Sette 2 Freitag, 31. Jänner 1936 Nr. 26 Irr Addis Abeba  durch Graziani bedroht! In Berlin   hat man den Bogen überspannt. Man glaubte wieder wie vor einem Menschen­alter, sich alles erlauben zu können, da man ja jederzeit optieren könne. Als England fich den neuen Forderungen Hitlers   auf außen- und mili« tärpolttischem Gebiet widersetzte, antwortete Goebbels   mit einem Propagandafeldzug für die Rückerstattung der deutschen Kolonien. Der Don der deutschen   Presse in der abessinischen Frage schlug plötzlich um. Er wurde auffallend italien­freundlich. Die GesinnungS- und Interessenge­meinschaft zwischen Deutschland   und Italien  wurde mit großem Nachdruck hervorgehoben. Man glaubte, Britannien in der entscheidenden Phase des Ringens um die Mittelmeerstellung unter Druck setzen zu können. Die Antwort darauf ist die Annäherung zwischen dem Kreml   Und dem neuen Herrn im Buckingham Palace  , die von der Weltpresse mit Ausnahme der hitlerdeutschen, der es den Atem verschlagen hat als Tatsache verbucht wird. Natürlich hat auch dasVorgehenJa- p a n s die Annäherung zwischen Moskau   und London   gefördert. Englands alter Alliierter am Pazifik   hat sich einen gefährlichen Gegenspie­ler verwandest. Man wird unter Umständen Ruß­ land   gegen ihn brauchen können. So hat die Freundschaft Berlin  Tokio   ihr Gegenstück in der Annäherung zwischen Moskau   und London   ge­funden. Von beiden Seiten waren Vorurteile zu überwinden und mußten tatsächlich Gegensätze zu­rückgestellt werden. Den Russen ist der Weg nach London   wahrscheinlich nicht leicht gefallen. Man hat schließlich fast zwei Jahrzehnte der Welt den englisch  -russischen Gegensatz als ein Dogma des Leninismus vorgesetzt und ihn zu Unrecht in einen großen wettanschaulichen Konflikt umgedeutet. Aber unter den deutschen   Drohungen hat fich Moskau   entschlossen, einem toten König die ehr» erbietige Reverenz nicht nur der Regierung, son­dern auch der Roten Armee zu zollen und bei die­sem Anlaß eine alle Feindschaft, wenn nicht zu begraben, so doch zu vertagen. London   hat nicht minder als Moskau   vieles vergessen müssen. Wel­cher Abstand vomSinowiew-Brief", der raffi­nierten Fälschung, mit der die Tories 1924 MacDonald schlugen, zur 40 Minuten-Audienz Litwinows beim König und zum Gastmahl EdenS für den roten Marschall! Die Berliner   Hasardeure halten den Schwar­zen Peter in der Hand, ihre Trümpfe sind ihnen zunächst einmal aus der Hand geschlagen. Nach­dem sie schon Herrn Laval   zu betrauern, hatten, mußte ihnen auch das noch geschehen ein bis­chen viel in kurzer Zett! Dabei ist es vielleicht nicht alles. In London   ist mit den Königen und Ministern des europäischen   SüdostenS viel kon­feriert worden. Wenn Starhemberg sich so lange bei Hofe aufhält, darf man wohl annehmen, daß nicht e r England, sondern England ihn auf eine neue politische Linie führt. Noch immer ist ja Oesterreich Hitlers   größte Hoffnung. Seit dem Prager Besuch Schuschniggs ist man in Berlin   in diesem Punkte hypernervös. Die Nachrichten aus London   sind nicht dazu angetan, die Herren in der Wilhelmstraße zu erfreuen. Ein kunstvolles poli- tisches Gebäude erweist sich als Kartenhaus. Eines allerdings darf angesichts einer er» freulichen Wendung nicht übersehen werden: je deutlicher den Machthabern deS Dritten Reiches  ihre Situation zum Bewußtsein kommen wird, destogrötzerwird die Gefahr, daß sie sich in letzter Stunde mit einer Brand­stiftunghelfen, gegen die der Reichs­tagsbrand sich ausnimmt wie ein Kerzenlicht am Höllentorl In der Schlacht nordwärts Dolo, die von den Italienern nach dem Flusse Ganale Doria benannt wurde, hat die Armee des Generals Graziani durch einen Massenstoß von motorisierten Abteilungen, Tanks und eingebo­renen Somalis, den besonders tüchtigen DubatS, den äußersten rechten Flügel der Armee des Ras Desta Damptu zer ­trümmert. Die Haupt ­macht des Ras Desta blieb, von der Niederlage ihres Flügels unberührt, zwischen dem Web und dem Webi Schebeli stehen. Die Italiener aber ver ­folgten überraschender ­weise nicht nach Norden oder versuchten etwa öst ­lich umfassend gegen die Hauptmasse des Ras Desta vorzugehen, son ­dern begann einen in der Kriegsgeschichte vielleicht einzig, mindestens als Rarität dastehenden Linksabmarsch. Wäh­rend sie auf der allen Karawanenstraße von Dolo nach Addis   Abeba nur langsam vorrücken, haben fie auf der moderneren nach Westen füh­renden Sttaße in wenigen Tagen mehr als 200 Kilometer zurückgelegt und treiben über Filtu und Neghelli ihre motorisierten Vorhuten gegen den großen Graben vor, in dem die Abai-, Sciala- und Suai-Seen liegen. Sie scheinen also doch ernstlich die Absicht zu haben» auf die­sem Umweg an Addis   Abeba her­anzukommen, sich mindestens vor Beginn der Regenzeit noch eine Operationsbasis für den Herbstfeldzug zu schaffen. Dieses Unternehmen ist kühn und kann unter Umständen die Kriegslage zugunsten Italiens   wenden. Es kann aber auch in eine Katastrchche münden. Im Kriege läßt sich das Ende einer strategischen Operation nie Voraus­sagen, weil der Gegner mitspricht. Die Abessinier haben zwischen Ual-Ual und dem Web drei Armeen freilich nicht in einer Front, sondern in vielen Kordon-Stationen und mehreren Staffeln insgesamt wohl an 100.000 Krieger stehen. Auf 400 Kilometer Front dürste ihnen Graziani im Augenblick, wenn er mit 18.000 bis 20.000 Mqnn auf den Seengraben zumarschiert und von Dolo nach Nor« den vorstößt, nur Kordons von höchstens 40.000 Mann Stärke entgegensetzen können. Die opera« tive Chance der Abessinier und ihres Stabs-Chefs Wehib Pascha ist es, Graziani nach Westen mar­schieren zu lassen, unterdessen aber am Webi Schebeli offensiv zu werden und MogadiScio, also die Basis Ärazianis zu bedrohen. Das könnte die­sen in die denkbar größte Gefahr bringen. Die zweite Maßnahme, zu der die Abessinier jetzt greifen können, ist eine Umgruppierung gro­ßer Teile ihrer Südarmee auf die Höhenzüge, in denen der Ganale Doria entspringt. Sie kön­nen dort Grazianis Angriff abwarten, der fich den Uebergang über die zwei zur Verfügung stehenden Pässe erzwingen muß, oder sie können ihn wäh­rend seines Marsches in der Flanke angreifen und versuchen, ihn gegen den Dawa   Parma, vielleicht sogar nach Britisch-Kenia zu werfen. Diese Ope­ration setzt eine Beweglichkeit der Abessinier vor­aus, dje sie in der Konkurrenz mtt den motorisier­ten, auf guter Straße nach Westen marschierenden Italiener» nicht aufbringen dürften. Jedenfalls hat Graziani durch seinen Links­abmarsch am Dawa Parma und gegen die Seen die Blicke der Welt wieder auf den südlichen Kriegsschauplatz gezogen und vermutlich auch die Reserven Abessiniens vom Norden abgelentt. Wenn Makalle und   Aksum italienisch bleiben, dann nicht wegen der Siege Badoglios in Tem- bien, sondern wegen der Sorge des Negus um seine von Südwesten bedrohte Haupfftadt. Verschärfte Kriegsgefahr MandschukuoMongolei Die Läge an der Grenze zwischen Mandschu­kuo und der Autzen-Mongolei   in der Gegend des Buir-Sees wird von Tag zu Tag gefahrdrohen­der. Fortwährend werden Zusammenstöße zwi­schen Grenzposten gemeldet, die beide Teile zu scharfen Protesten bei der Gegensette veranlassen. Eine Meldung aus   Tokio behauptet, daß eine friedliche Lösung bereits unmöglich sei. Hinter Mandschukuo steht ganz offen die ja­panische Besatzungs-Armee in der Mandschurei  , die sichtlich einen neuen Vasallenstaat wenn nötig auch durch einen Krieg, in den Mandschukuo vorgeschoben würde schaffen will. Eine japa­nische Durchdringung der Autzenmongülei würde die Sowjetinteressen in diesen Gebieten stark be- eirtträchtigen und darüber hinaus eine direkte militärische Gefahr für den russischen Fernen Osten bedeuten. Tendenziös gefärbte japanische Meldungen behaupten, daß aus der i n n e r e n Mongolei   be­reits 60.000 Soldaten an dem wichtigen strate­gischen Grenzpunkt Nejkulum zusammenge­zogen seien. Der Jahrestag der Diktatur  Berlin. Am dritten Jahrestag der   Hitler- Herrschaft wurden nach   Berlin in Sonderzügen 25.  000 SA-Leute gebracht, vor welchen Hitler eine Rede hiell. Die Bevöllerung gehorchte der Weisung zur Hissung von Fahnen. Der agrarische Parteitag (Fortsetzung von Seit« 1) da wir uns bewußt find, daß sie das treibende Moment des wirtschaftlichen Lebens sind. Wir stellen uns aber gegen die Auswüchse der libera- listischen Ordnung, in welcher der maßlose Egois­mus zur Folge hat, daß die einen im Äeberfluß und die anderen in Not leben." Der Referent wandte sich dann dem Ver­hältnis von Landwirtschaft und Industrie zu: Die Ansicht, daß die Agrarpolitik gegen die Industrie gerichtet ist, ist irrig. Die Landwirte haben aus zwei Gründen ein Interesse an der Industrie: der Bebölkerungsüberschuß. der fich nicht mehr vom Boden ernähren kann, findet in der Industrie und im Geweübe Arbeit. Die Industrie- und Stadtbevöllerung bildet für die Landwirtschaft starke Märfte. Di« Agrar- politikhatdeShalbeinJnter- esse an der Stärkung des Arbeits­einkommens der breiten Massen der Bevölkerung... Wir wollen eine demokratische Zusammenarbeit nut der Industrie und überlassen es ihr zu entscheiden, wo in den heuttgen Zeiten ihr Platz ist. Ueberdie politischen Parteien sagte Beran, daßdie gegenwärttgen politischen Gefüge das Fundament der tschechoslowakischen parlamentarischen Demokratie find". Wenn davon gesprochen wurde, daß der Kongreß die Benen­nung der Partei ändern und daß ihr landwirt­schaftlicher Charakter verlassen werden soll, um eine allständische Partei zu bilden, sei das falsch. Die Partei werde ihren Grundsätzen» Dienst an der Landwirtschaft und am Staate, nicht untteu werden.Wir bleiben den Ideen der Demokratte treu. Niemals ist uns der Gedanke einer agrarischen Diktatur ein­gefallen und wird uns auch nicht einfallen, auch wenn wir vielleicht ausreichen würden den Staat zu beherrschen. Wir fordern eine feste und disziplinierte Demokratie... Die Demokratte ist für uns Vermächtnis der Vergangenheit und ein Gebot der Gegenwart und Zukunft. W e n n i r- gend jemand bei uns es wagen sollte, andieEinsetzungeinerDik» tatur zu denken, werden wir einen solchen Versuch gleich in den Anfängen zunichte machen. Unser« Mitbürger deutscher   und unga­rischer Zunge müssen begreifen, daß unsere Demokratie die Resultante einer jahrhunderte langen Entwicklung ist und daß es demnach für siekeinenanderen Weg gibt, als eine demokratische Zusammen» arbeitmituns". Bemerkenswert ist auch, daß,Beran das Recht'veb'Pärlei betobtt/dreÄ ro e'TFer schaft zu organisieren, weil Hunderttausende von Indu­striearbeitern auf dem Lande leben und gleichzei- ttg in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Ueber die Stellung zur Regierungskoalition führte Beran aus, daß die Partei für weitere Zu­sammenarbeit in der bestehenden Koalition sei. Wir kennen kein Diktat und wollen kein Diktat ... Das Voll in eine Rechte und Linke zu teilen, war niemals unser Ziel. Wir sind für ein Gleich­gewicht der Kräfte, das der sozialen und wirt- schafrllchen Schichtung im Staate entspricht." Freitag wird zum Kongreß der Ministerprä­sident sprechen. Am Nachmittag ttaten die Kommissionen zu­sammen, welche ihre Arbeiten bis zum Abend be­enden sollen. KOVKI.I.E VON ONMK BAUM Musik lernten nur einige Auserwählte und die durften andere nicht unterweisen, damit nicht Unbefugte halbe oder viertel Stündchen der heiß umkämpften Uebungszeit an den wenigen Instru­menten heimlich durch allerhand Gegendienste er­kauften. Berkl wußte längst, daß Lore die halben Nächte begehrte Handschriften, vor allem Noten abschrieb, um Unterweisung und Uebungszeit be­zahlen zu können. Jetzt wird es ernst, Lorchen," sagte er,Dr. Lötz hat eben mit detü Herrn Direktor gesprochen." Dr. Lötz?" ftagte sie verwirrt. Hat er dich nicht auch gestern wieder in die­ser Sache rufen lassen?" Ja," sagte sie. Rur wie von einer fernen Möglichkeit, die allzu unwahrscheinlich und unausdenkbar war, um ernsthaft durchberaten zu werden, hatte Berll seit der ersten Bemerkung des Arztes von den Hoffnungen und Bedenken gesprochen. Wir sollen zu deinem Vater gehen, seine Zustimmung einzuholen," sagte er. Zu meinem Vater?" Lore lachte; sie lachte selten. ES llang überraschend hell und lauter als es die Sprechstimme vermuten ließ. Es hallte in dem hohen weiten Raum, in dem außer dem Klavier nur noch ein Notenschrank stand. Das ist gesetzliche Vorschrift," meinte Berll verweisend. Der Vater wird sich wundern." Nur sel­ten kam eines der Geschwister sie besuchen. Den Vater hatte fie schon seit Jahren nicht mehr ge­sprochen. Sie gehörte zu den wenigen Zöglingen, denen bewilligt wurde, auch die Ferien in der Anstalt zu verbringen. Berll hätte eigentlich veranlassen sollen, daß eine der weiblichen Angestellten des Hauses Lore zu den Ihren begleite, aber er fürchtete, die Be­gleiterin könnte allzu geringschätzig den armen Leuten verkehren, und Lore, die in dieser unsi- chern Wartezeit sehr erregbar schien, in ihren Empfindungen verletzen.Gegen Abend finden wir wohl Deinen Vater am sichersten zu Hause?" fragte er. Wir?" dachte sie mit einem Keinen Schauer der   Freud« und des Staunens. Wollte Herr Beck! wirklich selbst mit ihr gehen? Ein Brief würde ja genügen," hatte er dem Direktor vorgeschlagen, aber der meinte: Bor einem Schritt, der eine Schicksalswendung brin­gen kann, hat fich das Kind mit seinen Angehö­rigen zu besprechen. Das ist sittlicher Tall." Daran mußte Berkl denken, als er am Fuß der ungefügen Kellertreppe mit Lore vor der Tür schon ein Durcheinander von derben Stim­men und Arbettsgeräuschen hörte. In dem nicht sehr Keinen, aber nieder» und schlecht beleuchte­ten Raum roch es nach Pfeifenrauch» Seifenlauge und Kaffee. Der Vater stand mit aufgeschlage­nen Hemdärmeln am Bottich und wusch Wäsche. Die Mutter lag krank im Bett. Die Geschwister, drei Jungen unb ein Mädchen, stritten mit einem fremden Burschen, der hier wohl in Untermiete wohnte. Er hatte ihnen einen Schlagring gezeigt, den er heute gekauft hatte, und das Ding war lötzlich unauffindbar. Mutter und Vater erschraken nicht wenig, als Lore mtt dem Lehrer eintrat. Sie dachten, Lores Ausbildung sei beendet und man sende sie nach Hause. Als Berll ihnen den Zweck des Be­suches auseinandersetzte, unterbrach ihn der Va­ter nach den ersten Sätzen:Zahlen kann ich nichts," sagte er, die Mutter wollte sich ins Mit­tel legen:Wenn es sich um so'was handelt..." Berll tat sein Möglichstes, sie rasch zu be­ruhigen. Ja, aber, warum sind Sie denn gekom ­men?" ftagten sie. Sie begriffen nicht, was man von ihnen wollte. Lore ging währenddessen in der Wohnung umher, streifte zärtlich an den Gegenständen hin, um festzustellen, was fich sett ihrer Kindheit hier verändert hatte. Da sprang der Vater plötzlich zur Tür dem ftemden Burschen in den Weg, der in der Hitze des Stteites seine Sachen zusammengepackt hatte und davon wollte.«Wo man nicht einmal seines Eigentmns sicher ist..." schrie er trotzig. Aber es war sehr gut möglich, daß er das Ganze ver- anstaltet hatte, um sich in der allgemeinen Auf­regung davonzumachen, ohne die Miete zu be­zahlen. Auf dem Heimweg erzählte Berll von der Rot seiner eigenen Kindheit. Es war eine schöne Nacht. Ueber die gespenstersttllen Vorstadtstraßen floß dünnes Mondmllch hin und täuschte Frost auf den Dächern vor  . Biel zu früher Vorfrüh­  ling kündigte sich in dem warmen Wind an. Lore trabte hastig neben Berkl her. Die bescheidene An­staltsuniform von derbem Swff, die zur edlen Zartheit ihres Gesichts so gar nicht paßte, erhöhte nur den Reiz ihrer lieblichen Erscheinung. Ihre Hand lag leicht auf seinem Arm. Sie sprach ganz gegen ihre sonstige Art ohne Aufhören. Morgen sollte sie ins Spital. Sie war wie betrunken von der Erregung, die sie nicht zuzestehrn wollte, die aber doch immer mehr von ihr Besitz ergriff. Sie war gut zwei Köpfe kleiner als er. Sie tat im­mer zwei Schritte, indes er einen machte. Sie war achtzehn Jahre und fünf Tage alt. Berll überlegte besorgt, ob sie nicht zu spät in die Anstalt zurückkämen und ob man es nicht überhaupt übel vermerken würde, daß er selbst mtt dem Mädchen gegangen war. Lore gestand, daß sie Dr. Lötz nicht mochte. Sie machte sich Borwürfe deswegen. Seine tän­zelnde süßliche Sprache, seine Hände» die immer ein wenig auf ihrer Schulter, auf ihrem Arm liegen blieben, ihr über's Haar führen, ihr die Wange klopften, es durchrieselte sie ein Wi­derstreben. Wenn er etwas wollte, war seine Rede wie eine klebrige Schlange, die sich wandt und krümmte und alles mitzog, woran sie vorbei- glttt. Es war doch ein so großes Glück, das fie ihm verdanken sollte, aber sie hatte eine unbe­schreibliche Angst davor, weil der Gedanke von ihm auszing. Berll suchte fie zu beruhigen und abzulen­ken. Er erzählte ihr mit scherzhafter Uebertrei« bung, wie beliebt Dr. Lötz gerade bei jungen Mädchen sei. Lore konnte das nicht verstehen. Warum?" fragte sie. Er ist ein schöner Mann", sagte Berll. Sie blieb vor Verwunderung stehen:Nein , das ist doch ganz gewiß nicht möglich!" sagt« sie, lind in Sinnen verloren ging sie weiter. Es wird ein Schnitt in den Augapfel ge­macht." So hatte Dr. Lötz Berkl die Operation erklärt,um falsche Pupillen" zu schaffen, dann werden die zarten Gewebe zurückgeklappt, damit die kleine Oeffnung auch offen bleibe und die Haut über dem^uge wird zum Teil wegge­schabt. Alles kommt natürlich auf die sichere Hand des Operateurs an." Nicht wahr, Lorchen", sagte Berll, und nahm ihre Hand.Auch wenn die Sache schief geht, ich meine: auch wenn es nicht so ausfällt wie Dr. Lötz es sich denkt, ist es gar nicht so schlimm? Wie?" * Berll erreichte durch einen schüchternen Bries an Professor Perl nur, daß Lore aus dem großen Saal mtt den vielen Kranken forttam und ein Einzelzimmer erhielt. Aber Lötz operierte. Als Berll im Namen der Anstalt unmittel­bar nach der Operation sich erkundigen kam, sagt« Dr. Lötz:Hauptsache, daß fie Geduld hat, ruhig zu liegen." .(Fortsetzung folgt.)!