16. Jahrgang Sonntag, 16. Feber 1936 Einzelpreis 70 Heller (elntchllefillch 5 Heller Porto) IE NTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg XII., fochova«r. TELEFON 5X77. HERAUSGEBER« SIEGFRIED TAUB . VERANTWORTLICHER REDAKTEUR« DR. EMIL STRAUSS , PRAG . Aufmarsch der Volksfront in Paris Mehrere Hunderttausend Teilnehmer erwartet Paris . Die Volksfront der Linke» hat für Sonntag nachmittags einen großen Umzug angcsetzt, der vom Pantheon dis zum Place de la Ration quer durch Paris ziehen wird. Man »rechnet damit, daß an diesem antifaschistischen Aufmarsch mehrere Hundrrttausende teilnehmen werden und diese Demonstration zu den größten zählen wird, die Paris je gesehen hat. Die Behörden haben umfangreiche Maßnahmen getroffen»«m Störungen der öffentlichen Ruhe hintanzuhalten. Der Umzug sollte ursprünglich am Parlament vorbriführen und auch an der Stelle» wo der Ueberfall auf Leon Blum verübt wurde, doch hat der Polizripräfclt bestimmt, daß der Umzug einen anderen Weg nehme.* Heute wühlt Spanien Madrid . Diesen Sonntag finden in Spa­ nien die Wahlen in die Cortes statt, die dritten Parlamentswahlen seit dem Sturz des Königs- Iums. Es kandidiere» eine große Anzahl von Parteien, der Hauptkampf wird jedoch zwischen der monarchistisch-faschistischen Partei des Katholiken- führers Gil Nobles und der Bolksfront ansgefochten werden, welche die Sozialisten und Kommunisten sowie einige kleinere gemäßigte Gruppen umfaßt. Der Wahlkampf ist bis in die letzten Tage verhältnismäßig ruhig geführt worden. Freitag ereigneten sich in Madrid einige Zusammenstöße, bei denen geschossen wurde; vier Personen wurden verletzt. Auch in Granada haben sich Ueberfälle Rechtsradikaler auf Kandidaten der Bolksfront ereignet. vr. Hodia auf dem Rückweg Paris . Der Vorsitzende der tschechoslowaki­schen Regierung Dr. Milan HodZa hat Frei­tag vor Mitternacht Paris verlassen. Am Bahnhof I hatten sich zur Verabschiedung Gesandter Doktor Qsuskh mit den Mitgliedern der Gesandtschaft und des Generalkonsulats, Vertreter des Kabi­netts des Ministerpräsidenten und des Aussen­ministers, der türkische Botschafter, der jugosla­wische und der rumänische Gesandte sowie zahl­reiche Persönlichkeiten aus französisches! Kreisen und- Mitgliedern der tschechoslowakischen Kolonie eingefuoden. i Dr. HodZa sandte von der französischen Grenz« beim Verlassen französischen BodenS an den französischen Aussenminister Flandin "ein Telegramm, in welchem er für die freundschaft­liche Aufnahme, die ihm in Frankreich zuteil wurde, dankt und neuerlich seiner tiefen Ergeben- bcit zur Sache des Friedens und zur friedlieben­den Zusammenarbeit zwischen den Nationen Aus­druck gibt. Der Ministerpräsident fährt über die Schweiz und wird im Laufe des Sonntag in Präg eintreffen. Die wenigen Tage bis zum Antritt der Reise nach Belgrad (voraussichtlich am 21. d. M.) werden der Berichterstattung an den Prä­sidenten der Republik und an den Ministerrat sowie'tunerpolitischen Beratungen gewidmet sein. Gering und Beck auf einer Jagd Warschau . Wie die Blätter melden, wird Ministerpräsident Göring ab Mittwoch an den gegenwärtig in Bialowicz stattfindenen grossen Repräsentaticnsjagden teilnehmen. Da an diesen Jagden zugleich auch Aussenminister Beck teil­nimmt, rechnet man in politischen Kreisen War­ schaus mit Konferenzen dieser beiden Staatsmän­ner, die unter der Beteiligung des polnischen Bot­schafters in Berlin stattfinden. j Künstliches Gummi und Benzin von Hitler angekündigt Berlin . Bei der Eröffnung der Inter­nationalen Autömobilausftellüng in Berlin machte Reichskanzler Hitler die Mitteilung, Deutschland habe das Problem der genügenden Versorgung deS heimischen Automobilismus mit synthe­tischem Benzin und die Erzeugung von s r n t h e t i f.dj e m Kautschuk gelöst, dessen Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Abnützung um 10 bis 30 Prozent grösser sei, als bei natürlichem Kautschuk. Die deutschen Chemiker und Erfinder hätten theoretisch bereit» eine vollkommene Grundlage ausgearbeitet und! vertrauten auf die Entschlossenheit der Regierung, I dass ihre. Erfindung jetzt praktisch ausgenützt werde. Durch Einführung eines billigen Volks­wagens will Hitler erreichen, dass drei oder vier Millionen Einwohner Deutschlands ihren eigenen Wagen besitzen. Tuchatschewsklj bei Flandln Anklage gegen Charles Maurras Freitag nachmittags wurden bei zehn füh­renden Persönlichkeiten derA c t i o n F r a n- yaise" in Verbindung mit dem Attentat auf Leon Blum Haussuchungen durchgeführt. Wie die Linksblätter mitteilen, hat die Polizei bei der Haussuchung in der Redaktion des gleichnami­gen royalistischen Blattes, dessen Chefredakteur Charles Maurras. ist, einige ver­trauliche Dokumente aus dem Innenministerium gefunden, was da­von zeugt, dass die Royalisten dort ihre. Ver­trauensleute besitzen. Samstag nachmittags wurde Charles Maurras vom Untersuchungsrichter verhört. Ge­gen Maurras , der vom Untersuchungsrichter offiziell als der intellektuelle Urhe­ber des MordanschlageS bezeichnet wurde, wird dir Anklage wegen Aufwiegelung zu Gewalt­taten und zur Bedrohung der Sicherheit der Bür­ger, degange» durch die Presse, erhoben werden. Ministerpräsident Sarraut hat Freitag abends mit dem Justizmtnister Beratungen über die Durchführung des Dekretes betreffend die Auflösung derAction Franyaise" in den einzel­nen Teilen des Landes gepflogen. Zwei neue Verhaftungen Während acht Personen, die am Freitag von der Polizei unter dem Verdacht der Teilnah­me an dem Ueberfall verhaftet worden waren, Frankreichs Luftflotte auf der Höhe Paris . Luftfahrtsminister Deal empfing am Freitag die Presse, der er die grossen Linien seines Programmes entwickelte. Die augenblick­liche Lage der Luftflotte sei ausgezeichnet. Im Juli werde die Erneuerung des Ma- terials beendet sein. Man könne heute schon sagen, dass die französische Luftflotte den Vergleich mit jedem anderen europäischen Luft­heer aushalte. Nichtsdestoweniger seien inter­nationale Verhandlungen wünschenswert, die entweder in Verbindung mit den Londoner Flottenbesprechungen oder mit den Freunden und Tokio . Die Möglichkeit eines Besuches des sowjetrussischen Außenkommissärs Litwinow in Japan wird in politischen Kreisen lebhaft er­örtert. Tie japanische Nachrichtenagentur Dömei hat bereits kürzlich aus Moskau gemeldet,/daß man in gewissen politischen Kreisen Japans den Wunsch geäußert habe, durch einen Besuch Litwi­nows in Tokio zu einer direkten Aussprache über die kritischen japanisch-sowjetrussischen Bezie­hungen zu gelangen. Die Richtigkeit dieser Mel­dung wird nunmehr von der Taß-Agentür be­stätigt. Wie Domri weiter meldet, liegen im japani­schen Auswärtigen Amt über derartige Reise­pläne keine amtlichen Nachrichten vor. Man müsse aber,,so heißt es weiter, einen Besuch Litwinows in Tokio als n ich t ungünstig rinschätzrn. Diese Aeußrrung des Auswärtigen Amtes glau­ben verschiedene japanische Politiker als eine ge­wiss« E r m u 1 i g u n g für etwaige Reiseplöne Litwinows ansehen zu können. Rach einer Reutermeldung aus Moskau ist sen werden mutzten, hat die Polizei am Samstag zwei neue Verhaftungen vorgenommen. Bei der Vorfiihrung des Amateurfilmes, auf welchem der Anschlag gegen Blum ausgenommen wurde, hatte ein Augenzeuge zwei Männer, namens Courtois und Andurand, als Teilneh­mer an der Manifestation erkannt. Beide wur­den verhaftet und gestanden, datz sie sich in dem Augenblick, als die Camelots du Roi das Auto Leon Blums umringten, an der Ecke der Univer- sitätsgaffe und des Boulevard St.-Germain be­fanden. Sie werden noch mit dem Deputierten Monnet und seiner Frau konfrontiert werden. In ihren Wohnungen wurden bereits Hausdurchsu- Hungen vorgenommen. Die Polizei hat ferner den Architekten Aragon verhaftet, der unter^em Verdacht steht, Blum einen Schlag versetzt zu haben. Infektionsgefahr del Leon Blum Leon Blum , Hessen Befinden sich in der Rächt auf Samstag verschlechterte»nd der hohes Fieber hatte, wurde von Privatärzten nnb von Amts­ärzten untersucht. Im Laufe des Tages blieb sein Zustand unverändert. Die Aerzte be­fürchten, daß die Möglichkeit einer Infektion»och nicht ausgeschlossen ist» da die Wunden, die Leon Blum erlitten hat, recht tief gehen. Ihr definitives Urteil werden di« Aerzte erst in vier bis fünf Tagen abgeben können. Verbündeten Frankreichs stattfinden könnten, um die Beteiligung Frankreichs an der gemeinsamen Verteidigung des Friedens festzulegen. Der Minister kündigte an, datz eine Neu­organisierung des Generalstabes des Lustheeres vorgesehen sei. Der Chef deS Generalstabes werde in Zukunft ausschliesslich mit der Inspek­tion des Luftheeres und der Vc-rbereitung des Programmes des Luftheeres betraM werden. Am 15. März«gehe ausserdem die Luftverteidigung deS französischen Staatsgebietes in die Hände ches Luftfahrtsministeriums über. Die General­inspektion werde General P u j o anvertraut wer­den, der den TftelChef deS Generalstabes des Luftheeres" erhält. ! Außenkommissars Stomonjakow einen Besuch ab» wobei letzterer vorschlug, die Zwischenfälle durch eine unparteiische internatio­nale Kommission untersuchen zu las­sen. Ltha versprach, diesen Vorschlag seiner Re­gierung verdolmetschen zu wollen. neuer Zwischenfall Tokio . Aus Hailar kommt die Meldung, daß es beim See Buir an der Nordwestgrenze von Mandschukuo zu neuen ernsten Kämpfen zwischen Truppen der innere« Mongolei und japanisch-mandschurischen Truppen gekommen sei. Die durch Panzerautomobilr unterstützten Mon­golen hätten auf die japanisch-mandschurischen Truppen einen Angriff unternommen, seien jedoch nach einem mehrstündigen Kampfe besiegt und in di« Flucht geschlagen worden. Nach Meldungen' aus. japanischer Quelle haben sich fest dem Feber 1932 an der sowjet- russisch-mandschurischen Grenze 47 und an der mongolisch-mandschurische' Grenze 4. Zwischen­fälle ereignet. Nur drei Zwischenfälle wurden ordnungsgemäss untersucht und liquidiert. Die Zwischenfälle werden auf die Ungenauigkcit der Grenzziehung zurückgeführt. Kein Gefühl für nationale Verantwortung (Dr. E. F.) Die Außenpolitik des Deutschen Reiches hält im Augenblick nicht etwa an jenem Punkt von Erfolg oder Misserfolg, an dem sie vor drei Jahren von Adolf Hitler angetroffen wurde oder an dem. wo sie sich beim Tode Stresemanns befand. Sie ist durch drei Jahre nationalsoziali­stischer Arbeit zurückgeworfen worden hinter den Stand hon 1921. Das geschlagene, entwaffnete, international diskreditierte und noch unter den Folgen der Blockade und der Kriegswirtschaft lei­dende Deutschland von 1920 und 1921 war kaum so. isoliert wie das Deutschland von 1936, dem der Hitlerismus angeblich zugleich mit der Wehr­hoheit auch seine Weltgeltung wieder verschafft haben will. Zu. dem Deutschland von 1920 stan­den ssvenigstens weite Kreise der neutralen Welt, es hatte die Sympathien aller jener Menschen und Mächte, die über die Verleugnung der Wilson- schen Grundsätze durch die Siegerstaaten empört oder wenigstens enttäuscht waren, zu jenem gede- mütigten Deutschland stand die übergrosse Mehr- cheit der Ausländsdeutschen» voran Oesterreich , das bis zum Anbruch der Aera Seipel mit seinen Sympathien eindeutig nach Weimar orientiert war. Das Deutschland AdolfHit- lers.von 1 9 3 6 ist.isoliert und ver­sichert selbst täglich, dass es von bösen Feinden und Neidern eingekreist worden sei« wie einst das Deutschland Wilhelms II.- Hitlers Aktivposten Oder will man die F r e u n d sch s ft P o» f e n 3 als Aktivposten gegenüber 1920 ins Tref­fen führen? Nun, dieser Tage erst hat der Kon­flikt über die Schulden der deutschen Reichsbahn an Polen beinahe dazu geführt, dass Polen der befreundeten Weltmacht" den Transitverkehr durch den Korridor nach Ostpreussen gesperrt hätte. Deutschland ist ja wirklich oder angeb­lich, beides ist natürlich nicht eben rühmlich ausserstande, die Devisen für den Transfer dieser Schulden aufzubringen und Warschau droht kühl mit einer Massnahme, die eine Ohrfeige und bei­spiellose Demütigung für Deutschland darstellen würde. Nie hätte eine Regierung des Weimarer Reiches eine solche Demütigung, auch nur die Androhung dieser Demütigung, überlebt, aber nie hätte cs auch eine der Regierungen von Scheide­ mann bis Brüning soweit kommen lassen. Gerade wenn man der oft schwächlichen Politik der deut­ schen Regierungen von 1919 bis 1932 kritisch gegenübersteht, darf man wohl sagen, dass sie s o t i e f n i ch t gesunken wären, sich wegen lumpiger paar Millionen Mark von Polen die Tür nach Ostpreussen versperren zu lassen. Hält man die Freundschaft mit Japan , für ein Aktivum der deutschen . Politik?. Eine I Freundschaft, die Deutschland und dem deutschen Boll nichts einbringen kann als einen verheeren­den Krieg; die es zum GarantendesPan- mongolismus macht, ist ein ftagwürdiger Gewinn, der natürlich auch vor Hitler zu haben war, nur datz sich damals keine deutsche Regie­rung fand, die sich zum europäischen Degen der Tokioter Imperialisten gemacht hätte. Die Freundschaft Italiens ? Auch zu Italien hatte Deutschland von der Entnatio­nalisierung der Südtiroser, die mit Mussolinis Machtantritt begann, einmal ganz abgesehen 1920 bessere Beziehungen als heute. Auch die Freundschaft Mussolinis hat im Augenblick für Deutschland einen sehr üblen Beigeschmack und hat Hitler das Tor nach Südosten jedenfalls nicht geöffnet. Die Wehrhoheit endlich? Man kann militärische Machtfragen heute nicht beurteilen, ohne an Kriegswirtschaft und Rohstoffdeckung zu j denken. Das Deutschland von 1928 etwa, mit ; feiner 100.000 Mann-Armee ausgezeichneter Spezialisten, mit Millionen waffenfähiger, zum Teil im Kriege noch ausgebildeten, zum Teil leicht auszubildender Reserven, aber angelehnt an ein befteundetes Rußland, hatte einen weit grösseren Potential de guerre als daS Deutschland Schachts, Görings und Blom­bergs, dem es an den"kriegswichtigen Rohstoffen mangelt. Polens Naphthaproduktion würde nicht einmal für die kriegsstarke polnische Armee aus- reichen. Die grössere rumänische Produktion kommt nach den letzten politischen Entscheidungen nicht Paris . Der Sowjetmarschall Tuchatschewftij' man dort derMnsicht, datz sich die Situation im stattete Samstag dem Aussenminister Flandin Fernen Osten bessern wird, wenn auch beide sowie dem Marschall P i t a i n einen Besuch ab.! Parteien ans ihrem Standpunkt verharren. Der Anfangs der kommenden Woche wird Marschall japanische Botschafter Ohta stattete Freitag| Tuchatschewftij nach Moskau abreiscn.. abends dem Vertreter deS sowjetrussifchen wegen Mangels an Beweisen wieder freigelas- Litwinow nach Tokio !