Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
16. Jahrgang
Freitag, 14. Feber 1936
Einzelpreis 70 Heller
( einschließlich 5 Heller Porto)
Leon Blum überfallen Kurswechsel der KPČ
Royalisten attackieren und verletzen den Führer der französischen Sozialisten Arbeiter schlagen den faschistischen Angriff ab
Paris . Beim Verlaffen des Kammergebäudes wurde Donnerstag mittags e o n Blum von Royalisten überfallen und verletzt. Nur dem sofortigen Eingreifen von Arbeitern, die in der Nähe waren, ist es zu verdanken, daß B I u m, der gefährliche Wunden erlittent hatte, rechtzeitig befreit werden konnte. Der Ueberfall, welcher in Paris größte Erregung hervorgerufen hat, hatte bereits die Ankündigung des Ministerpräsidenten zur Folge, daß die Regierung sich nicht mit Worten gegen die Rechtsverbände begnügen, sondern handeln werde. Nach der Kammerfizung beschloß der Ministerrat die Auflösung der royalistischen Organisationen.
Wie der Ueberfall geschah
Der Angriff ereignete sich unter folgenden Umständen:
Kurz vor 13 Uhr begab sich Leon Blum zu Fuß vom Parlamentsgebäude in seine Wohnung. Am Boulevard St. Germain herrschte reger Verkehr, da diesen Boulevard gerade die Teilnehmer des Begräbnisses des royalistischen Jour nalisten Jacques Bainville passierten. Als sich Blum gerade gegenüber dem Kammergebäude be= fand, erkannten und bedrohten ihn vier royalistische junge Leute. Leon Blum entwand sich ihnen jedoch und stieg in das Auto des sozialistischen Deputierten Monnet ein, der gerade mit seiner Frau vorbeifuhr. An der nahen Straßenkreuzung war das Auto genötigt, anzuhalten und eine Gruppe von etwa 400 Personen, von der einige Leon Blum erkannten, umringte den Wagen.
Es handelte sich größtenteils um Royalisten. Sie griffen das Auto an, zerschlugen mit Stöcken die Türen und alle Fenster und verlegten Leon Blum mit Stockhieben am Kopfe und am Halse. Außerdem erlitt Blum durch die umherfliegenden Glassplitter Verletzungen. In der Nähe beschäftigte Arbeiter, die den Angriff beobachteten, kamen dem sozialistischen Führer zu Hilfe. Auch die Polizei griff dann ein. Blum, der start blutete, wurde in der Portierloge eines Hauses die erste Hilfe gewährt. Dann brachte man den Verletzten in das Krankenhaus. Auch die Gattin des Depu= tierten Monnet wurde mißhandelt und verletzt.
Die ärztliche Untersuchung ergab, daß die Verlegungen, die Leon Blum erlitten hat, zivar sehr schmerzhaft sind und er einen ziemlichen Blutverlust erlitt, daß jedoch die Verlegungen biel weniger ernst sind, als es ursprünglich schien. Leon Blum erhielt einen heftigen Stock hieb auf die Stirn, der an der Schläfe eine A der öffnete. Er erlitt auch Schnitt- und Strap wunden im Gesicht, am Halse und namentlich am Chr durch die umherfliegenden Glassplitter. Durch den Blutverlust war Blum ziemlich geschwächt, er wurde jedoch aus dem Krankenhaus bereits entlassen. Der Gerichtsarzt, der vom Untersuchungsrichter beauftragt wurde, den Zustand Blums festzustellen, hat erklärt, daß sich Blum in etwa zwei Wochen erholen kann, vor ausgesetzt allerdings, daß keine unvorhergesehenen Komplikationer eintreten. Erregung in der Kammer
Die Attacke hat in der französischen Kammer allgemeine Erbitterung hervorgerufen.
Die sozialistischen Abgeordneten sind gleich nachmittags zu einer gemeinsamen Sizung mit den übrigen Linksgruppen zusammengetreten. Man erwartet, daß die Sozialisten die Auflösung der royalistischen Organisation Action Francaise und wahrscheinlich auch die Verhaftung der Chefredakteure des Blattes Action Francaise" Leon Daudet und Charles Maurras fördern werden, welche die morali schen Urheber des heutigen Attentates sind.
fchloffen, sehr energisch zu handeln, denn fie halte es für unzulässig, daß die Sicherheit der Bürger im Lande bedroht werde und daß öffentlich tätige Personen zum Gegenstand von Provokationen und Gewalttätigkeiten werden. Der Ministerpräsident kündigt an, daß die Regierung bereits eine gerichtliche Untersuchung angeordnet habe und daß sich der Kabinettsrat in seiner nächsten Sizung sehr ausführlich mit allen Schritten befassen werde, welche die gegebene Situation erfordert.
Der sozialistische Deputierte Vincent Auriol dankt dem Kammerpräsidenten und dem Vorsitzenden der Regierung für ihre Worte und berichtet dann die Einzelheiten des Ueber: falles. Er erklärte, daß Leon Blum einzig und allein dank dem Einschreiten der Arbeiter, die ihm zu Hilfe eilten, seinen Angreifern entkam. Die Schuldtragenden, rief Vincent Auriol aus, sind die gleichen, welche dem Mörder von Jean Jaures die Waffe in die Hand gedrückt haben! Herriot und namens der Mitte Franklin Bouillon verurteilten ebenfalls das Attentat.
Als sich hierauf der Deputierte der äußers sten Rechten, P a st or Soulier zu Worte meldete, ruft man ihm zu: Heuchler! Der Red ner wird ständig durch stürmische Zwischenrufe unterbrochen. Der Kammervorsißende unterbricht die Sizung.
Action Française
aufgelöst!
Paris.( Havas.) Der zu einer außerordentlichen Sigung zusammen getretene Ministerrat hat die Auflö fung der Liga der Action Francaise, des Studentenverbandes der Action Fran caise und der sogenannten„ Camelots du Roi", der eigentlichen Kerntruppe der Action Francaise, beschlossen. Der Ministerpräsident Sarraut hat auf Grund des Gesetzes vom 10. Jänner die fes Jahres eine entsprechende Verord: nung dem Präsidenten der Republik zur Unterzeichnung vorgelegt. Eine Saussuchung bei der Liga der Action Francaise ist bereits im Gange.
Nr. 38
Vernichtende Kritik Gottwalds an Partei und Zentralorgan
Der Herr Abg. Gottwald, aus dem sich die vor den Augen wird. Er hält der Parteiführung fommunistische Presse seit Monaten bemüht einen die folgende Strafpredigt: ,, Führer" zu machen, unter dessen Führung aber die kommunistische Parlamentsfraktion jedes Ansehen verloren hat, ist monatelangfern vom Schuß in Rußland gewesen und hat dort einen der vielen Sekretäre der Kommunistischen Internationale gemacht. Nun will er wieder mit der Autorität jenes, der die amtliche Punze der Mosfauer Machthaber hat, in die tschechoslowakische Politik eingreifen und eröffnet das Bombardement auf Freund und Feind mit einem gewaltigen Aufwand von Rotationspapier und Druckerschwärze. Neuneinhalb Spalten lang tanzelt er im ,, Rudé Právo" alles herunter, was da kreucht und fleucht innerhalb und außerhalb seiner Partei.
Verhältnismäßig furz befaßt er sich mit der Sozialdemokratie, es sind die alten Töne, die er seiner Trompete entlodt. Für den Preis einiger Ministersessel", so lautet eine der alten schalen, abgestandenen, halbverfaulten Phrasen ,,, müssen die Regierungssozialisten der Bourgeoisie das an Händen und Füßen gefesselte Proletariat ausliefern. Nein, die Stärke der Arbeiterklasse liegt nicht in den Ministersesseln der bürgerlichen Stoalitionsregierung, sondern in Genug davon. Wem erden Betrieben..." Stellt er sich so zählt das der Herr Gottwald? dumm, daß er annimmt, wir wüßten nicht, worin die Kraft der Arbeiterklasse ruht, oder ist et wirklich so herzensnaiv? Ist es ihm nicht bekannt, daß die französischen Stommunisten es nicht ablehnen, an einer Regierung der ,, Volks front" teilzunehmen. Wenn er tatsächlich der Meinung ist, daß die Teilnahme an einer Regierung, in der auch bürgerliche Vertreter sizen, für proletarische Vertreter unmöglich ist, dann möge er am Wilsonbahnhof eine Karte nach Paris Iöfen, seine französischen Gesinnungsgenossen von der hohen Warte seines
politischen Weitblides belehren und überzeugen und dann möge er sich wieder melden.. Aber den Sozialisten in der Tschechoslowakei das zu verbieten, wonach sich die französischen Kommunisten das Herr Gottwald, geht nicht, da fehnen müßten Sie etwas früher aufstehen.
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Aber diese alte Melodie kennen wir schon und es ist nicht die Hauptsache des ermüdend langen Artikels, den man mit Mut und Geduld bezwingen muß. Das Entscheidende ist die ver= nichten de rititan der bis berigen Parteiführung, die Herr Gottwald wie ein strafender Gott übt. Was die Kommunisten während der letzten längeren Barlamenisiagung getan haben, vor allem die Zustimmung zu zwei Budgetkapiteln, Eintreten für den Ausbau der Armee, das war eine solche Krüm mung der Parteilinie, daß dem Gottwald schwarz
Verschärfte Aktivität
zur internationalen Regelung des Donaupaktes Eindrücke der Hodža- Reise in Oesterreich und Ungarn Wien . Die Pariser Verhandlungen des tsche- insbesondere die Reise des tschechoslowakischen choslowakischen Ministerpräsidenten und Außen- Ministerpräsidenten und Außenminister Doktor ministers Dr. Hodža sowie seine energischen Hodža werden hier als eine weitere Phase der Vor 16 Uhr trat die Kammer unter großer Er- Kundgebungen und Vorschläge zur Sicherung der Entwicklung zur praktischen Lösung regung zusammen. Der Kammervorjibende Fernand Unabhängigkeit Desterreichs rufen an maßge der Probleme der Neuregelung Bouisson verurteilte den an Blum verübten Angriff, benden österreichischen Stellen im Donauraum gedeutet. Die wirtschaftbersicherte ihn der Achtung der ganzen Kammer und wünschte ihm baldige Genesung. Sämtliche Deputier große Befriedigung hervor. Allge- lichen Beziehungen Ungarns zur Tschechoslowakei ten von Links bis nach Rechts erhoben sich und drück- mein besteht die Ansicht, daß unter dem Eindruck haben sich in den letzten Monaten gebessert. In der ten ihre Zustimmung zu diesen Worten des Kammer- der Pariser Verhandlungen die weiteren Bera Politik sieht der tschechoslowakische Ministerpräsitungen über Mitteleuropa ein günstiges dent Dr. Hodža mit Budapest einen Schritt zur Refultat zeitigen werden. Mit ausgespro- Anbahnung besserer Verhältnisse zwischen den chenem Optimismus werden speziell die tschecho- beiden Staaten. Die Pariser Konferenzen bedenslowakisch- österreichischen Verhandlungen verfolgt. ten zweifellos die Einleitung einer verschärften Die Wiener Presse widmet den Pariser Berafun- Altivität zur internationalen Regelung des Dogen Hodžas bereits seit einigen Tagen ganze nauproblems. Ungarn verfolgt diese Tätigkeit in Spalten und quittiert mit großer Genugtuung. Paris mit Aufmerksamkeit und mit Verständnis. daß Dr. Hodža zur Presse ungewöhnlich offen Es bekennt sich von neuem zu prinzipiel Ter 3usammenarbeit, lehnt die Rolle spricht.
borsitzenden aus.
Scharfe Worte Sarrauts
Sodann bestieg Ministerpräsident Albert Sars raut die Rednertribüne und schloß sich unter dem Beifall der ganzen Kammer dem Wunsche nach baldiger Genesung des verlegten Deputierten an. Der Ministerpräsident verurteilte in scharfen Worten den tätlichen Ueberfall, erklärte jedoch, daß sich die Regierung nicht mit der Verurteilung durch Worte zufrieden geben, sondern handeln werde. Die Angreifer werden strenge bestraft werden. Die Regierung sei fest ent
Ueber die Gesinnung, die durch die Bera eines Friedensstörers ab und erblickt in der Enttungen Hodžas in Budapest hervorgerufen wicklung der letzten Ereignisse einen weiteren wird, teilt der dortige Korrespondent der Neuen Grund zum Festhalten an der Linie seiner konserFreien Presse mit: Die Pariser Beratungen- und bativen Außenpolitik.
Die Führung der Partei hat auf eine alte Sache vergessen: Daß nämlich das Prole= tariat, damit es auf die Lösung irgendeiner politischen Frage in seinem Interesse Einfluß nehme, in erster Linie und hauptsächlich seine eigene selbständige Maffenaktion unten, in den Betrieben, Organisationen, auf der Gasse antreten muß. Die Führung der Partei hat beteuect, beschworen, ge= beten und gewarnt, alle möglichen Faktoren- Abgeordnete, Minister, die Regierung, die Erefutiv ausschüsse verschiedener Parteien. Die Führung der Partei hat Hampl, Czech und Beneš zugeredet. Sie hat alles Mögliche und Unmögliche getan, um ihnen den guten Willen der Partei zu gemeinsamem Kampf gegen Reaktion und Faschismus zu erweisen. Nur eines hat sie sozusagen vergessen: die Massen. Darauf, daß es mutvendig ist die Massen aufzufordern, zu organisieren und zu führen, zur selbständigen Aktion unten, daß dies auf die Herren oben einen größeren Eindruck mache als die schönste Rede, als jedes Einreden und leberreden. Kurz und gut, die Führung der Partei hat manchmal die Mobilisierung und Aktion der Massen durch parlamentarisch Kombination ersetzt. Das hat allerdings nichts Gemeinsames mit., aktiver bolschewistischer Massenpolitik" von der Genosse Dimitroff gesprochen hat, damit wird nicht die Partei ,, ein politischer Faktor im Leben ihres Landes", wie das der VII. Stongreß der Kommunistischen Internationale und das Interesse des arbeitenden Volkes erfordern im Gegens teil, damit kann die Partei, ohne daß sie es subjektiv wollte, die Politik des Gegners erleichtern, wie sich dies z. B. bei der Astimmung unserer Parlamentsfraktion für zwei Kapitel des staatlichen Voransch I ages( Außenministerium und Fürsorge) gezeigt hat.
Diese Abstimmung war ein politischer Fehler. Nicht, daß jede Abstimmung für die oder jene Maßnahme einer bürgerlichen Regierung ein poli tischer Fehler wäre. Es kann eine Situation geben, in welcher die bürgerliche Regierung unter dem starten Drude einer mächtigen Massenbewegung gezivungen ist, die eine oder andere Maßnahme zu beantragen, welche im Interesse. des arbeitenden Volfes, im Interesse des Kampfes gegen den Faschismus und für den Frieden ist und wogegen fich alle Reaktionäre und Faschisten sträuben. In einem solchen Falle werden die Kommunisten, indem sie sich auf die Massenbewegung, welche die Verwirklichung dieser Maßnahmen fordert, stützen, pro stimmen. Nichts davon war bei der Abstimmung über den Voranschlag der Fall. Die Regierung hat nicht eine einzige Forderung des arbeitenden Volts im Sinne der Parole Die Reichen sollen zahlen!" angenommen. Die Regierung hat nicht einen Schritt gegen die Faschisten und für die Erweiterung der demokratischen Rechte getan, im Gegenteil, fie hat mit der faschistischen Reattion pattiert, pattiert weiter mit ihr, ging und geht weiter nach rechts. Und wir haben dieser Regierung durch das Stimmen für zivei Stapitel des Voranschlages das Vertrauen ausgesprochen! Was ist das anderes, als sich die Hände binden, auf eine selbständige Politik zu verzichten und die Massen zu desorientieren?
Gottwalds Urteil über die Parteiführung ist demnach ein vernichtendes:
Die Tatsache, daß die Partei den konkreten Kampf für die konkreten Rechte und Forderungen des Volkes gegenüber dem heutigen Regierungsregime vernachlässigt hat, hat sie in den Augen der Massen in gefährliche Nähe mit diesem Regime gebracht.
Noch mehr als die Parteileitung sett Gottwald vor den Augen der ge= famten Oeffentlichteit das gen tralorganfeiner Partei, das ,, Rudé Bravo" her ab. Das Blatt hatte nämlich am 27. November 1935 geschrieben:
,, Kein ehrlicher arbeitender Mensch in der Republik ist heute gegen die Armee und gegen Rüstungen! Der Armee gehört das beste und rüsten müssen wir! Gegen den Fasd, smus, der uns bedroht, werden wir alle mit der Waffe in der Hand gehen und wir wollen, damit wir von