Seife 2 Dienstag, 11. Feber 193t Nr. S5 Spielzeugschnitzern, Spitzenklöpplerinnen und Po­samentenstickerinnen vom Fichtelberg bis ins Vogtland muZ Hitlers Gestapo nach ihnen fahn­den. DieUfnbank" und derBugelbeerbaam" stnd revolutionäre Gefahren geworden. lind dann stutzte die Welt, als die konserva­tiveMorningpost" berichtete, daß in der ersten Dezembcrwoche 1938 im Kriegsministerium in Berlin eine geheime Konferenz stattgefunden habe, an der höhere Offiziere der Armee, der Polizei und der SS teilgenommen hätten und in der über die Frage verhandelt wurde, wie gegen eventuelle Ausbrüche der Unzufrie- denheitinderBevölkerung vorgegan­gen werden solle. Der Heeresoffizier, der die Konferenz eröffnete, erklärte zwar, die Antvesen- den möchten nicht glauben, das; Deutschland am Vorabend einer Revolution stehe. Aber man un­terhielt sich doch sehr ernsthaft über das Thema und das tat man sicher nicht nur als Zeitvertreib. Es hieß da, die Aruree wünsche ausdrücklich, n i ch t, in eventuelle Zusammenstöße hineingezo­gen zu werden, und man beschloß, daß es Auf­gabe der Polizei und der SS sein werde, Un­ruhen zu unterdrücken, falls solche entstehen sollten. Jetzt wird das Ergebnis dieser Konferenz und wahrscheinlich noch weiterer Beratungen sichtbar. Am 30. Jänner 1936, dem dritten Jah­restage der nationalsozialistischen Machtergrei­fung veröffentlicht das Reichsgesetzblatt eine Ver­ordnung der Reichsregierung über den Waf­fengebrauch der Wehrmacht bei inneren Unruhen. Der Wehrmacht , nicht der SS; man hat eS sich seit Dezember also doch anders überlegt. Die Soldaten haben in den in der Verordnung angeführten Fällen zunächst von der blanken Waffe, und falls dies erfolglos bleibt, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Aus Anlaß der Eröffnung der Sitzungen des Exekutivausschusses der Russischen Föderativen Sowjet-Republik(RSFSR ), dir bei weitem die größte der Republiken der Sowjetunion ist, äußert sich die Moskauer Prawda"(vom 1. Fe­ber) über die Verdienste des russtchen Volkes, das nicht nur seiner zahlenmäßigen Größe nach in der Sowjetunion als erstes unter Gleichen" erscheint. Die Behauptung, das russische Volk sei vor der Revolution eine Ration von Faulpelzen gewesen, sei eine geschichtliche Lüge nnd rin schäd­liches Geschwätz. Das russische Boll habe ein«großeKnltur ge­schaffen, und gerade diese russische Kultur hat eine ungeheure Rolle in der Entwicklung der zahl­reichen Völker der Sowjetunion gespielt. Biele tausende Seiten seien von de» käuflichen faschi­stischen Professoren geschrieben worden» um zu beweisen, daß die Russen überhaupt keine Men­schen seien. In allen Tonarten wird dir Weis­heit Hitlers nachgeplappert, nicht die staatsbil- dendrn Fähigkeiten des Slaventums hätten dm russischen Staat stark und mächtig gemacht; Ruß­ land verdanke dies alles angeblich den deutschen Elementm. Aber diese deutschm Elemente haben bloß die arbeitenden Massm nicht nur des groß- russischen Balkes, sondern auch aller anderen Ra- tivnalitätm Rußland - bedrückt und ausgrbeutet. An dieser Verordnung ist vor allem die Tat­sache interessant, daß man an der Schwelle des vierten Hitlerjahres überhaupt in dieser Weise von inneren Unruhen als von einer gegebenen Möglichkeit spricht. Wo man in so auffallender Heise inneren Unruhen vorbeugt, muß man sie doch befürchten! Nach restloser Zerschmetterung der Gegner, so oft sie auch angekündigt worden ist, sieht das eigentlich nicht aus. Und dabei läßt es das Regime an Terror und Schreckensjustiz doch wahrhaftig nicht feh­len. Allein im Wuppertal - Prozeß, der gegenwärtig in Wochenserien mehrerledigt" als verhastdelt wird, zählt die Liste der angeklagten Staatsfeinde" über fünfhundert Namen auf. Siebzig, achtzig Angeklagte werden auf einmal in den Verhandlungssaal getrieben. Die Verhand­lung gegen eine solche Serie zieht sich immer eine Woche hin, aber die Zeit reicht kaum aus, die tändedicken Anklageschriften zu verlesen und die Personalien der Angeklagten festzustellen. Am prüfenden Bande werden die Urteile verkündet Jahrzehnte, halbe Jahrhunderte an Zuchthaus­und Gefängnisstrafen in einerWoche I Summarisch berichten die Zeitungen über die Urteilsverkün­dungen; die Namen der Verurteilten dürfen überhaupt nicht genannt werden. ES ist eine fast lautlose Ausrottung ganzer Hekatomben von Geg­nern des Regimes. Und trotzdem immer wieder stehen die Gegner auf. Es scheint ein Kampf mit einer Hydra vonStaatsfeinden" zu sein. Für jeden abgeschlagenen Kopf und das ist nicht nur ein Bild; es werden wirklich Köpfe abgeschlagen! wachsen zehn neue Köpfe nach. Und niemals wird das braune Regime fertig, damit, seine Gegner zu zerschmettern. Esi st seinFluch, immer neue GegneraufdenPlan zu rufen, bis es eines Tages selbst zer­schmettert am Boden liegen wird. Das Zentralorgan der Rote« Armee, krasnaja Zvkzda"(vom 3. Feber), bringt fol­gende- Zitat ans einem Werke von Lenin , da- vor mehr als zwanzig Jahren erschienen ist:Ist uns, großrussischen klassenbewußten Proletarier», das Gefühl des nationalen Stolzes fremd? Ge­wiß nicht." In der weiteren Entwicklung, meint dazuKrasnaja Zvizda", hat da- russische Volk de» anderen zurückgebliebenen Böllern der Sowjetunion geholfen, um gemeinsam mit ihnen das Land in eine mächtige sozialistische Festung zu verwandeln.Ein solches Boll ist wahrhaftig ein großes Volk!" Tuchatschewskl in Paris Paris . Sonntag abends ist der sowjeirussi- sche Marschall Tuchatschewskj aus London , wo r sich anläßlich des Begräbnisses des Königs Georg V. einige Tage aufgehalten hatte, in Paris eingetroffen. Der Marschall wird sich in Paris einen oder zwei Tage aufhalten. Montag nach­mittags stattete er dem Generalstabschef G a m e- l i n einen Besuch ab, von dem er zum Essen ge­laden worden war. Dienstag wird er dem Vize­admiral Durand-Viel und dem General Puj, dem Generalstabschef der Flugstreitkräfte, Be­suche abstatten. Christlichsozlale und SowjetruBland In derDeutschen Presse" vom Sonntag schreibt jemand unter dem Pseudonym Roland über Sowjetrußland in sicherer Weise als man es bisher in der christlichsozialen Presse zu lesen gewohnt war. Es wird da u. a. gesagt: In der Sowjetunion hat sich in den letzten zwei Jahren sehr viel gewandelt. Ich denke jetzt nicht an die zweifellos großen wirtschaftlichen Erfolge, welche das russische Boll unter furcht­baren Entbehrungen und Opfern in seinen gigan- tischen Aufbaubestrebungen erzielte. Ich meine den geistigen Umbruch, der sich im russischen Volle vollzogen hat bezw. vollzieht.... In diesen grundlegenden Wandlungen im Leben des rus­sischen Volles manifestiert sich der trium­phale Sieg göttlicher Ideen über das weltanschauliche Wollen des historischen Materia­lismus! Die russische Seele sucht offerchar nach neuen Werten geistiger Zielsetzung und dieses seelische Suchen tendiert zu Bezirken neuer Religiosität. Ob die Entwicklung der Sowjetunion sich tatsächlich so vollzieht, wie hier dargestellt wird, wollen wir in diesem Zusammenhang unerörteri lassen. Zweifellos wird in dem wahrschein­lich von kirchlicher Seite inspiriertem Artikel der politische Zweck verfolgt, die Bereit- s ch a f t der katholischen Kirche zueinerVer- ständigung mit der Sowjetunion darzutun. Das geht deutlich daraus hervor, daß in dem Artikel punktweise jene Forderungen auf­gezählt werden, die katholsi-berseits als unerläß­lich für die Verständigung angesehen werden. Es sind dies: 1. Bolle Glaubens», Gewissen r> und Lehrfreiheit auf dem gesamten Ter­ritorium der USSR . 2. Erlaubnis zur Schaffung religiöser Organisationen. 3. Garantie für die Durchführung und Ein­haltung obiger Forderungen durch den Abschluß eines Konkordates mit dem hl. Stuhl. 4. Aufgabe der religionS- und kirchen­feindlichen Propaganda der Komintern in allen Ländern. Auf dieser Basis wäre vielleicht eine Ver­ständigung in einigen Punkten mit den Kommu­nisten möglich. Inwiefern diese Schwenkung der Ehristlich- sazialen mit den Vorgängen in der europäischen Politik oder aber mit der Möglichkeit deS Ein­tritts der Partei in die Regierung zusammen­hängt, wird man noch sehen. Immerhin ist die Stellungnahme derDeutschen Presse" be­merkenswert. Einheitsfront überall nur nicht in Sowjetrußland Wir haben vor einigen Tagen einen Bericht über das tragische Schicksill der Genossin Eva> B r o i d o gebracht, einer alten Revolutionärin, i welche von der Sowjetregierung aus einer Ber -| bannung in die andere mitleidlos gejagt wird,! obzwar es sich um eine Greisin handelt, die man die wenigen Jahre, die sie noch zu leben hat, in, Ruhe lassen könnte. Dieser Bericht wird nun von derRoten Fahne", die wie wir schon hier einigemal dargelegt haben in einer bodenlos leichtfertigen und daher unprole­tarischen Weise redigiert wird, dazu benützt,' um zu behaupten, daß wir die Einheitsfront zer- 4^schlagen wollen! Die«Rote Fahne " bemüht sich Glicht etwa darzulegen, daß auch nur ein Wort unserer Darstellung unwahr gewesen ist, wir müssen also annehmen, daßsieanderRich- tigkeit unserer Darstellung nicht zweifelt, sondern behauptet daß die Ein­heitsfront von Sozialderüokraten und Kommuni­sten in der Sowjetunion eine Gefahr für das Land wäre. Wir glauben im Gegenteil, daß die Freilassung alter revoluttonärer Kämpfer, wie es die Genossin Broido ist, die Sowjetregierung politisch und moralisch nur stärken würde und für das Verhältnis von Sozialdemokratie und Kom­munisten nur günstige Folgen haben könnte. Die»Mote Fahne" scheint sich die Parole zurecht­zulegen: Einheitsfront nur dort, wo die Sozial­demokratie stark ist, wo man ihr daher etwas ab­nehmen kann, dcnst aber, wodieKommuni- sten stark sind und die Sozialdemokratie schwach dort besteht die Einheits­front darin, daß man die Sozial­demokraten einsperrt. Für die Belebung der Bausaison Regierungsverordnung gegen Verteuerung von Baumaterialien bevorstehend Einige tschechische Blätter weisen mit Recht darauf hin, daß die Verteuerung der Bau­materialien eine Gefahr für die kommende Bau­saison darstelle. Es sind gestiegen: Zement seit 1934 von 14 KC auf 24.70(abzüglich 1.50 KL Rabatt), Ziegel von 205 KL per 1000 St. auf 240 KL, Kalk von 14 KL aus 16 KL, Holz von 210 KL auf 280 KL, Bau­holz von 185 KL auf 240 KL, Glas von 18 KL auf 23 KL(soll in den nächsten Tagen I um 1 KL erhöht werden), Halbspiegelglas von 106 KL auf 176 KL. Steingußröhren von 10.80 KL auf 16.20 KL, Eisengußröhren von 29 auf 38 KL. Das Ministerium für soziale Fürsorge plant im Hinblick auf die bevorstehende Bautätigkeit und die beabsichtigten Staatsinvestittonen eine -Novelle zur Regierungsverord­nung über diePreis-Schiedskom- misssion. Diese Verordnung soll auf dem Ermächtigungswege diese Woche in Kraft treten, um die Verteuerung der Baumaterialien zu ver­hindern. Denn die maßgebenden Behörden stehen auf dem Standpunkte, daß die Preiserhöhung aus dem Baumaterialienmarkte die Vorteile der Zins­senkung wieder paralysiere, und die Baubewegung katastrophal gehemmt werden könnte, wenn nicht entschieden eingeschritten werden wird. Verstaatlichung der Knnstfrennde-Sammlnngen Dem Senat wurde ein Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt, durch den die Sammlungen der Gesell­schaft der patriotischen Kunstfreunde in Böhmen ver­staatlicht werden sollen. Die Sammlungen der Ge­sellschaft, d. s. Gemälde, Plastiken, Zeichnungen, Graphiken, die-Bibliothek und das Archiv, die^väh- rend deS 140jährigen Bestandes der Gesellschaft zu- sammengetragen wurden und einen Wert von 60 Millionen KL repräsentieren, gehen somit in das Eigentum deS Staates über, und zwar ohne Eriatz- leistung. Anfang des Jahres 1937 wird in das Staatsbudget nach 8 3 des Gesetzentwurfes ein Be­ttag von 1,000.000 KL für den Fonds zwecks Er­weiterung der Sammlungen alter Kunst eingestell- werden. Die Organisierung und Verwaltung der Sammlungen sowie auch deS Fonds werden durch ein besonderes Statut geregelt werden. Wendung des Stalinismus zur Nation DiePrawda** Ober die Verdienste des groBrusslsehen Volkes MÄNNER, FRAUEN I UND WAFFEN I Roman von Man.red Georg Copyright by Dr. Manfred Georg, Prag Sie reichte ihm nicht die Hand, sondern blieb mit verschräntten Armen stehen. Er schloß seine Tür und öffnete sie gleich darauf wieder. Er war Wohl unhöflich gewesen. Aber er sah das Mädchen bereits hinten im Kor­ridor verschwinden. Als Schumann am nächsten Morgen er­wachte, erinnerte er sich zuerst kaum des Vor­gefallenen. Erst als Frau WieSner ihm mit feindseligem Blick das Frühstück hinsetzte, kam ihm die Erinnerung der Nacht wieder. Allerdings nicht die läppische Szene auf dem Flur, sondern beängstigend und Herzqual bereitend der Traum, der sich ja seit nunmehr 13 Jahren, immer wenn das Jahr wieder herum war, einstellte. Er hatte eine entsetzliche Angst davor. Er spürte unmit­telbar das Kommen, wie Wi^d, das Raubtier­geruch wittert. Und er wußte, eines Nachts würde es ihn wieder überfallen, würde wieder durch flammende Höllen dieses Ungetüm auf ihn zuschreiten mit dem Korb und dem furchtbaren Inhalt und würde ihn zu erwürgen drohen. Ver­geblich suchte er im Gedächtnis nach der Ent­stehung dieser Vision. Der Morgen von Gornitsch Ivar längst in ihm in die ttefsten Schlünde des Unbewußten gesunken. Aber das Gespenst der Nacht ließ ihn nie mehr los. Die einsame und asketische Lebensform Schumanns pflegte sich in den Vortagen des Traumes vollkommen zu ändern: er trcksik, er griff wahUoS Mädchen auf, die zwischen dem Grand Hotel und der Over lsin und her pendelten, und erschövftc sich m flüch­tigen, immer erneuten Genüssen bis zum Krank­sein. Wer nichts verscheuchte die Furcht. Weder die Betäubungsmittel der Aerzte, noch die Hände der Mädchen. Einmal hatte er im Burgtheater ein Stück von Pirandelle gesehen, in dem gezeigt wird, wie ein Vater seiner leiblichen Tochter im Bordell begegnet. Gabriele mußte jetzt 22, Thessa 17 Jahre alt sein wenn sie noch lebten! Aber sie lebten ja nicht mehr! Mit ihrer Asche war ja längst schon das Feld von Gornitsch gedüngt, aus ihnen waren Blumen gewachsen oder Un­kraut. Aber wenn sie doch lebten und ihn würden vielleicht aus einem kecken Gesicht, das er an­sprach, die Augen Thessas oder Gabrieles an­blicken?! Dieser Gedanke peinigte ihn bis zum Wahn­sinn. Sich Gewißheit zu verschaffen, daß alles Unsinn war, daß tot eben tot war, hatte er kein Mittel unversucht gelassen, um seine Kinder auf­zufinden. Aber wo er auch forschte, welche Geld­mittel er auch investierte, von allen Enden und Ecken der Welt kamen die Briefe und Depeschen und schrieenunbekannt, unbekannt, unbekannt". Von den Wänden seines Zimmers tönte es wider: tot, tot tot". Und dann war er endlich so weit, es wirklich zu glauben. Glaubte es, bis er im CafL jäh aus einer Besprechung mit Geschäfts­freunden auffprang, um einem jungen Mann nachzulaufen, der die Züge Rudolfs zu tragen schien. Wer eine leblose, fremde Maske wandte sich erstaunt lächelnd um, als er ihn ansprach. Drei Bilder hatte Werner Schumann im Kopf, Drei Gesichter, die er sich willkürlich aus der Phantasie geformt hatte. So lange hatte er auf die verblaßte Photographie gestarrt, bis sich aus den Kindergesichtern die Antlitze zweier junger Mädchen und eines schon reifen Jünglings gelöst hatten, um in den Besitz seines Schauens einzu­gehen. Alle andern Menschengesichter aber waren dafür wie mit einem Schlage verschwunden. Schuxmnn sah sie alle nur wie Masken. Unter­schiedliche Masken, mit Schnurrbärten, Spitzbär­ten, mit fein gezogenen Augenbrauen, roten Lip­pen, Flachmündern, Kreismündern, Tiermün ­dern, mit Pferdeohren, Schweinsohren, Affen­ohren, mit den wildesten Frisuren und den ver­schiedensten komischsten Arrangements von Kahl­heit, Schütterhaar, Lockenhaar, Dünnhaar, wal­lenden Perücken, gut unterscheidbar, aber tot, vor fahlem Glanz unwahrscheinlich. Lauter in die Welt gesetzte Roboters, die arbeiteten, rechneten, sich stritten, mit ihm Geschäft spielten, Geld zahl­ten, auf Couches sich entblößten, forderten, sangen und klagten, weinten, aber tot alles, tot, un­wahrscheinlich, zum Speien ekelhaft... Er war froh, wenn er vor allen diesen Lar­ven in den Hafen seiner Stube geflohen, die Lampe angedreht hatte und aus dem Bild seiner Kinder sich Lebensatem holte. Rudolf saß unten am Boden und hatte an einer Schnur ein auf einem Holzbrett monttertes Schäfchen neben sich stehen. Die Hand auf seine Schulter gelegt, lächelte in gestärktem weißen Kleid Gabriele den Vater an, während Thessa, en profil den Geschwi­stern zugekehrt, wie eine Ballettänzerin in spe den rechten Arm in die Hüfte stemmte. Wachspuppen, Wachspuppen, dachte Schu­mann einmal in einer Aufwallung. Und erschrak gleichzeitig bis ins Innerste, als hätte er einem lebenden geliebten Menschen ins Gesicht hinein den Tod gewünscht. Vorsichtig stellte er die Pho­tographie wieder hin, ging ans Fenster und sah auf die belebte Straße hinaus. Und obwohl eS - unten laut war, hörte er keinen Ton. Sein Ohr war nach innen gerichtet, und alles, was draußen war, war geheimnisvoll unlebendig, bewegte sich, fuhr, tanzt«, sprang und machte doch im Grunde kein Geräusch. In seinem Innern aber flüsterten tausend Teufel durcheinander, hetzten ihn zur Suche, beschworen ihn, nicht die Hoffnung auf­zugeben, peinigten ihn mit Fragen und Zweifeln bis aufs Blut. Aus allem diesen Wirrwarv aber entstieg dann in den dunllen Vorfrühling-Nächten- wenn draußen auf den Feldern die Schollen barsten. Keime aufplatzten und die segnenden, fruchtbaren Stürme schwanger von Samen durch die wartenden Wälder fuhren, das Ungeheuer mit dem Korb und ttat zu ihm in die Sttibe, ge­radewegs auf sein Bett zu. Das Blut sickerte durch das Weidengeflecht der Traglast mitten auf die Teppiche der reinlichen Logierzimmer. Der Vorfall bei Frau WieSner hatte Schumann sehr erschreckt. Dieser Person war er wirllich zu Dank verpflichtet. Also, ich gehe wirklich ins Santorium, Frau Wiesner. Hier haben Sie die Miete für das ganze Vierteljahr. Es-ist sicher schlver für Sie, beide Zimmer zu dem Preise, den ich gezahlt habe, rasch zu vermieten. Ich ziehe heute abend aus. Selbstverständlich können Sie über die Räume verfügen. Da fällt mir übrigens ein: ich wollte das Fräulein noch einmal sprechen, das da hinten wohnt." Frau Wiesner schnitt eine verächtliche Gri­masse: Die ist heute früh ausgezogen. Biel zu Pak­ten hat sie ja nicht gehabt im Handumdrehen war die weg." Hat sie denn bezahlt? Entschuldigen Sie, daß ich ftage." Bezahlt? Die? Ein Pfand hat sie hier ge­lassen. Da, sehen Sie sich das an!" Sie holte aus ihrer Küchenschürze einen recht merkwürdigen Gegenstand. Es war ein un­gefähr walnußlanges, oben sanft'gerundetes upd unten spitz zulaufendes Stück Goll» in Daumen­dicke, das grob und kunstlos gehämmert in einem seiner Figur angepaßten lederartigen Gehäuse saß, daS von der merkwürdigen Göldtraub« nur eine Seite fteiließ. Frau Wi/öner fügte hinzu: Wissen Sie eigentlich, was das ist? Ist das ein Schmuckstück?" Schumann drehte das merkwürdige Ding in der Hand hin und her: Schmuckstück? Es ist doch ganz ungearbei­tet, kann doch gar nicht getragen werden. Hat die Dame nichts darüber gesagt?" (Fortsetzung folgt.)