februar zu mobilisieren. Unaufhörlich sind die Wiener Machthaber unter starken Druck gesetzt worden. Dieser Druck wurde um so fühlbarer, als Desterreich wieder eine neue Anleihe und damit die Gunst der finanzkräftigen Weststaaten braucht. Unter diesen Umständen hatte die erst in jüngster Zeit erfolgte Fürsprache von Delegierten der englischen Arbeiterpartei ein besonderes Gewicht.

Als zweites wesentliches Moment kommt hinzu, daß sich die Wiener Machthaber seit dem abessinischen Kriege der Schirmherrschaft Musso­linis nicht mehr so sicher fühlen als zuvor. Mit dem Schwinden des italienischen Einflusses in Mitteleuropa berringern sich auch die Chancen der Heimwehrdiktatur, sich in einem dauernden Zweifrontenkampf gegen Rot und Braun zu be= haupten. Die unversöhnlich ablehnende Haltung der österreichischen Arbeiterschaft gegen das Feberregime hat nun ihre ersten sichtbaren. Früchte getragen. Hätte sich ein Teil der öster­reichischen Arbeiter vom Faschismus forrumpie­ren und kaufen lassen, dann müßten Eifler, Löw und Genossen noch weiter hinter Kerkergittern schmachten. Die unerschütterliche Treue, welche das österreichische Proletariat mit den Opfern des Februar verbindet, war durch keine Lockung und durch keinen Terror der Vaterländischen Front zu zerbrechen. So mußte die Regierung, um den toten Punkt in der Sifnenpolitik zu über­winden, die erste versöhnliche Geste machen. Es wäre aber verfrüht, aus der Tatsache, daß ein größerer Teil der eingesperrten Hakenkreuzler der Amnestie nicht teilhaftig wurde, eine Links­schwenkung der Heimwehrdiktatur zu folgern. Beim nächsten Schritt, wenn es um die faktische politische und gewerkschaftliche Bewegungsfrei­heit der Arbeiterschaft geht, wird Starhemberg wieder mit Zuchthaus und Konzentrationslager drohen müssen. Eine andere Frage ist freilich, ob diese Drohung fünftig eine größere Wirkung ausüben wird als bisher.

Erreicht er die Schwelle des neuen Jahres?

Laval kämpft um die Mehrheit

Blum gegen die Unterstützung Mussolinis durch Frankreich

Seit vielen Wochen gleicht Pierre Laval | antwortete: Niemals und in keinem Augenblicke habe einem Manne, der in kühnen Sprüngen von Stein ich weder in Genf noch in Paris die Verpflichtungen zu Stein einen Fluß zu überqueren versucht, ver- Frankreichs verleugnet, folgt von den Blicken einer teils besorgten, teils schadenfrohen Deffentlichkeit, die bei jedem Sprung gespannt wartet, ob der kühne Turner diesmal ins Waffer fällt oder nochmals den rettenden Fels­block erreicht, auf dem er gerade nur verschnaufen kann, um dann weiterzuspringen. Gegenwärtig heißt das Ufer, das Laval erreichen will: Jänner 1936. Wenn es ihm gelingt, aus der Kammer­schlacht, die Freitag nachmittags entbrannt ist,

nochmals als Sieger hervorzugehen, hat er vor­aussichtlich Waffenruhe bis Mitte Jänner. Es geht nun nicht mehr um die Frage der Auflösung der Ligen, die zwischen Kammer und Senat noch strit­tig war, aber bis auf kleine Differenzen bereinigt ist nur ein Antrag der Rechten gegen die Frei­maurerlogen macht der Regierung noch zu schaf­

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fen sondern die Frage, die im Hintergrund stand und die eigentlich die Gemüter bewegt, die Außenpolitik kavals, wird diesmal ohne Vorbehalte besprochen und zum Gegenstand des Kampfes gemacht.

Der Ministerpräsident zitiert den Absatz 3 des Artikels 16 des Völkerbundvertrages und sagt, daß die französische Regierung nicht gezögert habe, der britischen Regierung Hilfe in dem Falle zuzusagen, nen angegriffen würde. Er habe alles ge= daß Großbritannien bei der Erfüllung der Santtio­an, um eine friedliche Lösung durchzusehen. Laval erinnerte an die Erklä­rung Sir Samuel Hoares im Unterhaus über die fehr ernsten olgen, welche die Geltend

machung der Petroleum- Sanktionen nach sich ziehen würde und sagte:

Die Pariser Vorschläge find zwar tot, aber der Schlichtungsweg bleibt offen.

Laval wies nach, daß der Völkerbundpakt geltend gemacht werde und daß es nach diesem Pakt Pflicht des Völkerbundes ist, die Friedensverhand Iungen fortzuseßen.

ten mit dem Ausruf: Nicht aber, um dem Angreifer Ein Sozialist unterbrach den Ministerpräsiden eine Belohnung zu erteilen!

Laval: Der ernsteste Vorwurf, welcher der Regierung gemacht wird, ist, daß Frankreich zur Ges Der Kammerfizung ging am 26. 68. ein lan- währleistung seiner Sicherheit auf den Völkerbund ger Ministerrat und eine noch längere rechnen muß. Der Völkerbund selbst anerkennt, daß Audienz Herriots beim Präfi- feine Möglichkeiten beschränkt sind, daß die Gel­denten der Republik voraus. Es ist aller- tendmachung des Artikels 16 große Lücken läßt. Jezi dings nicht bekannt geworden, was Herriot mit handelt es sich darum, zu verhindern, daß sich die Krisengefahr auf Europa übertrage und daß Präsident Lebrun besprochen hat. Der Ex- Führer die Grundsäße des Völkerbundes berührt werden. der Radikalen verhält sich sehr reserviert nach bei- Niemand kann bestreiten, sagte Laval zum Schluß.

den Seiten.

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daß die französisch britische? u= Die Radikalen selbst haben die Abstimmung fammenarbeit eine grundlegende freigegeben. Treten feine unerwarteten Zwischen- Garantie der Sicherheit in Europa fälle ein, so wird Laval wahrscheinlich mit einer bildet. Ich habe nichts getan, um diese Zusammen Kleinen Mehrheit noch einmal siegen.

Umt alle Sicherheiten zu schaffen, die denkbar find, hat man die Kammerdebatte gegen alle Ge­wohnheit sehr genau geregelt. Die Zahl der Red­ner, die Redezeiten und die Dauer der Sitzung wurden vorher festgesetzt. Diesem Programm zu­folge soll die Abstimmung Samstag nachmittags erfolgen und gegen 5 Uhr beendet sein. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß dieses Konzept gestört wird, denn schon bei der Rede Léon Blums zeigte sich, daß die Kammer viel zu erregt ist, um programmgemäß diskutieren zu können.

arbeit abzuschwächen. Der erste Schlichtungsversuch ist mißlungen. Ich werde, was immer auch geschehen möge, meine zähen Bemühungen und meine Tätig teit zugunsten des Friedens fortsetzen.

Die Rede Lavals wurde auf der Rechten und nur vereinzelt in der Mitte und auf der Linken mit Beifall aufgenommen, während die Radikalen fühl blieben.

Als erster Interpellant sprach der sozialis stische Deputierte Léon Blum . Er erinnerte daran, daß Laval vor zehn Tagen in der Kammer sagte, daß in Genf entweder seine Politik werde be­Das Rededuell in der Kammertrieben werden oder daß es zum Kriege kommen werde.

In der Erklärung, welche Ministerpräsident Laval vortrug, erinnerte er an seine Rede in der Stammer vor zehn Tagen.

Ob mit der Weihnachtsamnestie ein Abbau oder eine aus opportunistischen Gründen diktierte zeitweise Lockerung des Heimwehrcegimes ein­geleitet wurde,.vird die nächste Zukunft lehren. Soviel ist getviß, daß weitgreifende innerpoliti­sche Aenderungen in Desterreich unvermeidlich sind, wenn die Kräfte Mussolinis noch mehr auf das abessinische Abenteuer und auf die Ausein- Seit dieser Zeit haben sich ernste Begebenheiten andersetzung mit England Lonzentriert werden. ereignet: Sir Samuel Hoare ist zurückgetreten, die Die demokratischen Faktoren Westeuropas und Pariser Vorschläge wurden als tot bezeichnet. Die der Tschechoslowakei , die nicht wollen können, daß Hauptfrage, die gestellt werde, sei zu wissen, sagte der Schlüssel zum Donauraum kampflos in die waterlandesgut gedient, ob ich die Laval , ob ich den Interessen meines Hände Hitlers fällt, haben nich mehr viel Zeit Verpflichtungen eingehalten habe, die Frankreich zu verlieren. Soll Desterreich nicht ein zweites gegenüber dem Völkerbunde hat und ob ich die Sicher­Serbien werden, dann müssen die ungelösten heit Frankreichs für die Zukunft bedroht habe. Ich

UNSER GESICHT

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Roman von Karl Stym Copyright by Eugen Prager- Verlag, Bratislava

Hell und ich gehen um die zweite Ladung. Daß wir dabei Malheur haben, ist zum Teil die Schuld des Lagerhalters. Er steckte uns einige Zigaretten zu. Im Eden nun wurde die Versuchung gar zu mächtig. Wir setzten uns und rauchten eine an. Nach zwei Tagen wieder eine Zigarette! Das Blut kribbelte so unangenehm unter der Haut und die Bäume neig­ten sich mir zu, ihre Stämme grotesk verrenkend. Aber es war eine unverantwortliche Dummheit und hetzte uns die ärarische Bande auf den Hals. Wir liefen, so schnell es eben unsere Säcke zuließen. Kugeln pfiffen über unsere Köpfe. Hell ist etwas vor mir und verschwindet im Schacht. Mir bleibt nurmehr so viel Zeit übrig, meinen Sack nachzuwer­fen. Dann werde ich niedergetrampelt. Ich sehe eine Menge Kommisgamaschen vor mir und verbeiße mich in die nächst­besten. Ein kräftiger Kolbenhieb ist der verständnislose Dank für meine Mühe. Ich gebe mich auf. Am liebsten möchte ich heulen vor Wut, so knapp vor dem Schacht noch abgefangen zu werden. Da geschieht etwas Unerwartetes. Eine Rotte Frauen wirft sich kreischend auf die nicht wenig verdutzten Soldaten. Diese Chance benützte ich und schlüpfte in den Schacht. Ich weiß nicht, wie alles zuging, aber nach einer Weile sitze ich neben Hell in der Wetterluke und versuche, Luft zu kriegen.

Das war Glück.

Die braven Weiber!

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Aber Soldat möchte ich jetzt nicht sein Was machts, daß wir halb kaputt sind neben uns lie gen die beiden Säcke, dick und voll, köstlich nach frischem Brot riechend. Dafür steckt man gern was ein.

Speck und Brot ist nicht schlecht, besonders dann, wenn man sonst nichts hat. Aber es hat einen Haken: es macht

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Nr. 301

zösische Politik sei vom Anfang an Verantwort­lichkeiten ausgewichen.

Während der Rede Léon Blums kam es zu zahlreichen Wortgefechten zwischen der Rechten und der Linken. Der Lärm steigerte sich innerhalb einer halben Stunde dermaßen, daß die Worte des Redners vollkommen darin untergingen. Der Vor, sißende unterbrach nach vergeblichen Versuchen, die Ordnung wiederherzustellen, die Situng auf etwa eine halbe Stunde.

Nach Wiederaufnahme der Sitzung beendete Leon BI um seine Interpellation unter verhält­nismäßiger Ruhe. Auf einen Zwischenruf von ber Rechten antwortete er, daß die franzöſiſche Regierung es nicht vermocht habe, die Rüstungen Deutschlands zu verhindern oder zum Stillstand zu bringen. Zur Verhinderung dieser Gefahr sei es notwendig, daß sich alle Staaten in dem Streben nach Abrüstung aufrichtig ge= gen Deutschland verbinden. Die beste Garantie der Sicherheit Frankreichs sei eine borbehaltlose Hilfe Sowjetrußlands und Groß­ britanniens

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Der nationalistische Deputierte Taittinger berlangte eine strenge Neutralität Frankreichs . Abfall der Radikalen von Laval

Der Vorsitzende des radikalen Klubs, Delbos, unterzog die Außenpolitik der Regierung und den Mangel ihrer Aufrichtigkeit im Verhältnis zum Völkerbund einer scharfen Kritik. Er widerlegte die Behauptung, daß die Sanktionen zum Kriege führen würden, und erklärte unter dem Beifall der ganzen Linken, daß der Angreifer nicht auf Kosten des Ueberfalle= en belohnt werden dürfe. Die Enttäuschung der Kleinen Entente und der Balkenstaaten über die Politik Frank­ reichs sei groß.

,, Wenn Frankreich erklärt, daß es sich weder für den Völkerbund noch für die Kleine Entente , noch für sonst jemanden schlagen wird, was wird es selbst tun, wenn es einmal überfallen werden wird? Indem Frankreich die kollektive Sicherheit verlegt, würde es selbst die eigene Sicher heit bedrohen.

er=

Da wir nicht den Eindruck haben, klärte Delbos abschließend, daß die Regierung Laval die Außenpolitik so geführt hat, wie es notwendig ist, können wir ihr nicht das Ver­trauen aussprechen.

Die radikalen Deputierten erheben sich und afflamieren laut ihrem Klubvorsitzenden, der bisher in allen seinen Sundgebungen die Re­gierung unterstützt hat.

Der Deputierte der republikanischen Mitte ( Gruppe Tardieu), der ehemalige Minister Paul Neynaud, erklärte, die Politif Lavals habe den großen Umschwung der britischen Außen politik und deren Zuneigung zu den Grundsähen der kollektiven Sicherheit nicht begriffen. Die traditionelle Politit Frankreichs sei es bis­her ganze Jahrhunderte hindurch gewesen, die bedrohten und unterdrückten Völker zu unter­stüßen. Die französische Politik müsse zu ihren edlen Traditionen zurückkehren. Paul Reynaud zollte hierauf dem italienischen Volke Achtung, verurteilte aber dessen faschistisches Re­gime.

Genf hat die Vorschläge Lavals und Hoares abgelehnt, rief Blum, Sir Samuel Hoare ist zurückgetreten und wurde durch Eden ersetzt. Laval bleibt nichts übrig, als e ben falls zurückzutreten. Die Sozialisten sehen die Politik Lavals nicht als eine Friedenspolitik an. Großbri- Als Reynaud seine Rede schloß, klatschten tannien habe von Anfang an in Genf einen ihm wiederum nicht nur seine Anhänger in der entschiedenen Standpunkt zur Sicherung und Mitte, sondern auch die Radikalen und die ganze Respektierung des Völkerbundpaktes und der Linke Beifall. Die Sozialisten und die Kommu kollektiven Sicherheit eingenommen. Die fran- nisten riefen Laval zu: ,, Demission, Demission".

Durst. Wasser ist zwar genug da, mehr sogar als uns bei der Arbeit lieb ist. Nur hat auch das wieder einen Haken: man tut gut, zugleich mit dem Trinken die Hose locker zu machen. Es muß als reines Wunder unserer geschäftsjagenden Zeit angesehen werden, daß sich noch niemand gefunden hat, der Grubenwasser in Flaschen abgezapft in den Handel bringt. Es wirkt mit unfehlbarer Sicherheit als Abführmittel und wäre somit ein prachtvoller Sanierungsartikel. Vielleicht sieht da letzten Endes auch für uns noch etwas heraus: Geht's mit Kohle nicht mehr, dann arbeiten wir als Wohl­täter für die verstopfte Menschheit.

Wir essen und trinken und müssen dafür vor den Aborten Schlange stehen. Solange der Mastdarm keine unliebsamen Streiche spielt, geht diese Art Unterhaltung noch an. Wir haben volle Mägen, neue Hoffnung und eine Menge Witze auf Lager und bedauern nur das eine, daß es der gute Speck so unvernünftig eilig hat, uns wieder zu verlassen.

Hell schneidet mit seinem Taschenmesser eine Kerbe in den ,, Zeitstempel ". Nachdenklich zählt er die Einschnitte. Es sind sechs. Jeder einzelne gilt für zwölf Stunden. ,, Drei Tage!"

,, Ich glaube, man hat uns vergessen!" sage ich. ,, Es sieht beinahe so aus!"

Hell zählt wieder die Kerben. Einmal von oben nach unten, dann von unten nach oben. Sein mageres Gesicht wird dabei schmäler und die Schatten unter den Augen dunkler. ,, Immer wieder sechs!"

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, Versprichst du dir noch was, Paul?"

,, Ich weiß nicht, wie ich sagen soll!

aufgeben, wäre auch Dummheit!"

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Aber jetzt noch

Er setzt sich, den Rücken an den ,, Zeitstempel " lehnend und zieht die Beine eng an den Körper. ,, So oder so!"

Er klappt den Rockkragen hoch, steckt die blauroter Hände unter den Rock, um sie an der Brust zu wärmen und kriecht ganz in sich zusammen,

Es ist kalt.

Wir haben nichts mehr, was uns erwärmen könnte. Nicht einmal ein Fünkchen Hoffnung mehr.

Die Menschen, die draußen leben, wissen wohl nicht, wie schön die Sonne ist, die Bäume, der Wald. Sie dürfen in den hellen Himmel hineinjauchzen, mit den Händen in der war­men Erde wühlen.

Und wir?

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Wir sind kaum noch imstande, dran zu denken. Das kleine Häuschen, mit der mageren Wiese gegen die Halde! Wie weit ist das weg, ganz an den Horizont mei­nes Denkens gedrückt. Vielleicht sind die Vergißmeinnicht im kleinen Gärtchen, das straßenwärts liegt, schon abge­blüht und die dunklen Rosen gekommen, die mein Mädchen so gerne hatte? Oft bin ich die Vogelbeerenallee zum Dorf hinuntergegangen, am Friedhof vorbei, wo man so weit übers Land sieht.

War wirklich ich es?

Ich muß damals noch jung gewesen sein, sehr jung, vor drei Tagen.

Und Martha?!

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Ihre grauen Augen flimmern vor mir. Sind sie wirklich grau? Wirklich? Ich weiß es nicht. Wenn sie gar nicht grau sind? Blau? Vielleicht geht Martha jetzt im ,, Eden" und sieht zum Schacht. Und ich bin kaum hundert Meter unter ihr und quäle mich ab, herauszufinden, ob ihre Augen grau sind.

Es ist nur der Berg zwischen uns und unserem Elend. Das macht es so weit und mich so läppisch, daß ich über Augen grübeln muß, die ich doch so oft gesehen habe. Uhus ,, Mama" ist tot.

,, Mama" war nicht etwa Uhus leibliche Mutter, sondern nur eine Ratte. In Anbetracht der sprichwörtlichen Häß­lichkeit dieser Biester ist ,, Mama" fast schön zu nennen. Sie war geschmeidig und lichtgelb, mit kleinen, vertraulichen Äuglein und ist unseres Wissens nach etwas über zwei Jahre alt geworden. Vor zwei Jahren gab ihr Uhu die erste Speck­schwarte und seither täglich. Sie kam darum mit der Sicher­heit eines Steuerbeamten. ,, Mama" war, nebenbei bemerkt, auch eine große Sünderin. Dreiviertel ihres Lebens war sie trächtig.