Nr. 15

Samstag, 18. Jänner 1936

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Olfener Krieg gegen Pollzelgangstcr 400 Verhandlungen mit Gangsternn belauscht. Polizeichefs im Bunde mit der Unterwelt

Feuertod eines Unterttandtloten In einer Tabakbude Prag . Zu dem 60jährigen Trafikanten Sta» nislav Stastnh inSkochovice kam am Abend des 31. August, als er eben seine Tabak» bude schließen wollte, der unterstandslose Jaroflav P e t r ä k, den der alte Trafikant gut kannte und bat diesen, ihn in seiner Bude übernachten zu las­sen, Stastny wußte, daß Peträk sonst kein übler Mensch war und gab dessen Mtten schließlich nach, nachdem ihm Peträk versprochen hatte, in der feuer­gefährlichen Holzbude das Rauchen zu unterlassen. Peträk war angetrunken. Der Trafikant versperrte vor seinem Weggehen zur Sicherheit die Verkaufs­bude von außen mit einem Vorhängeschloß Und be­gab sich heim. Mitten in der Nacht wurde er durch Feueralarm geweckt und sah zu seinem Entsetzen, daß seine Trafik in hellen Flammen stand. Offenbar hatte sein Schlafgast trotz seinem Versprechen, sich eine Zigarette-.angezündet, war dann eingeschlafen und hatte die Zigarette auf den Boden fallen lassen, wo sie die dort liegenden Papiere und sonstigen leicht brennbaren Abfall in Brand setzte. Da die Türe von außen versperrt war, konnte er sich nicht retten und fand ein schreckliches Ende.- Gegen den alten Trafikanten wurde"Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Einmal, weil er den angetrunkenen Peträk in einem so feuergefährlichen Raum eingesperrt hatte und zweitens deshalb, weil er angesichts des Bran­des die Frage eines Feuerwehrmannes, ob sich jemand in' dem Häuschen befinde, verneinte. Die Anklage vertrat den Standpunkt, daß er dadurch die vielleicht doch noch mögliche Rettung Peträks vereitelt habe. Es scheint jedoch nach den Zeugenaus­sagen, daß es in jenem Augenblick bereits zu spät war, den Unglücklichen zu retten. Stastny selbst ver­antwortet sich mit begreiflicher Kopflosigkeit. Der Strafsenat Cervink'a nahm denn auch Rück­sicht und verurteilte den Angeklagten zu drei Monaten strengen Arrestes,über bedingt auf» zwei Jahre. rb.

Ansteigen der Frauenarbeit in Rußland . Im Jahre 1935 betrug die Zahl der Arbeiterin­nen in der Sowjetunion 40 Prozent der ge- i sargten Arbeiterschaft der sowjetischen Großindu­strie. Mit jedem Jahr steigt die aktive Mitarbeit der Frau auf sämtlichen Wirtschaftsgebieten des Landes. Dies wird ermöglicht und gefördert! durch die gleiche Entlohnung der Frau und des| Mannes für die gleiche Arbeitsleistung, durch die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und durch das breite Netz der Anstalten, welche die Frau von den Mühen des Haushaltes entlasten: Speisehallen, Großküchen, Wäschereien, Kinder­gärten, Kinderkrippen u. a. Im Bauwesen sind jetzt in der Sowjetunion mehr als eine halbe Million Frauen bsschäftigt. 64.000 Frauen sind in der Sowjetindustrie als Ingenieure und Tech­niker tätig. Gangsterplage in Paris . Außer den gemel­deten Bankeinbrüchen auf dem Boulevard St. Germain und im 15.Pariser Bezirk verübten Don­nerstag Einbrecher zwei weitere Einbrüche- Im Stadtviertel Vincennes überfielen sie eine Haus­besitzerin es wär der Tag der Zinseinhebung und raubten ihr 25.000 Franks, welche sie in barem bei sich hatte, mißhandelten den Hausmei­ster und fuhren sodann im Auto davon. Im Stadtviertel Levallois bedrohten Einbrecher einen Geschäftsmann mit dem Revolver, so daß er ihnen das in der Geschäftskassa vorhandene Geld aus­folgen mußte. Als sie verfolgt wurden, schossen

(MTP.) New York , Anfang Jänner. Aus Anlaß der Flucht Lindberghs er­klärte die gesamte amerikanische Presse, die wachsende Unsicherheit in USA sei weniger den Gangstern als der teils unfähigen, teils durch und durch korrumpierten Polizei zuzuschreiben. Die nachstehend geschilderten Vorgänge, die sich jetzt in den Staaten New Dork und Minnesota abgespielt haben, beweisen, die volle Berech­tigung dieser bitteren Anklage. D. Red. Äl Capone, John Dillinger , Jack Diamond, Tom Taylor gehörten der Vergangenheit an. Es gibt keine Verbrecherkönige mehr. Aber es gibt desto mehr Gangsterban-en. Immer wieder hat man in den letzten Jahren versucht, die Gangster auszurotten. Vergebens:, die Polizeiaktionen, kaum erst begonnen, wurden schnell wieder ver­eitelt; die wenigen Erfolge blieben infolge der Passivität der Gerichte, ohne Auswirkung. Die schwierige politische Lage, die sich aus dem schar­fen Kampf zwischen den beiden großen Parteien Demokraten und Republikanern ergab, verhinderte überdies jede wirksame Aktion. Die wachsende Betriebsamkeit der Boot­legger, Racketeers, Kidnapper und anderer Gang­ster gegenüber der Schwäche der Polizei/ die zu einem öffentlichen Skandal geworden ist, hat jetzt zu einem energischen Vorgehen der Bundesorgane geführt. Zwei mutige Männer haben den Gang­stern erbarmungslos den Kampf angesagt und die ersten beiden Schlachten gewonnen.. Lewis Valentin, ein Mann aus Stahl Der Staat New Dork machte den Anfang. Sein Polizeichef, Lewis Valentin, ein Mann von eiserner Energie und eminenten kriminalistischen Fähigkeiten, erkannte, daß das Grundübel in der Komplizität eines Teiles der ihm unterstellten Beamten mit den Gangstern lag, und brannte die Wunde rücksichtslos aus. Nichts könnte ihn ein­schüchtern. Man sandte ihm mehr als 600 Droh­briefe und etliche nette Höllenmaschinen ins Haus. Sie störten ihn nicht. Man entführte seine beiden Kinder. Er jagte sie. den Räubern unversehrt wieder ab und brachte die Schuldigen in knapp acht Tagen nach.Sing-Sing. Bei dem Gouverneur des Staates New Uork, Lehman, fand Lewis Valentin tatkräftige Unterstützung. Die Geschworenen, durch Droh­briefe eingeschüchtert, wagten nicht, die von Valentin verhafteten Verbrecher zu verurteilen. Der Gouverneur schickte sie nach Hause und er­setzte sie durch eine Sonder-Jury. Die Richter, denen er den Vorsitz inwiefern Gericht Übertrages wollte, lehnten nacheinander unter den verschie­densten Borwänden ab. Da ernannte Lehman

sie. Trotzdem gelang es, zwei Täter festzunehmen. Die Oeffentlichkeit ist sehr erregt und verlangt ebenso wie die Presse die strenge Bestrafung der verhafteten.Gangster und die Verschärfung der polizellichen Verfolgungsmaßregeln: Radfahrer getötet. Freitag vormittags fuhr der^in St. Joachimstal wohnhafte amerikanische Staatsbürger Eugen Kurt Friedmann mit seinem Rade stach Karlsbad . Friedmann fuhr dicht hinter einem Lastkraftwagen, und als dieser in eine Seitenstraße abbog, stieß der Radfahrer gegen den rückwärtigen Teil des Autos und wurde zu Boden geschleudert. Hiebei' erlitt er schwere

den jungen Richter Philip MacCook zum Präsi­denten der Jury, und nun klappte die Sache. Je schärfer die Urteile ausfieleri, um so weniger wagte dieUnderworld" dagegen, äufzumucken. Durch die Verhaftung und Aburteilung hon 24 Polizeibecunten, die der Zusammenarbeit den Gangstern überführt wurden, erhielt die Verbrecherwelt des Staates New Aork einen schweren Schlag. Warren, der Retter von Minnesota Das Beispiel New Dorks fand unverzüglich Nachahmung^ St. Paul , die Hauptstadt des Staa­tes Minnesota , war ein Brandherd übelster Po» lizeikorruption. Zwei Männer räumten diesen Augiasstall aus: Warren, der Präsident des von der Bürger» schäft geschaffenenKomitees der öffentlichen Rettung", und Howard Kahn, der Herausgeber der,/öi. Paul? Daily News". Der letztere leitete die Aktion ein. Er ent­hüllte in seinem Blatt die verbrecherische Zusam- Menarbeit führender Polizeifunktionäre mit der Unterwelt: gemeinsame Erpressungen,Tip­geben", Subventionierung derGangs" aus den Spezialfönds der Polizei. Die Polizeichefs droh­ten mit VerlcUmdüngSklagen, ohne sie jedoch tat­sächlich zu riskieren. Als die Drohungen' ftuchtlos blieben, versuchte man, Howard Kahn in einer Skandalaffäre zu verwickeln; er durchschaute den Plan jedoch und entging der Falle. Die. Folge waren drei Attentate, denen der furchtlose Zei­tungsmann wie durch ein Wunder entging. Nun wurde die Oeffentlichkeit mobilisiert. Die! Regierung übertrug demKomitee der öffentlichen Rettung" außerordentliche Vollmach­ten. Warren und Kahn schritten zur Offensive. Sie ließen zunächst in den in Frage kommenden Kaschemmen insgeheim Mikrophone einbauen und beschafften sich so überführende Beweise für die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Unterwelt. Innerhalb von drei Wochen registrier­ten die Mikrophone 400 verbrecherische Unterhal­tungen zwischen Banditen und Polizisten. Dann schlug Warren zu. 150 Polizeibeamte wurden ihres Dienstes enthoben, 60 von ihnen den Gerichten übergeben, die Gangsterquartiere in wenigen Stunden ausaehoben. Die drei Pöli- zeichefs von St. Paul, Michael Culligan,-Fred Rasch und Ray Flanaqän, die am schwersten kompromittiert sind, warten im Gefängnis auf den elektrischen Stuhl. Endlich reckt sich gegen dieschwarze Hand*, die zwei Jahrzehnte hindurch den Schrecken von USA bildet, eine eiserne Fansti Alan E. K i n g.

Verletzungen, denen er kurz darauf erlag. Fried­mann war als Missionär einer christlichen Sekte in ganz Westböhmen tätig. Arbeitsloser schießt zwei Polizisten nieder. Freitag vormittags erschien eine größere Depu­tation beschäftigungsloser Arbeiter beim Banat­amt in Agram und überreichte dort ein Begehren um eine Aushilfe. Bei d'br Rückkehr der-Arbeiter löste sich von ihnen eine Gruppe von etwa 20 Personen' los, aus deren Mitte' apf dem Prera- dov.iL-Platz mehrere.Ausrufe ertönten. Als der diensthabende Wachmann Ratajac die Arbeüer aufforderte, auseinanderzugehen, zog einer von

ihnen einen Revolver und schoß nuf Ratajac, der tödlich getroffen niederfiel. Die Gruppe lief auseinander und der Angreifer ergriff die Flucht. In einer der nächsten Straßen stieß er auf den Wachmann BobiL , der ihn, yls er ihn aufgeregt laufen sah, anhielt und ihn aufforderte, sich zu legitimieren. Als. Bobic die Legitimation prüfte, schoß der Unbekannte auf ihn und verletzte ihn schwer.. Ein Wachtmeister verfolgte den Flie­henden, überwältigte' und fesselte ihn. Die ver­letzten Wachleute wurden ins Krankenhaus ge­bracht, wo Ratajec mehrere Minuten nach seiner Einlieferung starb. Ratajec hinterläßt vier Kin­der. Bobic ist in Krankenhausbehandlung ge­blieben.

- MIM null WM Abnahme der Konkurse Die Erleichterung des Krisendruckes, die im vergangenen Jahre in der tschechoslowakischen Wirtschaft zu derzeichnen war, wird durch die Entwicklung der Ausgleiche und Konkurse im Jahre 1935 unterstrichen. Es gab: Ausgleiche Konkurse 1935 1571 1090 1934 1981 1292 1933 3495 1583 Gegenüber dem Höchststand, den die Ausgleiche im Jahre 1932 mit 4636 erreichten, beträgt der Rückgang nahezu 66 Prozent- Die Konkurse haben sich gegenüber ihrem Höchststand um etwas über 30 Prozent vermindert. Bei den Ausglei­chen betrug 1935 die Ueberschuldung 161 Millio­nen Kronen, während sie 1933 468 Millionen Kronen betragen hatte. Bei den Konkursen er­reichte 1935 hie Ueberschuldung 55.2 Atillionen Kronen.

Hohe Spiritus-Dividenden Der landwirtschaftlichen Industrie in der Tschechoslowakei geht es recht gut. Die Spiritus­industrie z. B. vermochte in den ganzen Krisen­jahren hohe Dividenden auszuzahlen. Auch für das abgelausepe Geschäftsjahr, das die Zeit vom 1. Jänner 1934 bis 31. August 1935 umfaßt, kommen zum Teil, sogar noch höhere.Dividenden zur Ausschüttung. Dabei klagte die. Industrie in dem größten Teil des Geschäftsjahres, d'äß der Absatz von Spiritus in allen Kategorien schwä­cher gewesen sei als im Jahre vorher. Trotz die­ses Klagens hat die Spiritusgesellschaft Brosche Sohn A.-G. eine Erhöhung von 50 auf 90 Kro­nen pro Aktie beschlossen. Die Koliner Spiritus- Pottasche-Fabriks- und Raffinerie-A.-G. bringt wieder 60 Kronen und die A.-G. für Spiritus- induftrie in Mährisch-Ostrau 80 Kronen pro Aktie zur Ausschüttung.

525Z52S252S252525252525Z5Z52525a525Z5252SZ5i Zeitschrift für Sozialismus Das Januarheft. der wissenschaftlich-theoretischen Monatsschrift der reichsdeutschen Sozialdemokratie 'enthält folgende Beiträge: Karl Henrichsen, Drei Jahre Hitler Rudolf Breitscheid , Hitler und Europa A. Tchifrin, Wohin steuert Europa ? Hans Seitner» Faschistisches Oesterreich Bücherschau. Zu beziehen durch, jede Buchhandlung oder durch die VerlagsanstaltGraphia", Karlsbad.

liensdicn ohne Dadi Von Unus Jn's Haus! Ein Dach über deinem Haupt!" (Sophokles:Ödipus ", letzter Akt.) Was konnte dem von allen Furien verfolg­ten König bei finkender Sonne Köstlicheres'ge­boten werden, als einDach über seinem Haupte", eine Lagerstatt für den müden Körper? Bon jeher empfand der Mensch sein Hei m, mit einem Wirttel, in dem er sich nachts ausstrecken und im Schlaf das Elend des Tgges vergessen Konnte, als das Erstrebenswerteste seines Lebens! Der Zigeuner verkriecht sich unter die Pläne sei­nes Wägelchens, der Landstreicher im Getreide­schober. Die Familie, die einen ausrangierten Eisenbahnwagen ihr Eigen nennt, hat ihr Heim, einDach über ihrem Haupt", und schon einen Tag vor unserer Zeitrechnung fänd ein auf der Landstraße wanderndes Paar einest Stall, unter.dessen Dach die Mutter einem großen Um­stürzler in Ruhe das Leben schenken konnte!. Wo aber findet der Arbeiter ohne Arbeit des nachts sein Dach? Wo der Wiederverkäufe! von Seife, Schuhcreme, Putzlappen und Kleider­bügeln, dem die Annonceeinen sicheren Tages­verdienst von 100 XL" versprach, und der seine Provision" für eine Gulaschsuppe im Büffet verpraßt hat? Wo der Intelligenzler, der ver­gebens versucht, als Adressenschreiber unterzu­kommen? DerUeberaltete", der seine staatliche Pension von monatlich 50 XL als unverbesser­licher Lirderjahn allein für'sEssen " ausgibt? Unus!", berät mich ein ideenreicher Freund,ich habe eine glänzende Idee» dich: Ich las da neulich von einer privaten Wohltätig­keits-Einrichtung in der Hus ivä 6 wer kein Dach hat, kommt dort unter Fach! Das soll wunderbar sein! Radio bis elf Uhr! Kannst Zei­

tungen und Bücher lesen, btzkogrmst komplettes Rasierzeug zur freundlichen Benutzung, Nähzeug zum Knöpfe« und Löcherzusammennähen l Alles umsonst: Knöpfe, Sicherheitsnadeln. Lege der Sicherheit wegen auf einen Tag dein Geld aus die Bank, opfere die paar Nachtstunden, und du hast einen Stoff, der dir mindestens einen blan­ken 7 halben Hunderter Honorar einbringt!" Um neun Uhr also stand ich mit etwa fünf­zehn Gleichgeschalteten vor Nummer 6. Zu zweien, dreien werden wir durch ein Harmonika- gitter in das geschilderte Nachtparadies einge- laffen. Ob man sich im himmlischen Paradies auch nackt ausziehen muß. damit irgendein Engel die Hemden auf Floh- und Wanzenspuren unter­suchen kanst, weiß ich nicht; hier'muß't ich's. Das war für mich erst das Fegefeuer! Nach Legitimierung und Einwägung durste, ich das eigentliche Paradies, mit einer Blechmarke Nr. 139 im Knopfloch,, betteten. Empfang mit Radio; der ziemlich große und entsprechend hohe Saal gefüllt mit Männern in jeder Phase er­bärmlicher Verarmung; nicht, alle verlumpt, aber die meisten; einige wenig« sorgfältig gekleidet; viel junge Burschen, denen man, soweit sie mit nacktem Oberkörper, herumgehen, die Not nicht anmerkt; im rückwärtigen Winkel waschen sie sich; ihre Füße, ihre Socken; um den Tifch sitzen die, die sich rasieren oder für fünfzig Heller rasieren lassen können; sonst haben alle ihre Stühle Gartenstühle besetzt. Die Stühle in langen Reihen, dicht aneinander gepreßt; dieSchlauen" sichern sich noch einen zweiten, dieRaffinierten" einen dritten Stuhl, indem sie.Rock öder Mütze auf den Sitz legen ganz wie's die besseren Leute im. Eisenbahnwagen tun, um möglichst allein zu bleiben und dem nach einer Sitz­gelegenheit Suchenden ihrBesetzt!" zurufen! Um drei große Tische herum sitzen dieKenner", Abonnenten", die wissen, wann sie zu kommen haben, um diesen Glücksplatz zu. erhalten; denn

sie können zum Schlaf die Arme auf den Tisch legen und den Kopf auf die Arme! Die andern legen den Kopf auf die Stuhllehne des Vorder­mannes! Mein Nachbar rechts ist ein dicker Hau­sierer, anscheinend, denn er holt aus seinem Ran­zen alle Stiefel, die von Hand zu Hand gehen, krftisch geprüft aber nicht gekauft werden. Mein linker Nebenmann steckt ganz in Lumpen, das nicht unschöne Gesicht in tiefen Hunger-Fal­ten.; ein junger Bursch mit nackten Beinen, die Wohl nie Seifegefühlt haben» kratzt mit den Fin­gernägeln dieSchmutzkruste ab ich erinnere mich, daß Nansen nach seiner Grönlandfahrt ebenso verfahre» ist! Die Füße, die sich tagsüber auf der Suche nach Arbeit müde gelaufen haben, wollen sich ausfchwitzen. Wo sie einen Stützpunkt finden, ist den vielen nackten Füßen gleichgültig auch in meinem Rücken fühle ich plötzlich welche. Die Intelligenz" liest, spielt, plaudert, mit ge­dämpften Stimmen. Diese Proleten benehmen sich ruhig, anständig! Man bedenke: 150 bis 200 Menschen in einem Raum! Das Radio schweigt; ein jeder sucht so gut wie möglich eine Stellung, einzunehmen, die ihm das Einschlafen erleichtert; jene, deren Anzug noch halbweos intakt ist, legen auf jede freie Stelle, aber auch zwischen den Stuhlreihen, Zeitungspapier auf den Boden, und fühlen sich, ausgestreckt, wie in Abrahams Schoß. Die, deren Lumpen keinerlei Rücksicht erfordern, strecken sich auf dem nackten Boden aus, der nicht sauberer wird. Wenn mein Nachtbar zur Rechten noch so ost äusspuckt. Das Oberlicht wird abgedämpft Schlafenszeit. Männer balancieren über Rücken und auf Lehnen, da oder dort einen besse­ren Platz zu erspähen. Sonst aber Ruhe. Mein Podex* scheint in so viele Abschnitte geteill zu sein, wie der Sitz einzelne Brettchen zählt. Ich bin so zerschlagen, so na, wie alle bier» die sich nicht der eisernen Konstitution erfreuen, um in den verschiedenen Verrenkungen des Kopfs, der

Arme und Beine schlafen können. E wird drei, es wird vier, sogar eine Uhr schmückt die große Wand und einer hustet; das scheint ansteckeno zu wirken: bald erfüllt ein Hustenchor den Saal, in allen Tonarten, in jeder Stärke; es'ruckt und bellt aus zwanzig, von Hunger geschwächten, durch dünne Kleidung erkälteten, in keinem Kran­kenhaus behandelten Brüsten. Allgemeiner Auf­bruch(denn um sechs Uhr muß der Raum leer sein). Bürsten gehen von Hand zu Hand; es ist rührend zu sehen 7 man muß nur sehen wol­len! wie der Zerlumpte bestrebt ist, sauber zu erscheinen! Weiß doch jeder, daß bei der Stel­lensuche das Aeußere ost entscheidend ist. Der Staub legt sich mir wie eine feste Masse auf Zunge und Gaumen ich will mir wohl Stoff zu einem Artikel, aber keine Krankheit holen! Und so gehe ich, gebe meine Blechmarke ab, stehe, tief die kalte Nachtluft einziehend, aus der Straße. Ich lasse sie an mir vorbeiziehen, die Männer mit dem leeren Magen, mit dem einen quälenden Gedanken itn Gehirn:Ob du heute Arbeit bekommst?" Hungernd und frö­stelnd wandern sie weiter durch eine Gesellschafts­ordnung, die für. die Menschen ohne Dach nichts anderes übrig hat, als Gartenstühle mit RadiobeHleitung. * Die Privatgesellschaft, die dieses Nachtasyl eingerichtet hat, ist nicht zu tadeln im Gegen­teil: sie sei bedankt für den guten Gedanken und für den Willen, Gutes zu tun. Zur Ausführung fehlt wohl das nötige Kapital. Fehlt es wirklich? Oh nein! ES ist da, abereingefroren": in den Safes der Banken, in den Geldfchränken der Kapitalisten und in den Herzen der Damen, die den ganzen Nachmittag an den Bridge- Tischen im Cast verplempern, wo ich diese Zeilen niederschreibe I