Seite 2 Mittwoch, IS. Feber 193« Nr. 42 Steuergerechtigkeit tut not! Genosse Kemer für verschärfte Besteuerung der vermögenden Klassen Im Abgeordnetenhaus erstattete am Diens­tag der tschechische Genosse R e m e 6 einen in­struktiven Bericht über den StaatSrechnungs- abschlust für 1934, dessen relativ nicht allzu un­günstiges Ergebnis bereits aus früheren Ver­öffentlichungen bekannt ist. Remes beschäftigte sich u. a. ausführlich mit dem Problem der Steuerbelastung der einzelnen Bevölkerungsschichten und ver­langte kategorisch Abhilfe, weil die Steuerlast keineswegs alle gleich treffe. Die Armen und sozial Schwachen sind immer am ärgsten daran, weil ihnen jede Krone an direkten und indirekten Steuern buchstäblich vom Mund weggerissen wird, während die wohlhabenden Schichten die Steuern nur ihrem überschüssigen Einkommen entnehmen. Es ist daher notwendig, die direkte Be­steuerung der großen Steuerträger gehörig auozubauen, um ein Gegengewicht gegen das System der BerbrauchSsteuern zu haben. Wieviel Steuern zahlt die Slowakei ? Interessant waren die Aufstellungen des Re­ferenten über die Steueraufkommen nach den einzeliren Ländern. Demnach entfallen 83.7 Prozent der eingezahlten direkten Steuern aus die historischen Länder und nur 14.3 Prozent auf die Slowakei und Karpathenrußland. Dafür beträgt die Quote der beiden östlichen Länder au den Steuerrückständen nicht weniger als 22 Prozent. Fünf Sechstel aller direkten Steuern werden also von den historischen Ländern auf­gebracht. Diese Ziffern sind der slowakischen Volks­partei schon mit Rücksicht auf die schwebenden Verhandlungen über ihren Regierungseintritt ge­wiß sehr unbequem, weil sie zeigen, daß jedwede Autonomie für die Slowakei ohne große Zuschüsse aus den historischen Ländern wirtschaftlich mit einem Debakel enden müßte. Deshalb suchte auch sofort der Hlinkamann Salat dem Hause im Gegenteil zu beweisen, daß die Slo­ wakei noch verkürzt werde und auf diezu stark favorisierten" Interessen der historischen Länder nur noch draufzahle. An dem Ziffern- material des Genossen Reines konnte er natür­lich nicht im mindesten rütteln. Die Aussprache über den Rechnungsabschluß wird Donnerstag vormittags 10 Uhr fortgesetzt werden. SdP unzufrieden Im Einlauf der Sitzung befand sich u. a. eine Reihe von Interpellationen der SdP., worin über einzelne Versammlung-Verbote etc. bittere Klag« geführt wird. Die Antwort der Regierung auf die Interpellation der SdPrwegen der gesetz- und statutenwidrigen Tätigkeit einiger Gewerkschaften", womit freie Gewerkschaften getroffen werden sollten, die einige Henleinanhänger aus rein inter­nen Gründen aus ihrer Mitte ausschlossen, dürste die SdP. schwer enttäuscht haben. Wir konunen darauf noch ausführlicher zurück. Innerpolltische Verhandlungen Dr. Hodzas Prag . Amtlich wird gemeldet: Der Vor­sitzende der Regierung Dr. HodZa verhandelte Dienstag mit einigen Ministerkomitees zweckt Beendigung der Redaktion jener Gesetzentwürfe, über die in der letzten Woche noch keine Einigung erzielt wurde. Der Vorsitzende der Regierung wird diese Verhandlungen Mittwoch vormittags Mil dem Ziele sortsetzen, sie zum Abschluß zu bringen, so daß am Donnerstag, an welchem Tage auch der Ministerrat zusammentreten wird, das Abgeordnetenhaus weitere Regierungsvorlagen erhalten könnte. Mittwoch wird Dr. Hodza auch die Verhandlungen mit den bevollmächtigten Ver­tretern der slowakischen Volkspar- t e i fortsetzen. Das Ergebnis seiner bisherigen Verhandlungen mit dieser Partei über grundsätz­liche Fragen wird dann der Vorsitzende her Re­gierung zum Gegenstand von Verhandlungen mit den Koalitionsfaktoren machen. O Für Freitag ist die Reise des Ministerprä­sidenten nach Belgrad angesetzt, wo er sich bis Dilinstag, den 23. ds. aufhalten dürfte. Nach den bisherigen Dispositionen soll das HauS nach der Donnerstagsitzung erst wieder am 27. Feber zusammentreten, um sich mit der Vor­lage über den Staatsfeiertag am 7. März, dem Geburtstag Masaruks, zu beschäftigen. Die Vor­lage soll vom Senat, wo sie bereits die Ausschüsse passiert hat, in den ersten Tagen der nächsten Woche angenommen werden. Falls die Regierung dem Hause am Don­nerstag bereits einige Vorlagen aus ihrem näch­sten Arbeitsprogramm zustellen sollte, so würden sofort die Ausschüsse an die Arbeit gehen. Das Plenum des Hauses soll in der ersten Märzwoche wieder zusammentreten, um dann vor Ostern in intensiver Arbeit das dringendste Arbeitspro­gramm zu erledigen. Gemeinsamer Aktionsausschuß der Klelnbauemverbfinde Die Vertreter der vier Kleinbauernverbäno: (Zentralverband der deutschen Kleinbauern und Häusler, Prag , llstkedni svaz domkarü a mülo- rclnikü, Praha , Svaz domkarü a malorolnikü. Plzen , Üstkedni jednota üeskoslov. malozemkdälcü, domkakü a Zivnoftnikü) haben sich in den letzter Wochen in mehreren Beratungen mit der gegen­wärtigen Notlage des arbeitenden Landvolkes be schäftjgt. Die Untersuchung der Auswirkungen der von den Agrariern eingeleiteten neuen Wirt- schaftspolitik haben zur einmütigen Auffassung ge« führt, daß nur ein einheitliches Borgehen alle: Kleinbauernverbände einen nachhaltigen Wider­stand gegen die agrarische ProtektionSwirtschast ermöglicht, die eine Verelendung des Kleinbauern­standes nach sich bringt. Die letzten Besprechun­gen führten zur Gründung eines Aktionsausschus­ses, der in allen landwirtschaftlichen Fragen für di- Durchsetzung der sozialen Forderungen des arbeitenden Landvolkes eintreten und mit den so­ zialistischen Parteien und deren Regierungsvertre­tern in ständiger Fühlungnahme bleiben wird Im Kampfe um eine gerechte Agrarpolitik bild:: drese Errichtung einer gemeinsamen Internationa- len Plattform der tschechoslowakischen Klein­bauernbewegung ein bedeutsames und erfreu­liches Symptom. Wir wünschen und hoffen, daß es dem vereinigten Bemühen der Kleinbauern- verbändc gelingen möge, den Kampf um die Erhaltung der kleinbäuerlichen Existenz erfolgreich zu führen. Bald abgeregt... In der gestrigen Parla­mentssitzung verursachten die Kommunisten zu Beginn einigen Krawall» um so gegen das Verbot ihres»Arbeitslosenkongreffes" zu protestieren. Dadurch sollte offenbar auch der neue, durch Gottwald inaugurierte scharfe Kurs gegen die Regierung und die Koalition zum Ausdruck kom­men. Die erregten Gemüter beruhigten sich aber sehr bald. Als gegen Schluß der Sitzung der kommunistische Antrag, den Innenminister zum Zwecke der Berichterstattung über dieses Verbot vor das Haus zu zitieren, mit allen gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt wurde, machte sich nicht die leiseste Regung eines Widerspruches oder auch nur der Unzufrie­denheit seitens der Kommunisten geltend. Gottwald und Kopeckh leisten die Angelo­bung. Gegen etliche Kommunisten war bekannt­lich seinerzeit wegen eines vor der Präsidenten­wahl im Mai 1984 herausgegebenen Flugblattes »Nicht Masaryk, sondern Lenin " ein Schutzgesetz­verfahren im Gange, dem sich Gottwald und Ko- peckh durch Flucht ins Ausland entzogen, wäh­rend Stötka deshalb durch gerichtlich. Verurtei­lung um sein im Mai 1938 neu erworbenes Mandat kam. Nach der Amnestie anläßlich der letzten Präsidentenwahl war die Luft nunmehr rein und Gottwald und Kopeckh konnten unbesorgt zurückkehren, um ihr Mandat anzutreten. In der gestrigen Parlamentssitzung leisteten nun beide die Angelobung als Mitglieder des neuen Par­laments. Im Ostrau-Karwiner Revier läuft am 31. März d. I. der Vertrag der Gewerkschaftsorga­nisationen mit den Gewerken über die Wechsel­urlaube und über djc Nichtentlassung von Berg­arbeitern ab. Die Beschäftigung im Bergbau weist keine Befferung auf und daher berieten am Dienstag die Bergarbeitergewerkschaften über die Verlängerung dieses Vertrages um ein weiteres Jahr. Eine Redaktionskommiffion wurde ge­wählt, welche ein entsprechendes Ersuchen aus­arbeiten und gleichzeitig die Direktorenkonferenz um eine Aussprache über einige Bestimmungen des Kollektivvertrages ersuchen wird. Um Bakas Reparaturwerkstätten. Ein Sub­komitee des Gewerbeausschusses befaßte sich mit 82 Petitionen von gewerbeparteilicher Seite be­treffend die Fabrik-Schuhreparaturenwerkstätten und Verkaufsstellen, deren es im ganzen Staat rund 2400 gibt. Da sich im Laufe der Debatte zeigte, daß die einzelnen Ausschußmitglieder den Standpunkt ihrer Fraktionen noch nicht genau präzisieren konnten, wurde beschloffen, die Ange- ttfteftMf' chllst vskASchsttz SitzitnH W^rrtajM, die in 14 Tagen stattfinden soll. Auch die anwesenden Vertreter des Handels« und des Fürsorgemini­steriums nahmen zu dem Problem noch keine konkrete Stellung ein. Die Ausweisungen aus Polen . Bis zum Ende des Jahres 1933 wurden aus Polen 160 Tschechoslowaken ausgewiesen. Mit den Familien­angehörigen ergibt sich insgesamt eine Zahl von 364 ausgewiesenen Personen. Weitere 65 tsche­choslowakische Staatsangehprige waren gezwun­gen, Polen infolge des Verbotes der Beschäfti­gung zu verlassen. Ankauf der Ostrau-- Friedländer Eisenbahn durch den Staat. Die Regierung hat dem Abgeord­netenhaus einen Gesetzentwurf über die Erwerbung der Ostrau-Friedländer Bahn durch den Staat mit Rechtskraft vom 1. Jänner 1986 unterbreitet. Die Bahn besteht aus einer Hauptstrecke, die 32.6 Km. lang ist und von Mähr.-Ostrau nach Friedland führt, andererseits aus der in der Station Kuncice von der Hauptstrecke abzweigenden Lokalbahn, die sich in Tschechisch-Teschen an die Strecke der Kaschau- Oderberger Bahn in der Länge von 80.2 Km. än- schließt. Die beiden Bahnstrecken weisen bei ver­bürgter Kohlenbeförderung stets eine erhebliche Rentabilität auf. Der Staat hat die über­wiegende Zahl der Aktien bereits ftüher angekauft und hat nur den Dienst der Prioritätsobligationen sowie den Ankauf der noch ausständigen Aktien zu übernehmen. Österreichische l-andesrezleruns Segen Helmwehr Linz.(Jntro.) In dem immer Heftigeren unterirdischen Kampf zwischen der Heimwehr uno. den alten Christlichsozialen, hat die Heimwehr nun eine Niederlage erlitten. Vor einer Woche ist in Oberösterreich zwischen Heimwehr und Christlichsozialen ein Konflikt ausgebrochen, weil die letzteren die Entfernung dreier hoher Heim- wehrfunktionäre, die sich Unterschlagungen zu­schulden kommen ließen, aus den Steyerwerken erzwungen hatten. In einer deshalb einberufenen Heimwehrversammlung wurden scharfe Angriffe gegen die alten Christlichsozialen gerichtet, welche dann in der klerikalen»Rieder Volkszeitung" energisch zurückgewiesen wurden. Daraufhin ließ. der oberösterreichische Sicherheitsdirektor, der monarchistische Heimwehrführer Graf R e v e r- t e r a(der übrigens vor kurzem mit der Delega­tion Starhemberas in Steenokerzeel gewesen ist), das Blatt beschlagnahmen. Es war dies die erste Beschlagnahme eines christlichsozialen Blattes in Oesterreich . Nun hat aber die Landesregierung dem Heimwehrsührer eine empfindliche Niederlage bereitet, indem sie mit Erlaß 1/7/47 ex 36 die Be­schlagnahme der»Rieder Volkszeitung" als un­gesetzlich aufhebt. In Oberösterreich haben sich die Gegensätze zwischen Christlichsozialen und Heim­wehr scharf zugespitz und hier zuerst zu Aus­einandersetzungen geführt, in deren Verlauf christlichsoziale Bauern Heimwehrleute verprü­gelten. Neuer Flüchtllnsskommlssar Genf . Die Ernennung des englischen Gene- ral-MajorS Neill Malcolm zum einstwei­ligen Oberkommissar für die deutschen Flücht­linge wurde Dienstag vom Völkerbundsekretariat durch ein Telegramm des stellvertretenden Gene­ralsekretärs an den Ernannten bekanntgegeben. Neill Malcolm ist damit Nachfolger des Ende vorigen JahreS zurückgetretenen Macdonald. Flüsterpropaganda in Oberschlesien Warschau . Die polnischen Behörden haben in Oberschlesien eine geheime deutsche Organisa­tion, die sich»deutsche nationalsozialistische Be- loegung" nannte, aufgelöst. Es wurden 33 Deutsche verhaftet. Das Organ der polnischen Sozialisten»Robotnik" schreibt, daß die deutsche Propaganda unter den Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen Nachrichten verbreite, daß es im nächsten Jahr in Oberschlesien zu einer Volksabstimmung kommen werde. MANNER , FRAUEN UNO WAFFEN Roman von Man red C eorg I imiiiimm ii iiif»» nut Copyright by Dr. Manfred Georg, Prag Fisch klappte das Buch zu und stand befrie­digt auf. Für ibn war der Fall erledigt. Er sei­nerseits liebte die klaren Dinge und würde jetzt auf Nummer 45 den längst fälligen Einlauf machen. Eigentlich hatte Schumann mit Mardrier noch am Morgen sprechen wollen. Aber er war nach der in angstvollen Visionen"durchwachten Nacht zu erschöpft gewesen. Er tröstete sich auch damit, daß Mardrier ja keineswegs aus der Welt ging. Man brauchte nur der Spur seiner Vorträge zu folgen, um ihn bestimmt zu er­wischen. Gegenüber der Ungewißheit der Vergan­genheit schien so kleine Trennung von diesem neuen großen Leuchtturm der Hoffnung, der plötzlich wie durch ein Wunder aus dem Boden getaucht war, kaum der Rede wert. Er hatte mit Haydöe kein Wort über den Vorfall gewechselt. Sie saßen allein im Abteil. Hinter Payersbach begann er: Sagen Sie, eine Stadt mit Palmen und Schutzleuten unter weißen Sonnenschirmen ist eigentlich nur eine sehr schwache Beschreibung, es gibt doch hunderte, ja tausende solcher Städte. Im Süden, in Westindien , in Südamerika . Glauben Sie, daß er ein Schwindler ist?" Haydöe antwortete sehr prompt und über­zeugt: Ich halte ihn für einen der größten Lüg­ner, die es gibt. ES ist doch kein reines Hellsehen, was er gezeigt hat. Die Vorstellung der Finger- vi rletzung Gabrieles war doch in Ihrem Bewuht- scin. Was hat sie eigentlich? Ein Hund auf dem Hofe hat sie gebissen. Der Finger ist etwas kürzer, hat keinen Nagel, sondern nur eine etwas vernarbte Fleischkuppe. Aber der Zusammenhang ist doch befremdend. Er liest meinen Namen, läßt mich heraufkommen, weiß die Geschichte mit dem Dorf und dann diese südliche Stadt ist doch eine ganz detaillierte Vorstellung als solche, wenn sie natürlich auch für mich nicht ausreicht. Hängt also alles davcn ab, ob er noch zu weiteren Aussagen zu bringen ist. Denn, daß Gabriele in irgendeiner solchen Um­gebung ist, lag außerhalb meines Bewußtseins­radius." Haydee sah einen Augenblick vor sich hin. Es war, als entschlösse sie sich zu etwas, das ihr sehr unangenehm tvar. Sie beugte sich vor und betrachtete zärtlich das gequälte Antlitz des Man­nes. Er spürte die Wärme ihrer Augen fast kör­perlich. hatte ein ihm selbst unerklärliches heißes Gefühl, als ob sic die Arme auSstreckte, ihn her­überriß, wie um ihn zu schützen oder zu nehmen. Aber nicht dergleichen geschah. Ihr Blick wurde nur dringender, forschender, und hinter diesem Blick verhandelte-sie offenbar mit sich selbst. Es schien ihr sehr schwer zu werden, war wie ein Ab­schiednehmen, wie ein Entschluß von großer Trag­weite. Dann schöpfte sie tief Atem und ließ sich fallen. So oder so mußte es gehen. Man konnte wohl hier nicht schweigen. Sie sah durchs Fenster, auf aufgeweichte Wiesen, in deren Pfützen eine fahle Sonne waffermilchfarbige Reflexe spiegelte und sagte gegen die Fensterscheibe: Ich weiß nicht warum, ich habe Angst vor Mardrier. Menschen, die so sanft sind wie er, fast mädchenhaft, und bei denen die Brutalität so maskiert ist, sind meist zu allem fähig. Schon be! der Nennung seines Namens mußte ich unwillkür­lich Mardrier mit Meurtrier assoziieren. Aber, was er Wer Gabriele gesagt hat. ist glaube ich wahr. Vielleicht beginnt morgen ihr Leben. Ich denke, daß alles anders werden wird. Viel­leicht besser. Das kann niemand wissen. Es ist mir nur ein beklemmendes Zeichen, daß es dieser Mann ist, den daS Schicksal an die Wende ge­stellt hat. Werden Sie ihn ertragen, oder wird er stärker sein als Sie? Er ist sicher nur ein Werkzeug. Er ist wie'eine Tür, durch die man hindurchgehen muß. Man muß sich vorsehen, daß man auf der Schwelle nicht ausgleitet." Sie werden mir nicht helfen?" Vielleicht. Nicht immer. Wer weiß, wo Sie in einem Monat sein werden. Und ich. ich habe doch eigentlich einen Beruf. Machen Sie keine so verächtliche Miene. Der Beruf ist für mich sehr wichtig. Ich wäre längst vor die Hunde gegangen, weml ich ihn nicht hätte. Er allein löst die hun­dert Spannungen, die in mir sind. Er befriedigt meinen Körper, er genügt meiner Eitelkeit, er füttert meine Erfolgssucht, ja sogar manche Lust wird dadurch, daß ich sie ausstelle, gesättigt. Sie wissen nicht, was für Menschen meiner Rasse der Tanz bedeutet, den wir auf dem Asphalt und den Parketts uns ewig fremder Städte tanzen. Er ist die einzige Verbildung mit der Vergangen­heit, die mich von Kopf bis Fuß füllt. Aber das braucht Sie nicht zu überzeugen. Warten Sie ab, was ich tun werde. Wir wissen wenig voneinan­der. Für meine Abhängigkeiten haben Sie sich jedenfalls nicht viel interessiert. Aber Sie brau­chen sich deswegen nicht zu entschuldigen. Ich will Sie ja. Es lockt mich, jemanden so auf der Grenze des Lebens balancieren zu sehen. Sie haben ein Uebevmaß an Gefühl. daS die meisten Männer Ihres Schlages noch nicht einmal ahnen. Wenn es zu greifen wäre,> würde ich Ihnen einmal nachts die Brüst aufschneiden, um es i' der Hand klopfen und pulsen zu fühlen. Das habe ich neu­lich geträumt. Wenn Sie Ihr Gefühl mästen, wird es Sie eines Tages an die Lust sprengen. So wie es uns, die wir etwas besser noch mit dem Schoß, der uns getragen hat. verbunden sind, bisweilen zum Platzen bringt. Wehe der Frau, die sich da nicht auffängt. Die sich einfach auf­löst, ausläust, kraftlos versinkt in dem Schatten der Selbstaufgabe. Da ist dann der Gedanke an Selbstmord etwas Verlockendes. Er flüstert so überzeugend, wispert des Nachts am Bettrand, hockt in den Lichtreklamen der Bars, in denen man sich besäuft, oder rinnt einem auf der Straße als Regen zwischen Hals und Mantelkragen. Sehen Sie sich doch die Frauen an, die sich nicht in der Hand hcwen. Alle die armen Mädchen, die ver­zottelt ihre Hängebusen unter den Laternen hin- schlrifen, verstriemt von den Gelüsten herumlun­gernder Tiere in Pelzpaletots, hatten sich einmal nicht in der Hand. Es gibt freilich auch andere, die verkommen aus lauter Angst davor, einmal ihr Gefühl wirflich zu erproben. Sehen Sie sich die behüteten Fertpopos an, die am Nachmittag die Stühle der Konditoreien in den Städten drücken und sich Süßigkeiten in die roten Herz- mündchen stopfen, daß ihnen bald das faltige Fleisch über die Hüsten quillt. Und auch die braven, blassen Mädchen, die eines Abeirds am Fensterkreuz hängen, das höchst tugendhaft in Debet und Kredit auf Null übgerechnete Haus­haltsbuch ihres Lebens auf dem Tisch, die, von schwachen und willenlosen Eltern gezeugt, oft schon in der Wiege verpfuscht waren. Ich halte Ihnen eine Predigt wie ein Mann. Mag sein." Der Zug rollte mit hohlem Donnern über einen Viadukt. Schumann vergaß einen Augen­blick bei dem leidenschaftlichen Ausbruch Haydses sich selbst. Und dieses Vergessen war ein angeneh­mes Gefühl, war wie ein Schluck Wasser nach langem, schwerem Durst. Warum erzählen Sie mir das?" Weil Sie des Nachts in der Tür Ihres Zimmers, verglast, fern und doch von einer selt­samen Nähe für mich waren. Alle unsere Begeg­nungen sind Erinnerungen. Die können lange zu- rückliegen. Die kann ein Ahn, der in uns lebt, schon gehabt haben. Ich weiß nicht, warum ich im Augenblick damals so plötzlich durchzuckt war von Ihrer Nähe. ^Fortsetzung folgt.)