Seite 2 Nr. 40 Sonntag, 16. Feber 1936 Im Prager Rundfunk sprach Samstag abends Fürsorgeminister Genosse N e i a i im Rahmen einer Vortragsreihe, die den Möglichkeiten der Krisenhilfe geividmet ist. Genosse N e c a s stellte in den Mittelpunkt seines Vortrages die produktive Arbeitslosenfürsorge und die Belebung der Baubewegung, deren Möglichkeiten er in anschaulicher und eindringlicher Weise schilderte. Wir entnehmen seiner Rede: Im Rahmen der sogenannten produktiven Arbeitslosenfürsorge gaben im Vorjahre die Länder, Bezirke und Gemeinden ungefähr 241.000 Arbeitern Beschäftigung, darunter 30.000 auf ein ganzes Jahr. Man kann also sagen, daß die produktive Arbeitslosenfürsorge, welche auf dem Gesetze aus dem Jahre 1930 ruht, sich gut be- jeden herfällt, der nicht Hitlers antirussische Linie hält, ob es Mr. Eden, Herriot oder der Papst ist! Oder man lese in„Volk und Führung" den Artikel des Jndustriellensekretärs Dr. Janov- sky Mer die Donauprobleme und frage sich, welchen Sinn es für uns als Sudetendeutsche haben soll, daß sich Dr. Janovsky leidenschaftlich für eine großpreußische Lösung des Donauproblems einsetzt, bei der die Tschechoslo wakei als Anhängsel dabei sein dürfte I Disziplin und Kritik Disziplin mag eine gute soldatische Eigenschaft sein. In der Politik kann sie leicht zu bedauerlichen Extremen führen. Ein Großteil des deutschen Bolles verwechselt militärische Disziplin und nationales Verantwortungsgefühl, er folgt blind dem Führer, und hält es für ehrenvoll, in einen Abgrund zu stürzen, weil der„Führer" sich im Weg geirrt hat. Darum besinnt er sich in der Not der deutschen Einkreisung n i ch t a u f Bismarck, der gegen Hitler zeugt, sondern steht bedingungslos zu Hitler , der„natürlich" recht hat, auch wenn es schief geht. Es ist ein deutsches Erbübel, das hier bloßliegt: Mangel an Zivilcourage, Mangel an Verantwor- tungsbewußtsein, an Verantwortungsfreude. Soldaten mögen gut sein, vielleicht sogar Feldwebel. Aber ein Heer, das nur aus folgsamen Soldaten und vernagelten Feldwebeln besteht,-ist die Katastrophe.( chenden Beschluß faßt. Eingeschränkte Steuerbegünstigungen können aber auch in jeder anderen Gemeinde erlangt werden. Im Vorjahr herrschte bezüglich der Reparatur Anfangs ein gewisses Mißtrauen gegenüber der Regierungsverordnung, später lefite sich die Sache aber ein und brachte wenigstens in einigen Orten bedeutenden Nutzen. Die heurigen erweiterten Begünstigungen können fast 30 Prezent des Reparatnraufwandes erreichen. Die Unterstützung ist ausgiebiger als z. B. in Oesterreich . Trotzdem fand dort diese Maßnahme rin größeres Verständnis der Oef- fentlichkeit. Bei uns muß ständig viel Unlust überwunden und auf die Möglichkeiten hingewiesen werden, die anderswo die Privatinitiative mit Freuden ausnützt. Eine neue Regierungsverordnung brachte jedoch eine weitere wichtige BegMstigung für die Baubewegung in der Steueramnestie, die Straflosigkeit und Steuerfreiheit für verheimlichte Einnahmen und Gewinne aus d^n Jahren vor 1934' zusiArt,'wenn sie für HäUScepara- türen, hauptsächlich abkr auch für Neubauten, Umbauten verwendet werden. Die besten Absichten der verantwortliche« Faktoren und finanzielle Opfer aus öffentlichen Mitteln verfehlen jedoch ihr Ziel, wenn sie keinen Widerhall bei jenen finden, für welche dir Begünstigungen bestimmt sind. Es kann zn der wünschenswerten und notwendigen Enttvicklung der Baubewegung nicht kommen, wenn die Beweggründe zu all diesen Vorkehrungen nicht von der breitesten Oeffentlichkeit begriffen und gewürdigt werden. Die Lösung der heutigen Wirtschaftsverhältnisse erfordert unabwrislich die Mitwirkung aller, die helfen und investieren können. man zu jedem Opfer bereit ist, nur zu einem nicht, einmal selbständig zu denken! Die Presse der SdP und die ihr gleichgeschalteten Blätter schwelgen in Klagen über die Einkreisung Deutschlands . Nicht eines fragt nach der Ursache dieses Mißerfolges der Berliner Politik. Nicht eines vergleicht Hitlers Politik mit der Brünings, Stresemanns, Rathenaus, Bismarcks. Blindwütig schlägt man gegen Rußland , England, Frankreich los, hämisch glossiert man den frankorussischen Pakt, aber zu wahrhaft nationaler Besinnung fehlt anscheinend jedes Gefühl der Verantwortung. Was gegen Henlein Opposition macht, scheint in dem heute vielleicht entscheidenden Punkte durchaus entschlossen, die SdP an Gedankenlosigkeit und Verantwortungslosigkeit zu über- trumpfen. Die„Rumburger Zeitung" fühlt sich bemüßigt, in der Rußlandhetze nicht hinter der „Zeit" zurückzubleiben. Obwohl kein Mensch zu sagen vermöchte, was Rußland den Sudetendeutschen getan hat, inwiefern es sie schädigt, bedroht, bekämpft, fühlen sich die Schriftleiter und Parteibeamten der SdP als Vorkämpfer und Vorreiter der katastrophalen antirussischen Politik Hitlers . Man lese die„Rundschau" und frage sich nüchtern, welchen Sinn es, auch vom Standpunkt einer nationalen, selbst einer bürgerlichen, sudetendeutschen Politik haben soll, daß man dort Mer! I träge aus diesem Titel einlaufen, werden durch- ! Wegs sehr schnell erledigt und mit Freude können wir konstatieren, daß von keiner Seite Beschwerden gegen diese Aktion vorliegen. Eit»2»MerL.HiIfe bietet.die.;rste/Regie- rungsveroronunMus demHeMgMJahiMwelche die Hausreparaturen und SKsterbegünsilgungen betrifft. In der Prkentnnis, daß eine erhöhte Tätigkeit im Baugewerbe tausende Arbeitslos« in den Arbeitsprozeß zu bringen vermag, ergriff die Regierung die Gelegenheit, um bci den vermögenderen Schichten die Lust zu JMestitionen zu wecken. Die genannte Regierungsverordnung bietet bei Reparaturen alter Häuser, welche der Hauszinssteuer unterliegen, Begünstigungen, die sachlich und lokal Mer den Rahmen der Verordnungen aus den beiden letzten Jahren hinausgehen. Die voll e n Erleichterungen werden jetzt auch in Gemeinden mit mehr als 500C Einwohnern gewährt und auch in solchen kleineren, in welchen die Gemeindevertretung einen entspre- rtrehr für Hitler, sondern eher für seine Gegner in Frage. Die großen Naphtha reser- ven Rußlands und Borderasiens aber sind für das Deutschland Hitlers unerreich bar. Sieht man die militärischen Probleme nicht rein mechanisch, so wird man die militärische Bewegungsfreiheit Deutschlands vor Hitler höher einschätzen als die des Hiilerdeutschlands von 1936. Hitler , Bismarck , Rathenau Aus der Isolierung von 19.20 hat Deutsch land, wenn man hier einem Mann ein persön liches Verdienst zuschreiben darf, vor allem der Jude Walter Rathenau herausgeführt. Dieser geniale Improvisator hat nach den vielen Abwegen und Irrwegen der deutschen Außenpoli tik seit 1890 den Mut gehabt, auf die sichere Straße der Bismarck sch en Po litik zurückzukehren. Nach den traurigen Figuren, die in der Wilhelmstraße nach Bismarck Politik gemacht haben, nach dem ahnungslosen Caprivi, dem intriganten Quer kopf H o l st e i n, dem virtuosen und doch ewig dilettantischen Bülow, dem ledernen B e t h- m a n mit seinen kleinen Gehilfen und den schüch ternen Anläufen Kühlmanns oder dem Zwi schenspiel des fähigen Brockdorff-Ränt- z a ü, dem der Fluch des„Zu spät" angeheftet blieb, war Rathenau der erste deutsche Außen politiker von großem Format. Darum wahr scheinlich haben ihn entwurzelte, deklassierte Bur schen, vergiftet von völkischer Romantik, meuch lings niedergeschossen! Die Linie der Rathenau-Politik wurde bis 1933— vor allem wohl dank der Reichswehr— eingehalten, so groß auch die Neigungen gerade Stresemanns waren, gelegentlich den Anschluß an Amerika oder England zu nehmen. Erst Hitler war es Vorbehalten, das gute Verhältnis zu Ruß land mutwillig preiszugÄen und Deutschland in eine abenteuernde Gefühlspoli- tik zu stürzen, die nun in der Sackgasse g e l a n d e t ist. Die Totalität hat auf dem wichtigsten, dem außenpolitischen Gebiet versagt. Nicht nur, daß es Nicht gelungen ist, den Willen der Nation einheitlich in eine Richtung zu lenken, nicht nur daß in Berlin wie zu Wilhelms Zeiten neben- einanderundgegeneinander d r e«i, vier und mehr-Cliquen, Außenpolitik treiben, jede gegen einen anderen„Feind", jede mit einem anderen Partner, hat die totale Führung als einzigen Er- I folg auch dietotaleLsolierung gezeitigt, währt hat. Die Gesuche, welche um Stäatsbei- Aber nach innen wirkt die Totalität doch so sicher,\ daß es keine Möglichkeit gibt, die verfehlte Außen politik Hitlers zu kritisieren, dem deutschen Voll ändere Wege auch nur anzudeuten. Eine nationale Aufgabe Hier erwächst dem Deutschtum außerhalb des Reiches eine geschichtliche Aufgabe. Wir, die wir noch die Möglichkeit der freien Diskussion, der Kritik, des gemeinsamen Suchens nach dem gemeinen Wohle haben, können nach den Ursachen der deutschen Isolierung fragen und uns nach besseren Mitteln umsehen.> Man sollte meinen, daß nationale, an geblich national gesinnte Deutsche das zuerst be greifen und am eifrigsten dabei sein sollten, einen Weg aus der Einkreisung zu suchen, die ja zwei felsohne, wenn sie in den Krieg mündet, uns alle vernichtend trifft. Man suche aber diese natio nalen Deutschen nicht bei Henlein, man suche sie nicht in jenem„nationalen" Lager, wo Per Staat hilft— die Privatinitiative vor der Pröbel Das Fürsorgeministerium wird genau verfolgen, wie sich die Steuerbegünstigungen für Bauarbeiten in unserem Wirtschaftsleben auswirken werden. Cs wirb bestrebt sein, auch all- fällige Unzulänglichkeiten, welche die Praxis zeigen sollte, zu beseitigen. Das Ministerium hat in diesen Tagen von allen Gemeinden, auf welche sich die letztjährigen Begünstigungen erstreckten, Berichte Mer die Auswirkungen und Anregungen für die Zukunft abverlangt. Notwendig ist aber auch, daß die Selbstverwaltungskörper, vor allem die größeren, initiativ vorgehen und durch materielle Begünstigungen die Einführung von elektrischem Licht, Gas, Wasser etc. in den Haushalten sördern. Es kann kein Zweifel bestehen, daß anfängliche Auslagen sich später gut bezahlt machen. Der Entwurf des neuen Gesetze." über die Baubewegung, welchen das Fürsorgeministerium ausgearbeitet hat, wird in der Regierung beraten und mit größter Beschleunigung erledigt, um schon für die bevorstehende Bausaison eine feste Grundlage zu bieten. Es sind Befürchtun- gen aufgetaucht, daß diese Maßnahmen eine unbegründete Verteuerung der Baumaterialien zur Folge haben werden. Ein Preisanstieg bei einigen Materialien, wie Zement, Ziegeln, Holz, Glas usw. ist taffächlich erfolgt. Die Regierung, welche nicht zulassen kann, daß die Entwickln«- im Bauwesen dadurch gestört wird, hat durch Schaffung van Schiedskommissionen für die Preisfestsetzung vorbeugende Maßnahmen getroffen, die am 11. Feier in Kraft traten. Das Fürsorgeminifterium ist gemeinsam mit dem Ministerium des Innern schon an die Bildung dieser Kommissionen gegangen, deren Tätigkeit sich daher vor Beginn der Bausaison auswirken kann. Auf die öffentliche und private Bautätigkeit legen wir deshalb so viel Wert, well sie einen der Schlüssel zur Erhaltung des Arbeitsmarktes darstellt und einen Schein neuen Lebens in die Häuslichkeit jener bringen, die gerne arbeiten wollen und nicht können. Vie Ministerkomitees an der Arbeit Prag. In der eben abgelaufenen Woche wurden in den Komitees der polüischen und Fachminister wichtige Anträge zu Gesetzentwürfen und Regierungsverordnungen durchgearbeitet, über welche in nächster Zeit die Regierung, eventuell auch die gesetzgebenden Körperschaften Beschluß fassen sollen. Es find dies namentlich aktuelle Angelegenheiten finanziellen, sczialpolitischen, landwirtschaftlichen Charakters sowie Angelegenheiten der staatlichen Sicherheit, des Handels und Gewerbes, und der Staatsangestellten. So hielten Sitzungen ab am Montag das MinifterkomiteeffürPersonalftageN, am Dienstag und Mittwoch das politische und das- sozialpolitische Ministerkomitee, am Donnerstag wiederum das sozialpolitische Ministerkomitee sowie das Komitee der Wirtschaftsminister und am Freitag neuerlich das politische Ministerkomitee. In der kommenden Woche werden die Ministerberatungen festgesetzt und es ist bereits für Montag neuerdings das Ministerkomitee für Personalfragen einberufen worden.(Amtlich.) Bechynk auf Krankenurlaub. Wie das „PrävöLidu" mitteilt, hat der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Essenbahnminister Bechynk am Samstag Prag verlassen und einen dreiwöchigen Krankheitsurlaub angetreten. Copyright by Dr. Manfred Georg. Frag 10 MÄNNER, FRAUEN I UND WAFFEN I Roman von Man red O sorg Mardrier stocherte spielerisch mit seinem silbernen Bleistift in dem Häufchen zusammengefal- teter Zettel, zog einen heraus rlas vor: „Was ist am 13. Oktober 1903 geschehen?" Er sann einen Augenblick nach, bedeckte die Augen mit der feinen Hand und schmetterte in den Saal: „An diesem Tag ist der Bruder der Schreiberin dieses Zettels in einem Autö verunglückt." lind scharf und knapp hetzte er die Frage hinterher:„Stimmt das?" Eine blasse junge Frau erhob sich und hauchte kaum hörbar:„Ja." „Bitte, lauter," befahl Mardrier, und di; Frau brachte das„Ja" in stärkerer Tonart. Mit dieser ersten Lösung hatte Mardrier sein Publikum gewonnen. Es war vergnügt, seine Beobachtungsgabe und der Zufall hatten gutes Zusammenspiel für ihn geleistet. Die Frau hatte ihm schon, in der Pause eine Verabredung für morgen gegeben und ihm ihren Namen, auf em Blatt ihres Notizbuches geschrieben, überreicht Am Nachmittag hatte Fisch, den er, selbst für den Arzt unauffällig, mit leichten Reizfragen ausgeforscht hatte, ihm erzählt, daß diese gerade vorübergehende Patientin an den Folgen eines Schocks beim Tode ihres Bruders, eines Rennfahrers, litte. Tas Papier des Zettels auf dem Tisch war aus demselben Notizbuch gewesen, wie das des Zettels im Sprechzimmer. So leicht hatte es Mardrier nicht inuner. Er mutzte viel mit zweideutiger Kombination, Frechheit, Suggestivftagen und manchen anderen Hilfsmitteln arbeiten. Aber er war nicht nur ein bestrickend liebenswürdiger Conferencier, der jedem Kabarett zur Ehre gereicht hätte, sondern er konnte auch plötzlich eine böse Härte und Ueberwindungsluft entwickeln, die seine Opfer einschüchterte und nicht widersprechen ließ. Er hatte es gelernt, mit diesem labilen Menschenschlag, der zu seinen Skancen kam, umzugehen. Die Patienten Doktor Fischs waren begeistert. Mardrier ließ sich sogar gehen und machte ein paar Fehler. Schumann, der alle Stücke, die Mardrier seinen Gläubigen vorspielte, schon von anderswoher kannte, war enttäuscht. Merkwürdigerweise konnte er sich trotzdem nicht entschließen, zu gehen. Ihn interessierte Mardrier weniger als die Umgebung, in der er ihn in der Femina gesehen hatte. „So, meine Herrschaften," flüsterte der Hellseher und zeigte sich in angenehmer Form müde und Weranstrengt,„jetzt nehme ich nur noch diesen Zettel hier, und dann ist es genug für heute." Er entfaltete ihn und las laut:. „Was geschah am 27. November 1915 in dem Dorfe Gornitsch? Unterschrift: Werner Schumann." Der Hellseher neigte einen Augenblick leicht den Kopf, was er meistens tat, um den Damen im Publikum die reizvollen grauen Strähnen zu zeigen, die merkwürdig in dem braunen Haar wie kleine Wellen hochsprangen. Dann stieß er plötzlich das Gesicht gegen den Saal, breitete die Arme und fragte, indem er die Augen scheinbar schreckerfüllt aufriß: '„Ist Herr Schumann hier im Saal?" „Ja," antwortete ihm dieser aus der hintersten Reihe. „Sie sind Soldat gewesen, Herr Schumann"? „Ja." „Dorf mit slawischem Namen 1915. Ein Mann als Frager," murmelte Mardrier vor sich hin. Es war Schumann schon langweilig. Im« mer dieselben Kombinationen. Aber Mardrier fragte weiter: „Sie waren in Kriegsgefangenschaft?" „Ja." „Und Sie wollen wissen, was am 27. November 1915 in Gornitsch geschehen ist." Blitzschnell fügte er hinzu:„Wissen Sie es denn nicht selbst?" „Rur ungefähr." „So," machte Mardrier versoniten, dann beugte er sich vor und sagte mit besonders leiser Stimme: „Herr Schumann, würden Sie vielleicht die Güte haben, einmal zu mir heraufzulommen?" Und während Schumann nach vorn schritt: „Meine Herrschaften, ich hätte nicht geahnt, daß unser Abend mit einem so interessanten Beispiel und Beweis für die Kunst, die ich übe, enden würde." Er wandte sich an Schumann, der vor ihm stand, wie alle„Herren aus dem Publikum", die unerwartet auf die Szene gebeten werden: linkisch, etwas komisch, mit schlecht gestellten Beinen. Das Publikum Doftor Fischs witterte die Sensation. Daß gerade dieser zurückhaltende, fast stumme Mensch, der jedem auswich, sich hier als Clown aus dem Publikum produzieren mußte, weckte eine angenehme, erwartungsvolle Schadenfreude. Einige sahen sich nach Haydke um. Schumann überragte Mardrier um Haupteslänge. So ganz in der Nähe fiel ihm auf, haß Mardrier einen vom Kragen wunden Hals hatte und sich überhaupt das zarte, feine Gesicht diskret zurechtgemacht hatte. Offenbar ein Kenner phystognomischer Wirkungen, hatte er durch einen von kaum sichtbarem Puder leicht verdeck-i ten Strich die Brutalität des Mundes gemildert» um dem Antlitz nicht seinen Ausdruck eines reinen» schönen Kindes zu nehmen. „Sie kennen mich nicht, nicht wahr?" herrschte Mardrier Schumann an. „Doch," sagte Schumann. Mardrier zuckte unwillig zurück: „Wieso? Wo denn? Ich hatte noch nicht die Ehre." „Rein, persönlich nicht," erwiderte der gründliche Schumann.„Ich habe Sie nur neulich einmal beim Besuch eines Revue-Theaters im Publikum gesehen." G „Also," wandte sich der Hellseher erklärend zum Publikum,„dieser Herr Werner Schumann kennt mich nicht, außer, daß er mich einmal von weitem gesehen hat. Ich bitte, sich das zu merken." Schumann spürte, daß Mardrier ihn für einen pedantischen Kaffer hielt und von wenig freundschaftlichen Gefühlen erfüllt war. Sollte er doch! Aber Mardrier fuhr, zum Publikum gewandt, weiter fort: „Meine Herrschaften,' dies ist hier ein besonders schwieriger Fall. Ich spüre das, ohne daß ich weiter Herrn Schumann ausfrage. Und es ist auch ein trauriger Fall. Wollen Sie MrigenS, daß wir uns hier in der Oeffentlichkeit weiter unterhalten?" „Aber ja," erwiderte der Rittmeister, im- mer noch leicht geärgert. Er war ja so abgehärtet! I „Sehen Sie, mein Herr," begann darauf Mardrier,„was am 27. November 1915 in Gornitsch geschah, das wollen Sie ja eigentlich gar nicht wissen. Sie wissen ja, daß dieses Dorf an dem betreffenden Tage von Feinden, also von Russen, zerstört wurde. Oder ist Ihnen das unbekannt gewesen?" „Nein." (Fortsetzung folgt.)
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16 (16.2.1936) 40
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