Nr. SS
Freitag, 7. Fever 1936
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Wie Filmattualitäten erzeugt werden. Am Abend nach dem Tode des englischen Königs konnte man bereits in den großen Pariser Kinos einen ziemlich langen Film unter dem TitelAus dem Leben Georgs V" sehen. Wie hat man das in der kurzen Zeit zu­stande gebracht? Um S Uhr früh hat man bereits im Archiv einer großen Kinofirma alle alten Filmstreifen, die irgendeinen Bezug auf König Georg V.   hatten, einer Durchsicht unterzogen. Nach einer knappen Stunde hatte man alles bei­sammen, von der Krönungsfeier 1911 bis zu den jüngsten Jubiläumsfeiern. Run ging es an die Montage, wobei natürlich viele Szenen, die vor 10,15 oder sogar 25 Jahren ausgenommen wor­den waren, vertont werden mußten, da eS ja damals nur stumme Aufnahmen gegeben hat. Für diese nachträgliche Vertonung gibt eS eine T o n b i b l i o t h e I", aus der man jede be­liebigeTonbegleitung" in wenigen Minuten aussuchen kann: Trauermärsche, Parademusik, Maschinengcwehrgeratter usw. Die ausgesuchten Tonplatten werden dann mit Hilfe eines beson­deren Apparates, der sogenannten Tonmischers, verarbeitet, so daß der Hörer später das Orche­ster, das Lärmen der Volksmenge, das Aufschla- gen der Pferdehufe usw. gleichzeitig hört. Dieser Tonsalat" wird dann auf die Platte mit den entsprechenden Bildaufnahmen übertragen. Die während der Begräbnisfeier Georgs V. in Lon­ don   und Windsor gemachten Aufnahmen wurden stündlich mit besonderen Flugzeugen nach Paris  versandt. Kidnapping ans journalistischem Elfer. Der Berichterstatter der Zagreber ZeitungNvbosti" in der kleinen Stadt Vukovar   bedauerte seit Monaten, daß es ihm nicht vergönnt war, eine sensattonelle Nachricht an sein Blatt zu richten. Um seinen jour­nalistischen Eifer zu beweisen, beschloß er, auf eigene Faust eine Sensation zu schaffen. Er verfiel auf die Idee, Drohbriefe an begütert« Familien zu schrei­ben, in denen die Entführung der Kinder ganz nach amerikanischem Muster angedroht wurde, wenn nicht eine größere Summe Geldes an einem bestiuanten Orte deponiert würde. Aber selbst die Bürger von Vukovar   wissen, daß man in derlei Fällen am besten zur Polizei geht, und dieser gelang eS auch sehr schnell, den Briefichreiber festzunehmen. Er bekannte freimüfig seine Schuld und stellte an die Polizei nur die Frage, was denn ein Journalist in Vukovar   tun sclle, wenn sich dort nicht einmal eine Kidnapping- Affäre ereignete. Die Polizei wußte darauf auch keinen Rat und ließ den übereifrigen Journalisten vorläufig frei; es erwartet ihn eine empfindliche Strafe.
Eleaner Powell und Rodert Taylor in dem MGM-Film.  Melodie der Welt 1936".
Zwölf Jahre für Prag  . Der zweite BerhandlungStaa des mon­strösen Prozesses gegen Bojttch Zajac vollzog sich gleichfalls unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Immer­hin hatte man Gelegenhest, die Hauptbeteiligien die­ses Falles, die erst gestern als Zeugen geladen waren, auf dem Korridor vor dem Schwurgerichtssaai zu Gesicht zu bekommen. Da ist zunächst die verwundete Bäuerin D. Sie ist heute 52 Jahre alt. klein, dick und ihre stechenden Augen sprechen von Energie und Rücksichtslosigkeit. Sie erschien in ein großer Tuch eingewickelt, welches die Stirnwunde verhüllte. Ja ihrem Gang und Wesen läßt nichts erkennen, daß sie eine so furchtbare Verletzung erlitten bat. Reben ihr bewegt sich ihre heute 15jährige Tochter, ein ziemlich dickes aber nicht unhübsches Mädchen, beträchtlich Mer die Jcchre entwickelt. Die zahlreichen Gerüchte, die seit ihrem zwölfien Lebensjahr im Dorfe über sie kursieren, sind ja wenigstens zum Teil durch die vorliegende Affäre bestätigt worden. Reben enigen Nachbarn war ferner der 76jährige Varer der Bäuerin D. zu Gericht gekommen ein äußerst rüstiger alter Mann, dem niemand sein Alter an­sehen würde. Er kargte auch nicht mit allerlei Mit­teilungen, sondern zeigte sich im Gegenteil sehr ge­sprächig, wie denn überhaupt, bei keiner dieser Per­sonen nach allem, was sich seit dem Avril des Vor-
Vojtech Zajac iahres abgespielt hat, irgendeine Bedrücktheit wahr- zunehmen ist. Diese Leute aus dem Einödhof im Sazawatal sind offenbar ein Geschlecht von einer Widerstandsfähigkeit, di« für normale Vorstellungen unfaßbar bleibt. Der Vater der Bäuerin sprach von seiner Toch­ter nicht eben mit besonderer Zärtlichkeit, dafür lobte er seinen Schwiegersohn, den armen Kranken, der mit schwerer Kehlkopfwberkulose dcchinsiccht. An seiner Tochter fand er nur. ihr« geschäftliche Tüch­tigkeit zu loben, im Wrigen bezeichnete er sie mit sehr eindeutigen Ausdrücken. Die sonstigen Zeugen steuerten in ihren Gesprächen noch allerhand Einzel­heiten bei. die nur das ÄW bestätigten, das wir be­reits kennen. Erst nach vier Uhr nachmittags öffnete sich die Tür des Schwurgerichtssaales zur Verkündigung des Urteils. Tie Geschworenen erkannten Zajac mit acht Stimmen des nicht vollbrachten Meuchelmörder und mit neun Stimmen des Verbrechens der Schändung schuldig. Der Schwurgerichtshof verurteilte hieraus den Angeklagten zu zwölf Jahren schweren und verschärften Kerkers. rb
Ctuslan4 Die Aufrüstung der USA  -Marine Washington.(Reuter.) Der Vorsit­zende der Marine- Kommission des Senats Trammel legte dem Hause vier Gesetzent­würfe zur Verstärkung der Flotte vor. Trammel fordert 1) ein Gesetz zur Freimachung von sechs Millionen Dollar für die Modernisierung von 14 Panzerkreuzern, 2) die Ausstattung weiterer acht Linienschiffe mit den modernsten Waffe«, 3) eine Vollmacht für den Präsidenten, laut der er, wann immer er eS für angemessen hält, die notwendigen Mittel zum Bau von 221.000 Tonnen neuer HilfS-KriegSschiffe im Einklang mit dem Wort­laut der Verträge ausgeben kann, und 4) eine Vollmacht für den Präsidenten, die ihm die Mög­lichkeit gibt, durch einfache Verordnung veraltete Kriegsschiffe im Sinne deS Londoner   und Wa­shingtoner Vertrages durch neue zu ersetzen. Trammel fügte zu diesen Entwürfen ausdrücklich hinzu, daß der Wortlaut der von den Bereinigten Staaten unterzeichneten Verträge über die Be­grenzung der Seerüstungen in vollem Umfang ringehalten werden müsse.
Ueseliina c 7 7' der rumänischen Schulden- Paris  . Finanzminister Regnier   hatte DienS, tag nachmittags mtt dem rumänischen Finanz­minister Antonesou eine längere Unterredung. Die beiden Minister vereinbarten eine finan­zielle Regelung, welche gleichzeitig mit dem fian« zösisch«rumänischen Handels- und Wirtschafts­vertrag, welcher derzeit vor dem Abschluß steht, unterzeichnet werden wird. Der jugoslawische Prinzregent Paul wird Mittwoch dem Präsidenten der Republik Lebrun einen Besuch abstatten. Prinz Paul wird Paris  nicht vor Donnerstag verlassen/
Amerika   annekttert drei brittfche Insel». Wie Sundah Expreß" meldet, annektterte Amerika drei im Stillen Ozean   gelegene britische   Inseln. Es sind dies drei Korallen-Jnseln, die auf der Hälfte deS Weges zwischen Hawai   und Australien   liegen und die Namen JaraiS, Baker und Howland führen. Sie
wurden in den Jahren 1832, 1835 und 1842 von einem amerikanischen   Kaufmann entdeckt. Sie haben aus dem Grunde Bedeutung, weil sie den Flugzeu­gen als Wegweiser dienen. Auf den Karten sind die Inseln als britisches Besitztum bezeichnet und als solches sind sie auch beim brittschen Kolonialamt eingetragen. Wie verlautet, beabsichttgt Amerika   auch noch die Annexion der sMlich von Hawai   liegenden Insel Natal   vorzunehmen. Amerika   behauptet, daß das Besitztrecht Englands auf diese Inseln nicht zu Recht besteht, da sie von ihm nicht okkupiert wur­den.
Mitteilungen aus dem Publikum. Die Grippe läßt sich nicht unterschätzen! Wer eS versucht, sie zu übergehen, oder sie mit Nichtachtung zu strafen, an dem rächt sie sich ost bitter! Am besten ist eS, man läßt sie erst gar nicht an sich heran und beugt beizeiten vor! Regelmäßige Einreibungen und Mundspülungen mit Alpa-Franzbranntwein kräftigen den Körper und desinfizieren: so ist der Grippe am Vesten borgebeugt! DaS sagen auch die Aerztel Füße und Wehrfähigkeit. Die reichsdeutsche ZeitschriftDeutsche Wehrbeiträge" veröffentlichte kürzlich interessante Statistiken der deutschen   Affen- tierungskommisiionen, die die Ursachen der Unfähig­keit zu Militärdiensten veranschaulichen. Rach diesen' liegen die Hauptutsachen(24 Prozent der. Untaug- jlichenM-m-, tAttsGetzeM».. FußlÄdeN(i. Schweißfuß usw.)..DaS Matt empfiehlt,. diesem. Umstand besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da eS sich hier um Mängel handelt, die durch fach­gemäße Fußpflege teils völlig beseitigt, teils wenig­stens gemildert werden Rinnen. Nur eine ausge­dehnte Organisafion mit umfangreichen Mitteln kann einen Kampf"gegen diese allgemein verbreiteten Fußleiden führen. Diese muß allen Schichten der Bevölkerung zugänglich sein. In dieser Hinsicht ist die Tschechoflowakei in Europa   am besten gestellt, dank der Initiative der Batawerke, die hier eine ausgedehnte Organisafion einer Volksfutzpflege geschaffen haben, die sich auf tausende geschulte .Pedikeure in den SchuhverkaufSstellen der Firma in allen Orten der Tschechoslowakei   stützt. Diese Orga­nisation der BolkSfußpflege, in der 8000 Menschen in neuen Berufen tätig sind, hat einen ungewöhn­lich günstigen Einfluß einerseits auf die Wehrfähig­keit deS Staates, anderseits auch auf die Erwerbs« fähigkeit, weshalb sie auch Gegenstand eifrigsten Studiums des Auslandes ist. Derzeit zeigen ins­besondere England und Frankreich   ein erhöhtes Interesse an einer Organisierung von Bolksfuß- pflegeanstalten nach dem fichechoslowakischen Muster.
Ausweis für den Monat Jänner (Die erste Zahl bedeutet Parteifonds, die' einge« klammerte Wahlfonds.)- Bodenbach  :!« 4880.(XL 1220.), B r ü n n: XL 4320.(1080.), K ar.l Sbadi 9540.(2280.), K e z m a r k: XL 186. (20.), San d S kro n: KL 400.(100.1. P i I s e n- B u d w e i S XL 2120.(460.), Preßburg  : fit 237.50(55.), Reichen- 6erg: 70. Sternberg: K4 2540. (600.), T e p l itz- Saaz: XL 8860. (860.), Trauten a u: 1480.(870.)'. T r o p p a u: XL 2080.(520.).-
Volkswirtschaft oad Sozialpolitik
Der sinkende Frauenlohn
Obwohl die Entlohnung der Frauenarbeit in allen Berufen durchwegs geringer ist als die der Männerarbsit, ist sie bis in die letzten Mo­nate hinein fast noch stärker gesunken als bei den Männern. Die Bewegung der bei den der Zen- rralsozial- Versicherungsanstalt angeschlossenen Krankenkassen versicherten Frauen weist bis in die jüngste Zeit eine Zunahme in den unteren Ber- sicherungSflaffen und eine Abnahme in den höhe­ren Versicherungsklassen auf. Bon je 100 ver-
sicherten Frauen sen an:
gehörten den
einzelnen Klas-
Lohnklasse
Oktober 1935
Okwber 1934
1
11.1
10.2
2
88.9..
..38.0
8
23.0
23.0
4
12.8
13.0
5
7.9
8.8
6
. 3.6..
3.8
7
1.1
1.4
8
. 0.7
0.8
9
0.4
0.4
10
0.5
0.6
Nach dieser lleberficht bezogen demnach im Okto­ber 1935 genau die Hälft« aller arbeitende« und versicherten Frauen eine« Wochenlohn bis z« höchstens 60 Kronen in der Woche.  - 73 Prozent erhielten bis ( zu 84 Kronen Wochenlohn. In den drei höch- i strn Klassen, in denen ein Wochenlohn von über 151 Kronen gezahlt wird, waren nnr 1.6 Prozent Frauen versichert. Es geht daraus hervor, wie außerordentlich -schlecht die Entlohnung der Frauenarbeit in'In­dustrie, Handel und' Landwirtschaft ist, und daß trotz dieses-liefen. Standes. und bei. gleichzeitig fortschreitender Teuerung eine weitere Verringe­rung stattgefunden hat. Unter den arbeitenden Frauen, die mit solchen Löhnen, die weit unter dem Existenzminimum liegen, abgefunden wer­den, befinden sich viele, die selbständig sind und ,ein ober mehrere-Kinder zu ernähren haben.. Wer kann daS Elend ahnen, in das die ar­beitenden Frauen bei derartigen Löhnen gezwun­gen werden? Auf die Frauenarbeit kommt ührigens auch der Direkwr des Internationalen Arbeitsamtes, Butler, im Schlußkapitel seines kürzlich er­schienenen Berichts zu sprechen.' Er schreibt da: .Häufig genug können die Rückkehr zu der An­sicht konstatieren, daß Frauen, welche arbeiten, den Männern Platz wegnehmen. Daß diese An­sicht illusorisch ist, erweist die Tatsache, daß in Ländern, wo man die Frauenarbeit durch die Arbeit der Männer ersetzen wollte, sehr armselige Ergebnisse erreicht wurden. Abgesehen von Erwä­gungen der reinen Gerechtigkeit ist es klar, daß
Volk In China Durch die nebelerfüllten Straßen einer europäischen   Großstadt gehe ich am Abend. Ich sehe die tausend Lichter gespenstisch durch den Rebel dringen und sehe doch keine einzeln Licht. In verschwommenen Umrissen steigen die Häuser­riesen in die Luft, um sich in dunkler, nasser Un­endlichkeit zu verlieren. Ich sehe sie und sehe sie doch nicht. Vorstellung, aus zahllosen Erinner­ungsbildern geboren, und Wirklichkeit verschwim­men ineinander. Gestalten eilen vorüber; es sind sicher Menschen nach Form und Bewegung. Viel­leicht sind meine besten Freunde, vielleicht meine ärgsten Feinde unter diesen Schattenbildern ha­stender Menschheit. Ich weiß nicht, ich sehe sie und sehe sie doch nicht. Sie haben Form und zer­fließen. Ich ahne die Straße, durch die ich gehe und erkenne sie nicht. Alles ist in Rebel gehüllt, alles ist geahnt, angedeutet und nichts erkannt. So ging es mir, als ich heute zum ersten Male in der Chinesenstadt, aber am hellichten Tag und bei strahlender Sonne war. Das find die ersten Worte,. die Professor T a n d l e r bei seinem ersten Shanghaier Auf­enthalt in sein Tagebuch schrieb. Und mit diesen Worten beginnt sein knapper BerichtVolk in T h i n a", der vor kurzem im Thalia-Verlag Wien XVI. erschienen ist. Vom chinesischen Volk berichtet Tandler   in seiner meisterhaft einfachen und anschaulichen Weise. Von den Bauern, die 85 Prozent des 400 Millionen-Volkes ausmachen; die keine Boden ­
besitzer, sondern fast ausschließlich Pächter sind; die in einem Jahr harter Arbeit kaum 150 Sil- berdollar(etwa 1500 XL) verdienen,.ein Be­trag, der gerade für die elende Ernährung, aber nicht für Kleidung, Wohnung, Licht oder derglei­chen auSreicht; die durchschndittlich 45 Prozent ihrer Ernte als Naturalsteuer abgeben müssen; und die unter der Last von Vermittlern seufzen Diese Parasiten, die für ihre Einnahmen keine Steuer bezahlen, verdienen beispielsweise für die Vermittlung von Baumwolle an eine einzige Fa­brik und die Vermittlung der Fertigware an den Kaufmann mühelos 430.000 SWertwlllrr im Jahr. Und von den Handwerkern spricht Tändlet, die mit ihren primitiven Werkzeugen- und in offenen Geschäftsläden auf dem Boden hockend wahre Wunder der Handfertigkeit vollbringen. Und von den Arbeitern, die in einem acht- bis zehnstündigen Werttag monatlich 12.60 bis 15.17 Silberdollar verdienen und hungern. In den Shanghai  -Spinnereien verdienen die Frauen gar nur 18.50, die Kinder 8.58 Silberdollar. Sie wohnen in kleinen Strohhütten und zahlen vier SWerdöllar Monatsmiete. Allerdings sollen ge- genwärfig nach den ersten beiden erfolgreichen Versuchen neue Serien von Wohnhäusern er­baut werden. An ihrer Einrichtung wird auch Prof. Tandler   als Vertreter der weltberühmten Wiener   Sozial- und Wohnungsfürsorge beteilig sein.. Und von den Kulis ist in diesem Buch die Rede, vor allem von den 40.000 bis 50.000 Rik ­
scha-Kulis, die die reichen Europäer und Thinesen in kleinen Wagen durch die Straßen ziehen und kein höheres Einkommen als 30 Cents(drei XL) täglich haben. Während die Eigentümer der Rik­schas die Gestehungskosten dieser Wagen, die fünf Jahre laufen, in einem Jahr amortisieren und außerdem noch einen mehr als Hundertprozenfigen Gewinn erzielen. Und von den Transpqxtkulis erzählt Tandler  , di« ungeheure Warenmengen auf merkwürdig konstruierten Schubkarren durch das ganze Land führen, da es in China   nur wenige Eisenbahnlinien und nur ein paar tausend Kilo­meter neue Auwstraßen gibt. Und von den Dschunken und der märchenhaften Fahrt durch den Kaiserkanal. Auch vom fiesen Aberglauben, gegen den der Arzt in China   zu kämpfen hat, von denEr- werbsgemeinschasten" chinesischer Aerzte, die in Europa   oder Amerika   studierten und in ihrer Hei­mat Spitäler gründen, die in erster Linie natür­lich den Wohlhabenden zugute kommen, und von der Errichtung neuer Krankenhäuser und Ambu­latorien für die Armen spricht der Professor. Er beschreibt die Gründung von Mütterberatungsstel­len und Hebammenschülen. Er berichtet vom Er­ziehungswesen, das in den letzten Jahren emi­nente Fortschritte gemacht har und zum Teil bes­ser organisiert ist, als das europäische. Gegen­wärtig wird sogar eine vereinfachte Schrift auS- gearbeitet« um auch den Kulis das Lesen» und Schreibenlernen zu ermöglichen. Und er bringt uns dem Ahnenkult näher, diesem Skull, der eine so ungeheure Steigerung der Geburten bedingt in China   werden jährlich etzoa zwölf Millio ­
nen Menschen g.boren- aber andererseits auch zur Folge hat, laß die Kinder armer Leute oft verschenkt, verkauft oder einfach ausgesetzt und damit getötet werden. Im. Lauf, des letzten Lah­res wurden in Shanghai   nicht weniger als 32.000 Kinderleichen gesammelt und begraben. Und schließlich erhebt Tandler   eine groß angelegte Klage gegen alle Staaten, die um des Profits willen Hunderttausende, Millionen von Chinesen mit Opium vergiften. Leider hat auch der Völker­bund im Jqhre 1924 ein Einschreiten dagegen aügelehnt, wie Tandler   durch die Veröffentlichung deS Wortlauts eines hochinteressanten Dokuments bekannt gibt. Viele Bücher wurden über China   geschrieben. Dicke Bücher. Ausführliche Bücher. Professor Tandler   hat seine Erfahrungen, seine Erhebun­gen, seine Erlebnisse auf 50 kurzen Seiten zu­sammengedrängt. Er hat soviel gesagt, hat viel­leicht mehr gesagt als andere auf der zehnfachen Seitenzahl. Jede Zeile, jedes Wort gibt Atmo­sphäre. Leder Absatz gibt Wissen. Dieses Nein« Buch ist die Quintessenz langer, eingehender Stu­dien. Und eS ist groß in seiner Einsachheit, Klar­heit und Lebendigkeit. Groß in seinem Ernst, groß in seiner Objekfivität und Schärfe und groß in seiner leisen Ironie. Professor Tandler   und das heißt ein Denkender, ein Sehender, ein Fühlender, ein Aufrechter hat über China   ge­schrieben. Hat nicht für wenige Gelehrte oder Forscher, sondern für die breiten Massen der sich Interessierenden geschrieben.' Jeder, der über China   orientiert sein will, muß dieses Buch ge­lesen haben.