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Samstag, 25. Jänner 1936

munistische Klub im Laufe der Wahlperiode für dann offen sein wird, wenn unsere Kommunisten eine Aenderung des innerpolitischen Kräftespiels nicht mehr nach Moskauer   Befehlen, sondern nach kaum mehr in Betracht kommen wird. Mit ge den Notwendigkeiten des eigenen Landes Politit wohnter Zurückhaltung haben wir dann die komi- machen. Die III. Internationale ist von wahrem schen Sprünge der KPC vor der Präsidentenwahl Einheitswollen nach wie vor weit entfernt. Auf mit dem Mantel christlicher Nächstenliebe zuge- die Schalmeien Dimitroffs folgte unlängst aus deckt. Soviel fann jedoch gesagt werden, daß nach dem Munde Manuilstis die Parole zur dem kommunistischen   Einheitsfrontrezept dieser Fortsetzung des Bruderkampfes. Er sagte vor entscheidende Kampf in einem vollen Sieg der Leningrader Arbeitern: Reaktion geendet hätte. Eine Einheitsfront- Kan= didatur der Sozialisten und Kommunisten wäre haushoch unterlegen. Zum Siege Beneš' hat da= gegen die politische Strategie der Sozialdemokra tie ihren Teil beigetragen, indem sie alle Versuche, die Arbeiterklasse zu isolieren, durchkreuzte. Wie­

Die Losung der Einheitspartei ist keine Losung der Spikenkombina=

fen, eines zähen und schweren Kampfes, der die Gespannte Lage

Menschen umschmiedet und zum revolutionären Bewußtsein erweckt. Und wir schleudern diese Losung unter die Mas= sen, weil die kommunistische Bewegung er starkt ist, weil sie sich heute schon nicht nur die Aufgabe der Bolschewisierung der kommunisti­ schen   Parteien, sondern der Bolsche wi= sierung der Arbeiterklasse stellen kann."

Das Spiel aus dem Jahre 1920 em Jahre 1920 ti o n, fie ist die Lofung des Kampfes der Maf- von vorne beginnen?

derum hat die sozialdemokratische Politik der Sarrauts Ministerliste

Reaktion den Weg verlegt und wenn die Kommu nisten nachher ihren eigenen Anteil am Siege feierten, fonnten sie eines mitleidigen Lächelns aller Wissenden sicher sein.

Die NPC steht nunmehr wieder am gleichen Punkt, wie vor dem Moskauer   Kongreß. Sie weiß mit Dimitroffs Anweisungen nichts anzufangen. So will sie nun das Glück voll auskosten, daß die Sozialdemokraten weiter unpopuläre Regierungs­politik machen und nach wie vor unter dem Schutzdach der Demokratie muntere Agitations­reden halten. Zur Abwechslung nimmt sie in leg­ter Zeit die Konkurrenz mit der nationalen De­magogie der Henleinpartei auf. Die nationalpoli­tischen Forderungen der KPC in allen Ehren, doch wenn sie gar so sehr nach Volksfreiheiten dürftet. dann müßte dies eigentlich ein Grund mehr sein, in die Regierung zu gehen und die wahrlich un erfreulichen Zustände ändern zu helfen. In der bestimmten Vorausseßung aber, daß man feine Gelegenheit zur Verwirklichung suchen wird, las= sen sich billig die kühnsten Forderungen erheben.

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Gesundheit: Nicolle( Deputierter der Mitte). HOORT SATHOM Flandin bekleidet. zum erstenmal den Posten des Außenministers. Er war von Novem­ber 1934 bis Mai 1935 Ministerpräsident und

nahm damals mit Laval, der sein Außenminister

war, an den Beratungen von Stresa   teil und war mit ihm auch in London  . Flandin hat unter den englischen Politikern zahlreiche Freunde und man glaubt, daß seine Anwesenheit am Quai d'Orsay in England günstig aufgenommen wer­ufgeno den wird.

Unterrichtsminister Guernut war lange olatisd196 Beit Generalsekretär der Liga für Menschenrechte.

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3. Feber:

Nr. 21

in Aegypten Wafd- Partei verlangt die ganze Macht London  . Nachdem der Führer der Wafd, Nahas Pascha, es abgelehnt hat, sich an der Bil dung eines Koalition stabinetts zu beteiligen und nur ein reines Wafd- Kabinett zu bilden bereit war, ist in Aegypten   eine recht ver­worrene politische Lage entstanden. Die Zeitung Al Ahram  " behauptet in diesem Zuſammenhang, daß sich die gesamte ägyptische Armee in Alarmbereitschaft befinde. Nach einer Reutermeldung aus Kairo   ist in der ägyptischen Gouverneure der Provinzen Befehl erhalten, Hauptstadt zur Zeit alles ruhig, doch haben die ihre Posten nicht zu verlassen.

Rom   meldet Sieg

in Tembien

Rom. Der letzte Heeresbericht meldet: Da das Oberkommando sichere Nachrichten erhalten hatte, nach denen beträchtliche abessinische Streit> kräfte unter dem Kommando des Ras Kassa während der letzten Tage im südlichen Tembien zusammengezogen worden waren, um eine träf­tige Offensive zu versuchen, wurde beschlossen, dem Feind zuvorzukommen und mit starken Kräften anzugreifen. Die für den Gegner überraschend die sich am 21., 22. und 23. Jänner fortsetten. Donnerstag, am späteren Abend, endeten diese Kämpfe mit einem vollständigen Siege unserer Truppen.

Prüfung der Oelsanktionen fommende Aftion führte zu erbitterten Kämpfen,

Genf  . Der Präsident der Sanktionskonfe­renz hat den Sachverständigenausschuß für die Prüfung der Voraussetzungen einer wirksamen Durchprüfung der Delsperre auf Montag, den 3. Feber, einberufen. Dieser Ausschuß soll Ministerpräsident und Inneres: Albert Sar- ehestens einen Bericht über die Tätigkeit der all­raut( radikaler Senator). fälligen Erweiterung der Sanktionen gegen Ita­ lien   und des Embargos auf Petroleum für den Achtzehner- Ausschuß ausarbeiten.

T

Staatsminister: Senator Paul Boncour  ( Borsitzender der sozialistischen   Vereinigung).

Aeußeres: P. E. Flandin( Vorsitzender der Partei der Mitte der demokratischen Alliance).

Auch andere Zeichen deuten darauf hin, daß sich die Kommunisten für die unveränderte Fort­setzung der alten sterilen Methoden entschlossen haben. Nach kurzer Unterbrechung ist die alte Bellenarbeit so weit als möglich wieder aufge­nommen worden. Wichtiger als der Aufbau einer eigenen Jugendbewegung erscheint den Einheits­frontlern die Konspiration unter den sozialdemo­fratischen Jugendlichen. Da und dort wird mal eine Kleinbauerngruppe für die Einheitsfront" eingespannt. Kampfbündnisse mit nichteriſtieren­den Organisationen sind sehr beliebt, bei gemein demokratischen Gruppe der demokratischen Linken terstreik, der am 27. Jänner beginnen sollte, ab­

famen" Aufrufen oder Protesten kommt es auf fingierte Unterschriften nicht an. Fast hat es den Anschein, daß all die schäbigen konspirativen Methoden aus dem Jahre 1920 wieder frisch aus­gepadt werden sollen.

Und was ist das Ergebnis? Das Sehnsuchts­ziel der wirklichen proletarischen Einheit wird wie der in die Ferne gerückt. Die Dauer der bürger­lich- agrarischen Vorherrschaft im Staate wird berlängert. Der Kampf um den Lohn des Arbei­ters und um das Stück Brot des Arbeitslosen wird erschwert. Die Fortsetzung derkommu nistischen Manöver geht auf Kosten der politischen Geltung und der sozialen Eristenz der Ar beiterklasse. Es scheint in den kommuni­ stischen   Reihen nicht wenig Leute zu geben, welche dieses impotente tägliche Geschwäß über die Ein­heitsfront" und das gleichzeitige Arbeiten gegen die Einigung des Proletariats schon bis zum Halse herauf satt haben. Deshalb wurde offenbar der kommunistische Parteitag schon mehrmals ver­schoben, wenn nicht sein Stattfinden in absehbarer Zeit überhaupt in Frage gestellt ist. Wie auch die inneren Kämpfe in der KPC ausgehen mögen, soviel ist gewiß, daß der Weg zur Einigung erst

Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Justizminister: Yvon Delbos  ( radikaler Depu­

Finanzen: Marcel Régnier( Senator der

und Radikalsozialisten).

Krieg: General Maurin. Marine: Deputierter Pietri( republikanische

Linke).

Flugwesen: Marcel Déat  ( fozialistische Ver­einigung).

Handel: Georges Bonnet  ( radikaler De­putierter).

Post: Georges Mandel  ( unabhängiger De­putterter).

Oeffentliche Arbeiten: Camille Chantemps ( radikaler Senator).

Englischer Bergarbeiterstreik vermieden

London  . Der Konflikt in der Kohlenindustrie wurde bereits liquidiert und damit der Bergarbei

gewendet. Die Landeskonferenz der Bergarbeiter­

delegierten gab nach einer langen Aussprache ihre 3uſt im mung zu den neuen Vorschlägen der

Gewerke, welche beschlossen, in allen Gruben ganz Großbritanniens  , demnach auch in Lancashire  , den Tageslohn der Bergarbeiter u meinen Schil ling zu erhöhen, obwohl sie ursprünglich nur eine Erhöhung um neun Pence( 0.75 Schil­ling) vorgeschlagen hatten.

Republikanischer Schwarzsender in Wien  

Nationale Erziehung: Gnernut( radikaler Wien.( Tsch. P.-B.) Am Donnerstag ar­Deputierter des linken Flügels). beitete in Wien   ein Schwarzfender. Der Landwirtschaft: Trillier( Deputierter der Ansager stellte sich als Sprecher des aufgelösten republikanischen Linken).

Republikanischen Schutzbundes vor und rief zu Kolonien: Jacques Stern( anabhängiger- ne u er Tätigkeit auf. Nach der Rede Deputierter). wurde auf einem Grammophon die Internatio­Arbeiten: Fr of sard( unabhängiger Depu- nale gespielt, worauf der Schwarzfender seine Sendung beendete.

( unabhängiger Depu­

tierter der Linken). Pensionen: R. Beffe tierter der Linken). Handelsmarine: de Chappedelaine( De­putierter der radikalen Linken).

UNSER GESICHT

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Roman von Karl Stym

Copyright by Eugen Prager- Verlag, Bratislava  

,, Nein, Paul, du bist noch zu jung! Du wirs

die Grube sollst du nimmer. Die Sonne wird dich gesund machen! Schau, es laufen doch so viele mit schlechten Lungen herum und werden alt damit!"

,, Laß!"

-

,, Du mußt leben wollen!"

,, Zu spät! Ich hätte nie in die Grube gehen sollen!" Ich möchte diesen Menschen da vor mir rütteln, weil er niemand anklagt, als sich selbst.

Bald darauf ist er wieder eingeschlafen. Still, dünnatmig liegt er da. Ein halber Toter...

Ich halte Wache und scheuche die Fliegen von seinem Gesicht. Es ist so still im Zimmer, daß ich sogar das Ticken meiner Taschenuhr höre.

Vor dem Fenster steht ein Birnbaum. Er blüht hellweiß. Ein Star trillert darauf...

Ich gehe zur Post und gebe ein Telegramm an Berta Müh­ler auf. Wenn sie morgen kommt, trifft sie ihn vielleicht noch am Leben. Vielleicht?...

Die ganze Gegend ist voll Militär. Es ist ein förmlicher Spießrutenlauf ins Dorf hinunter. Mich wundert nur, warum sie nicht mit ihren blankgeputzten Bajonetten gleich zu­stechen...

Sogar mein Telegramm beschnüffeln sie. Ich halte es empört dem Offizier vors arrogante Gesicht. Er liest. Berta komme. Paul stirbt.

,, Pardon!" stammelt er und gibt es mir zurück.

,, Ich dachte, es wäre etwas anderes!"

,, Schade, nicht wahr!?"

Die Polizei hat insbesondere an der Peri­pherie des 10. Bezirkes strenge Nachforschungen angestellt und einige Hausdurchsuchungen vorge­nommen. Sechs Personen wurden in Haft ge­

nommen.

Ich kann nicht vom Fleck. Meine Augen verbeißen sich in das glatte Gesicht. Was weiß dieser Kerl von unserem end. Er hat keine andere Sorge, als sein Gehalt bei feilen Dirnen loszuwerden.

,, Abtreten!"

Unmöglich. Ich kann nicht. Das Gesicht fängt an, sich um mich zu drehen. Immer schneller. Ich reiße meine Hände aus den Taschen. Im nächsten Moment liege ich auf dem harten Pflaster vor der Post. Die Soldaten lachen. Einer hält mir sein Bajonett vor die Nase und höhnt: ,, Riech'!"

Die anderen wiehern vor Vergnügen. Der Offizier stellt sich breitbeinig vor mir auf und reißt mich in die Höhe. Ich sehe wieder in das Gesicht. Aber ich kann nicht mehr zu­schlagen. Meine Hände hängen wie tot an mir. ,, Verdammter Hund!"

Ein kräftiger Stoß wirft mich an die Wand. Ich fühle nichts, nur fort möchte ich. Schwerfällig setze ich einen Fuß vor den anderen. Meine Knie brennen. Sie haben die Hose durchstoßen und bluten stark.

Ich gehe nicht nach Hause. Dort stirbt Paul... Auf der Tegelhalde setze ich mich auf meine Bank unter der mageren Birke und weine...

Ich weine nicht vor Schmerz. Wahnsinnige, hilflose Wut stößt mir die Tränen in die Augen und erstickt mich fast. Ich verfluche mich selbst und die ganze Welt.

Wie durch einen Schleier sehe ich das Mundloch des ,, Bar­barafeldes" vor mir. Es glotzt mich wie ein ausgeronnenes Auge an. Ein Soldat steht schußbereit davor. Der Gewehr­lauf blitzt in der Sonne  ...

Alles ist aus.

Röhlings Weib ist schon zu Hause. Sie sitzt auf einem niedrigen Schemel und sieht mit irren Augen auf ihr Kind, das sie fest an sich gepreẞt hält. Die Haare hängen wirr in ihr Gesicht. Mit einer Hand wühlt sie in ihrer Schürze. Die Hand ist blutig.

Der alte Schropp hockt noch immer frierend am Ofen,

Das Gesicht wird puterrot. Ich verbohre meine Hände in ganz in sich verkrochen.

die Hosentaschen. Herrgott, jetzt zuschlagen dürfen...

Ich trete leise auf, um ungesehen vorbeizukommen.

Demgegenüber erklären nach einer Reuter­meldung die Abessinier, daß die Schlacht noch nicht zu Ende ist und ohne Unterbrechung weiter fortschreitet.

300 italienische Ueberläufer

in Kenya   interniert Nairobi  ( Britisch- Ostafrita). Amtlich wurde mitgeteilt daß 380 italienische Eingeborenen soldaten, die desertiert sind, die Grenzen Die Ueberläufer wurden entwaffnet und der britischen   Kolonie Kenya   überschritten haben. in einem eigenen Lager bei Isiolo   interniert.

Verlängerung

der Ernährungsaktion

Der letzte Ministerrat bewilligte die Mittel für die Fortsetzung der staatlichen Ernährungs­aktion für Arbeit lose und der Milchaktion für Kinder für die laufende Periode. Ebenso wurde die weitere Erhaltung der Heime für jugendliche Arbeitslose bewilligt.

Der Ministerrat nahm u. a. den Bericht über die Verhandlungen mit Deutschland   betref= fend die Regelung des gegenseitigen Warenvers fehrs und die Liquidierung des tschechoslowakis schen Aktivsaldos gegenüber Deutschland   zur Kenntnis, genehmigte einen Geseßentwurf über die Uebernahme der Kunstsammlungen der Ge­sellschaft der patriotischen Kunstfreunde in Böh­ men   und nahm eine Reihe von Regierungsverord= nungen an. Eine dieser Verordnungen sieht vor, daß bei kleinen Steuerzahlern auf dem Gebiete der Einkommens und allgemeinen Erwerbsteuer die Steuerbekenntnisse und Steuerbemessungen. auf einmal für zwei Steuerjahre getätigt werden können.

Kaum habe ich die Klinke zu unserem Zimmer in der Hand, fährt das junge Weib auf.

-

,, Du?! Du stehst da und drüben wird geschossen!" Sie kommt auf mich zu. Ihre entzundenen Augen funkeln. ,, Du, hörst du, mein Mann ist tot und du lebst! Warum lebst du? Du hast keine Frau und keine Kinder. Fogger Schorsch ist auch tot und seine sieben Kinder können sich über den leeren Tisch anheulen. Du bist davongelaufen, du Feigling! Ich möchte dich schlagen, weil du lebst!" Ich sehe an dem unglücklichen Weib vorbei. Was sollte ich auch sagen.

-

-

-

,, Jetzt schämst du dich! Da schau her, das hab' ich vor. ihm noch gefunden. Ein paar Fetzen! Und um die mußte ich noch mit den Soldaten raufen!"

Sie hält mir ihre Schürze entgegen. Blutige Fleisch- und Gewandfetzen liegen darin.

Kaltes Grauen schüttelt mich. Die Lampengranate des kleinen Gallon! Er hat damit eigene Kameraden zerrissen. Ich wollte, er läge selbst irgendwo erschossen.

,, Was soll jetzt werden?"

Ich führe Sophie zum Tisch und setze mich ihr gegen­über. Eine Fliege surrt an der Fensterscheibe. Ich höre es laut, wie ein furchtbares Brausen und Brüllen.

,, Sophie, wir sind alle unglücklich!"

Sie weint still vor sich hin. Die Tränen fallen in das staunende Kindergesichtchen.

Ich schäme mich, weil ich Martha!

-

lebe...

Eine wahnsinnige Angst erfaßt mich. Ich hatte seit heute morgen nicht mehr an sie gedacht. Sie ist drüben und viel­leicht nein! Das wäre zu viel...

Ich sehe noch schnell nach Paul. Er schläft. Ich lege ein Tuch über sein Gesicht, gegen die lästigen Fliegen. Dann laufe ich quer durch den Wald in den Hauptbetrieb. Martha!

Jeder Schritt ist eine Qual.

Die Sonne ist im Untergehen und glitzert in den Blut­

lachen vor der Direktion.

,, Blut!"